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Unter vier Augen mit Dr. Karla Fohrbeck: worüber Bayreuth sprechen sollte

In unserer Reihe ‚Unter vier Augen‘ treffen wir besondere Menschen aus Bayreuth, die viel zu erzählen haben. Dr. Karla Fohrbeck gehört zu den Menschen, die Ideen haben, anpacken, sich durchbeißen und schließlich viel auf die Beine stellen. Ein Gespräch, das an einigen Stellen philosophisch wurde. 

Karla Fohrbeck hat für tausende Künstler, Autoren und Journalisten Großartiges geleistet; denn sie war maßgeblich für die Gründung der Künstlersozialkasse verantwortlich. Die Künstlersozialkasse hilft Journalisten und anderen freischaffend tätigen Künstlern fürs Alter vorzusorgen. Mit dem Deutschen Kulturrat sind zudem herausragende Netzwerke entstanden und es wurde eine wertvolle Grundlage für Lobbyarbeit geschaffen. Doch das ist nur ein kleiner Teil ihres bisherigen Lebenswerkes. Sie hat Bücher geschrieben, Veranstaltungen organisiert und Prozesse angestoßen.

Wir haben sie vor ihrem Haus in Neudrossenfeld getroffen und mit ihr gesprochen. Über Ideen, ein glückliches Leben, Jean Paul und den Glauben.

Frau Fohrbeck, Sie haben in Ihrem Leben sehr viel geleistet und unfassbar viele Ideen entwickelt. Sind Sie darauf stolz?

Ich bin ein ziemlicher Motor und jeder hat seine Bestimmung auf der Erde. Und wenn ich so zurückschaue, dann ist meine Bestimmung schon, dass ich Ideen habe und diese Ideen größere Zusammenhänge herstellen wollen. Ich habe die Ideen nicht nur, ich entwickle sie auch, besorge dann die Gelder, gehe an die Arbeit und dann gelingt es auch. Aber dazu gehören natürlich auch andere Menschen, die in die gleiche Richtung mitarbeiten: Es gehört ein Netzwerk dazu und auch Freunde, die absolut unverbrüchlich mitziehen. Und es gehört ein günstiger Kairos dazu: dass man in der richtigen Zeit etwas aufgreift. Etwas zu schaffen funktioniert nicht in einem Ich-Ich-Ich-Denken. Deshalb ist „stolz sein“ ein schwieriges Wort.

Ideen sind etwas, das man bekommt. Es heißt ja nicht umsonst „Zu-Fall“. Um eine Idee bekommen zu können, muss man die Antennen haben und sie einordnen können. Auch Freude und Begeisterung sind wichtig. Und in der Wiederholung dieses Prozesses aus den richtigen Antennen, dem richtigen Einordnen und schließlich auch meiner Begeisterung, konnte ich in den letzten 50 oder 60 Jahren viel in die Welt setzen.

Wie hat Sie denn die Kriegs- und Nachkriegszeit geprägt? Sie sind ja 1942 geboren. Das war sicher einschneidend in Ihrer Kindheit.

Ich erinnere mich, wie ich auf dem Arm meiner Mutter in den Luftschutzbunker ging, an das Geräusch der Sirenen und wie sicher ich mich auf dem Arm meiner Mutter gefühlt habe. Meine Kindheit und Jugend war überhaupt sehr glücklich. Wir wurden geliebt. Natürlich war es eng mit vier Familien in fünf Zimmern. Aber es war ein Abenteuer.

Ihr Vater war Arzt, richtig?

Ja, und er hatte die Praxis in unserem Zimmer. Da wurde dann immer umgebaut. Wenn die Schaukel aufgehängt war, dann wussten wir: Wir dürfen wieder reinkommen. Und in der Nacht haben unsere Eltern und wir – damals drei – Kinder zusammen in einem Bett geschlafen. Wir fanden das als Kinder toll. Wir haben wunderbare Wanderungen gemacht, wir hatten viele Freiheiten und viel Fantasie. Insofern war es lebendig. Daher fürchte ich mich auch überhaupt nicht vor Veränderung. Denn jede Zeit, die wir auf der Erde leben dürfen, ist ein Geschenk.

Das klingt zauberhaft

Ja, ich hatte als Kind immer das Gefühl, die Welt steckt voller Schätze und Überraschungen. Ich hatte immer und habe auch heute große Glücksgefühle. Die Begeisterungsfähigkeit meiner Eltern hat da eine große Rolle gespielt.

Was würden Sie Ihrem 20-jährigen Ich mit dem Wissen von heute sagen?

Mit 20 hat man einen sehr idealistischen Blick auf die Welt. Jean Paul würde sagen: „zwischen der ersten und der zweiten Welt“. Und dann wird man eben ins Wasser geschmissen. Insofern sind mit 20 gute Ratschläge nicht gut angebracht. Ich glaube auch nicht, dass man jemandem mit 20 durch einen einfachen Satz Lehren ersparen kann. Wenn ich mich auf einen Satz festlegen muss, dann auf „Kinder, wacht auf, geht wach durch die Welt und versucht Euch selbst treu zu bleiben“.

Auch mein Vater hat mir keine Ratschläge gegeben. Es gab schon ein paar Sachen, die bei uns wichtig waren. Man hatte aus dem dritten Reich ja nun auch ein bisschen was gelernt. Petzen zum Beispiel durften wir gar nicht. Das war bei den Nazis ja ganz schlimm, da haben Kinder ihre Eltern verraten, weil sie nie gelernt hatten selbst zu erkennen, was richtig und was falsch ist.

Ich denke aktuell viel über das Dritte Reich nach und zwar auch, weil ich meine, dass Bayreuth da noch einiges nachzuholen hat. 100 Jahre sind zwar ein Katzensprung, aber dennoch eine Barriere. Sehr viel Bewusstsein haben wir hier nicht über unsere Geschichte.

Was sollten die Bayreuther da noch wissen? Worüber sollten wir mehr reden?

Jean Pauls bester Freund Emanuel Osmund und auch seine Vermieter, die Schwabachers in der Friedrichstraße, waren Juden. Genau wie später Eduard Berend – er war ein jüdischer Privatgelehrter, der fast 60 Jahre seines Lebens ausschließlich der Herausgabe von Jean Pauls Werken gewidmet hat. Ohne ihn wäre nichts von Jean Pauls Arbeit übrig.

Und dann muss man bedenken: Die Jean-Paul-Gesellschaft ist in den 30er Jahren fast freiwillig zur NSDAP übergetreten und hat Jean Paul als Heimatdichter geführt. Berend und auch Schwabacher wurden dann ausgegliedert. Berend kam ins KZ Sachsenhausen, konnte aber 1939 in die Schweiz emigrieren.

Ich will die Jean-Paul-Gesellschaft jetzt nicht verurteilen. Jean Paul hat auch nicht verurteilt, er hat genau beschrieben, aber nicht verurteilt. Und dennoch: Diese Schicksale und auch, wie man nach dem Krieg mit dieser Vergangenheit umgegangen ist: Wie man glaubte, man könne die Sache mit ein paar Ehrenringen wieder in Ordnung bringen – da denk‘ ich viel drüber nach. Die jetzige Jean-Paul-Gesellschaft hat sich nach dem Krieg neu gegründet. So wie sich ja viele Organisationen neu gegründet haben. Man will mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Aber so einfach geht das nicht. Man kann nicht aus der Menschheit austreten, bloß weil man immer zu den Guten gehören will.

Sich mit seiner Geschichte und den Traumata zu versöhnen ist wichtig. Und das geht nicht, indem man nur sagt: Das waren die Bösen.

Waren sie es nicht?

Viele Menschen waren unpolitisch, aber sie waren verletzt. Deutschland ist eine sehr späte Nation. Wie Heinrich Heine sagt: Wir waren im Reich des Geistes eine Nation. Genau wie die Juden. Beide Völker oder Kulturen sind universalistische Kulturen – sie waren nicht im Nationalismus, sondern im Humanismus verankert. Durch den Versailler Vertrag war alles an Selbstbewusstsein kaputt. Die Schuldenlasten waren enorm. Die Dichter waren da der Rettungsanker um eine innere Heimat zu haben. In der Jean-Paul-Gesellschaft, die 1925 gegründet wurde, waren schon früh antisemitische Züge drin. Aber gleichzeitig eben auch die Sehnsucht für sich selbst einen Anker zu haben. Das geschah mit der Abgrenzung. Über sowas muss man reden. Die wussten, wie wichtig Berend ist und dass keiner mit Jean Paul weiterkommt, wenn man diesen Menschen mit seinem Herzblut und seinem großen Wissen da nicht weiter dran arbeiten lässt. Auf der anderen Seite war für die auch völlig klar: Er ist kein Arier und kann Jean Paul gar nicht richtig verstehen.

Das zu thematisieren hätten Sie sich für dieses Jahr gewünscht?

Was heißt hier „hätte“? Das Jahr hat erst angefangen. Das kriegen wir schon noch unter.

Haben Sie da schon Ideen?

Das muss wachsen, die Ideen entwickeln sich im Konzept. Wenn die Zeit reif ist, dann entwickeln sich die Dinge von alleine. Wie beim ganzen Jean Paul Jubiläum. Es gibt hier durch den Jean Paul Weg und auch überhaupt durch den 250. Geburtstag 2013 viele, die sich für Jean Paul begeistern. Das Feuer hat überall geglimmt. Ich habe das nur anfachen müssen und dann sind die Flammen aufgegangen. Deutlich über 100 Veranstaltungen in und um Bayreuth sind so entstanden.

Ideen sind grundsätzlich größer als ein einzelner Mensch. Das ist ja der Sinn einer Idee. Wenn die Zeit reif ist für eine Idee, dann sind es viele, deren Geist auf diese Idee wartet. Solche Gedanken hat man eben, wenn man älter ist.

Woran glauben Sie?

Was heißt schon Glaube? Man macht in seinem Leben viele Erfahrungen und die muss man irgendwie in ein Weltbild integrieren. Ich erfahre in meinem Leben viel göttliche Liebe und die hilft mir auch dabei menschliche Liebe zu behalten. Da ist mir Jean Paul auch sehr wichtig. Denn immer wieder will man sich zurücklehnen, alles hinschmeißen und sagen: Es hat keinen Sinn mehr. Diesen Frust haben fast alle Menschen, die viel leisten. Die Welt ist nun mal vergänglich. Das beste was wir tun gehört auch zum Vergänglichen.

Für mich ist diese Welt ein wunderbares Geschenk. Und es ist auch noch viel davon da. Wir haben noch nicht alles zerstört und wir haben auch wunderbare Dinge getan. Noch ist nicht alles bedrohlich. Noch kann alles sehr interessant sein. Ich fühle mich total behütet. Ich weiß, mir kann nichts passieren. Der Glaube ändert sich im Laufe des Lebens. Als Kind glaubt man anders als als Erwachsener. Ich habe das Geschenk, dass ich außer dem Kinderglauben auch das Wissen um die große göttliche Liebe habe. Die hält mich auf dieser Erde in der Balance. Der Glaube ist immer ein Glaube an die Liebe. Und alle Liebe ist göttlich.

Mit 20 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten, wegen der grauenhaften Kirchengeschichte. Später ist mir aber klar geworden: Ich kann ja auch nicht aus dem deutschen Volk oder aus der Menschheit austreten.

Ich habe auch eine starke Beziehung zu Christus. Dass die göttliche Liebe ihre eigenen Prinzipien selber erfüllt hat, das ist für mich das größte Wunder. Immer bei kleinen Prüfungen des Lebens, die wir so zu bestehen haben, mach ich mir das bewusst.

Auch im Gespräch mit Landrat Florian Wiedemann kam der Glaube zur Sprache.

Wissen und Glauben ist also in der Balance?

Bewusst zu leben ist anstrengender, als wenn man in der Einfalt einfach glauben kann. Das bewundere ich sehr.

Sie haben ja mal alles verkauft und nochmal neu angefangen. Wie war das?

Ja. Da war ich ungefähr 47. Da hatte ich das Gefühl alles erreicht zu haben, was ich erreichen wollte. Außer in die Politik zu gehen war da nichts mehr. Ich habe also meine Bücher noch zu Ende geschrieben und dann alles verkauft und bin aus dem Institut ausgestiegen. Und ich bin zurückgekommen nach Bayreuth und wollte herausfinden: Wozu bin ich auf der Erde? Ich wollte mir diese Frage nochmal neu stellen. Man muss nicht immer nur das Gleiche machen. Das wäre für mich ein Graus gewesen.

Man hat ja viele Leben in einem Leben. Und das ist auch ein Geschenk.

Das aktuelle Projekt von Karla Fohrbeck, die Webseite zum Jean Paul Weg ist hier zu finden.