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Tag vier im Mordprozess gegen Leon D. – Angeklagter habe die Tat angedeutet
von Stefanie Schweinstetter und Katharina Müller-Sanke
Am vierten Tag des Mordprozesses gegen Leon D. in Bayreuth geht es zunächst um die Spurenlage nach der Tat. Außerdem schildert eine Zeugin ihre Erfahrungen mit dem Angeklagten und ein Internet-Freund berichtet von einem Gespräch, bei dem Leon die Tat angedeutet habe.
Zu Beginn des vierten Prozesstages im Mordprozess gegen Leon D. vor dem Bayreuther Landgericht bittet der Angeklagte darum, den Tag zu verschieben. Es gehe ihm psychisch nicht gut. Er habe kaum geschlafen, ihm sei schwindelig und übel. In der Krankenstation der JVA habe man ihm gesagt, man könne die Verhandlung wegen starker psychischer Belastung verschieben. „Ein Mordprozess ist keine Wohlfühlveranstaltung“, merkt Richterin Andrea Deyerling an. Eine psychische Belastung sei zu erwarten. Was die physischen Symptome angehe, könne sie bei näherer Betrachtung keine Veränderung feststellen. Ob er denn gefrühstückt habe? Leon D. verneint. „Wenn wir immer bei Unwohlsein absagen, dann kommen wir nicht durch“, sagt die Richterin. Er müsse sich heute ja nicht äußern, wenn er nicht wolle. Ob er sich dann in der Lage fühle, teilzunehmen?
Nach einer zehnminütigen Pause übermittelt Verteidiger Hilmar Lampert, sein Mandant sei einverstanden. Er könne der Verhandlung folgen. Eventuell sei der Nachmittag, wenn ein Psychologe und eine Psychologin aus der JVA aussagen sollen, aber zu belastend für ihn. „Warum weiß er das denn jetzt schon, dass gerade das zu belastend wird?“ fragt die Richterin. Die betreffenden Aussagen werden verschoben.
Rechtsmediziner: „So ein Verletzungsbild sieht man Gottseidank selten“
Dann beginnt Professor Stephan Seidl vom rechtsmedizinischen Institut Erlangen-Nürnberg seine Aussage zur toxikologischen Untersuchung, zum Verletzungsbild und zum Blutspurenbild am Tatort. Erstere sei sowohl für Leon als auch für Rebecca unauffällig ausgefallen, beide standen zum Tatzeitpunkt nicht unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Dann geht es um die zahlreichen Schnitt und Stichverletzungen, die Leon D. Rebecca S. in der Küche ihres Wohnhauses in Bindlach zugefügt haben soll. Den Bildschirm, auf dem Fotos gezeigt werden, schaltet Richterin Deyerling immer wieder „aus einem Fürsorgereflex“ heraus für die Zuschauer im Saal ab. Das Ergebnis des mehrstündigen Vortrags des Rechtsmediziners lässt sich so zusammenfassen: Leon D. fügt seiner Ex-Freundin offenbar innerhalb von höchstens acht bis zehn Minuten zahlreiche Stich- und Schnittverletzungen zu, sie geht mehrmals zu Boden. Es sei ein „wildes Einstechen“ auf Rebecca gewesen, so der Rechtsmediziner auf Nachfrage der Nebenklage. Leon D. habe Rebecca S. zahlreiche Stich- und Schnittverletzungen an Kopf, Oberkörper und Armen zugefügt. Besonders drastisch sei eine Halsverletzung gewesen. Nach der Tat sei das neun Zentimeter lange Messer verbogen gewesen. Einige der von Leon ausgeführten Stiche hätten das Messer verbiegen können, so der Rechtsmediziner. Es sei aber auch möglich, dass sich die Klinge durch Stiche gegen Gegenstände verbogen habe.
Verletzungsbild widerspricht Aussage des Angeklagten
Leon hatte am ersten Tag der Hauptverhandlung von einem gegenseitigen Kampf mit zwei Messern gesprochen, dessen Ausgang vorübergehend offen gewesen sei. Das könne er aus medizinischer Sicht überhaupt nicht feststellen, sagt Seidl am Freitagvormittag. Leons Verletzungen an den Händen seien nicht einmal ansatzweise mit Rebeccas Verletzungen vergleichbar, so der Rechtsmediziner, nicht einmal wenn man die selbst beigebrachten Verletzungen am linken Unterarm einberechne. Der Rechtsmediziner rekonstruiert die Bewegungen beider Personen im Raum anhand der Blutspuren. Bei dieser Gelegenheit schaut Leon D., der den Blick sonst ausdruckslos auf seine Hände oder die Tischplatte vor sich gerichtet hält, einige Sekunden lang auf die Leinwand. Dann blickt er wieder nach unten.
Zeuge: Wir sind keine Freunde mehr
Ein weiteres Mitglied der Freundesgruppe wird in den Zeugenstand gerufen. „Sie sind mit Leon D. befreundet?“ fragt die Richterin. „Gewesen“, korrigiert der Zeuge. Nach der Tat sei die Freundschaft für ihn beendet. Er kennt Leon schon seit dem Kindergarten, ist über ihn in die Freundesgruppe gekommen. Er beschreibt Leon als uneinsichtig in Streits. „Er sagt, man soll auf ihn zukommen, wenn es ein Problem gibt, aber wenn man es dann macht, dann geht das nicht“, erklärt er. Die Streits zwischen Rebecca und Leon habe er mitbekommen, auch Leons Eifersucht und die daraus resultierenden Probleme in der Gruppe. Er fühle sich bei Streits im Umfeld schnell unwohl, es falle ihm aber auch schwer dazwischen zu gehen. Obwohl er Rebecca nicht besonders nahe gestanden habe, habe er ihr nach der Trennung von Leon eine Nachricht geschrieben. „Es war mir wichtig ihr zu sagen, dass sie immer noch zu uns gehört“, sagt er im Gerichtssaal. Leon hatte in seiner Aussage am ersten Tag der Hauptverhandlung geschildert, dass er mit diesem Freund viel über Suizid gesprochen habe, auch im Detail. Das Thema sei allgemein zur Sprache gekommen, auch mehrmals, konkret sei es aber nicht geworden, sagt der Zeuge. Er habe sich auch akut keine Sorgen um Leon gemacht.
Ehemalige beste Freundin Rebeccas sagt aus
Die nächste Zeugin, eine 18-jährige Auszubildende, kann dem Gericht aus erster Hand etwas darüber sagen, wie Leon D. mit potenziellen Partnerinnen umgeht. Sie sei seit der fünften Jahrgangsstufe mit Rebecca in eine Klasse gegangen und habe sich in der elften Klasse erstmals so richtig mit ihr angefreundet. Beste Freundinnen seien sie eine Zeit lang gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe Rebecca schon eine Beziehung mit Leon geführt. Er sei Teil der Freundschaft zwischen den Mädchen geworden, die Zeugin habe vor allem ein „schwarzer Humor“ mit Leon verbunden. Bei einer Geburtstagsfeier habe Rebecca sich der Freundin anvertraut, sie habe unter enormer Belastung gestanden. Das habe die Zeugin so sehr beschäftigt, dass sie die Informationen an einen Vertrauenslehrer weitergegeben habe. Für Rebecca sei das ein Vertrauensbruch gewesen, sie habe den Kontakt mit der ehemals besten Freundin abgebrochen. Diese habe das auch verstehen können, es sei ihr aber wichtiger gewesen, Rebeccas Sorgen ernst zu nehmen. Die Erinnerung an die Situation nimmt die Zeugin immer noch sichtlich mit. Taschentücher werden gereicht.
Versöhnungsversuche scheitern
In der nächsten Zeit hätten die beiden Freundinnen immer wieder versucht, die Freundschaft zu reparieren, die Annäherung sei aber nie gelungen. Irgendwann habe die Zeugin entschieden, die Versuche einzustellen. Ein Grund dafür sei auch gewesen, dass Leon ihr immer wieder berichtet habe, dass Rebecca schlecht über sie rede, eifersüchtig sei. „Ich muss Sie das jetzt mal so provokant fragen: Sie hatte ja auch Grund zur Eifersucht, oder?“ hakt die Richterin ein. „Wenn man’s so sieht, schon“, sagt die Zeugin.
Es kommt zu „mehr“ zwischen Leon und der Zeugin
Über die nächste Zeit habe sich die Freundschaft mit Leon intensiviert, es sei auch mal „mehr“ gewesen als nur Freundschaft, auch noch während Leons Beziehung mit Rebecca. Ob Leon ein schlechtes Gewissen gehabt habe? Ihrem Eindruck nach nicht, sie hätten aber darüber gesprochen, dass es von ihr, der Zeugin, „moralisch nicht ok“ gewesen sei. Leon habe Rebecca vor der Beziehungspause im Frühjahr 2022 ein Ultimatum gestellt. Sie solle versuchen, ihr Verhalten zu ändern, damit die Beziehung weiter bestehen könne. Rebecca solle ihn zum Beispiel nicht mehr hasserfüllt anschauen.
In der Beziehungspause verabreden sich Leon und die Zeugin dann zu einem Date. Danach habe sie entschieden, dass ihr Freundschaft reiche. Leon habe zunächst gesagt, er sehe das genauso, berichtet die Zeugin. Einige Monate später habe sie aber herausgefunden, dass das nicht stimme. Da sei sie zufällig auf Leon getroffen. Er habe ihr gesagt, er habe sie in seinem Handy als „red flag“ eingespeichert, weil sie ihn „verstoßen“ habe. Leon habe das als Spaß abgetan, sie habe es aber sehr verletzt, weil „red flag“ für sie bedeute, dass jemand sehr viele schlechte Eigenschaften habe. „Hat er noch so einen ‚Spaß‘ auf Lager gehabt?“, fragt Richterin Andrea Deyerling. Über ihr Gesicht auf dem Gruppenfoto der WhatsApp-Gruppe habe er einen Grabstein-Emoji gesetzt, als sie aus der Gruppe ausgetreten sei, sagt die Zeugin. Das habe sie auch als unmöglich empfunden und das Leon auch so gesagt. Er habe dann versucht, sich mit ihr auszusprechen, die beiden seien um den Röhrensee spaziert. „Er hat gesagt, dass er das als Spaß gemeint hat und nicht verstehen kann, dass mich das verletzt“, sagt die Zeugin. Daraufhin habe sie den Kontakt abgebrochen, er brauche sich nicht mehr bei ihr melden.
Die Richterin will wissen, was Leon dieser Freundin über seine Beziehung zu Rebecca erzählt. Ob er je erwähnt habe, dass seine Freundin ihn kratze und demütige? Nein, sagt die Zeugin. Es habe zwar viel Streit gegeben, aber derartiges habe sie nie gehört. Wie sie es gefunden habe, dass Leon seine Freundin als „Bitch“ bezeichnete? Es sei ihr vorgekommen, als habe er das lustig gefunden oder als ob der Dampf ablassen müsse, sagt die Zeugin.
Gestern hatte sich Leon D. bei der Mutter von Rebecca S. entschuldigt.
Online-Freund sagt aus: Leon D. erwähnte eine mögliche Tat Monate zuvor
Ein 24-jähriger junger Mann ist aus Nordrhein-Westfalen angereist, um am Freitagnachmittag eine wichtige Aussage zu machen. Ein anderer Zeuge hatte am Donnerstag bereits berichtet, dass Leon seine Tat dem 24-Jährigen angedeutet habe. Der Zeuge betritt den Gerichtssaal mit entschlossenem Gesichtsausdruck. Er spricht hastig, Richterin Deyerling bremst ihn mit den Worten: „Die Bayern sind etwas langsamer.“ Der Zeuge kenne Leon seit Jahren, sehe ihn heute aber zum ersten Mal. Er ist fester Bestandteil der Playstation-Partys der Gruppe. In die Freundesgruppe sei der Zeuge über eine Freundin gekommen, die Gruppe habe unter der Woche zwei bis drei, am Wochenende zum Teil bis zu acht Stunden online miteinander verbracht, gespielt und sich unterhalten. Auch Rebecca habe er flüchtig aus der Playstation-Gruppe gekannt. „Sie kam mir immer sehr freundlich vor“, sagt er. Und humorvoll sei sie gewesen. Leon sei ihm aufgeschlossen vorgekommen, witzig, auch nett, er habe aber auch öfter mal im Mittelpunkt stehen wollen und in Gespräche anderer „hineingegrätscht“. Er habe beim Spielen immer mal wieder mitbekommen, dass die Stimmung zwischen Leon und Rebecca angespannt gewesen sei.
Leon D. habe nach Strafmilderung gefragt
Etwa zwei, drei Monate vor der Tat seien einmal nur er und Leon nach dem Spielen online geblieben. Sehen konnten sich die beiden nicht, sondern nur hören, wie die Richterin erfragt. Gemeinsam mit ihr rekonstruiert der Zeuge den Ablauf des Gesprächs: Leon habe zunächst wissen wollen, wie man eine Strafmilderung erwirken könne, wenn man eine Straftat begehe. Das sei dem Zeugen schon etwas seltsam vorgekommen, in der Gruppe würden aber dauernd recht willkürliche Fragen gestellt. Er habe ihm gesagt, es sei strafmildernd, wenn man sich selber stelle und wenn man angebe, bei der Tat unter großer psychischer Belastung gestanden zu haben.
Angeklagter habe Überlegungen zur Tat gemacht
Einige Stunden später habe Leon dann angefangen, über die Beziehung zu Rebecca zu erzählen. Leon habe das Gefühl gehabt, aus der Freundesgruppe gedrängt zu werden. Rebecca habe die Freunde ja sowieso nur wegen ihm und er fände, sie solle die Gruppe nun nach der Trennung wieder verlassen. Leon sei immer emotionaler geworden, der Zeuge habe an seiner Stimme gehört, dass er wohl weine. Leon habe gesagt, er denke darüber nach, sich selbst oder sich selbst und Rebecca etwas anzutun. „Ich habe ihm gesagt, er soll mit den anderen aus der Gruppe oder mit seiner Mutter sprechen, weil ich in NRW zu weit weg bin um ihm zu helfen“, sagt der Freund. Er habe ihm auch noch weitere Online-Gespräche angeboten, die aber wegen seiner langen Arbeitszeiten nicht zustande gekommen seien. Am Ende des Telefonats habe sich Leon wieder gefangen und ihn gebeten, das Gespräch für sich zu behalten. Ob er denn Leons Aussage über einen möglichen Suizid oder Mord mit der Frage nach der Strafe in Verbindung gebracht hätte, fragt die Richterin. Zuerst nicht, sagt der Zeuge. Erst als er von Mitgliedern der Bayreuther Freundesgruppe einen Link mit der Nachricht zu Rebeccas Tod zugesendet bekommen habe, habe er beides zusammengefügt. „Ich wusste sofort, wer das ist. Aber ich wollte es nicht wahrhaben“, sagt er.
Fortsetzung der Hauptverhandlung am 22. Oktober 2024
Um 16:14 Uhr ist der vierte Prozesstag beendet. Am Dienstag, den 22. Oktober 2024, wird die Hauptverhandlung fortgesetzt. Aufgrund des verkürzten Tages heute beginnt die Verhandlung am Dienstag bereits um 8:10 Uhr. Für den Vormittag sind die Psychologin und der Psychologe aus der JVA geladen, die eigentlich für heute bestellt waren. Der Angeklagte solle am Dienstag etwas frühstücken, rät die Richterin.