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„Obdachlos in Bayreuth“: Wenn das Unsichtbare sichtbar wird
Am Dienstagabend war das Kulturhaus NEUNEINHALB komplett voll. Aufgrund der großen Nachfrage wurde der Dokumentarfilm „Obdachlos in Bayreuth“, präsentiert von Sübkültür, spontan zweimal gezeigt. Der Film zeigt eine Realität, die viele nicht wahrnehmen.
Jens Wagner, Vorstand von NEUNEINHALB, stellte die Räume zur Verfügung – und damit mehr als nur Platz:
„Wir wollten einen Raum schaffen, der dem Thema Obdachlosigkeit Sichtbarkeit verleiht.“
Geschichten, die berühren – Schicksale, die aufrütteln
Im Film erzählen Betroffene aus Bayreuth ihre Geschichten – zum Beispiel Michael, Roland und Silvia. Es geht um Verlust, Krankheit, Trennung oder Sucht – aber auch um Hoffnung.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer erleben durch diese Erzählungen, was es bedeutet, kein Zuhause zu haben. Die Schicksale machen klar: Obdachlosigkeit kann jede und jeden treffen.
Ein Highlight: Rolands bewegendes Lied über die Unsichtbarkeit der Obdachlosigkeit, das den Film eindrucksvoll abschließt.
Soziale Realität in Bayreuth: Alle Schichten sind betroffen
Nancy Kamprad von der Stadt Bayreuth betont:
„Obdachlosigkeit betrifft Menschen zwischen 18 und 80 – vom Hilfsarbeiter bis zum Akademiker.“
Die Stadt handelt: Gemeinsam mit Partnern wie GEWOG, Haus Cosima und der Stadtmission Bayreuth unterstützt sie die Betroffenen. Diese Zusammenarbeit wird im Film noch deutlicher sichtbar.
Der Film zeigt: In Bayreuth leben Menschen auf der Straße – und es werden mehr.
Ohne Schuldzuweisungen, die Kamera bleibt respektvoll – und gibt den Menschen eine Stimme.
Was Bayreuth wirklich braucht: Mehr als nur Hilfsangebote
Im Film wird man zu der Frage gedrängt, was wir tun müssen. Er nimmt jedoch keine Stellung im Sinne journalistischer Objektivität, sondern lässt die Betroffenen selbst zu Wort kommen und überlässt den Zuschauenden die Aufgabe, weiter darüber nachzudenken.
Beim Premierenabend sprach Volker Sommerfeldt, Leiter der Stadtmission Bayreuth, eine eindringliche Warnung aus:
„Armut wird zunehmend unsichtbar. Wer viel hat, kennt oft keine armen Menschen mehr.“
Er fordert mehr Begegnungsräume – für sozialen Zusammenhalt und echte Verbindung:
„Was wir brauchen, ist Begegnung, nicht nur Versorgung.“
Laut Sommerfeldt verfügt Bayreuth über gute soziale Dienste und engagierte Beratungsstellen. Doch das reicht nicht aus. Er fordert:
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Mehr Personal in sozialen Einrichtungen
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Mehr bezahlbaren Wohnraum
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Niedrigschwellige Anlaufstellen wie die Stadtmission
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Einen Stopp des Mietpreiswahnsinns
„So geht es nicht weiter. Menschen landen heute mit 78 Jahren auf der Straße, weil ihre Wohnung lukrativ weitervermietet werden soll.“
Einsamkeit und Blasengesellschaft: Das größte soziale Problem
Für Sommerfeldt ist klar: Die Gesellschaft leidet nicht nur unter materieller Armut, sondern unter einem Verlust an Verbindung. Die Spaltung in soziale Blasen verhindert echte Begegnungen:
„Wir reden über Armut, ohne mit armen Menschen zu reden.“
Er fordert Orte der Begegnung, niederschwellig und offen. Cafés, Treffpunkte und Räume für Austausch sind gelebte Demokratie:
„Wir müssen uns wieder begegnen. Das ist essenziell – nicht nur für den sozialen Zusammenhalt, sondern auch für unsere Demokratie.“
Entstehung des Films: Vom Theater zur Kamera
„Letztes Jahr gab es eine Veranstaltung in der Studiobühne, eine öffentliche Probe“, erzählt Günter Saalfrank. Daran schloss sich ein Podiumsgespräch an, organisiert vom evangelischen Pilgerwerk. Thema war die Wohnungsnot in Bayreuth. Günter Saalfrank, Journalist, Theologe und Drehbuchautor, war tief bewegt. Er wollte mehr wissen:
„Wer lebt in unserer Stadt auf der Straße – und warum?“
Dieses Thema ließ Saalfrank nicht mehr los. Gemeinsam mit dem ehemaligen Kurier-Redakteur Gunter Becker und Kameramann Andreas Harbach, verbunden durch Volker Sommerfeldt von der Stadtmission, entstand das Team, das das Filmprojekt realisierte.
Gunter Becker brachte zusammen mit Günther Saalfrank journalistische Erfahrung ein. Harbach, ehemaliger Fotograf beim Nordbayerischen Kurier, übernahm Kamera und Schnitt.
Volker Sommerfeldt stellte die Verbindung her und sorgte für die Nahbarkeit der Stadtmission mit obdachlosen Menschen in Bayreuth.
Ziel war es, nicht über Obdachlose zu sprechen, sondern sie selbst erzählen zu lassen – ehrlich und würdevoll.
Milieufilm Bayreuth: Eine neue Plattform für soziale Themen
Kameramann Andreas Harbach gründete zusammen mit der Premiere des Dokumentarfilms die Plattform www.milieufilm-bayreuth.de.
Dort ist der Film kostenlos abrufbar – für Schulen, Vereine und soziale Einrichtungen. Auf Anfrage kann man ihn herunterladen und so weiter verbreiten.
Harbach bietet außerdem ehrenamtliche Filmproduktionen für Initiativen, Sozialverbände und Vereine an, die ihre Geschichte erzählen möchten. Für die Kontaktaufnahme steht die Webseite zur Verfügung.
Volker Sommerfeldt betont:
„Ein Download reicht nicht. Der Dialog ist entscheidend.“
Einer der Protagonisten, Roland, stellt sich gern Schulen oder Gruppen zur Verfügung, erzählt seine Geschichte – und bringt seine Gitarre mit.