Zuletzt aktualisiert am

Lost Places

Lost Places Bayreuth: Der Einsame Obelisk

Verfallene Orte, vergessene Ruinen – seit Jahren nimmt das Interesse an sogenannten “Lost Places” stetig zu. Insbesondere in der jungen Millennial-Generation ist ihr melancholisch-morbider Charme populär. Nur die wenigsten wissen jedoch, dass auch in unserem beschaulichen Bayreuth eine Vielzahl solcher verlassenen Stätten zu finden sind.

Unsere neunte Spurensuche beginnt diesmal am Annecyplatz, einer der umstrittensten Flächen der Stadt. Hier zwischen Bahnhofstraße und Hohenzollernring, wo sich jeden Tag tausende Autos im Berufsverkehr aufstauen, ragt ein einsamer Obelisk aus der Asphaltwüste empor.

Unvorstellbar scheint es, dass hier einst Schafe auf einem grünen Mainbett grasten – heute fließt der Fluss versteckt unter einem grauen Betondeckel und seine erfrischenden Auen mussten verwaisten Parkplätzen weichen. Der zu Stein gewordene Traum der Moderne, ein typischer Ort des 20. Jahrhunderts.

Zähmung der Natur

Die Wurzeln des späteren Modernisierungswahn liegen schon in der industriellen Stadtexpansion ab den 1860er Jahren. Für lukratives Bauland sind nach und nach alle offenen Wasserläufe verschwunden – wer ahnt heute schon noch, dass die Innenstadt einst fast zur Gänze von einem Wasserring umschlossen war?

Erst wurde der idyllische Dammweiher, zwischen heutiger Dammallee und Jahnstraße, verfüllt und planiert, dann folgten die Schwemmflächen des Mains und Mühlkanals. Der Abschnitt zwischen beiden, die damalige “Herrenwiese”, wurde ab 1879 Stück für Stück bebaut und dabei der erste Teil des Mühlkanals für den Bau der Wölfel- und Alexanderstraße gedeckelt.

Auch die alte Kasernbrücke aus der Markgrafenzeit musste 1904 den neuen Verkehrsbedürfnissen weichen. Hier tritt unser Obelisk erstmals in Erscheinung, als einer von vier Pylonen der neuen historisierenden Ludwigsbrücke.

Die prachtvollen Neubauten auf der nun Luitpoldplatz genannten Herrenwiese wirkten sich jedoch wie eine Talsperre aus und nahmen den regelmäßigen Mainhochwassern ihren Flutraum. So dauerte es nur wenige Jahre bis im Februar 1909 eine verheerende Hochwasserkatastrophe eintrat, statt Zähmung verursachte man Eskalation.

Natürlich wurden aber nicht die teuren, noblen Wölfelbauten am härtesten getroffen, sondern die arme Bevölkerung im “Neuen Weg”, zwischen Bahnhof- und Mainstraße. Hier stromabwärts kurz nach der Schulstraße findet sich noch eine letzte unscheinbare Spur dieser Katastrophe – die in Stein geritzte Hochwassermarkierung “HW 1909”.

Und so kam es, dass erneut massiv in das Flussbett eingegriffen wurde: Der Main wurde zwischen 1913 und 1916 stark verbreitert, kanalisiert und begradigt. Diese sogenannte “Korrektion des Mainaltbaches” reichte vor bis zur Spitalkirche und viele historische Orte, wie Mühltürlein und Schlachthofbrücke, gingen durch seine Verlegung verloren. Hier wo früher die Mainmäandern schlängelten, steht nun das Rotmain-Center, einzig am gebogenen Verlauf der Stadtmauer lässt sich heute noch das verschollene Mainbett erkennen.

Auto-Industrialisierung

Die Hochindustrialisierung ermöglichte erstmals die umfassende Herrschaft zu Land, zu Wasser und zu Luft, die Menschheit geriet in den Allmachtsrausch der Moderne. Und während der Erste Weltkrieg tobte, wurden Natur wie Kultur – alles das sich nicht unterordnen wollte – in Form und Bahn gezwängt. In diesen Zeiten der Hybris waren die Obelisken noch Herrschaftssymbole.

Und die Herrschaftsfantasien wurden immer größenwahnsinniger, vor allem die Nazi-Diktatur strotzte nur so vor Naturverachtung. Für ihren Tempel, das Haus der Deutschen Erziehung, deckelten sie 1933 den nächsten Abschnitt des Mühlkanals und planten ein zum Glück nie realisiertes Gauforum vom Hofgarten bis in die Birken.

Selbst mit dem Kriegsende wurde nur ein scheinbarer Bruch mit diesem Herrschaftsgeist vollzogen, im Gegenteil war die Bombenzerstörung wohl eine willkommene Einladung zu Abriss und “Flächensanierung”. Unzählige Bauwerke, gewachsene Stadt- und Landstrukturen, Kultur wie Natur mussten gnadenlos weichen – das Leitbild der “autogerechten Stadt” pflügte sich durch die historische Bausubstanz.

Auf dem Höhepunkt des Modernisierungswahns 1964 wälzte dieser fehlgeleitete Techniktraum ganze Straßenzüge nieder, dennoch wurde die Auto-Industrialisierung mit Stadtkernring und Mainüberdachung als Bayreuths modernes Jahrhundertbauwerk gefeiert. Doch nicht nur die Gewässer wurden in den Untergrund verbannt, auch die Fußgänger:innen sollten sich der bedingungslosen Vorfahrt der Verkehrstrassen unterordnen.

Verlorene Träume

Hier unter dem Hohenzollernring, zwischen Kulmbacher und Unterer Maxstraße, verläuft eine verlassene Unterführung, deren Rolltreppe nur selten in Betrieb ist. Es gibt wohl kein besseres Sinnbild dafür, wie der Traum der Modernisierung auf dem Weg verloren gegangen ist. Belebte Wege sind abgestorben, historische Quartiere wurden zerschnitten und zurück blieben einsame, steinerne und verlorene Orte wie hier oder am Annecyplatz.

Selbst die herrschaftliche Ludwigsbrücke war letztlich nicht gefeit vor diesem Wahn. Es ist eine Ironie der Bayreuther Geschichte, dass sie
schon nach ein paar Jahrzehnten im Dezember 1968 für den Stadtkernring wieder abgerissen wurde – die Modernisierung frisst ihre Kinder, und wenn es so weiter geht die ganze Menschheit.

Die Welt ist aus den Fugen und der industrielle Geist, die vermeintliche Naturbeherrschung, hat auch hier nur zu Eskalation geführt. Smog und Stau, Versiegelung und Erhitzung, Sturzfluten und Waldbrände – nur radikales Handeln wird diese Klimaspirale noch stoppen können. Diesmal aber nicht gegen, sondern mit der Natur: Öffnung der Wasserläufe, Begrünung der Betonflächen, Wiederherstellung der Laufwege und Belebung der verlassenen Orte.

Die restlichen drei Obelisken übrigens gibt es noch, sie stehen heute nahe dem Volksfestplatz am Main, zu dritt aber immer noch einsam. Vielleicht werden sie ja eines Tages an einem grünen, plätschernden Annecyplatz wieder zusammengeführt – nicht mehr als Symbol der der Herrschaft, sondern der Eintracht.

Florian André Unterburger

Florian André Unterburger

Florian André Unterburger ist Autor und Historiker, im Rahmen seines Buchprojekts “Der Zerfall der Alten Ordnung” hat er seine Leidenschaft für Lost Places entdeckt. Regelmäßig forscht er neuen Spuren des Umbruchs nach. Für das Bayreuther Tagblatt hat er die aufregendsten Spurensuchen zum Nachspazieren niedergeschrieben..

Lost Places: Der letzte Turm© Unterburger
Lost Places Bayreuth: Der Ehrenhof des Alten Schlosses mit einem Standbild von König Maximilian II. Foto: Florian André UnterburgerLost Places Bayreuth: Der Ehrenhof des Alten Schlosses mit einem Standbild von König Maximilian II. Foto: Florian André Unterburger