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Hauptverhandlung

Gericht hört Schlussvorträge: Mindestens neun Jahre Freiheitsstrafe für Leon D.?

Am 5. November hat das Gericht die Schlussvorträge gehört. Leon D.s Verteidiger plädiert auf Totschlag, Staatsanwaltschaft und Nebenklage beantragen, dass der Angeklagte wegen Mordes verurteilt wird.

Die Hauptverhandlung im Mordprozess gegen Leon D. nimmt diese Woche ihr Ende. Am Dienstag, den 5. November 2024, hat das Gericht die Schlussvorträge der Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage gehört. Am Freitag, den 8. November, soll das Urteil fallen. Dabei geht es um die Frage, ob Leon D. wegen Mordes verurteilt wird, ob Jugendrecht auf ihn angewendet wird und ob eine Sicherungsverwahrung für ihn denkbar ist.

Staatsanwaltschaft fordert 14 Jahre, sechs Monate für Leon D.

Oberstaatsanwalt Daniel Götz startet einen Timer, als er seinen Schlussvortrag beginnt. Er schildert die Hintergründe der Tat von Leon D. am 24. Mai 2024. In den Ausführungen des Staatsanwalts steht Leon D. gerade vor Rebeccas Haustür in Bindlach, als der Timer klingelt. Sechs Minuten sind vorüber, laut Staatsanwaltschaft der Zeitraum, in dem Rebecca S. von Leon D. getötet wurde. 

Staatsanwalt: Gedächtnislücken „völliger Unsinn“

Die Gedächtnislücken, die Leon D. vor Gericht im Zusammenhang mit der Tat beschrieben hatte, seien in den Augen der Staatsanwaltschaft “völliger Unsinn.” Auch dass Leon D. Rebecca S. vor Gericht als gewaltbereit dargestellt habe, gehe völlig an der Realität vorbei. Keiner der gehörten Zeugen habe das bestätigen können.

Das Urteil müsse die Brutalität der Tat rechtlich würdigen: An die 40 Stiche habe Rebecca erlitten, das seien nach Rechnung der Staatsanwaltschaft alle sechs Sekunden einer. Einen ausgeglichenen Kampf habe es mit Blick auf das Verletzungsbild laut Aussage des Rechtsmediziners Stephan Seidl nicht gegeben.  

Staatsanwaltschaft sieht Mordmerkmale erfüllt

Der Angeklagte sei wegen Mordes zu verurteilen, die Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe seien erfüllt. Das Mordmerkmal der Heimtücke liege vor, weil Rebecca keine Möglichkeit gehabt habe, sich Hilfe zu holen. Ein sogenanntes “Motivbündel” aus Eifersucht, Besitzdenken und Verlustangst, wie es beim Angeklagten vorliege, könne als niedrig gelten, wenn diese Gefühle keine beachtlichen Gründe hätten. “Mir fällt kein beachtlicher Grund ein“, sagt Oberstaatsanwalt Götz. 

Verurteilung nach Jugendrecht sei nicht gerechtfertigt

Für die Anwendung des Jugendrechts müsse der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat eher einem Jugendlichen gleichstehen führt Götz aus. Das sehe die Staatsanwaltschaft nicht als gegeben. Besonders betonte der Oberstaatsanwalt die Aussage des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Wenske, Leon D. habe ihm seine Fragen zum Teil vorweggenommen. “Wie kann man eine Reifeverzögerung haben, wenn man dem Gutachter die Fragen aus dem Mund nimmt?”, sagt Götz. Die Empfehlung der Jugendgerichtshilfe Jugendrecht anzuwenden, sei ihm völlig unverständlich. Die Begründung, der Angeklagte würde noch zuhause wohnen, kommentiert der Oberstaatsanwalt mit der Frage: “Wollen wir alle Studenten, die aus finanziellen Gründen noch zuhause wohnen, Jugendlichen gleichstellen?” 

Sicherungsverwahrung soll vorbehalten werden

Bei der Verurteilung wegen Mordes nach Erwachsenenstrafrecht gehe es nun um die Länge der Haftstrafe, so Götz. Um diese festzulegen, müsse eingeschätzt werden, ob Leon D. nach der Haft wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden könne. Nach dem Gutachten des Psychiaters sei davon auszugehen, da sich die Gefährlichkeit auf den Beziehungskontext beschränke. “Wir sind alle keine Hellseher, wir müssen hier eine Prognose stellen”, so Götz weiter. Angesichts der Brutalität der Tat, des Geständnisses, der Erfüllung zweier Mordmerkmale und der Untersuchungshaft sei eine Strafe am oberen Rand des gesetzlich vorgegebenen Strafrahmens von 10 bis 15 Jahren angemessen. Der konkrete Vorschlag der Staatsanwaltschaft lautet: 14 Jahre und sechs Monate. Zur Frage der Sicherungsverwahrung äußert sich der Oberstaatsanwalt so: Die Staatsanwaltschaft sieht die Gefahr, dass Leon D. erneut eine ähnliche Tat begehen könnte. Da Leon D. mit seinen 19 Jahren als Heranwachsender gilt, kann sich das Gericht die Anordnung einer Sicherungsverwahrung vorbehalten.

Nebenklage fordert lebenslange Haftstrafe

“Ich stehe hier als Vertreterin der Nebenklage, der Eltern von Rebecca S.”, beginnt Verena Grohs ihren Vortrag. Rebecca komme nicht mehr wieder, egal wie der Prozess ausgehe. Die Anwältin schloss sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an: Leon D. sei wegen Mordes zu verurteilen.

Nebenklage: Leon D. habe einen „Plan B“ gehabt

Der Ansicht der Nebenklage nach habe es aber nicht nur den Plan gegeben, den Leon D. für den 24. Mai geschrieben habe, sondern einen zweiten. Dieser Plan B sei in Kraft getreten, als dem Angeklagten nach der Tat klar geworden sei, dass der letzte Punkt auf seinem Plan A, “nachhause gehen und Eier schaukeln”, nicht mehr klappen würde. Plan B sei nach Ansicht der Nebenklage eine Strategie für den Prozess, der die Punkte “sich stellen und möglichst ‘wahnsinnig’ wirken”, beinhalte. Leon D. habe deshalb eine schwere Kindheit und Suizidalität vorgetäuscht. Außerdem sei er nicht davor zurückgeschreckt, sich selbst als Opfer darzustellen, das Andenken an Rebecca zu beschmutzen, und seine eigene Mutter in einem falschen Licht darzustellen. 

Nebenklage gegen Anwendung von Jugendrecht

Die Nebenklage sieht das als abwägendes, taktierendes Verhalten, das dafür spreche, Leon D. nach allgemeinem Strafrecht, also als Erwachsenen zu verurteilen. Sowohl der Psychiater als auch die Jugendgerichtshilfe hätten eine Reifeverzögerung nicht vorweisen können. Leon D.s Reifeprozess sei normal, wenn nicht sogar besonders fortschrittlich. In jungem Alter eine mehrjährige Beziehung zu führen, ohne Unterstützung Abitur zu schreiben und ein Studium aufzunehmen, zeuge von Reife. “Ich kenne einige, die wissen mit 18 nicht mal, wo die Uni ist”, so Grohs. Die Nebenklage fordert, Leon D. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen und sich die Anordnung einer Sicherungsverwahrung vorzubehalten. “Rebecca kommt nicht wieder, aber wir können dafür sorgen, dass nicht noch eine junge Frau stirbt”, sagt Verena Grohs.

Verteidigung will Urteil nach Jugendrecht

Als dritten Sprecher hört das Gericht Leon D.s Verteidiger Hilmar Lampert. “Ihre Entscheidung ist eine schwierige, auch wenn man meint, es sei alles klar”, sagt Lampert zu Beginn seines Vortrags. Der „tragische” Tod von Rebecca S. am 24. Mai mache es schwierig, den Blick zu erweitern, das sei aber notwendig. Er wolle für seinen Mandanten seine tiefste Schuld und Reue gegenüber Rebeccas Angehörigen zum Ausdruck bringen. 

Verteidigung: Tat sei Totschlag gewesen

Lampert beschäftigt sich in seinem Vortrag damit, aus welchen Gründen Leon D.s Tat Totschlag gewesen sei. Dass Leon D. und Rebecca S. am Tag vor der Tat gemeinsam und harmonisch das Volksfest besucht hätten, spreche dagegen, dass der Angeklagte seinen Tatplan habe umsetzen wollen. Nach Ansicht der Verteidigung soll der Entschluss Leon D.s., sich selbst und Rebecca zu töten, erst am 24. Mai gefallen sein, weil er an diesem Tag seinen depressiven und suizidalen Gedanken nachgehangen sei. Leon D. habe seine Ex-Freundin am Tatabend aufgesucht, um sich von ihr zu verabschieden. Es sei zum Streit gekommen, dieser sei eskaliert und Leon D. habe Rebecca getötet. Sein anschließender Suizidversuch sei gescheitert. Nach Ansicht der Verteidigung belegen die Spuren am Tatort nicht, dass die Tat geplant gewesen sei. Die aufgenommenen Videos seien Ausdruck davon, dass Leon D. der Eindruck, der von ihm entstehen könnte, egal gewesen sei. Damit seien sie ein Hinweis auf die Glaubhaftigkeit seiner Suizidabsicht. Dass Leon D.s Suizid nicht gelungen sei, sei kein Beweis dafür, dass er diesen Plan nicht gehabt habe. Er habe ihn im Gespräch mit mehreren Freunden auch thematisiert. Im Sinne eines “erweiterten Suizids” habe Leon D. sich und Rebecca töten wollen. Deshalb sei nicht von Mord, sondern von Totschlag auszugehen.

Verteidigung sieht Anwendung des Jugendrechts als angemessen

Der Verteidiger plädiert außerdem dafür, Leon D. nach Jugendrecht zu verurteilen. Aus der Sicht der Verteidigung sei Leon D. sozial zurückgezogen, habe außerhalb der Freundesgruppe wenig soziale Kontakte. Langfristige Pläne habe er nicht gehabt, nächtelang am Computer gesessen. Außerdem habe er in hoher finanzieller Abhängigkeit von seinen Eltern gelebt, unter anderem das Auto mit Tankfüllung zur Verfügung gestellt bekommen. Außerdem weist der Verteidiger darauf hin: Im Falle, dass Zweifel blieben, ob das Jugendrecht zur Anwendung kommen sollte oder nicht, sei das Jugendrecht anzuwenden.

Verteidiger: Leon D. kann Emotionen schlecht zeigen

Hilmar Lampert geht in seinem Vortrag auch auf Leon Ds. Verhalten vor Gericht ein. Es falle dem Angeklagten schwer, seine Gefühle persönlich zu äußern „Daran muss er arbeiten“, sagt der Verteidiger. Online falle ihm das leichter, das gehe aus den vor Gericht gesehenen Chats hervor. Er habe aber durch seine Äußerungen im Laufe des Prozesses Reue kommuniziert. Auch sei zu berücksichtigen, dass Leon D. besonders “haftempfindlich” sei, in der JVA also nicht in der Lage sei, sich ausreichend zur Wehr zu setzen. Die Haft treffe ihn besonders hart. Das gehe aus der Aussage der Psychologin aus der JVA hervor.

Auch eine Sicherungsverwahrung soll nach dem Antrag der Verteidigung nicht vorbehalten werden. Das Gutachten des Psychiaters zeige keine Gefährdung der Allgemeinheit. Leon D. sei nach Aussage des Psychiaters in Beziehungen gefährlich. Er sei wegen Totschlags zu einer Haftstrafe von neun Jahren zu verurteilen.

Das letzte Wort liegt beim Angeklagten

Leon D. steht als Angeklagtem das letzte Wort zu: “Es stimmt, dass es mir schwerfällt, Emotionen zu zeigen. Ich wirke vielleicht kalt, aber das ist nicht der Fall. Ich bereue meine Tat und vermisse Rebecca”, sagt er ins Mikrofon. „Dann ist aus Ihrer Sicht alles gesagt?“, fragt die vorsitzende Richterin noch einmal nach. Leon D. nickt.

Am Freitag, den 8. November 2024, um 11:30 Uhr, soll das Gericht sein Urteil verkünden.