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Diskussion zu Protesten gegen die AfD – unnötige Eskalation oder gerechtfertigter Widerstand?
Welche Mittel sind bei Protesten gegen die AfD gerechtfertigt? Und wann geht Widerstand zu weit? Unsere Autorinnen Katharina Müller-Sanke und Stefanie Schweinstetter sind unterschiedlicher Meinung.
Tausende Menschen gehen gegen rechts auf die Straße. Das ist ihr gutes Recht. Sie verfolgen damit hehre Ziele. Haben die Proteste zuletzt Ausmaße angenommen, die das friedliche Miteinander gefährden und übers Ziel hinausschießen? Müssen wir uns daran gewöhnen? Ist es gerechtfertigt Gewalt so eskalieren zu lassen und wo soll das hinführen?
Unsere Autorinnen Katharina Müller-Sanke und Stefanie Schweinstetter sind völlig unterschiedlicher Auffassung in dieser Sache.
Autorin Katharina Müller-Sanke sagt: der Protest gegen die AfD geht zu weit.
Aktivisten gegen die AfD
Es wurden in den letzten Wochen Plakate abgerissen, das Schloss eines Parteibüros in Bayreuth verklebt und nun in dieser Woche ein Gasthaus in Bad Berneck diskreditiert, das bei einer AfD-Veranstaltungen bewirtet hat. Zahlreiche Initiativen, Anwohner und Parteien sollen den Protest in Bad Berneck unterstützt haben. Die Gruppen wollen Flagge zeigen gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD. Noch einmal: Das können und dürfen sie tun.
Die Opfer des Protestes
Doch was ist das Ergebnis? Ein Gastwirt aus Bad Berneck wurde durch die Aktion nachhaltig geschädigt. Angesichts des Wirtshaussterbens ist dieses Zeichen fatal. Der Gastwirt tat, was Gastwirte eben tun: Menschen bewirten. „Bei uns waren immer alle Parteien willkommen,“ sagt Wirt Horst Friedrich. Er hatte sich nicht einschüchtern lassen, als am vergangenen Wochenende mehrmals Menschen bei ihm angerufen haben, die ihn unter Druck gesetzt haben sollen. Sie hätten ihm gedroht und verlangt die AfD-Veranstaltung abzusagen. Friedrich selbst war für die Freien Wähler im Bad Bernecker Stadtrat und hält sich selbst für politisch neutral. Er freut sich immer über Gäste. Wirtshäuser wie seines werden alles andere als überrannt von Besuchern. Er verdient mit dem Wirtshaus sein Geld.
Natürlich kann man ihn für die Entscheidung, die AfD zu bewirten kritisieren. Gäste könnten sein Geschäft boykottieren oder mit ihm das persönliche Gespräch suchen. Wenn die Gründe der Protestierenden valide sind, sollte die Argumentation leicht fallen.
Bad Berneck in einem schlechten Licht
Doch was passiert ist, geht über Kritik deutlich hinaus. Um die 100 Demonstranten haben über Stunden vor dem Wirtshaus getrommelt und „Hassparolen“ wie er es nennt, skandiert. Die AfD-Veranstaltung haben sie damit kaum gestört, wohl aber Anwohner und Gäste im benachbarten Hotel. Natürlich sind manche Anwohner von sowas genervt. Und auch die Urlaubsfreuden der Hotelgäste und Besucher zum Beispiel im Goldenen Hirsch waren sicher getrübt.
Viele Menschen arbeiten hart dafür, dass Orte wie Bad Berneck attraktiv werden, sich die Menschen dort wohl fühlen und die Wirtschaft gefördert wird. Diese Bemühungen werden von Aktivisten mit Füßen getreten. Um ihre Sache zu vertreten, kommen sie in das Dorf, ziehen ihr Ding durch, hinterlassen unterirdische Google-Bewertungen ohne das Gasthaus überhaupt betreten zu haben und gehen wieder. Das Gasthaus existiert in Bad Berneck in 5. Generation. Hier werden Existenzen ohne mit der Wimper zu zucken zerstört. Das geht nicht nur die Wirtsfamilie an. Das betrifft uns alle.
Demokratischer Diskurs statt Eskalation
Die AfD ist zweifellos eine umstrittene Partei. Ihre politischen Positionen polarisieren und stoßen bei vielen auf Widerstand. Doch sie ist auch eine Partei, die demokratisch in den Bundestag gewählt wurde und damit den Willen eines Teils der Bevölkerung repräsentiert. Ob es uns gefällt oder nicht: Die AfD ist demokratisch legitimiert. In einer Demokratie ist es unerlässlich, dass politische Auseinandersetzungen innerhalb eines rechtlichen und ethischen Rahmens stattfinden. Und der schließt Sachbeschädigungen genauso aus, wie die mutwillige Zerstörung von Existenzen.
Protest ist ein wichtiges Element der Demokratie. Demonstrationen, Petitionen und friedliche Aktionen sind legitime Mittel, um Kritik zu äußern und Veränderungen einzufordern. Sobald jedoch Grenzen überschritten werden und Sachbeschädigungen oder gezielte Schikanen hinzukommen, wird die Basis der demokratischen Auseinandersetzung verlassen. Solche Aktionen schaden nicht nur dem Rechtsstaat, sondern auch der Glaubwürdigkeit der Protestbewegungen selbst. Ihre Vorgehensweise steht im Widerspruch zu den Werten, die sie angeblich zu bewahren suchen: Respekt, Frieden, Toleranz. Wer die Demokratie verteidigen will, sollte sich ihrer friedlichen Waffen bedienen. Die Frage wer Eskalation am Ende begonnen hat, ist irrelevant. Wer sie beendet, ist entscheidend.
Schon gesehen? Auf der Maximilianstraße in Bayreuth fand eine Demo vor dem AfD-Infostand statt.
Spirale der Eskalation
Die Sabotage gegenüber der AfD lässt sich leicht als Zeichen von „zivilem Ungehorsam“ rechtfertigen. Doch sie öffnet auch die Tür für eine Spirale der Eskalation. Wenn heute das Schloss eines Parteibüros verklebt wird und Plakate abgerissen werden, was kommt dann morgen? Gewalt, sei es gegen Sachen oder Personen, kann und darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Demokratische Prozesse müssen geschützt werden – selbst dann, wenn uns die entsprechenden Inhalte einer Partei nicht gefallen.
Wer die AfD bekämpfen will, sollte dies durch überzeugende Argumente, politischen Diskurs und Aufklärungsarbeit tun. Die Menschen, die diese Partei wählen, lassen sich nicht durch Sabotageaktionen umstimmen.
Demokratie lebt von Meinungsvielfalt und der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Standpunkten. Diese Freiheit bringt Verantwortung mit sich: die Verantwortung, sich an die Spielregeln der Demokratie zu halten. Wir alle haben die Pflicht, unser politisches System zu verteidigen – und das bedeutet auch, es vor solchen Aktionen zu schützen.
Autorin Stefanie Schweinstetter widerspricht:
Proteste sind Reaktion auf Strategie der AfD
Gefährden die Proteste gegen die AfD das friedliche Miteinander, oder sind sie eine Reaktion auf eine Bedrohung dieses Friedens, die von der AfD ausgeht? Bisher wurde ein Banner an einem Kran aufgehängt, ein Schloss am AfD-Parteibüro zugeklebt und vor einem Gasthaus getrommelt und Musik gespielt. Zu weiteren Störversuchen kam es Medienberichten zufolge vor dem Wirtshaus in Bad Berneck nicht, es sei auch niemand daran gehindert worden, die AfD-Infoveranstaltung zu besuchen. Kann man in diesem Zusammenhang wirklich von eskalierender Gewalt sprechen?
Gefährdet nicht eher die AfD mit ihrer hetzerischen Rhetorik das friedliche Miteinander? Schon vor Jahren wurde in der Chatgruppe der ersten AfD-Bundestagsfraktion umstürzlerisches Gedankengut ausgetauscht. Um nur eine Nachricht zu zitieren: „Wir müssen wohl warten, bis das Alte Regime wirtschaftlich ans Ende kommt […] Das wird kommen und für die dann ebenfalls kommenden gnadenlosen Kämpfe müssen wir uns rüsten.“ In der Partei gibt es also scheinbar Menschen, die geradezu darauf hinfiebern, dass das friedliche Miteinander in Deutschland mal ein Ende nimmt.
Die Grenzen des Sagbaren
Man kann natürlich darüber diskutieren, ob die Sachbeschädigung, die den Aufbau des Wahl-Infostands auf dem Marktplatz am vergangenen Samstag verzögern sollte, gerechtfertigt war. Man kann sich darüber streiten, ob solche Aktionen der AfD nicht noch mehr Möglichkeiten geben, sich als Opfer darzustellen, als Außenseiter des „Main-Streams“, die für die Rechte der kleinen Leute kämpfen. Derlei Aktionen werden AfD-Wähler ziemlich sicher nicht umstimmen. Aber das sollen sie auch nicht. Sie sollen der Partei zeigen, dass ihre Versuche, die Grenzen des Sagbaren und letztendlich auch Umsetzbaren auszutesten, nicht unbeantwortet bleiben.
Es ist beunruhigend, dass in Gesprächen über die AfD immer wieder darüber gesprochen werden muss, was „denn eigentlich so schlimm“ an der AfD ist. Es zeigt, dass die AfD darin erfolgreich ist, uns an radikales Gedankengut zu gewöhnen, indem sie die unfassbarsten Dinge sagt und hinterher behauptet, sie habe es nicht so gemeint. „Alice für Deutschland!“, jubelte man kürzlich auf dem AfD-Parteitag in Riesa. Das hört sich doch sehr nach der SA-Parole „Alles für Deutschland“ an, für deren Verwendung Björn Höcke vom Landgericht Halle verurteilt wurde. Von Höcke konnte (lies: wollte) sich die AfD scheinbar immer noch nicht trennen. Einige Landesverbände sind vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Was gibt es da noch zu diskutieren? Aktionen, wie sie „Widersetzen“ und ähnliche Organisationen starten, vermitteln der AfD: „Wir durchschauen, was ihr wirklich meint. Und wir werden dem etwas entgegensetzen.“
Mit Reaktionen muss man rechnen
Der Wirt, der die AfD-Infoveranstaltung beherbergt hat, darf nicht nur selbstverständlich Menschen allerlei politischer Überzeugungen bewirten, das tut er mit Sicherheit auch. Das tut jedes Restaurant, jedes Café, jedes Wirtshaus. In dem Moment, in dem er die AfD aber bei sich eine politische Veranstaltung abhalten lässt, positioniert er sich auch politisch. Damit, dass Menschen ihren Unmut darüber ausdrücken, wohlgemerkt friedlich, könnte man rechnen. Bereits am Tag nach den Protesten will der Wirt im Gespräch mit unserer Redaktion wissen, dass die Demo seinem Geschäft nachhaltig geschadet hat.
In den Google-Rezensionen des Gasthofs sind tatsächlich einige negative Bewertungen eingegangen, die sich auf den AfD-Infotreff beziehen. „Bin sehr enttäuscht, war eigentlich immer gerne dort“, schreibt einer. Ein weiterer: „ist schon gewagt, der AfD ’nen Ort zu bieten.“ Die neueste Bewertung liest sich aber: „Das Gasthaus ist ein ganz gemütlicher Ort, das Essen ist gut.“ Und vergibt 5/5 Sternen. Künftige Gäste dürfen doch wissen, dass das Gasthaus die AfD-Infoveranstaltung beherbergt hat. Keiner der Kommentare legt nahe, das Essen sei nicht gut, sie weisen lediglich darauf hin, dass sie mit den Werten des Wirts nicht übereinstimmen. Selbst mit viel gutem Willen lässt sich die Prognose des Wirts, seine Existenz sei zerstört, nach so kurzer Zeit schlecht nachvollziehen. Er könnte mit seiner Entscheidung, sich die AfD ins Haus zu holen, sogar einige neue Stammgäste gewonnen haben.
Für wen soll Bad Berneck attraktiv sein?
Zu dem Punkt, Bad Berneck würde durch die Demonstration unattraktiv für Touristen: Diese Touristen soll also eine friedliche Demonstration, an der Kinder und Seniorinnen beteiligt waren, mehr stören als eine AfD-Veranstaltung? Es gibt sicher solche und solche Touristen, einigen Gästen im benachbarten Hotel wäre es aber vielleicht auch lieber gewesen, die AfD hätte nebenan keine Info-Veranstaltung abgehalten. Wer soll sich denn in Bad Berneck wohl fühlen? Nur die AfD und ihre Anhänger? Oder auch Menschen mit Migrationshintergrund und queere Menschen?
Wer es sich leisten kann, bleibt still
Es gibt sicher Menschen, die sich über die Entwicklung, die die AfD nimmt, freuen. Viel mehr Menschen machen sich aber vermutlich einfach wenig Sorgen darüber. Vielleicht weil sie denken, dass sie das, was die AfD – wenn nicht inhaltlich, dann rhetorisch – immer deutlicher verspricht, nicht betrifft. Vielleicht weil sie nicht befürchten, ihre Rechte zu verlieren, in einem Land zu leben in dem Anfeindungen auf der Straße Alltag werden oder das Land verlassen zu müssen. Viele sind aber auch froh, dass es Menschen gibt, die nach Bad Berneck, oder besser noch, nach Riesa fahren, statt zuhause zu bleiben. Und fahren vielleicht beim nächsten Mal mit.