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Bundestagskandidaten

Bundestagswahl 2025 – Kandidatin Anette Kramme (SPD) im Interview

Die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 rückt näher. In unserer Interviewreihe mit den Bayreuther Kandidatinnen und Kandidaten spricht Anette Kramme (SPD) heute über Änderungen, die wenig kosten, Nachhaltigkeit und soziales Miteinander.

Anette Kramme, Bayreuther SPD-Kandidatin für die bevorstehende Bundestagswahl, sieht Deutschland vor großen Herausforderungen. Infrastruktur, sozialer Zusammenhalt und Nachhaltigkeit zählen für sie zu den drängendsten Aufgaben der kommenden Jahre. Im Interview spricht sie über notwendige Investitionen, politische Lösungsansätze und mögliche Hürden. Dabei nimmt sie auch Stellung zu kontroversen Themen wie der Inflation, der Flüchtlingspolitik und dem Umgang mit der AfD. Das Gespräch beleuchtet ihre Positionen und Ansichten zu den zentralen Fragen, die Deutschland derzeit bewegen.

Schon gesehen? Hier sind Interviews und weitere Inhalte aller Kandidaten zur Bundestagswahl 2025 aus Bayreuth.

bt: Sie haben im Video Infrastruktur, sozialen Zusammenhalt und Nachhaltigkeit als dringendste Themen in Deutschland benannt. Wie lassen sich diese Themen angehen?

Große Investitionen

Anette Kramme: Wir müssen richtig Geld ausgeben. Der erste Bereich, in den richtig investiert werden muss, ist die Bundeswehr. Ohne Freiheit werden wir nicht sicher leben können. Der zweite Bereich sind die Blaulichtorganisationen. Wir erleben mittlerweile täglich, dass es Sabotageakte fremder Regierungen gibt. Die Gefahr wird einfach immer größer. Und der dritte Bereich, das sind Infrastrukturmaßnahmen ganz generell. Wir haben schon in der zurückliegenden Legislaturperiode wesentlich mehr Geld, beispielsweise an die Bahn, gegeben. Auch Investitionen in Straßen gehören dazu. Die schlechte Ausstattung von Schulen ist ein weiteres Thema, zum Beispiel bei den Sportstätten. Sport trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, deshalb ist das wichtig. Das ist natürlich eigentlich Aufgabe der Länder, aber ich sage ganz ehrlich: Das ist mir mittlerweile egal.

Ich will, dass Aufgaben einfach gelöst werden. Und wenn die Länder es nicht hinkriegen, dann muss ihnen der Bund dabei helfen.

Und was natürlich auch noch dazu gehört, ist die Energiewende. Auch da müssen wir Geld in die Hand nehmen.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt

bt: Der soziale Zusammenhalt ist der zweite Punkt, den Sie genannt haben. Wie lässt sich das denn politisch fördern?

Anette Kramme: Das Befördern des sozialen Zusammenhalts reicht nicht aus, um das Thema des Rechtsextremismus zu lösen, um das klar und deutlich zu sagen. Wir haben in den Krisenjahren um Corona sehr viel Geld in die Hand genommen und trotzdem haben wir gesehen, dass das nicht ausreicht.

Es ist dennoch wichtig, dass sich Menschen in dieser Gesellschaft nicht benachteiligt und nicht ausgegrenzt vorkommen. Und das fängt mit dem Lohn an: Ich muss von meinem Lohn leben können und nicht das Gefühl haben, ich muss mir alles Schöne vom Mund absparen. In den letzten zehn Jahren haben wir da einen riesigen Sprung geschafft. Wir hatten einen Niedriglohnsektor, der 23 Prozent, also fast ein Viertel der Bevölkerung, ausgemacht hat. Und wir haben es geschafft, dass dieser auf 16 Prozent zurückgeht. Und trotzdem wissen wir, dass wir im internationalen Vergleich noch zu wenig zahlen.

Und was die Sozialsysteme angeht: Es wäre dringend nötig, Gesetzeslücken bei den Sozialversicherungssystemen zu schließen:

In meinem Bürgerbüro habe ich immer wieder mit Menschen zu tun, die verzweifelt sind. Dieser Staat ist so komplex, sich da zurechtzufinden ist total schwierig.

An vielen Stellen ist der Sozialstaat aber besser, als wir denken. Was ich mir wünschen würde, wäre eine kostenlose Beratungsstruktur für alle.

Schuldenbremse überarbeiten

bt: Sie haben ja jetzt mehrfach betont, dass für diese Maßnahmen viel Geld benötigt wird. Woher soll dieses Geld kommen?

Anette Kramme: Wir brauchen für Investitionen eine Modifikation der Schuldenbremse. Ich glaube, Investitionsmaßnahmen werden überdies andere Investitionen anstoßen und auch das Wirtschaftswachstum damit über längere Zeit befördern. Das ist typischerweise so.

So schaffen wir zusätzliche Einnahmen des Staates. Außerdem: Viele Maßnahmen kosten den Staat gar nichts, zum Beispiel die Erhöhung des Mindestlohnes. Oder wenn wir bessere Arbeitsbedingungen schaffen, wie wir es jetzt beispielsweise bei den Paketboten gemacht haben, dann kostet uns das auch nichts. In den anderen Bereichen muss man überlegen, was man in den nächsten vier Jahren erreichen kann. Das Thema Kinder und Chancengleichheit wäre mir da zum Beispiel wichtig.

Nachhaltigkeit als wichtiges Thema

bt: Ihr drittes Thema war ja Nachhaltigkeit. Wieso hat es mit den Grünen zusammen in der Regierung nicht so richtig geklappt?

Anette Kramme: Ich glaube, wir als Sozialdemokraten haben einfach einen anderen Ansatz in der Klimapolitik. Dass das alles dringend ist, das wissen wir. Wir haben aber als Sozialdemokraten immer gesagt: Wir werden das nur packen, wenn wir die Menschen mitnehmen. Und da funktioniert es einfach nicht, wenn auch nur der Eindruck geschaffen wird: Du musst individuell als Häuslebesitzer in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren Dinge leisten, die du dir finanziell gar nicht erlauben kannst.
Muss ich sofort an den privaten Häuslebesitzer ran?

Mir fallen zig Maßnahmen ein, die man auf einfache Art und Weise organisieren könnte und wo man gleichzeitig jede Menge Energie einsparen könnte. Beispiel Verpackungen: Es wäre so einfach, Verpackungen zu reduzieren, indem man viel stärker auf Nachfüllpackungen setzt. Was da an Abfall anfällt und an unnötigem Energieverbrauch! Unter so einer Maßnahme würde niemand leiden, man könnte aber einen schnellen Erfolg erzielen. Beim Dosenpfand hat es auch geklappt und daran, dass Einkaufstüten jetzt Geld kosten, haben wir uns auch gewöhnt.

Die gesetzgeberischen Maßnahmen zum Klimaschutz müssen den Menschen erlauben, tatsächlich mitzumachen und mitmachen zu wollen. Das heißt, ich muss erst die Bahn sanieren, bevor ich den Leuten sage: Fahrt weniger Auto. Und ich muss erst den ÖPNV neu organisieren, bevor ich den Leuten sage: Fahrt Bus! Und so weiter…

Strategien gegen Inflation

bt: Was Sie nur am Rande angesprochen haben, was aber, wie Umfragen belegen, zu den größten Problemen in Deutschland gehört, ist Inflation. Gibt es da Strategien?

Anette Kramme: Die Inflation war im Prinzip von außen getrieben. Das hing damit zusammen, dass viele Lieferketten abgebrochen sind und Produkte dadurch teurer werden mussten. Außerdem ist die Inflation zum Teil der Zinssituation bei der Europäischen Zentralbank geschuldet. Die Politik hat immer nur mittelbare Möglichkeiten, bei der Inflation zu handeln. Wenn wir direkt handeln würden, würde das bedeuten, dass wir Preiserhöhungen verbieten und das entspricht nicht dem System einer Marktwirtschaft.

Wir würden das an zwei Stellen dennoch tun, und zwar einerseits bei den Lebensmittelpreisen, weil wir einfach wissen, dass die Preise im unteren
Einkommens-Segment besonders gestiegen sind. Seit Anfang 2021 sind das im Prinzip 20 Prozent gewesen. 20 Prozent weniger zur Verfügung zu haben ist natürlich eine Menge Holz. Nicht alle Haushalte, die davon betroffen sind, beziehen Bürgergeld. Wir finden deshalb, dass der Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel abgesenkt werden soll. Wir haben überdies immer das Thema des CO2-Preises, weil auch dadurch natürlich Preise getrieben werden. Der hohe Strompreis, den die Industrie zahlen muss, trägt auch zum Preisanstieg bei. Wir wollen diesen Industriestrompreis begrenzen.
Aber auch der Mindestlohn hilft natürlich. Wenn der Mindestlohn mit den Preissteigerungen mithält, dann entlaste ich natürlich auch Haushalte.

Bedrohungen von innen und außen

bt: Gibt es etwas, wovor Sie Angst haben?

Anette Kramme: Ja. Das sind zwei Dinge:

Das ist einerseits die außenpolitische Situation. Die Geheimdienste dieser Welt sagen uns, dass Russland möglicherweise innerhalb der nächsten vier, fünf Jahre einen NATO-Staat angreifen könnte und das finde ich hochgradig furchterregend.

Der zweite Komplex, der mir große Sorgen macht, ist das Erstarken der AfD.
Und um das ganz klar und deutlich zu sagen: Für mich ist das eine rechtsextremistische Partei, deren Zielsetzung es ist, die Demokratie in Deutschland abzuschaffen. Ich habe so viele Äußerungen gelesen, immer wieder, wo diese Partei anderen Politikern droht, wo sie sagt: ”Wartet ab, bis wir an der Macht sind und dann werden wir….”. Wenn man diese Chats aus Gruppen liest, in denen auch bayerische AfD-Landtags- und Bundestagsabgeordnete waren, dann bereitet das Sorgen, dass gewisse gesellschaftliche Gruppen verfolgt werden können. Demokratie braucht zwei Dinge: Wahrheit und Wissenschaftlichkeit. Und beider Dinge bedient sich die AfD nicht unbedingt.

Migration und Geflüchtete

bt: Die AfD stützt sich ja sehr auf den Themenbereich Migration und bringt dabei oft Islamismus zur Sprache. Sehen Sie da auch ein Problem, das gelöst werden muss?

Anette Kramme: Ja. Die Flüchtlingsbewegungen werden wahrscheinlich eher zunehmen als abnehmen. Das hängt einfach damit zusammen, dass die Situation international sehr instabil ist.

Ich finde, dass wir aus humanitären Gründen eine gewisse Zahl von Menschen hier aufnehmen müssen, aber ich sehe sehr wohl auch, dass wir partiell überfordert sind.
Der erste Ansatz muss sein, Fluchtursachen zu beseitigen.

Ich weiß, das hört sich immer ganz einfach an, ist aber schwer umgesetzt. Aber man hätte die Flüchtlingswelle ab dem Jahr 2015 beispielsweise durch eine ausreichende Nahrungsmittelversorgung in die Lager, die es im Nahen Osten gegeben hat, wesentlich einschränken können. Man hätte dort Lebensbedingungen schaffen können, dafür sorgen können, dass Kinder zur Schule gehen können und einfache Arbeitstätigkeiten ausgeübt werden können. Viele Menschen wollen ja gar nicht den weiten Weg nach Europa gehen.

Was wir in den letzten zehn Jahren erlebt haben, ist für Deutschland hart gewesen. Und es sind ja nicht alle gesellschaftlichen Schichten, die die Folgen der Aufnahme von Flüchtlingen spüren, sondern es sind immer die gleichen Gruppen, die davon betroffen sind.

Fördergelder für Bayreuth 

bt: Wo würden Sie sich mehr Fördergelder für Bayreuth wünschen?

Anette Kramme: Zunächst würde ich mir wünschen, dass Bayreuth sich viel stärker um Fördergelder bewirbt. Ich bin der Auffassung, dass Bayreuth seine Chancen hier bei weitem nicht nutzt. Ich würde gerne häufiger darum kämpfen, dass Förderprogramme in Anspruch genommen werden. Und ich würde sowohl Stadt als auch Landkreis empfehlen, jemanden einzustellen, dessen Tätigkeit nur daraus besteht, Förderprogramme dahingehend auszuloten, ob sie für die Kommunen nutzbar sind.

bt: Wir würden Ihnen gerne noch eine Frage eines anderen Bundestagskandidaten stellen: “Haben Sie eingesehen, dass mit dem Einführen des Bürgergeldes noch Öl ins Feuer gegossen wird?”

Anette Kramme: Das ist objektiver Blödsinn. Um das Bürgergeld herum bewegen sich jede Menge Fake News. Das Bürgergeld ist in dieser Höhe eine Leistung, die praktisch in 100 Prozent ihres Umfangs durch das Bundesverfassungsgericht vorgegeben worden ist.

Deshalb wird auch die Abschaffung des Bürgergelds nicht funktionieren, weil das Bundesverfassungsgericht sagt: Jeder Mensch in Deutschland, egal welcher Nationalität, hat das Recht auf existenzsichernde Leistungen. Und ob man es nun Bürgergeld nennt oder anders, es steckt das gleiche dahinter.

bt: Jetzt dürfen Sie noch eine Frage an unseren nächsten Gast, Inken Bößert (Bündnis 90/die Grünen) stellen. Was fällt Ihnen da ein?

Anette Kramme: Ich würde gerne von ihr wissen: “Halten Sie das Heizungsgesetz in seiner letztendlichen Form immer noch für richtig?” Hier hat Inken Bößert diese und weitere Fragen beantwortet.

bt: Danke für das Gespräch.