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Bayreuth

Interview mit “Letzte Generation”-Aktivist aus Bayreuth: “Hast du manchmal Zweifel?”

Der Bayreuther “Letzte Generation”-Aktivist Luca Thomas hat schon viele Straßen blockiert. Im Gespräch mit dem bt hat er tief in die Welt des Klimaaktivismus blicken lassen.

Die „Letzte Generation“ hat in Bayreuth kürzlich mit einer Klebe-Aktion den Verkehr gestoppt. Luca Thomas war einer der Aktivisten. Das bt hat mit ihm gesprochen: Hat er Angst vor Vorstrafen? Und wird er von irgendwem bezahlt?

Luca Thomas, der aus Münster stammt und in Bayreuth studiert, hat 45 Minuten lang mit dem bt offen über den Aktivismus gesprochen. Das ungekürzte Interview findet ihr weiter unten als Video – mit drei Zusatz-Fragen, die bt-Leser eingereicht haben.

Der Weg zum Aktivismus

bt-Redaktion: Luca, willst du dich kurz vorstellen?
Luca Thomas: Ich bin 21 Jahre alt und studiere Geoökologie in Bayreuth. Ich bin ungefähr seit Ende 2021 bei der Letzten Generation.

Wann bist du zum ersten Mal mit der Klimabewegung in Kontakt gekommen?
Das war im Januar 2019 ungefähr, da war ich noch in der Schule. Zuerst bin ich zu Greenpeace, dann zu Fridays for Future. Von dort aus kam ich zu Extinction Rebellion und dann zur Letzten Generation.

Wieso hast du damit angefangen?
Weil wir in der Schule immer wieder solche Themen besprochen haben. Da wurde mir immer bewusster, dass wir ein Problem haben und ich mich engagieren möchte.

Die Sorgen der Familie

Hat der Aktivismus zu Konflikten mit Freunden oder Eltern geführt?
Meine Familie hat nicht versucht, es mir auszureden. Aber sie haben sich Sorgen gemacht, dass mir etwas passieren könnte. Und gefragt, ob ich mir da nicht Türen für meine Zukunft verschließe.

Du hast dich in Bayreuth auch versucht festzukleben. Das hat nicht geklappt, die Polizei hat dich vorher weggetragen. Wie oft hast du dich denn schon erfolgreich festgeklebt?
Da zähle ich gar nicht mit. Ich schätze, es waren etwa zehn Aktionen.

Wo war das überall?
Die Letzte Generation ist eine deutschlandweite Bewegung, wobei der Fokus in der Vergangenheit auf Berlin lag. Dort fanden einige Aktionen statt. Aber auch in Bayreuth und München.

Regelmäßig vor Gericht

Du kommst also ganz gut rum.
Ich komme fast noch mehr durch die Gerichtsverfahren rum.

Weil du die Gerichtsverfahren begleitest oder weil du selbst auf der Anklagebank sitzt?
Teils, teils. Ich selbst hatte bislang erst zwei Gerichtsverfahren. Meistens begleite ich die Verfahren, ich bin im „Legal Team“ der Letzten Generation. Wir organisieren zum Beispiel Anwältinnen und Anwälte.

Bist du selbst verurteilt worden?
Ja.

Wegen was?
Wegen Nötigung. Ich wurde im September 2022 in München verurteilt. Aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil die Revision noch offen ist. In Berlin war es ähnlich, da ist die Berufung noch offen.

Richter sprach Verwarnung aus

Welche Strafe erwartet dich?
In München lief das Verfahren noch unter dem Jugendstrafrecht. Dort hat das Gericht eine Verwarnung ausgesprochen. Es war also eine Verurteilung ohne Strafe. In Berlin waren es 30 Tagessätze á 20 Euro, also 600 Euro Geldstrafe.

Bist du jetzt vorbestraft?
Nein. Die Urteile sind ja noch nicht rechtskräftig. Ich bin noch nicht vorbestraft, aber es wird sicherlich kommen.

Müssen sich Einzelne für die Menschheit opfern?

Hast du keine Befürchtungen, dass sich das negativ auf deine berufliche Zukunft auswirkt?
Das nehme ich bewusst in Kauf. Denn wenn ich mir die Klimakrise anschaue, weiß ich gar nicht, ob ich in 20, 30 Jahren überhaupt noch einen normalen Job machen kann.

Müssen also einzelne Personen ihre Zukunft für die ganze Menschheit opfern?
Ich denke, das ist notwendig, ja. Wenn man sich die größeren Protestbewegungen der Vergangenheit anschaut, mussten dort auch immer Opfer gebracht werden. Ich glaube auch, dass wir bei der Letzten Generation erst am Anfang stehen bei unseren Opfern. Unser Weg wird irgendwann auch durch die Gefängnisse gehen.

“Wer anderer Ansicht ist als ihr, ist also nur nicht genügend informiert?”

In Bayreuth haben euch Autofahrer beleidigt, es gab wüste Diskussionen am Straßenrand. Kannst du die Wut verstehen?
Natürlich kann ich die Wut der Autofahrer verstehen. Ich würde diesen Menschen aber gerne die Gegenfrage stellen: Können sie denn beispielsweise den Ärger der Menschen in Mosambik nachvollziehen, die kürzlich vom größten Wirbelsturm getroffen wurden seit Beginn der Wetteraufzeichnungen? Sie haben durch unsere CO2-Emissionen ihre Lebensgrundlage verloren.

Das klingt so, als ob den wütenden Autofahrern ein Teil der Perspektive fehlen würde.
Ich denke schon, ja.

Das heißt: Wer anderer Ansicht ist als ihr, ist also nur nicht genügend informiert?
Ich glaube, dass die Menschen, die unsere Aktionen ablehnen, nicht ausreichend Informationen haben, ja. Bei vielen Leuten ist das unbewusst oder zumindest nicht gewollt. Viele haben ja auch genug mit ihrem eigenen Leben zu tun, das ist klar. Aber es gibt auch viele, die merken, dass es Einschränkungen im Lebensstandard bedeuten würde. Und die es deswegen ablehnen und sich bewusst nicht mehr mit Fakten beschäftigen wollen.

Aber könntest du dir vorstellen, dass jemand auf dem gleichen Faktenstand ist wie du und trotzdem zu einer anderen Meinung kommt?
Es ist möglich, eine andere Meinung zu den nötigen Veränderungen und Aktionsformen zu haben. Aber die Klimakatastrophe ist aus wissenschaftlicher Sicht unstrittig, da kann man nicht einer anderen Meinung sein.

Klebe-Training bei der “Letzten Generation”

Was war das Schlimmste, das du bisher bei einer Klebe-Aktion erlebt hast?
Einmal ist ein sehr großes Auto langsam auf uns zugerollt und hat den Motor aufheulen lassen, als ob er weiterfahren wollte. Das war für mich die gewaltvollste Situation, die ich erlebt hab.

Hast du danach überlegt, mit dem Aktivismus aufzuhören?
Eigentlich nicht. Wir trainieren sowas bei der Letzten Generation im Vorfeld. Da schreien wir uns auch mal gegenseitig an.

Ihr übt es also, dass einer sich festklebt und der andere ihn anschreit?
Genau, wir versuchen, durch Rollenspiele solche Situationen nachzubilden, damit wir vorbereitet sind. Wir wollen auch nicht zurückschreien oder uns den Autofahrer*innen gewaltvoll gegenüber verhalten. Wir machen auch „Prozess-Trainings“, bei denen man lernt, wie man vor Gericht vorgehen muss.

Wie finanziert sich die “Letzte Generation”?

Das sind ziemlich professionelle Züge. Wie läuft die Finanzierung ab?
Das kann ich im Detail nicht sagen. Meines Wissens nach ist ein Großteil Spenden. Wir werden aber auch von Organisationen unterstützt. Ich kann es aus dem Bereich der Gerichtsverfahren sagen, weil ich mich damit am meisten beschäftige. Da gibt es etwa den Umwelt-Treuhand-Fonds, der uns unterstützt.

Bekommst du einen Lohn?
Nein.

Was sagst du zu Menschen, die auf dem Land wohnen und deswegen aufs Auto angewiesen sind?
Uns geht es nicht darum, ihnen das Autofahren zu verbieten. Natürlich müssen diese Menschen eine Alternative bekommen. Dass Menschen aufs Auto angewiesen sind, ist ein politisches Versäumnis der letzten 20, 30 Jahre. Das kann man auch mit einer politischen Entscheidung wieder rückgängig machen.

Wann bist du zuletzt in den Urlaub geflogen?

Bist du selbst Autofahrer?
Nein. Aber das ist nicht der Punkt. Wir fordern eine politische Veränderung, keine individuelle.

Fliegst du manchmal in den Urlab?
Ich bin 2019 das letzte Mal in den Urlaub geflogen.

Wohin ging’s?
Nach Mallorca mit meiner Fußballmannschaft. Das war bisher mein letzter Flug. Und bislang habe ich nicht vor, wieder zu fliegen.

Willst du Kinder haben?

Weißt du schon, was du nach dem Geoökologie-Studium beruflich machen willst?
Ursprünglich wollte ich noch einen Master machen, aber das habe ich erstmal auf Eis gelegt. Ich werde nach dem Studium versuchen, mich nach Möglichkeit in Vollzeit um die sozial-ökologische Transformation zu kümmern. Das bedeutet, bei der Letzten Generation zu bleiben. Ich werde wohl auch Geld verdienen müssen. Aber auch in meinem Job will ich die Transformation voranbringen.

Wie sieht es mit der persönlichen Zukunft aus? Willst du Kinder haben?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich in diese Welt überhaupt noch Kinder setzen will. Sie würden die volle Härte der Klimakatastrophe mitkriegen. Außerdem bin ich aktuell nicht bereit, so viel Zeit und Geld außerhalb des Aktivismus zu investieren.

Ist das nicht eine sehr pessimistische Zukunftsvision?
Ja, absolut.

Wie kann man die Gesellschaft mit einem so negativen Ausblick mitreißen?
Es wäre gut, wenn wir eine positive Perspektive hätten. Aber die negative Perspektive ist nicht von uns ausgedacht. Und sie verdeutlicht die Dringlichkeit. Wenn wir nur über positive Veränderungen sprechen, verkennen wir, dass die Kippelemente im Klimasystem klare physikalische Grenzen sind, die wir inzwischen in sehr kurzer Zeit einhalten müssen.

“Lange mit den Straßenblockaden gehadert”

Hast du manchmal Zweifel, ob du richtig liegst?
Ja, klar. Ich habe schon öfter überlegt, ob ich bei der Letzten Generation bleiben will, weil ich nicht mit allem zufrieden bin.

Womit bist du unzufrieden?
Ich habe zum Beispiel lange mit den Straßenblockaden gehadert. Aber mir wurde in den letzten Monaten immer deutlicher, wieso wir diese Blockaden brauchen.

Wieso haben dich die Blockaden überzeugt?
Sie sind deswegen so effektiv, weil man sie nicht verhindern kann. Man kann nicht alle Straßen bewachen. Das hat sich auch in Bayreuth gezeigt. Die Polizei wusste, dass wir etwas vorhaben, trotzdem konnte sie es nicht verhindern. Wir müssen für die Regierung das Dilemma erzeugen, uns entweder einzusperren oder auf uns einzugehen. Dafür ist entscheidend, dass die Aktionen selbst nicht im Vorfeld verhindert oder erschwert werden können.

Wird es in Bayreuth weitere Blockaden geben?
Das kann und möchte ich noch nicht sagen.