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Bayreuther Persönlichkeiten

„Du Saujud!“ – über einen kleinen Mann, der ein großer Bayreuther war

von Stephan Müller

Karl Würzburger erlebte in Bayreuth die brutale Ausgrenzung als Jude, floh vor den Nazis und kehrte doch zurück, um maßgeblich den Wiederaufbau der Festspiele zu gestalten. Nun veröffentlicht seine Biografie erschütternde Einblicke in ein bewegtes Leben zwischen Verfolgung und kultureller Pionierarbeit.

  • Karl Würzburger um 1930 als Rundfunk-Pionier bei der Deutschen Welle. Foto: Archiv Ulrike Läubli-Häberle
  • Albert Würzburger, Gründer des Sanatoriums Herzoghöhe mit seiner Ehefrau Amalie und den Kindern Anna, Karl, Otto und Emma. Emma war die Schwiegermutter des bayerischen Finanzministers und BG-Stadtrates Dr. Eberhard Pöhner. Foto: Archiv Ulrike Läubli-Häberle
  • In dem Buch „Ein Jud- was ist das? Notizen eines Betroffenen“ veröffentlichte Dr. Rainer-Maria Kiel die bislang ungedruckten Lebenserinnerungen von Karl Würzburger. Dr. Marcus Mühlnikel, Schriftleiter des Historischen Vereins für Oberfranken, Ulrike Läubli-Häberle, Enkelin von Karl Würzburger, Herausgeber Dr. Rainer-Maria Kiel und Regierungsvizepräsident Thomas Engel. Foto: Stephan Müller
  • Karl Würzburger um 1950 mit dem Verleger Ernst Rowohlt und dem Bayreuther Buchhändler Adolf Gondrom (von links). Foto: Archiv Ulrike Läubli-Häberle

Es war im August 1934. Nach einer „Götterdämmerung“ wird Karl Würzburger vor dem Künstlerlokal „Eule“ von fünf Männer, alle betrunken, verprügelt. Sie schreien ihm ins Gesicht. „Du Saujud“.

Jude sein im dritten Reich in Bayreuth

In seiner Studienzeit, als Soldat im Ersten Weltkrieg und als Mitarbeiter der Deutschen Welle in der Weimarer Republik hatte er diesen latenten, dann immer offener auftretenden Antisemitismus sehr wohl wahrgenommen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die Ausgrenzung und Verfolgung immer schlimmer. Nun wurde er als Jude von vielen früheren Bekannten „übersahen“. Keinen Gruß mehr, sie sahen durch ihn durch.

Neuanfang in Bayreuth nach dem Krieg

Zwei Jahre später flieht er vor der wachsenden Bedrohung in die Schweiz. Nach dem Krieg, es war der 28. Juni 1947, kam Karl Würzburger in den Landratssaal im heutigen Regierungsgebäude. Dort wurde vor der Spruchkammer über die Entnazifizierung der Festspielleiterin verhandelt. Würzburger: „Frau Winifred hatte, als ich 1934 vor der Eule überfallen worden war, energischen Einspruch erhoben.“ Das hat er nicht vergessen.

Unvergessen war er, der vor zehn Jahren ins Exil gehen musste, auch nicht. „Auf meinen Besuch war niemand vorbereitet. Getuschel, Geraune. Geflüster.“ In der Pause kamen viele auf den kleinen Mann zu. Auch einer von denen, die ihn übersahen hatten: „Jetzt begrüßte er mich. Wir hatten einst Silvester 1914 eine Flasche Asti miteinander getrunken.“ Mit ausgestreckten Händen trat er auf ihn zu: „Wie geht’s dir, Würzburger?“, fragte er harmlos-herzlich. „Danke gut!“. Würzburger: „Es klang wie ‚scher Dich zum Teufel‘“.

Buchvorstellung an historischer Stelle

Fast genau 78 Jahre später stellt der Historische Verein für Oberfranken eben in diesem Landratssaal die bislang ungedruckten Lebenserinnerungen „Ein Jud- was ist das? Notizen eines Betroffenen“ von Karl Würzburger vor, herausgegeben von Dr. Rainer-Maria Kiel.

In Anwesenheit von Würzburgers Enkelin Ulrike Läubli-Häberle, die eine große Anzahl von Bildern zur Verfügung stellte, skizziert Kiel das Leben von Karl Würzburger, trägt anrührende Passagen aus dessen Lebenserinnerungen von 1974 vor. Das Buch ist über den historischen Verein Oberfranken zu beziehen. 

Würzburger wird Leiter des Bayreuther Kulturamtes

Auf die Bitte von Oberbürgermeisters Oscar Meyer kehrte der Sohn des angesehenen Arztes und Magistratsmitglieds Dr. Albert Simon Würzburger, Gründer des Sanatoriums Herzoghöhe, nach Bayreuth zurück. Karl Würzburger war vor der NS-Zeit Programmleiter beim Sender „Deutsche Welle“ und Dozent an der Hochschule für Musik in Berlin gewesen. Für den dreißig Jahre jüngeren Schriftsteller Wolfgang Borchert („Draußen vor der Tür“) war er ein väterlicher Freund.

Er kam Meyers Wunsch nach, übernahm schon 1948 das Kulturamt und die städtische Volkshochschule. Und musste erst einmal Rückschläge hinnehmen. Vergeblich kämpfte er gegen die Auflösung des Bayreuther Symphonieorchesters und für ein eigenes Schauspielhaus, ehe er mit der Gründung des Internationale Jugendfestspieltreffen und des Stadtjugendrings erste wichtige kulturelle Grundsteine legte. In München wehrte er sich gegen das Vorhaben, das Markgräfliche Opernhaus nur als Museum zu nutzen und rief die „Fränkische Festwoche“ ins Leben.

Entscheidende Rolle bei der Wiederaufnahmen der Festspiele 

Die wohl größte Bedeutung hatte Karl Würzburger aber für die Wiederaufnahme der Bayreuther Festspiele. Im Juli 1950 beschlossen die Intendanten der deutschen Rundfunkanstalten, dass die Bayreuther Festspiele weder einen Zuschuss noch Lizenzgebühren für eine Übertragung gewährt wird. Doch einfach hinnehmen will man das in Bayreuth nicht. Der frühere „Radio-Pionier“ Karl Würzburger, Stadtschulrat Kuttenfelder und Wolfgang Wagner zwängten sich in einen Volkswagen, um auf „holprigen Straßen“ die beschwerliche Rundreise von Bayreuth über Hamburg, Köln, Frankfurt und Baden-Baden anzutreten. Mit Erfolg. Der Bayerische Rundfunk in München gewährte als erster ARD-Sender eine Kulturhilfe von 50.000 Mark, der Landtag bewilligt 200.000 Mark und die Stadt Bayreuth stellt weitere 100.000 Mark in Aussicht. Die Vorbereitungen für die Bayreuther Festspiele 1951 konnten beginnen.

Festspiele in der Hand der Familie Wagner

Offen blieb noch die Frage der Festspielleitung. Er unterstützte Wieland und Wolfgang Wagner und plädierte gegen den Willen des bayerischen Kultusministers Alois Hundhammer dafür, die Festspiele in der Hand der Familie Wagner zu belassen. Darüber berichtete der frühere Oberbürgermeister Hans Walter Wild: „Würzburger saß mit Wieland und Wolfgang Wagner dem Kultusminister Hundhammer gegenüber. Das Gespräch war sehr gespannt.“

Der „knorrige“ Hundhammer rief: „Meine Herren Wagner! Bitte denken Sie doch an die Hakenkreuzfahnen auf dem Festspielhügel!“ Statt zu widersprechen, antwortete Karl Würzburger: „Ich glaube, Herr Staatsminister, wir sollten auch an die Hakenkreuzfahnen denken, die über München wehten.“ Wild bemerkte später: „Kein anderer als der rassisch verfolgte Jude Karl Würzburger hätte es in der damaligen gereizten Atmosphäre gewagt, einen Staatminister vom Schlage Hundhammers so zu desavouieren.“

Buch Würzburgers

Im Jahr 1958 ging Karl Würzburger in den Ruhestand und zog zu seiner Tochter in die Schweiz. Im Roman „Im Schatten des Lichtes“ schreibt er über das Leben von Dr. Jakob Herzfelder und meint sich selbst. Als Patient wird er in einem Nervensanatorium aufgenommen wird, als „Jude“ beschimpft und von einer Horde von Trunkenbolden verprügelt. Ein Jude „lebt immer in der Fremde“, stellt er fest.

Im Ruhestand wechselt er seinen Glauben und wird bekennender Christ. Er hat viel Zeit für seine Enkeltochter Ulrike. Täglich liest er dem Mädchen Geschichten vor. „Ich erinnere mich an jede Minute“, sagt Ulrike Läubli-Häberle und dankt im Landratssaal vor dem hoch interessierten Publikum den Herausgeber Dr. Rainer-Maria Kiel für das „großartige Buch“, das er selbst nur „ein kleines Werk“ nennt. Ein Werk, das gelesen werden sollte. Gerade heute ….

Das Sanatorium Herzoghöhe

Dr. Albert Würzburger, nachdem eine Straße in Bayreuth benannt ist, eröffnete 1894 das Sanatorium Herzoghöhe und 1907 daneben das luxuriöse Kurhaus Mainschloss. Im Jahre 1936 sollten die Einrichtungen in eine „deutsche Krankenanstalt“ umgewandelt werden. Die Leitung wurde der Familie Würzburger entrissen und an den nationalsozialistischen Arzt Dr. Kurt Bach übergeben. Um eine Arisierung zu verhindern, wurden Sanatorium und Kurhaus an Konrad Pöhner verkauft. Der spätere bayerische Finanzminister war mit einer Enkelin von Dr. Albert Würzburger, der am 16. Juli 1938, starb verheiratet. Seine Söhne Karl, und Otto, der als sein Nachfolger das Sanatorium führte, waren bereits 1936 in die Schweiz und nach Mexiko emigriert. Nach Albert Würzburger und Dr. Konrad Pöhner sind heute in Bayreuth Straßen benannt. An idealen Stellen. Die Dr. Würzburger-Straße neben der Klinik Herzoghöhe und die Dr.-Konrad-Pöhner-Straße in der Nähe der Universität. War es doch Konrad Pöhner, der als Finanzminister einen großen Anteil an der Ansiedlung der Universität in Bayreuth hatte.

Stephan Müller

Stephan Müller

Stephan Müller ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.