Bayreuth Historisch …

… ist eine Serie, die uns als Bayreuther Tagblatt sehr am Herzen liegt.
Wir freuen uns mit Stephan Müller einen enthusiastischen Hobbyhistoriker für dieses Projekt gewonnen zu haben, der sich auf Spurensuche begeben hat. Mit Kompetenz, Herzblut, Witz und Charme schreibt er über Geschichten und Ereignisse, die für ALLE Bayreuther und Bayreuthliebende interessant sind.

Bayreuther Festspiele: Was Neulinge wissen müssen

Weil in Bayreuth vieles anders und manches sogar weltweit einmalig ist, sollte der Neuling die Festspiele nicht ohne ein Mindestmaß an Grundwissen besuchen. Andernfalls könnte es schnell peinlich werden.

In Reih’ und Glied: Zaungäste und Fotografen bei der Festspielauffahrt 2019. Foto: Thorsten Gütling

Reih’ und Glied

Am 25. Juli beginnen die Bayreuther Festspiele. Jedes Jahr. Egal, welcher Wochentag das ist. Sichtbar wird der Festspielbeginn, wenn der Kastellan des Festspielhauses um punkt neun Uhr die weiße Fahne mit dem roten „W” hisst. Eine Stunde später folgt hinter dem Haus Wahnfried am Grabe Richard Wagners das sogenannte „Grabsingen” des Festspielchores. Etwa eine Stunde vor Beginn der Vorstellung kommt es vor dem Mittelportal des Festspielhauses zur „Auffahrt”, dem publikums- und pressewirksamen Schaulaufen der „Promis“ auf dem roten Teppich. Geduldig und von Schutzleuten in Reih` und Glied gehalten, stellen sich die Bayreuther hinter den Absperrungen auf, begutachten die Herrschaften in Smoking und Abendkleid und versichern einander neidlos, dass sie froh sind „bei dera Hitz nicht ins Theater gehen zu müssen”.

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Günther Beckstein: Schaulaufen auf dem Roten Teppich 2019. Foto: Thorsten Gütling

Nie und nimmer

Die Festspiele beginnen nie mit dem „Rheingold”, weil sonst logischerweise die geladenen Gäste auch die drei anderen Opern aus dem Ring der Nibelungen, „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“, ansehen müssten. Ob den Promis dies das Schaulaufen wert wäre? Natürlich würde man für die „Ehrenkarten“ auch noch im Dreierpack Abnehmer finden. Aber dies wäre undenkbar. Neben den vier bereits genannten, fand Richard Wagner noch seine Opern „Der fliegende Holländer”, „Tannhäuser”, „Lohengrin”, „Tristan und Isolde”, die “Meistersinger” und natürlich den „Parsifal” festspielwürdig.

Auf dem Balkon: Die Fanfarenbläser am Eröffnungstag 2019 vor dem 1. Akt. Foto: Thorsten Gütling

Läuten und blasen

In Bayreuth gibt es kein schnödes Pausenläuten, das zum nächsten Akt aufruft. Eine Bläsergruppe bereitet die Festspielgäste vom Balkon des Königsbaus stilecht mit dem Leitmotiv aus der jeweiligen Oper auf den Fortgang der Vorstellung vor.

Szene aus dem Parsifal 2019, inszeniert von Uwe Eric Laufenberg. In der Rolle des Klingsor: Derek Welton. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Klatschen und schweigen

Spannend wird es unmittelbar nach dem ersten Akt des „Parsifal”. Denn jetzt muss sich der Opernfreund entscheiden, ob er applaudiert oder nicht. Kenner wissen, dass nach dem ersten Akt des „Parsifal” nicht geklatscht wird, weil der Meister es so wollte. Dies hat sich auch so eingebürgert. Dabei handelt es sich aber lediglich um ein Missverständnis.

Richard Wagner verbat 1882 sich Zwischenapplaus nur während der ergreifenden „Parsifal“-Akte. Dies hat das Publikum damals falsch verstanden und überhaupt nicht mehr geklatscht, was den Meister und vor allem die Sänger ärgerte. Wagner startete noch einen Versuch und wartete sogar selbst mit „Bravo-Rufen” auf. Als er dann von pedantischen Festspielbesuchern ausgezischt wurde, war er beleidigt und besuchte die Vorstellungen überhaupt nicht mehr.

Die Zuschauer haben also ein Problem: Wenn Sie klatschen wollen, weil sie es nun besser wissen, werden Sie ohne Zweifel von denjenigen, die meinen sich auszukennen, ausgezischt. Sollten dennoch Beifall spenden, begeben sie sich freilich in den Kreis jener Zuschauer, die vom „Parsifal“-Applaus überhaupt keine Ahnung haben.

Sitzreihen im Festspielhaus. Archivfoto: Thorsten Gütling

Proben und rufen

Die Qualität der Generalproben ist keineswegs schlechter als die regulären Vorstellungen, denn die Sänger wissen durchaus, dass diese Aufführungen von vielen Fachleuten, Agenten und Intendanten besucht werden. Es gibt kaum einen Bayreuther, der nicht auch am Werktag Zeit hätte, um vier Uhr nachmittags eine Generalprobe zu besuchen und keinen Chef, der nicht Verständnis dafür hätte, dass sein Mitarbeiter ins Theater „muss“. Die überwiegend viel legerer gekleideten Besucher der Generalproben zahlen keinen Eintritt, sondern sind Gäste der Festspielleitung.

So fand es die weit überwiegende Mehrheit des Publikums auch richtig, dass der langjährige Festspielchef Wolfgang Wagner vor Jahren einmal einem Buh-Rufer nachstellte. Nach dem ersten Akt der „Tannhäuser“-Generalprobe tat ein unbekannter Mann mit lautstarken Buhrufen seine Meinung kund. Daraufhin erhob sich der Festspielleiter und forderte den Rufer vor dem nun mucksmäuschenstillen Publikum auf, sich zu erkennen zu geben.

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Die Generalprobe würde sonst ohne Zuschauer fortgeführt. Natürlich dauerte es nicht lange, bis der Mann sich stellte. Er „durfte“ die Probe jedoch vom Fernsehraum weiter verfolgen. Theaterleute schätzten Wagners Reaktion. Auch eine Generalprobe ist eine Probe, in der Fehler vorkommen dürfen und in der der eine oder andere Sänger im Hinblick auf die nahende Premiere eben nicht „aussingt”. Merke: Buhrufe bei einer Generalprobe sind eine Flegelei.

Martin und Klaus – die Bratwurstverkäufer in der Richard-Wagner-Straße. Archivfoto: Susanne Jagodzik

Essen und kneippen

Einmalig ist die Pausengestaltung bei den Bayreuther Festspielen. Natürlich gibt es im Festspielrestaurant auch Sekt, Lachs und Kanapees. Das Gros des Publikums wählt jedoch zum Weizenbier die berühmten Bayreuther Bratwürste. Die können als Paar im Brötchen gegessen werden und sind nicht so kurz wie die Nürnberger oder so groß und fettig wie die Coburger oder Thüringer Bratwürste, was der festlichen Kleidung zugute kommt.

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Wer in der einstündigen Pause „Wellness und Entspannung“ sucht, kann das nur wenige Schritte entfernte Kneipp- und Sonnenbad neben dem oberen Großparkplatz besuchen. Im Smoking mit aufgekrempelten Hosenbeinen oder hoch gerafftem Abendkleid stapft so mancher Festspielgast während der Pause durch das erfrischende Wasser.


Text: Stephan Müller

250 Jahre Humboldt: Auf Spurensuche in Bayreuth

Vor 250 Jahren, am 14. September 1769, ist Alexander von Humboldt (1769 – 1859) in Berlin geboren worden. Hobby-Historiker Stephan Müller hat sich auf die Spuren Humboldts in Bayreuth begeben. Der abenteuerlustige Naturforscher hat seinen Namen auf der ganzen Welt hinterlassen – auch in Bayreuth.


Ab 29. Juni 1792 machte Alexander von Humboldt eine mehrwöchige Bestandsaufnahme der verschiedenen Bergämter in der preußischen Provinz Bayreuth, vom 30. Mai 1793 bis zum 24. Februar 1797 hatte er seinen Amtssitz fast vier Jahre in Bayreuth.

Die beiden möglichen Dienstsitze von Humboldt. Es ist nicht sicher, ob sein Dienstsitz ab 1793 das Oberbergdépartement im Alten Schloss (hinten im Bild, wie heute das Bergamt) oder in der “Kanzlei” rechts war. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

An der Stelle des “Postgebäudes”, das Alexander von Humboldt noch nicht kannte, standen die Gaststätten das “Weiße Lamm” und “Angermann”. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Alexander von Humboldt in Bayreuth

Ich gehe vielleicht schon in drei Wochen nach Bayreuth, nach dem Fichtelgebirge. Ich habe den ehrenvollen Auftrag, die natürliche Beschaffenheit beider Markgrafentümer geognostisch und bergmännisch zu untersuchen (…).

Alexander von Humboldt war seine Vorfreude in dem Brief vom 4. Juni 1792 an seinen Jugendfreund Johann Karl Freiesleben deutlich anzumerken. Gerade erst hatte er sein Studium an der Bergakademie Freiberg abgeschlossen und schon wartete ein hochrangiger und verantwortungsvoller Posten in Bayreuth auf ihn.

Humboldt: Der ideale Mann

Denn nur wenige Wochen vorher hatte der Markgraf Karl Alexander seine beiden Fürstentümer Ansbach und Bayreuth gegen eine Leibrente von jährlich 300.000 Gulden an Preußen abgetreten. Als Gouverneur für die neue preußische Provinz wurde Karl August Freiherr von Hardenberg eingesetzt, der, um möglichst schnell für “preußisches” Recht und Ordnung zu sorgen, für alle Bereiche preußische Spitzenbeamte und herausragende Absolventen nach Bayreuth holte.

Hardenberg und der für den preußischen Bergbau zuständige Minister Freiherr von Heinitz sahen in dem jungen Alexander von Humboldt, der gerade erst als Assessor cum voto im preußischen Bergdepartement angestellt wurde, den idealen Mann, um den maroden Bergbau im Fichtelgebirge zu inspizieren.

Alexander von Humboldt, in Berlin 1807 (Frédéric Christophe de Houdetot) Foto: bernd-Mayer-Stiftung

Humboldts erste Bestandaufnahme

Sein erster Auftrag ist eine Bestandsaufnahme der Gruben und Hütten in den neuen preußischen Provinzen. Am 29. Juni 1792 bricht Humboldt aus Berlin zu dieser Dienstreise nach Franken auf.

Er reist von Naila über Münchberg ins Goldkronacher und das Wunsiedler Revier. Am 23. Juli 1792 war die Inspektion der drei bayreutherischen Bergämter beendet. Am 26. August 1792 legte Humboldt den Freiherren von Heinitz und von Hardenberg – zunächst mündlich, später schriftlich – seinen umfassenden Bericht seiner Inspektionsreise vor.

Sie waren von Humboldts präzisen Ausführungen, Analysen und Verbesserungskonzepte angetan und übertrugen ihm sofort die Leitung des Berg- und Hüttenwesens in Bayreuth.

Voller Stolz berichtet Humboldt seinen Freund Johann Karl Freiesleben in einem Brief vom 27. August 1792:

Ich bin gestern zum königlichen Oberbergmeister in den beiden fränkischen Fürstentümern ernannt worden. Alle meine Wünsche, guter Freiesleben, sind nun erfüllt. Ich werde von nun an ganz dem praktischen Bergbau und der Mineralogie leben.

Der Dienstantritt in Bayreuth

Am 30. Mai 1793 trat er seinen Dienst als Oberbergmeister im preußischen Oberbergdépartement in Bayreuth an. Aus Bayreuth schreibt Humboldt an Freiesleben:

Ich habe mit meinen Grubenberichten so viel Ehre eingelegt, dass ich die alleinige Direktion des Bergbaus in den drei Bergämtern Naila, Wunsiedel und Goldkronach erhalten habe.

Hoch zu Ross inspizierte er die ihm anvertrauten Bergämter. In den Betriebsanalysen stellte er schnell die Mängel fest, lieferte Verbesserungsvorschläge. Die Maßnahmen wurden erfolgreich umgesetzt. In kürzester Zeit gelang es Humboldt, die maroden Bergwerke profitabel zu machen.

Die erste Bergschule

Schon bei seiner ersten Befahrung erkannte Humboldt, dass es den Bergleuten nicht an Fleiß, sondern an Wissen fehlt. So gründete im November 1793 aus eigenen Mitteln in Steben eine „freie königliche” Bergschule. Es entstand quasi die ersten Berufsschule in Deutschland. In keinem anderen Bergrevier wurden junge Männer aus dem Bergbau in der damaligen Zeit so fundiert und praxisbezogen ausgebildet wie in Steben.

Drang nach Reisen und Forschung

Ab Mitte 1794 merkte man Humboldt in seinen Briefen mehr und mehr seinen Wunsch nach großen Reisen und Forschungen an. Er teilt Friedrich Schiller in einem Brief vom 6. August 1794 mit:

Vielleicht glückt es mir, mich bald ganz los zu machen und der großen wissenschaftlichen Arbeit, die ich mir vorgestreckt und die ich mit Anstrengung verfolge, ganz zu leben.

Am 26. März 1795 bat Alexander von Humboldt um seine Entlassung von seinen Pflichten als Oberbergmeister. Diese “Kündigung” konnten von Hardenberg und von Heinitz mit einer Beförderung zum Oberbergrat und mehr “Freiheiten” für wissenschaftliche Reisen noch verhindern.

Er arbeitete nun fast ausschließlich im Bayreuther Oberbergdépartement. Im Mittelpunkt seiner Arbeit standen nun Verbesserungen um die Sicherheit in den Bergwerken. Nicht zuletzt deshalb, weil er bei einem Versuch im Bernecker Alaunwerk fast selbst ums Leben gekommen wäre, experimentierte er an einer Grubenlampe und entwickelte Rettungsgeräte und Atmungsmasken für verunglückte Bergarbeiter.

Sorgen bereitet ihm dieser Zeit eine unglückliche Liebesbeziehung zu dem Infanterieleutnant Reinhard von Haeften, mit dem er sich in Bayreuth eine Wohnung teilt. („Ich lebe nur noch durch dich, lieber Reinhard, und ich kann nur glücklich sein, wenn ich bei dir bin”).

Das Fernweh siegte

Das Fernweh ließ Alexander von Humboldt jedoch nicht mehr los. „Ich bereite mich jetzt ernsthaft zu einer großen Reise außerhalb Europas vor”, schrieb er an Abraham Gottlob Werner.

Insgeheim wusste er wohl schon länger, dass die Anstellung in Bayreuth nicht die “Erfüllung all seiner Wünsche” war. Schade für Bayreuth, dass am Ende sein Fernweh die Oberhand behielt, aber auch ein Glück, sonst wären der Welt seine großartigen späteren Erkenntnisse verloren geblieben!

So schied Humboldt Ende Dezember 1796 auf eigenen Wunsch aus dem Bergdienst aus. Am 24. Februar 1797 verließ er Bayreuth.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

Sommernachtsfest: Als sich Frauen die Kleider vom Leib rissen

Das Sommernachtsfest feiert Jubiläum. Schon zum 50. Mal findet das Fest in der Eremitage an diesem Wochenende statt. Die Ursprünge der Feier gehen aber noch viel weiter zurück. Hobby-Historiker Stephan Müller weiß von Spielen, bei denen sich schon vor rund 300 Jahren Frauen in der damals noch jungen Eremitage die Kleider vom Leib rissen. Hier ist seine Geschichte:

Durch die Schriften des „Stadtschreibers“ Erdmann Johann Creta (1667 bis 1732) sind fundierte Berichte aus Bayreuth Stadt und Land erhalten. So wissen wir, dass die ersten “Kerwas”, die zu Regierungszeiten des Markgrafen Georg Wilhelm (1712 bis 1726) in der Eremitage veranstaltet wurden, schon etwas ausschweifender waren. Die Erzählungen über das “Rennen nach der Jungfer” oder das “Lanzenstechen” der Bayreuther Bauerssöhne verdanken wir Erdmann Johann Creta, der schreibt:

Hoch zu Roß und ohne Sattel versuchten damals die Bauerssöhne mit „Lantzen oder Stangen“ einen Ring aufzuspießen. Gelang es ihnen, so gab es einen „Gewinst“ wie einen Beutel mit Geld, Stiefel, Bockfelle, Strümpfe oder „Halßtücher“. Trafen die Männer nicht, wurden sie mit einem Kübel voller Wasser begossen.

(Stadtschreiber Erdmann Johann Creta um 1700)

Noch mehr Freude hatte die Herrschaft „beym Rennen nach der Jungfer“, bei dem sich die jungen Mädchen gegenseitig aus Draht geflochtene Kränze vom Kopf reißen mussten: Sie wurden „Von oben oder von unten herauff durch Fontainen, so naß gemacht, dass nicht eine trockene Faser an ihnen blieb.“ Die Mädchen „zerrten und schlugen sich so um des Gewinstes, dass sie darniederfielen und sich auch die Kleider vom Leibe rissen, was (der Herrschaft) so den grössten Lust ergab.“ Dies nahmen die Mädchen für „Hauben, Schürtzen, Schleyern oder Kirchentücher“ auf sich.

Repro: Stephan Müller

Verantwortlich zeichnete der Markgraf

Der, der diese Spiele abhalten ließ, hieß Markgraf Georg Wilhelm (1712 bis 1726). Er war es, der in der Eremitage, die um 1715 entstand, ein Sommerschloss bauen ließ, das heutige Alte Schloss der Eremitage. Das Neue Schloss, das Römische Theater und die Untere Grotte entstand erst Jahrzehnte später unter Markgräfin Wilhelmine.

Wie Prinz Charles

Georg Wilhelm war als junger Mann zunächst in einer Situation, die sich heute durchaus mit der englischen Königin Elisabeth II. und Sohnemann Charles vergleichen lässt. Er durfte zwar nicht regieren, aber sich zumindest den Künsten und der Repräsentation ganz im Sinne des fürstlichen Absolutismus widmen. Der junge Erbprinz hatte einen Hang zu theatralischen Auftritten vor ausgewählten Publikum und war gegenüber den Strömungen der Zeit und auch ihrer Moden sehr aufgeschlossen. Die Residenzstadt Bayreuth war ihm hierfür wohl zu eng.

Die weiteren Hobbys des Erbprinzen

So ließ der Erbprinz ab 1701 in der Nähe von Bayreuth am Ufer des Brandenburger Sees die planmäßig angelegte Stadt Sankt Georgen mit dem Schloss und der Sophienkirche – einer der bedeutendsten evangelischen Sakralbauten des Spätbarocks in Oberfranken – errichten. Noch heute finden wir die geometrisch streng geplante und kunstvoll angelegte Vorstadt mit Ordens- und Stiftskirche, Friedhof, markgräflichem Schloss und 24 gleichartigen Häusern mit Walmdächern am Marktplatz fast unverändert. Auf dem See unterhielt der Markgraf eigens eine kleine „Kriegsflotte“, die im Sommer zur Ergötzung des Bayreuther Hofes Seegefechte veranstaltete. An die Seeschlachten der markgräflichen Kriegsflottille erinnern nur noch die engen Häuschen in der Matrosengasse in St. Georgen und einige Schiffsmodelle im Stadtmuseum.

Das Alte Schloss in der Eremitage. Repro: Stephan Müller

Bekannt für Seeschlachten und Feuerwerke

So ist Georg Wilhelm durch das Eremitenspiel mit Stab und Kutte, durch die Seeschlachten und Feuerwerke, die phantastische Kostümierungen und in der geradezu unterwürfigen Anbetung seiner notorisch untreuen Ehefrau der Nachwelt als Exzentriker in Erinnerung geblieben. Genauso exzentrisch wie seine erste Kirchweih in der Eremitage. Wir freuen uns auf die Neuauflage der “Kirchweih in der Eremitage” im Jahr 2019, zweifeln aber daran, dass sich ähnliche Vorfälle mit Bauernsöhnen und “Jungfern” ereignen werden, wie zu Zeiten von Georg Wilhelm vor ziemlich genau 300 Jahren.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

100 Jahre Wolfgang Wagner: Diese Opern-Alt-Stars sind in der Stadt

In diesem Jahr, am 30. August, wäre Wolfgang Wagner 100 Jahre alt geworden. Am Mittwochabend gibt es zu Ehren des langjährigen Festspielleiters und Enkels Richard Wagners einen Festakt. Dazu sind in den vergangenen Tagen bereits viele Alt-Stars der Opernwelt nach Bayreuth gekommen. Das Bayreuther Tagblatt hat sie am Grünen Hügel und in der Gaststätte Wolfenzacher gesichtet.

Donald McIntyre mit Petra Kern. Foto: Stephan Müller

Aus Auckland in Neuseeland ist Donald McIntyre angereist. Der Bassbariton sang von 1971 bis 1988 im Festspielhaus. Weltberühmt wurde er in seiner Interpretation als Wotan im umstrittenen “Ring” von Patrice Chereau. Darüber hinaus war er auch in der Titelrolle im “Fliegenden Holländer”, als Friedrich von Telramund im “Lohengrin” oder als Klingsor im “Parsifal zu hören.

Franz Mazura mit Opernsängerin Julia Borchert. Foto: red

Von 1971 bis 1995 wirkte Franz Mazura am Grünen Hügel mit. Als Alberich im “Rheingold”, Klingsor im “Parsifal” oder Gunther in der “Götterdämmerung” feierte der Bassbariton große Erfolge.

Von 1969 bis 1982 war der Tenor René Kollo nicht aus Bayreuth wegzudenken. Der Berliner hatte seine Erfolge ebenfalls hauptsächlich im Wagner-Fach. Er sang die lyrischen Tenor-Rollen (Froh im “Rheingold”, Erik im “Holländer”, Walther von Stolzing in den “Meistersingern”) mit ebenso großen Erfolg, wie später die schwierigen “Heldentenor”-Partien des Tristan oder des Siegfried.

Hans Sotin (links) und Clemens Bieber. Foto: Stephan Müller

Hans Sotin sang von 1972 bis 1995 etliche Rollen bei den Festspielen. Unter anderem schlüpfte er in die Rolle des Gurnemanz, des König Marke, des Hunding und des Landgrafen. In Bayreuth wurde Sotin zu einem Wagner-Interpreten von Weltruf.

Clemens Bieber sang von 1987 bis 2012 in Bayreuth, machte unter anderem aber auch dadurch von sich Reden, dass er in New York an der Met Opera und in Tokyo sang. 2010 wurde der gebürtige Würzburger  zum Berliner Kammersänger ernannt.

Wolfgang Wagner. Foto: Stephan Müller

Das Konzert zum 100. Geburtstag Wolfgang Wagners steht unter der musikalischen Leitung von Musikdirektor Christian Thielemann. Auf dem Programm stehen Isoldes Liebestod aus “Tristan und Isolde”, Wotans Abschied aus “Walküre”, die Rom-Erzählung aus “Tannhäuser” und das “Meistersinger”-Vorspiel.

Wolfgang Wagner war von 1951 bis 2008 Festspielleiter. Von 1951 fanden bis heute 2.725 Aufführungen im Festspielhaus statt. Davon leitete Wolfgang Wagner ab 1967 bis 2008 genau 1.268 Vorstellungen in alleiniger Verantwortung. Der letzte Vorhang unter seiner Verantwortung fiel am 28. August 2008 nach einer “Parsifal”-Aufführung.


Text: Stephan Müller

Vor dem Bezirksliga-Kracher: Das war das spektakulärste Bayreuther Derby

Am Freitag startet das Saaser Sportler-Waldfest. Passend dazu kommt es um 18:30 Uhr auf dem Sportplatz des BSC Saas zum Bezirksliga-Derby mit dem TSV St. Johannis. Gut 300 Zuschauer werden erwartet. Schließlich waren Stadt-Derbys schon immer regelrechte Fußballfeste. Hobby-Historiker Stephan Müller hat sich die Geschichte der Bayreuther Derbys einmal genauer angeschaut und ist auf eine Partie gestoßen, bei der zwei Ex-Nationalspieler in Bayreuth schwer lädiert vom Platz gingen. Hier ist seine Geschichte:

Es gibt Fußballspiele und es gibt Derbys. Auch in Bayreuth. Seit der Vormachtstellung der SpVgg Bayreuth seit dem Ende der sechziger Jahre spielten sich die spannenden Lokalderbys eher in den unteren Ligen ab, wie in den achtziger Jahren, als hinter dem Zweitligisten mit dem BSV 98, dem 1. FC, dem BSC Saas und den SpVgg-Amateuren gleich vier Mannschaften in der Landesliga Nord und damit in der 4. Liga spielten. Das wohl aufregendste Fußball- Derby der Bayreuther Sportgeschichte fand aber noch ein paar Jahre früher statt.

Zwei Fußballer und ein Schwimmer. Hans Zeitler, Horst Weber und Fritz Semmelmann (von links) waren die Bayreuther Teilnehmer bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Drei Clubs auf Augenhöhe

In den 50er und 60er Jahren waren drei Bayreuther Fußballvereine nahezu auf Augenhöhe. In der Amateurliga Nordbayern belegten die Spielvereinigung, der 1. FC und der VfB Bayreuth in der Abschlusstabelle der Saison 1958/59 sogar die Plätze eins bis drei.

Während der VfB im Jahr 1956 als Bayerischer Fußballmeister noch an der Aufstiegsrunde zur zweiten Division scheiterte, gelang dies drei Jahre später, also 1969, der SpVgg Bayreuth. Daraufhin durfte sich die Altstadt drei Jahre lang in der zweithöchsten Spielklasse mit Mannschaften wie Waldhof Mannheim, Jahn Regensburg, Darmstadt 98 aber auch dem 1. FC Bamberg oder dem VfB Helmbrechts messen. Im Jahr 1962 stiegen die Altstädter wieder in die Amateurliga Bayern ab – und trafen am 21. Oktober zum wohl spektakulärsten Derby wieder auf den 1. FC Bayreuth.

Der “Jumbo” und “des Bäckla”, Hans Zeitler und Fritz Semmelmann (unten) spielten bei den Olympischen Spielen in Melbourne. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

4.000 Zuschauer beim FC

Viel stand auf dem Spiel an diesem 12. Spieltag in der Amateurliga Nordbayern. Der 1. FC empfing als Tabellenzweiter hinter dem 1. FC Bamberg die SpVgg Bayreuth, die als Absteiger aus der zweiten Division nur den zehnten Rang belegten. Ziel beider Vereine war ein Platz unter den ersten sechs in der Abschlusstabelle, um in der neu zu gründenden eingleisigen Bayernliga dabei zu sein. Der FC ging mit Ex-Nationalspieler Hans “Jumbo” Zeitler vor 4.000 Zuschauern im eigenen Stadion gegen die SpVgg mit Ex-Nationalspieler Fritz Semmelmann als Favorit ins Rennen.

Eine Klopperei ersten Ranges

Die Bayreuther Fußball-Anhänger sahen eine Klopperei ersten Ranges. In der 27. Minute schlug Stenger Zeitler so heftig gegen den linken Knöchel, dass sich der Ex-Nationalspieler bis zum Schlusspfiff nur noch humpelnd fortbewegen konnte. Auswechslungen waren damals noch nicht erlaubt. Nur drei Minuten später schoss ausgerechnet Stenger die Führung zum 1:0 für die Gäste. Fünf Minuten nach der Pause trat der FC-Läufer Horst “Horre” Wolf gegen das Schienbein Semmelmanns, der daraufhin mit einem Unterschenkelbruch in das Städtische Krankenhaus eingeliefert werden musste. In der 76. Minute musste SpVgg-Verteidiger Walther wegen wiederholten Foulspiels vorzeitig in die Kabine, so dass die Altstädter die letzte Viertelstunde nur noch mit neun Spielern absolvieren konnte. Zum knappen 1:0-Sieg reichte es für die Gelb-Schwarzen trotzdem.

Für den FC reicht es am Ende nicht

Das Rückspiel auf der Jakobshöhe endete ebenfalls mit einem knappen 1:0 Sieg für die Altstädter. Am Ende der Saison hatte sich die SpVgg als Tabellenvierter für die eingleisige Bayernliga qualifiziert, dem 1. FC fehlten am Ende auf Rang acht drei Zähler für den notwendigen sechsten Platz.

Hans “Jumbo” Zeitler. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Das ist Hans “Jumbo” Zeitler

Der Bindlacher Hans “Jumbo” Zeitler (1927 – 2018) nahm mit der deutschen Nationalmannschaft der Amateure bei den Olympischen Spielen in Helsinki (1952) und im australischen Melbourne (1956) teil. DFB-Trainer Sepp Herberger nominierte ihn auch für ein A-Länderspiel gegen Luxemburg, in dem er sich am 20. April 1952 auch in die Torschützenliste eintrug. Sein Wunsch, in Kader für die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 aufgenommen zu werden, ging nicht in Erfüllung. In Bayreuth spielte er für den VfB, die SpVgg und den 1. FC. Mit dem VfB wurde der Mittelstürmer im Jahr 1954 mit 26 Treffern Torschützenkönig. 1956 konnte er mit den “Prellmühlern” und 1959 mit der SpVgg die Bayernliga-Meisterschaft feiern. Mit den Altstädtern gelang ihm der Aufstieg in die zweite Division. Später wechselte er zum 1. FC Bayreuth, bei dem er nach seiner aktiven Zeit auch als Trainer tätig war.

 

Fritz Semmelmann. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Das ist Fritz Semmelmann

Fritz “das Bäckla” Semmelmann (1928 – 2011) wurde am 29. April 1953 erstmals in der deutschen Amateurnationalmannschaft eingesetzt. Durch Tore des Bayreuthers Jumbo Zeitler, Schröder und Klug gewann das DFB-Team in Linz gegen Österreich mit 3:1 Toren. Auch er spielte zusammen mit Jumbo Zeitler bei den Olympischen Spielen in Melbourne gegen die Sowjetunion. Semmelmann bestritt auch mehrere B-Länderspiele, in denen er an der Seite von Torwart Tilkowski, den späteren Weltmeistern Karl Mai vom 1. FC Nürnberg und Berni Klodt vom FC Schalke 04 oder dem jungen Uwe Seeler (HSV) spielte.

 

 


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Roter Main: Zurück zum Ursprung

Erst in seiner letzten Sitzung hat der Stadtrat Bayreuth über die Renaturierung des Roten Mains gesprochen, um das Klima der Stadt zu verbessern. Naturbelassen wie der Main einst einmal war, wollte ihn auch Wagners Frau Cosima sehen. Stephan Müller schreibt von einem Brief, in dem sie den damaligen Bürgermeister Theodor Ritter von Muncker bat, den Bau eines Konzerthauses am Roten Main zu überdenken. Dem Kanal wären an dieser Stelle mehrere Linden zum Opfer gefallen.


In die 37-jährige Amtszeit von Bürgermeister Theodor Ritter von Muncker von 1863 bis 1900 fielen die ersten Bayreuther Festspiele im Jahr 1876 und auch der Tod von Richard Wagner im Jahr 1883.
Wagners Frau Cosima überlebte ihren Mann um 47 Jahre und war in dieser Zeit auch kommunalpolitisch sehr engagiert.

Cosima Wagner. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Dies kommt in einem Brief vom 28. März 1898 an Bürgermeister Muncker zum Ausdruck. Der Stadtrat wollte an der Ecke Kanalstraße/Luitpoldplatz ein Gesellschafts- und Konzerthaus errichten, gegen das sich Wagners Witwe wandte: 

Hochgeehrter Herr Hofrath! (…). Ich höre, dass es projectirt ist, den neuen Bau im Garten hinter dem Centralschulhaus zu errichten. Ich hörte ferner, dass diesem Zweck der Maincanal überbrückt werden soll und dass die alten, am Ufer dieses Canals stehenden Linden bedroht sind. Meine Ansicht geht nun dahin, dass die Wahl dieses Platzes keine günstige ist und ich erlaube mir, dies zu begründen.

Unsere Stadt leidet am Wassermangel, demnach muss jede Gelegenheit vermieden werden, den Anblick des Wassers zu verringern. Im Gegenteil müsste man suchen, jede Stelle wo sich Wasser befindet, hervorzuheben und auszuschmücken, um einen entschiedenen Nachteil zum Besseren zu verhelfen.

Zum anderen sind alte Bäume ein großer, ja unersetzlicher Schmuck und wir sehen jetzt alle Einsichtigen in allen Städten bemüht, solche zu erhalten oder durch neue Pflanzungen dem Leiden, welches Staub und der Ruß hervorbringen, entgegen zu arbeiten.

Meine erste Bitte geht nun dahin, den Main nicht mehr noch als bereits geschehen, zu überbrücken und die alten Linden bestehen zu lassen, ja womöglich diese Stelle mit der Zeit zu einem hübschen Quai umzuwandeln, wozu die schönen Bäume sich sehr dienlich erweisen würden.

Etwa an der Stelle, an der das Gesellschafts- und Konzerthaus gebaut werden sollte, wurde später das “Haus der deutschen Erziehung” errichtet.

Das Haus der deutschen Erziehung. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Als ein Nachttopf zum großen Streit führte

Klarer kann der Sachverhalt im Gassenviertel zu Bayreuth nicht sein. Am 4. Juli 1675 schüttete der junge Vetterlein, abends, so kurz nach acht Uhr, in der Ochsengasse, wie es halt so üblich war, seinen vollen Nachttopf aus dem Fenster.

Der Inhalt “striff” den Hof-Musikanten Georg Carl, der dies (vermutlich lautstark) “mit Schelt-Worten scharff geahndet” hat, seinen Degen zog, in das Haus stürmte und dem Vetterlein eine ordentliche Tracht Prügel versetzte. Drei Tage später, am 7. Juli 1675, wurden mit dem Schneider Rathsam, dem Rathsherren Hirsch, dem Glaser Keck und dem Messerschmidt Fischer vier Zeugen über den Hergang der Schlägerei befragt.

Stephan Müller hat sich im Bayreuther Stadtarchiv das “Actum” mit den vier Zeugenaussagen angesehen.


Prügel für den Pfarrers-Sohn

In dem “Actum” wird also berichtet, dass der Hof-Musikus Georg Carl, am 4. Juli 1675 in der Ochsengasse “abends nach 8 Uhr” von einem ausgeschütteten “Cammerscherben”, also einem Nachttopf, erwischt wurde. Er zog seinen Degen, rannte die Stiegen hinauf, verschaffte sich gewaltsam Eintritt und versetzte dem “jungen Vetterlein”, dem Sohn des Bindlacher Pfarrers, eine ordentliche Tracht Prügel.

Die Kirchgasse, die sich heute von der Adlerapotheke bis zur Stadtkirche zieht, hieß früher Ochsengasse. Aus welchem Haus der Inhalt des Nachttopfes aus dem Fenster flog, lässt sich allerdings heute nicht mehr feststellen. Foto: Stephan Müller

Es war “ein großes Geschrey und Geschlag gewesen”. Klar, dass sich vor dem Haus “daselbst die Leuthe ziemblich versammlet” haben. Als Zeugen wurden der Schneider Hans Rathsam, der Glaser Leonhardt Keck, der Messerschmidt Balthasar Fischer und der Rathsherr Christian Hirsch geladen.

Leonhardt Keck sagte aus, dass “die Ursach für den Zanck und Schlägerey gewesen were, dass der junge Vetterlein während des “Fürbeygehen” des Musicantens den Cammerscherben herunter gegoßen hat. Dieser habe dies “scharff geahndet”, aber von oben wurden “Schelt-Wortten” herunter geworffen. Keck bestätigte, dass der Carl nichts gethan hat, aber “durch das Ausgießen und hernach erfolgtes wörtliches Injuriren aber were er böse gemacht worden” ist.

Ratsherr, Glaser und Messerschmidt mussten schlichten

Rathsherr Hirsch, Glaser Keck und Messerschmidt Fischer liefen ins Haus, um den Streit zu schlichten.

Sie trafen Carl “uff der Stiegen” an. “Was er da für Händel anfinge” wollte der Ratsherr wissen und “setzte ihn zur Rede”. Carl machte sich “dagegen unnütz” und “warff mit injuriosischen Wortten” um sich. “Was er sich um ihn schere” wollte der Carl vom Hirsch wissen. Anscheinend konnte der Musikus aber vom Ratsherrn beruhigt werden, denn Keck erzählte, dass “H. Hirsch ihm den Degen genommen habe und dann darnach beede zum Hauß hinaus ihrer Weg fortgangen weren”.

Stadtansicht Bayreuth 1686. Foto: Archiv Bernd Mayer

Alles gar nicht wahr

Der einzige Zeuge der die Schlägerei selbst gesehen hat, war Hans Rathsam. Der Schneider gab zu Protokoll, dass der Inhalt des Nachttopfs den Geschädigten gar nicht getroffen hat:

Der Cammerscherben, so doch nicht gros, gegen die Gaße ausgeleeret, da unten der Musicant, Carl genannt, und die Ammfrau beysammen gestanden, solle aber damit nicht getroffen worden seyn. Gleichwohl were gemeldter Musicant hinaff gelauffen, die Cammer aufgestoßen, den jungen Vetterlein zu Boden geworffen, auff ihn gekniet und mit Schlägen tractiret, darüber Deponent aus dem Bette gesprungen und abgewehret, habe Ihn mit dem Stiel über den Kopf geschlagen und sonst Ihm noch Stöß geben, darnach were H. Hirsch darzu kommen, daß er sich aus dem Hauß fortgemacht und seiner Wege gegangen, habe aber ziembliche Droh-Wortt schießen laßen.

(Protokoll Hans Rathsam)


Warnruf für den Nachttopfinhalt

Diese Art der Entsorgung, die unser guter Musikus in Bayreuth erleben musste, war bis zum Ende des Mittelalters in allen Städten gang und gäbe. Das Treppensteigen mitten in der Nacht war den Einwohnern zu lästig, vielleicht den älteren auch zu anstrengend oder die Gruben zu weit entfernt. Kurz: Es war den Bürgern, trotz des strengen Geruchs, der sich in den Gassen festsetzte, einfach nicht abzugewöhnen, dass sie ihr Sammelgut des nachts kurzerhand aus dem Fenster schütteten.

Foto: pixabay

Vorsicht, Wasser!

In dem Buch “Wo selbst die Kaiserin zu Fuß hinging – Das Kaleidoskop vom Klo” erfahren wir von Autor Ingolf Rheinholz, den Lösungsvorschlag schlechthin. Ein Lösungsvorschlag, der fast in allen Städten durchgeführt wurde. Ein lautstarker Warnruf:

So beschlossen die Stadtväter in Paris im 14. Jahrhundert, dass dreimal laut “Gare l’eau!”, also “Vorsicht, Wasser” gerufen werden musste, ehe die Ladung aus dem Fenster geschüttet wurde. In Edinburgh wurde diese Maßnahme mit dem “Gardy loo!” übernommen. Beide Warnrufe haben sich in Frankreich und Schottland bis heute als gängige Sprichwörter erhalten. Das “Gare l’eau!” bedeutet so viel wie “Kopf weg!”, das “Gardy loo!”: “Herrgott, sei uns gnädig”.

In Regensburg, so wusste ein Gästeführer dort zu berichten, rief man drei Mal auf französisch “attention”.

In Preußen, wie könnte es anders sein, wurde eine strenge Anordnung zu diesem Thema erlassen: “Da denen bisherigen Verordnungen zuwider sich viele Leute unterstehen, die Straßen durch Ausgiessung derer Nachteymer und Hinwerfung des Mülles zu verunreinigen”, machte das Preußische Policeydirectorium im Jahr 1771″zu jedermanns Achtung und Warnung hierdurch bekannt”, dass “dergleichen Personen künftig statt 2 Rthlr. mit 5 Rthlr. oder proportionirlicher Leibesstrafe belegt; über dem aber ohne Ansehen der Person an den Ort, wo sie betroffen werden, öffentlich mit einem Zettel vor der Brust ausgestellt” werden.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

150 Jahre Siegfried Wagner: Der kuriose Tod einer Festspiel-Tänzerin

Zu Siegfried Wagners 150. Geburtstag fällt dem Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller die Geschichte der Isadora Duncan wieder ein. Die Amerikanerin die bis heute vielleicht aufregendste Künstlerin, die die Bayreuther Festspiele je gesehen haben. Und Cosima Wagner wollte sie dem Memoiren der Tänzerin zufolge, einst mit ihrem Sohn Siegfried verkuppeln.

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Sie wollte provozieren und schockieren. So wagte sie sich Ende des 19. Jahrhunderts im puritanischen Amerika fast nackt auf die Bühne. Ihr ganzes Leben kämpfte sie für die freie Liebe und gegen bürgerliche Konventionen. Und ausgerechnet Cosima Wagner verpflichtete die Tänzerin Isadora Duncan für den Tanz der Grazien im „Tannhäuser“ im Festspielsommer 1904.

Isadora Duncan im Tannhäuser. Foto: Archiv Bernd Mayer

Eine Sensation: Die amerikanische Balletttänzerin dürfte bis heute die aufregendste Festspielsolistin aller Zeiten sein. Die am 27. Mai 1878 in San Francisco geborene Tänzerin hatte  einen neuen Tanzstil kreiert, der von den starren Regeln und der Kostümierung des klassischen Balletts vollkommen abwich.

Kurz vor ihrem 27. Geburtstag kam die Tänzerin in Bayreuth an. In der Nähe der Eremitage entdeckte sie die „Philippsruh“. Sie mietete das historische Gebäude für die ganze Festspielsaison und ließ für diese wenigen Wochen alle Wände mit einem zarten Grün übertünchen. Als Möblierung wählte sie Diwans, Ruhekissen und rosafarbene Lampen aus.

Foto: Stephan Müller

Wenn man den Memoiren der Tänzerin Glauben schenken darf, war die rassige Schönheit in diesem Festspielsommer auch Cosima Wagners heimliche „Wunschschwiegertochter“ für ihren damals 35-jährigen, immer noch unverheirateten, Sohn Siegfried.

Siegfried Wagner und Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Daraus wurde freilich nichts: Denn Siegfried war höchstwahrscheinlich homosexuell, dies konnte er in dieser wilhelminischen Zeit als “Prominenter” keinesfalls offen kundtun, was wenig später die skandalösen Verleumdungsklagen der Harden-Eulenburg-Affäre zwischen 1907 und 1909 deutlich zeigten.

Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Wenn auch nicht von Siegfried, so bekam Isadora von anderen Männer fleißig Besuch: Während Zar Ferdinand von Bulgarien oder der Naturforscher Ernst von Haeckel tagsüber kamen, verbrachten der Sänger Alfred von Bary, aber auch Cosimas Schwiegersohn Henry Thode die Nächte bei reichlich Champagner in der „Philippsruh“.

In ihren Memoiren schrieb sie, dass sie sich in Henry Thode, den genervten Ehemann von Cosimas Tochter Daniela, unsterblich verliebt hat und von einer Wollust in die andere verfiel:

Es war, als befände sich jeder Nerv meines Körpers konstant in höchstem Liebesschauer. Noch nie habe sie solch eine ‚beseligende Liebesekstase erlebt’.

(Isadora Duncan)

Die Festspielen begeisterten Isadora: „Meine Seele glich einem Schlachtfeld, wo Apollo, Dionysos, Christus, Nietzsche und Richard Wagner einander den Boden streitig machten“, schrieb sie.

Viele Bayreuther Sänger waren groß und dick, aber wenn sie zu singen begannen, drangen ihre Stimmen aus einer Welt vergeistigter Schönheit, wo die ewigen Götter leben. Ich stelle diese Behauptung auf, dass diese Künstler sich ihres Leibes gar nicht bewusst waren; dieser stellte für sie nur eine Maske voll gewaltiger Energie und Kraft dar, durch die sei ihre göttliche Kunst auszudrücken imstande waren.

(Isadora Duncan)

Umgekehrt waren das Publikum und die Presse auch von Isadora Duncan begeistert: Sie zeigte natürliche harmonische Bewegung im klassisch-griechischen Sinn: Statt kurzem Röckchen, Korsett und weißen Strümpfen trug sie fließende Gewänder und tanzte nicht in Spitzenschuhen, sondern barfuß. Duncan erschuf den modernen Tanz und war die Erste, die sich nach den großen klassischen Musikwerken auf eine ganz neue, weiblich freizügige Art bewegte. Tanz war für sie körperlich-seelische Einfühlung in die Musik.

Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Der gestrengen Frau Cosima gefiel die viel zu durchsichtige Tunika der Tänzerin allerdings überhaupt nicht. Sie ließ ihr ein langes weißes Hemd in die Garderobe schicken.

Die Mutter stirbt wie ihre Kinder: Bei einem Unfall mit dem Auto

Isadora Duncan starb am 14. September 1927 auf der Promenade des Anglais in Nizza im Alter von erst 50 Jahren. Sie war Beifahrerin in einem offenen Amilcar. Ihr langer Seidenschal verfing sich an einem Rad des Sportwagens. Sie wurde auf die Straße geschleudert und zog sich einen Genickbruch zu und starb noch am Unfallort.

In einem französischen Amilcar wie diesem, fand Isadora Duncan den Tod. Foto: pixabay

Besonders tragisch: Erst 14 Jahre zuvor starben ihre beiden Kinder bei einem Autounfall in Paris. Duncans Chauffeur hatte vergessen, die Handbremse anzuziehen, als er ausstieg, um den in einer Kurve stockenden Motor zu reparieren. Das Auto stürzte in die Seine und die Kinder und das Kindermädchen ertranken.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Siegfried Wagner: Mit Papa Richard in der Kneipe

Siegfried Wagner wurde als Sohn Richard Wagners weltberühmt. Anlässlich seines 150. Geburtstags wurde am Donnerstag 6. Juni, am Familiengrab der Wagners in einer feierlichen Zeremonie ein Kranz niederlegt.

Grabstätte Siegfried Wagner. Foto: Susanne Jagodzik

Warum aber aus Siegfried ein namenhafter Künstler werden konnte, obwohl er bereits mit fünf Jahren in der  Kneipe anzutreffen war, das verrät Hobbyhistoriker Stephan Müller.

Vom Sohn Richard Wagners zum eigenständigen Komponisten

„Heute ist der glücklichste Tag meines Lebens“ jubelte Richard Wagner am Sonntag, den 6. Juni 1869. An diesem Tag schenkte Cosima von Bülow dem 56-jährigen Komponisten einen „schönen kräftigen Sohn mit hoher Stirn und klarem Auge“.

Der Vater, Richard Wagner, verarbeitet seine Empfindungen in der Komposition “Tribschen – Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang”. Später wird diese Komposition als “Siegfried-Idyll” weltberühmt. Den Wunsch des Vaters am Tage seiner Geburt, dass der Sohn sein Werk erhalten solle („dereinst – da muss mein Junge für das Rechte sorgen“) hat Siegfried voll und ganz erfüllt. Er übernahm im Jahre 1906 die Leitung der Festspiele von seiner Mutter und steuerte sie bis zu seinem Tode im Jahre 1930 erfolgreich durch schwieriges Fahrwasser.

Architektur oder Musik

Die Entscheidung, das Lebenswerk seines Vaters fortzuführen oder sich künftig der architektonischen Begabung zu widmen, fiel „Fidi“ nach seinem Abiturabschluss im Jahr 1889 nicht leicht. Als Belohnung für das bestandene Abitur darf er die Weltausstellung in Paris besuchen. Er interessiert sich für Malerei, Literatur und Architektur, beginnt aber bei Engelbert Humperdinck, dem Komponisten der Oper “Hänsel und Gretel” in Mainz das Studium der Komposition. Schon im Sommer 1890 weiß Humperdinck, dass Siegfried “jetzt mit allen Elementen der Musiktheorie vertraut ist. Er sei im Stande fortan seine weiteren Studien ohne die Hilfe anderer fortzusetzen”.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Trotzdem konnte sich Siegfried nicht entscheiden, ob er sich der Architektur oder der Musik widmen soll. Klarheit brachte ihm eine sechsmonatige Schiffsreise über Gibraltar nach Saigon, Hongkong, auf die Philippinen, danach von Ceylon wieder nach Neapel im Jahr 1892. Unter den Eindrücken der fernöstlichen Klänge entschloss er sich nach „österlichen Träumen“ in der Nacht zum Ostersonntag für die Musik.

Feuertaufe 1894

Im Jahr 1894 wirkt er an der Seite seiner Mutter als Assistent bei der Vorbereitung der Festspiele mit. Doch wird der Wagner-Sohn auch von den Künstlern und Musikern ernst genommen? Bei einer Probe ist der “Lohengrin”-Dirigent Felix Mottl “unauffindbar”. Siegfried soll “ganz plötzlich” einspringen. Der Trick funktioniert. Siegfried hat quasi seine “Prüfung” im Orchestergraben des Festspielhauses bestanden. Er fasst Selbstvertrauen und dirigiert Konzerte in Rom, London, Budapest und Wien. Im Jahr 1896 dirigiert Siegfried zum ersten Mal in Bayreuth den “Ring des Nibelungen”. Der anwesende Gustav Mahler schreibt einen Brief an Cosima und lobt Siegfrieds Begabung in den höchsten Tönen.

Aus dem Schatten des Vaters heraus

Ja, so ein(en) Vater zu schleppen ist gar nicht gut“ schrieb Cosima Wagner in ihren Tagebüchern. Dennoch geriet Siegfried Wagner nicht so sehr in den großen Schatten des Vaters, wie es den Söhnen der ebenfalls übermächtigen Väter Bach, Goethe oder Picasso ergangen ist.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Dies liegt wohl darin begründet, dass Siegfried Wagner neben den großen Aufgaben als Festspielleiter, Regisseur und Dirigent noch Zeit für eigene Kompositionen finden konnte. Sein musikdramatisches Schaffen beinhaltet 18 umfangreiche Opern, verschiedene Orchesterwerke und Liedvertonungen. Auch wenn Siegfried Wagners Werke heute – bis auf einige Ausnahmen – nur sehr selten auf die Spielpläne der Opernhäuser kommen (in Bayreuths Partnerstadt Rudolstadt wurden vor einigen Jahren der „Bärenhäuter“, das „Schwarzschwanenreich“, das „Wahnopfer“ und „Banadietrich“ gegeben), darf man nicht vergessen, dass die Opern des „beliebtesten Junggesellen seiner Zeit“ vor allem am Anfang unseres Jahrhunderts zum Repertoire aller großen Opernhäuser gehörten.

Zwischen 1899 und 1914 gab es von seinen ersten sechs Werken auf den Bühnen der namhaftesten Kulturzentren im deutschsprachigen Raum insgesamt nicht weniger als 327 Aufführungen.

Der Festspielleiter

Am 9. Dezember 1906 erlitt Richard Wagners Witwe Cosima bei einem Besuch beim Erbprinzen Hohenlohe auf Schloss Langenburg einen schweren Herzanfall. Ihr Sohn Siegfried reist von einem Konzert bei der Musikalischen Gesellschaft in Essen sofort zu ihr. Auch ihre Tochter Isolde findet sich umgehend ein.

Siegfried Wagner vor dem Bayreuther Tagblatt in der Opernstraße. Foto: Stephan Müller

Die fast 70-jährige Festspielleiterin wird von Professor Ernst Schwenninger, Bismarcks Leibarzt, behandelt und schwebt bald nicht mehr in Lebensgefahr. Vier Tage später begleiten Isolde und Siegfried ihre Mutter mit dem Zug nach Bayreuth. Für das Frühjahr 1907 verordnete Schwenninger Cosima Wagner eine längere Kur in Cannes. Die ohnehin schon geplante Übergabe der Festspielleitung an Siegfried Wagner war damit besiegelt. Im Jahr 1907 fanden keine Festspiele statt. Siegfried nutzt die Zeit für intensive Probenarbeiten für die Wiederaufnahme des „Lohengrin“ im Jahr 1908.

Es gilt, die Werke meines Vaters möglichst stilgerecht zur Aufführung zu bringen, wobei das Musikalische im Tempo und Vortrag durch die lebendige Überlieferung zu einer geheiligten Tradition geworden ist, hingegen die äußere Form in Bezug auf Szenerie, Beleuchtung, Kostüme und so weiter immer dem Geist des Werkes entsprechend dem modernen Empfinden angepasst werden muss.

(Siegfried Wagner)

Trotz des Anspruchs an die Moderne, den er schon vor der Jahrhundertwende formuliert hat, modifiziert er die Inszenierung seiner Mutter nur vorsichtig. Der ehemalige Architekturstudent verändert und vereinfacht vor allem im ersten und zweiten Aufzug mit wirkungsvollen Schritten die Dekoration, die seiner Chorführung mehr Freiheiten lässt. Für die „Brautgemach-Szene“ im dritten Akt nutzt er das Bühnenbild von 1894.

Dieser Mittelweg zwischen Altem und Neuem und auch der erstmalige Einsatz von dreidimensionalen Requisiten machten ihn für viele Opernfreunde zum geistvollsten und bedeutendsten Opernregisseur der Gegenwart. Bis ihn der Erste Weltkrieg zu einer zehnjährigen Festspielpause von 1915 bis 1924 zwang, inszenierte Siegfried Wagner die „Meistersinger“ (1911) und den „Fliegenden Holländer“ (1914) und stieß mit seinen Ideen auf ein positives Echo. Es begann eine erfolgreiche Zeit. Ab 1908 waren alle Aufführungen im Festspielhaus schon ein halbes Jahr vor der Premiere ausverkauft.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Während seine Mutter in ihren letzten Jahren als Festspielleiterin auf einen Turnus von zwei Jahren (1902, 1904, 1906) setzte, kehrte Siegfried Wagner zu dem Rhythmus aus den Anfangsjahren zurück. Jeweils nach zwei Festspieljahren setzte er ein Pausenjahr zur Einstudierung eines neuen Werkes fest. Dabei machte er auch im Jahr 1913 keine Ausnahme. Im 100. Geburtsjahr seines Vaters fanden keine Festspiele statt. Eine hohe Ehre erfuhr der große Komponist trotzdem: In der Walhalla wurde eine Richard-Wagner-Büste aufgestellt.

Die Katastrophe

Das Jahr 1914 sollte zu einer finanziellen Katastrophe führen. Mitten in der Festspielzeit brach der Erste Weltkrieg aus. Am 1. und 3. August erklärt Deutschland zunächst Russland und dann Frankreich den Krieg. Nach dem Einmarsch über das neutrale Belgien in Frankreich hat das Reich mit England einen weiteren Kriegsgegner.

Als die Festspiele am 22. Juli 1914 mit dem „Fliegenden Holländer“ in der Inszenierung und unter der musikalischen Leitung von Siegfried Wagner eröffnet werden, haben es viele ausländische Besucher unter dem Eindruck des Attentats von Sarajevo auf Erzherzog Prinz Ferdinand und dem Ultimatum von Österreich-Ungarn an Serbien vorgezogen, erst gar nicht nach Bayreuth zu reisen. Von den geplanten 20 Aufführungen („Holländer“, „Ring des Nibelungen“ und „Parsifal“) konnten bis zum Ausbruch des Weltkrieges gerade einmal acht Vorstellungen vor zum Teil halbleeren Rängen gespielt werden. Am 1. August brach Siegfried Wagner die Festspiele ab und musste die Unsumme von 400.000 Mark für die Rücknahme der Karten bezahlen.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

In sechs dieser acht Vorstellungen saß ein erst 17-jähriges Mädchen an der Seite ihres Pflegevaters Karl Klindworth. Die junge Engländerin Winifred Williams, nach dem frühen Tod ihrer Eltern von dem Ehepaar Klindworth adoptiert, wird von der Familie Wagner warmherzig aufgenommen. Neben dem finanziellen Fiasko gibt es im Haus Wahnfried nämlich noch ein anderes Problem. Der mittlerweile 45-jährige Festspielleiter war immer noch Junggeselle, die Wagner-Dynastie gefährdet.

Die Hochzeit mit Winifred

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Das Unternehmen gelingt. Siegfried verliebt sich in Winifred und beginnt mit der 28 Jahre jüngeren Frau einen regelmäßigen Briefwechsel. Am 22. September 1915 – nur acht Wochen nach ihrem Verlöbnis – heirateten Siegfried und Winifred im Haus Wahnfried in Bayreuth. Am 5. Januar 1917 kam mit Wieland der erste dynastisch legitime Enkel von Richard Wagner auf die Welt. Am Tage seiner Geburt kam es zu einer rührenden Szene. Die 80-jährige Cosima setzte sich zum ersten Mal seit Wagners Tod an das Klavier und spielte einige Takte aus dem „Siegfried-Idyll“. Das Paar konnte sich noch über die Geburten von Friedelind (1918), dem späteren Festspielleiter Wolfgang (1919) und Verena (1920) freuen.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Festspiele im Jahr 1924 mit 20 Aufführungen (“Meistersinger”, “Ring des Nibelungen” und “Parsifal”) wieder eröffnet. Siegfried Wagner setzte sich weiter für eine zeitgemäße Modernisierung ein, insbesondere durch die Verpflichtung des jungen Bühnenbildners Kurt Söhnlein. Einer seiner innigsten Wünsche war eine eigene Neuinszenierung des “Tannhäusers”, die ihm zusammen mit dem musikalische Leiter Arturo Toscanini im Jahr 1930 noch gelingen sollte. Bei einer der Proben in diesem heißen Sommer erlitt Siegfried Wagner einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht mehr erholte. Er starb am 4. August 1930.

Traueranzeige für Siegfried Wagner. Foto: Stephan Müller


Gott, einen solchen Jungen bei mir zu haben…

Was uns heute als unglaublich erscheint, war in den vergangenen Jahrhunderten völlig normal. Die Kinder tranken schon in frühen Jahren Bier. Dies lag zum einem daran, dass die Kinder schon früh mitarbeiten mussten und sich genauso ernährten wie Erwachsene. Zum anderem beobachtete man, dass die oft schlechte Wasserqualität zu Krankheiten führte. Nachdem die Gerste vorher gekocht worden war, blieben Biertrinker gesund! Im ländlichen Raum rund um Bayreuth war es in den 50er Jahren vielleicht nicht mehr üblich, aber dennoch weit verbreitet, dass die Kinder vor dem Einschlafen noch ihren Schluck Bier bekamen.

Tafel vor dem Glenk-Biergarten mit einer Erklärung von Jean-Paul aus seinem Erziehungsroman Levana. Foto: Stephan Müller

So auch der junge Siegfried Wagner, der seinen Vater schon als Fünfjähriger in die Stammkneipe Angermann begleitete. Richard und Cosima nannten ihren jüngsten Spross, der am 6. Juni 1869 in Luzern geboren ist, “Fidi”. Dass “Fidi” schon früh ins Bierglas schauen durfte, entnehmen wir zwei Tagebucheinträgen von Cosima Wagner:

Sonnabend 24ten R. geht nachmittags mit Fidi aus, bei Angermann redet ein Fremder den Kleinen an: »Kannst du auch Bier trinken«, Fidi schweigt, sagt dann schüchtern »ja«, worauf R.: »Der Knabe kennt Sie nicht, bester Herr!« – – R. freut sich Fidi’s, sagt: »Gott, einen solchen Jungen bei mir zu haben, der mich Papa nennt und alles frägt; es ist zu schön.

(Aus dem Tagebuch Cosima Wagners, 24. Oktober 1874)

 

Sonntag 27ten Großes Gewitter in der Nacht, welches uns wach erhält, und heute Regenwetter und Kälte! R. arbeitet, ich muß mich legen, da die Müdigkeit es mir förmlich versagt, aufzubleiben. Abends komme ich aber hinunter. R. ist mit Siegfried zu Angermann gegangen und hat sehr gelacht, dort für Fidi ein Stammglas zu finden: Herr Siegfried Wagner!

(Aus dem Tagebuch Cosima Wagners, 27. Juli 1879)


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Briefmarken: Als der Osten Richard Wagner gedachte, der Westen aber nicht

Zum 150. Geburtstag des Komponisten Richard Wagner erschienen Sondermarken in der UdSSR und in der DDR. In der BRD dagegen nicht – trotz Beschwerden aus Bayreuth. Hobbyhistoriker Stephan Müller kennt die Geschichte.

Richard Stücklen war nicht nur Bundestagspräsident sondern auch von 1957 bis 1966 fast ein Jahrzehnt lang Bundespostminister. In dieser Zeit hat er mit Sicherheit viele Vorschläge, Ideen und Forderungen für Briefmarkenmotive bekommen. Mindestens eine davon auch aus Bayreuth.

Beschwerdebrief aus der Wagner-Stadt

Der damals 49-jährige Bayreuther Bundestagsabgeordnete Herbert Hauffe beschwerte sich im Jahr 1963 bei Richard Stücklen über die Weigerung der Bundespost, zum 150. Geburtstag von Richard Wagner eine Sondermarke herauszubringen. Die Begründung schien plausibel. Hauffe wies den Postminister darauf hin, dass “diesmal ausgerechnet die Sowjetunion ein Wertzeichen zur Erinnerung an Richard Wagner aufgelegt hat”.

Was stattdessen erschien

Ein Antwortschreiben kennen wir nicht. Fest steht aber: Zumindest zu diesem Anlass ist, im Gegensatz zu der Briefmarke aus der UdSSR, in West-Deutschland keine Briefmarke zum Wagner-Jubiläum erschienen. In der Bundesrepublik entschied sich Stücklen stattdessen dafür, der Feier “400 Jahre Heiliger Katechismus” ein Denkmal in Form einer Briefmarke zu setzen. Außerdem dem Gimpel, dem Eisvogel, dem Pirol und dem Wiedehopf, sowie dem Märchen Rotkäppchen und der Einweihung der “Vogelfluglinie” zwischen Deutschland und Kopenhagen. Dazu dem 100-jährigen Jubiläum des Roten Kreuzes und dem 100. Jahrestag der 1. Internationalen Postkonferenz in Paris. Eine vollständige Auflistung finden Sie hier.

Gedenken an den Leipziger

In der DDR dagegen erhielt Richard Wagner 1963 eine Briefmarke. Sie zeigt sein Porträt vor einer Szene aus dem “Fliegenden Holländer” zu seinem Jubiläum. In einer Serie erschien der Bayreuther Meister, der ja in Leipzig geboren ist, zusammen mit den Schriftstellern Georg Büchner und Johann Gottfried Seume sowie dem Dichter Friedrich Hebbel und dem Schriftsteller Georg Büchner auf dem Briefmarkenmarkt.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.