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Catcalling in Bayreuth: Eine unsichtbare Gewalt, die täglich spürbar ist
von Larissa Wohlrab
Sexistisch, demütigend, beängstigend – Catcalling ist mehr als ein harmloser Flirt. Es ist eine Form von sexueller Belästigung, die Frauen täglich begegnet und häufig Angst hinterlässt. Gemeinsam mit Catcalls of Bayreuth werfen wir einen Blick auf die Geschichten, die sprachlos machen, und fragen: Wo beginnt Gewalt – und was kann man dagegen tun?
Am 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, wird weltweit auf ein erschreckendes Problem aufmerksam gemacht: Gewalt gegen Frauen. Doch nicht jede Form der Gewalt ist offensichtlich. Ein Beispiel dafür ist Catcalling – unerwünschte und respektlose Kommentare, Pfiffe, Anstarren oder andere herabwürdigende Gesten, welche meist im öffentlichen Raum stattfinden. Dabei geht es nicht um ein paar Worte oder gar Komplimente, sondern vielmehr um Macht und Dominanz – denn was die einen als “Kompliment” erklären, hinterlässt bei den Betroffenen Angst, Verunsicherung, oder auch das Gefühl, als Objekt gesehen zu werden.
Catcalls of Bayreuth
Wir haben mit „Catcalls of Bayreuth“ gesprochen und nutzen, um ihre Anonymität zu bewahren, nur ihre Vornamen. Die Initiative, welche von Aila ins Leben gerufen wurde, machte bereits 2020 mit ihrer ersten öffentlichen Markierung eines Catcalls in Bayreuth auf das Thema aufmerksam. Seitdem verfolgen die Aktivistinnen das Ziel, die Erfahrungen Betroffener in den Straßen Bayreuths sichtbar zu machen und damit auf die Allgegenwärtigkeit verbaler sexueller Belästigung hinzuweisen.
Catcalls und sexuelle Belästigung
Doch Catcalling ist nicht das einzige, was „Catcalls of Bayreuth“ thematisiert: Auch andere Formen sexueller Belästigung sollen ins öffentliche Bewusstsein rücken. Dabei betonen die Aktivistinnen, dass es oft fließende Übergänge zwischen Catcalling und sexueller Belästigung gibt und es deshalb wichtig ist, jede Situation auf den Straßen anzukreiden. „Die Betroffenen schicken uns einfach ihre Erfahrung zu, das können sie natürlich auch anonym tun, und dann gehen wir zum Ort des Vorfalls und schreiben den Catcall mit Kreide auf den Boden. So kann jeder sehen, was viele Frauen täglich erleben – und dadurch, dass wir es auch noch auf unseren Social Media Kanälen veröffentlichen, wird es für immer da bleiben“, erklärt Aila.
“Das war doch nur ein Kompliment!” – oder etwa nicht?
“Vielen ist gar nicht klar, was Catcalling eigentlich ist”, sagt Lisa, eine Mitwirkende der Organisation. “Man hört so oft: ‘Sei froh, dass dir jemand Aufmerksamkeit schenkt!” Aber das ist keine Aufmerksamkeit, die man will. Es ist herabwürdigend und macht Angst.”
Für Lisa ist es eine Herzensangelegenheit, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen: “Es passiert viel zu oft, dass Menschen so etwas beobachten und einfach weggucken. Niemand fühlt sich verantwortlich. Aber Betroffene sind in diesem Momenten allein – und viele wissen nicht, wohin mit dieser Erfahrung.”
Aila ergänzt: “Unser Ziel ist es, solche Vorfälle sichtbar zu machen. Das Ankreiden, bei dem wir die Geschichten der Betroffenen auf Gehwege schreiben, ist unser Werkzeug, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Es zeigt, wie allgegenwärtig das Problem ist.”
Geschichten, die sprachlos machen
Die Geschichten, die „Catcalls of Bayreuth“ zugeschickt werden, sind teilweise sehr verstörend. Sie reichen von obszönen Sprüchen über Verfolgung bis hin zu sexueller Belästigung. Für viele scheint es unvorstellbar, aber diese Geschichten stammen aus Bayreuth:
“Als meine Freundin und ich aus dem Bus stiegen, rief ein Mann: ‘Wohin geht ihr?’ Als wir nicht reagierten, verfolgte er uns, bis wir panisch wegrannten.”
“Ein Betrunkener sagte: ‘Mein Penis würde echt gut aussehen in deinem Mund’, zog seine Hose herunter und zeigte ihn mir.”
“Ein Mann zeigte mir seinen Penis. Ich war wie gelähmt, bis ich ihn anschrie. Daraufhin packte er mich am Hintern und zwischen die Beine. Er verfolgte mich quer durch die halbe Wilhelminenaue.”
“Es war Sommer. Ich war elf und war an dem Tag mit einer Freundin im Freibad. Ein ungefähr 16-jähriger Junge kam zu mir, als ich alleine am Beckenrand war und sagte: ‘Ey Moppel, bock zu f*****?’ Ich war total verstört und lief sofort, weinend, im Badeanzug nach Hause. Meine Mama brauchte mehrere Stunden, um mich zu beruhigen und mich dazu zu bewegen, ihr zu erzählen, was passiert ist. Danach konnte ich eine sehr lange Zeit nicht alleine im Freibad sein.”
Der Preis von Catcalling: Angst und Unsicherheit
“Viele Frauen trauen sich nicht mehr, abends allein unterwegs zu sein. Einige meiden bestimmte Orte komplett”, berichtet Aila. Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) bestätigt diese Beobachtungen. Außerdem hätten viele Betroffene Schlafstörungen, Depressionen oder ein tiefes Misstrauen gegenüber anderen Menschen entwickelt.
Ein weiteres Problem sieht Aila darin, dass Catcalling häufig nicht als eine Form der Gewalt angesehen wird: “Wo fängt Gewalt an? Fängt sie erst bei den handgreiflichen Übergriffen an oder nicht schon vorher? Unserer Meinung nach fängt Gewalt nicht erst da an, wo man blaue Flecken sieht, sondern kann auch schon da beginnen, wo Angst ausgelöst wird. Und deshalb sagen wir, dass Catcalling eine Form der Gewalt ist.”
Sollte es ein Gesetz gegen Catcalling geben?
In Ländern wie Frankreich, Belgien, Portugal und den Niederlanden ist Catcalling bereits strafbar. Auch in Niedersachsen gibt es aktuell Diskussionen, diesen Schritt zu gehen.
Für Lisa ist die Antwort eindeutig: “Es ist wichtig, dass es strafbar gemacht wird. So wie es jetzt ist, wird es einfach weiterlaufen. Auch die Täter wissen: ‘Ich kann das jetzt problemlos machen, und du kannst nichts dagegen tun.’ Es ist enttäuschend, dass erst ein Übergriff stattfinden muss, bevor gehandelt wird.”
Besonders alarmierend ist die Situation für Kinder und Jugendliche. “Auch 12- oder 13-Jährigen werden obszöne Dinge hinterhergerufen, und da kann auch niemand etwas dagegen tun. Was meiner Meinung nach einfach nur falsch ist”, sagt Lisa spürbar enttäuscht.
Sensibilisierung: Der Schlüssel zum Wandel
“Das Wichtigste ist Aufklärung”, betont Aila. “Ein Gesetz einzuführen wäre nur der Anfang. Wir müssen als Gesellschaft erkennen, dass Catcalling keine Belanglosigkeit ist. Das Thema gehört in die Schulen, in die Medien und in die Köpfe.”
“Wir dürfen nicht mehr wegsehen”, sagt Lisa abschließend. “Jede Stimme zählt. Und vor allem zählt jeder Mensch, der es schafft seine Stimme gegen Gewalt an Frauen zu erheben.”
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