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Gericht

Kriminalbeamter im Mordprozess: Leon D. wirkte „abgeklärt“

von Stefanie Schweinstetter und Katharina Müller-Sanke

Chats vom Handy des Angeklagten zeigen keine aggressive Mutter, wie Leon D. sie geschildert hat. Der Führungsbericht der JVA beschreibt den Angeklagten als „freundlich und höflich“. Außerdem hört das Gericht den Bericht der Jugendgerichtshilfe.

Ein umfassendes Geständnis hat Leon D. gestern nicht abgelegt, dennoch hat der gestrige Prozesstag im Mordprozess gegen Leon D. noch einige tiefe Einblicke in die Beziehung von Leon D. zu Rebecca S. offengelegt.

Angeklagter beschimpfte Exfreundin übel

Am siebten Prozesstag hat Leon D. Stift und Papier dabei und macht sich scheinbar Notizen während der Aussage des Kriminalbeamten. Dieser hatte gestern bereits  begonnen, die Auswertungen der Handys von Leon und Rebecca vorzustellen. In den Chats werden zum Teil auch Handgreiflichkeiten besprochen. „Dich an den Haaren zu ziehen war das subtilste, was ich öffentlich machen konnte“, schreibt Leon zum Beispiel. „Ich hasse dich über alles und würde mir wünschen, ich hätte dich nie angesprochen. Das schlimmste ist: ich werde dich nicht mehr los. Du bist wie ein Dreckstumor.“ Außerdem spricht Leon D. im Chat vermehrt über das Thema Suizid. „How about entspannt zusammen weiterleben?“, fragt Rebecca. „Wäre natürlich optimal“, antwortet Leon. „Kriegen wir hin“ schreibt Rebecca. Leon: „Leere Versprechungen.“

Kriminalbeamter: Man sieht eine Entwicklung Rebeccas

Zu Beginn der Beziehung habe Rebecca die Schuld überwiegend auf sich genommen. Für den März 2023 identifiziert der Sachbearbeiter eine Änderung in Rebeccas Verhalten. Sie beginne, weniger Verantwortung für die Streits zu übernehmen und Kontra zu geben, sagt zum Beispiel: „Ich geh jetzt schlafen“,  „dein Verhalten ist nicht angebracht“, oder „du bist auch beteiligt“, geht aber auch auf Leon D. ein, zum Beispiel bei der Planung eines Urlaubs: „Wenn du dich ausgegrenzt fühlst, sag Bescheid und ich versuch, dich mehr einzubringen.“

Chats zeigen keine aggressive Mutter

Die Kriminalpolizei hat zahlreiche weitere Chats zwischen Leon und verschiedenen Zeugen ausgewertet. Die vom Angeklagten beschriebene Aggressivität der Mutter lasse sich aus den Chats nicht belegen, so der Kriminalbeamte. Die Konflikte beschränken sich auf kleine Erledigungen im Haushalt, die der Angeklagte nicht übernehmen will. Es geht zum Beispiel darum, dass Leon D. einen kurzen Fahrdienst erledigen soll.

Im Gerichtssaal werden Sprachnachrichten von Leons Mutter abgespielt. „Das dauert ja nur fünf Minuten. Das wird jetzt mal funktionieren, dass du das bitte erledigst. Wir verlassen uns auf dich“, hört man die Stimme der Mutter. Sie spricht mit leicht erhobener Stimme, aggressiv klingt sie aber nicht, erklärt auch noch einmal, warum es wichtig ist, dass ihr Sohn die Aufgabe erledigt. Die anderen Familienmitglieder seien verhindert, es sei wichtig und vorher auch so abgesprochen gewesen.

„Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass Herr D. defensiv im Kontakt mit seiner Mutter ist?“, fragt Richterin Andrea Deyerling. „Nein, man sieht im Chat, dass Herr D. widerspricht und nicht alles herunterschluckt“, analysiert der Kriminalbeamte.

Freunde bieten Unterstützung an

Verschiedene Chats mit Freunden legen nahe, dass Leon D. Unterstützung von mehreren Seiten hatte. Er thematisierte die Trennung und daraus folgende Suizidgedanken in Chats mit mehreren Freunden. Ein Internet-Freund aus Nordrhein-Westfalen sowie ein langjähriger Freund bieten an, Leon zuzuhören und raten ihm, sich professionelle Hilfe zu holen. „Das hat er aber abgelehnt“ sagt der Kriminalbeamte.

Kriminalbeamter: Leon D. wirkte „abgeklärt“

Dann bittet die Richterin den Sachbearbeiter darum, seinen persönlichen Eindruck vom Angeklagten bei den Besuchsüberwachungen zu schildern. „Ich hab lange darüber nachgedacht, wie man das nennen würde. Ich würde sagen, auf mich hat er einen abgeklärten Eindruck gemacht. Er war ruhig und hat viel gelächelt, wenn seine Familie zu Besuch war. Er hat auf mich nicht den Eindruck gemacht, als wäre er unzufrieden mit seiner Situation“, sagt der Sachbearbeiter.

Die Hände des Angeklagten seien bei der ersten Besuchsüberwachung Ende Mai noch geschient und verbunden gewesen. Beim zweiten Besuch habe Leon D. angegeben,  dass noch einzelne Finger vorübergehend geschient würden.

JVA-Bericht: Leon D. ist „dankbar, freundlich und höflich“

Nach einer kurzen Mittagspause verliest Richterin Andrea Deyerling den Führungsbericht aus der JVA. Der Bericht beschreibt Leon D. als gänzlich unauffällig. Er wirke eher wie ein Jugendlicher, sei klein und schmächtig und spreche zum Teil leise oder nuschelnd. Er verhalte sich ruhig, diszipliniert, sei friedlich und trete den JVA-Beamten „dankbar, freundlich und höflich“ gegenüber. Seine Tat bewältige Leon D. in Gesprächen mit dem psychologischen Dienst der JVA. Der betreffende Psychologe war für den vierten und fünften Prozesstag geladen, hat aber nicht ausgesagt. Der Angeklagte hatte dem Psychologen die Aussagegenehmigung im letzten Moment entzogen. Nun hört das Gericht durch den JVA-Bericht doch noch Teilaspekte der Einschätzung des Psychologen.

Psychologe kommt im Führungsbericht zu Wort

Dem Psychologen gegenüber habe sich Leon D. „dankbar für die positive Aufmerksamkeit“ gezeigt. Aus den Gesprächen schließt der Psychologe: Das Ausmaß der Konsequenzen seiner Tat sei Leon D. nicht vollständig bewusst gewesen. Es gelinge ihm aber, seine Tat ethisch und moralisch einzuordnen, er sei sich seiner Schuld bewusst. Die anfängliche Suizidgefährdung sei mittlerweile nicht mehr gegeben. Der Psychologe rät laut JVA-Bericht außerdem dazu, den Gefangenen weiterhin in der Krankenabteilung unterzubringen, weil er im Normalvollzug leicht zum Opfer werden könne.

Gericht hört Bericht der Jugendgerichtshilfe

„Einige Bemerkungen aus gegebenem Anlass“, leitet die vorsitzende Richterin den nächsten Punkt auf der Tagesordnung ein. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe hatte bereits am zweiten Prozesstag als Zeugin ausgesagt. Die Richterin hatte von ihr wissen wollen, warum sie mit dem Angeklagten sein Strafmaß thematisiert habe. Das stehe ihr eigentlich nicht zu. Nun weist sie die Sozialpädagogin noch einmal darauf hin: „Ihre Aufgabe ist es, das Gericht durch Erforschung der Persönlichkeit, Entwicklung und dem Hintergrund des Jungendlichen zu unterstützen. Die Aufgabe der Jugendgerichtshilfe ist es nicht, zu den Beweisen Stellung zu nehmen, sich zur Schuldfrage oder zum Strafmaß zu äußern.“

Leon D. habe seine Mutter zu negativ dargestellt

Ihr Bericht stütze sich auf ein persönliches und ein telefonisches Gespräch, erklärt die Sozialpädagogin. Sie habe Leon D. als freundlich, höflich und zugewandt erlebt und den Eindruck gehabt, dass er Redebedarf habe. Die Gesprächsatmosphäre sei angenehm gewesen. Emotionen wie Scham, Betroffenheit oder Einsicht bezüglich der Tat habe er nicht mit ihr geteilt.

Im Gespräch habe Leon D. eingestanden: Er habe zum Zeitpunkt der Tat ein zu negatives Bild seiner Mutter gezeichnet. In einem Video vom Tatabend hatte er behauptet, seine Eltern seien ein Grund für seine Tat und seinen geplanten Suizid.

Jugendgerichtshilfe empfiehlt Aufrechterhaltung des Jugendstrafrechts

„Was ist denn jetzt Ihre Einschätzung?“, muss die Richterin nach Ende des Vortrags der Sozialpädagogin noch einmal nachfragen. „Hat Herr D. schädliche Neigungen?“ Ja, sie könne eine gewisse „Abgebrühtheit“ feststellen, so die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. „Wie ist denn Ihre Empfehlung zur Aufrechterhaltung es Jugendstrafrechts? Ist der Angeklagte reifeverzögert?“

Die Jugendgerichtshilfe spricht sich für die Anwendung des Jungendstrafrechts aus. Grund dafür sei, dass Leon D. noch bei seinen Eltern gewohnt und finanziell von ihnen abhängig gewesen sei. Diese Begründung ist für die Prozessbeteiligten aber schwer nachvollziehbar. „Die Frage ist ja nicht, ob er noch zuhause wohnt, sondern ob das eine altersgerechte Entwicklung abbildet“, wendet die Richterin ein. „Können Sie denn eine Unreife feststellen?“ „Ich kann kein Entwicklungsdefizit präsentieren“, sagt die Sozialpädagogin.

Nächster Termin am 5. November

Für die nächste Woche sind keine Verhandlungstermine angesetzt. Am 5. November 2024 um 9 Uhr will das Gericht die Beweisaufnahme schließen und die Schlussvorträge hören. „Plan heute wäre dann, am 8.11. das Urteil zu verkünden“, kündigt Richterin Andrea Deyerling an.