Zuletzt aktualisiert am

Mordprozess

Urteil im Mordprozess um Leon D. – 14 Jahre und sechs Monate Haft

In der Hauptverhandlung zum Mordprozess um Leon D. hat die Jugendkammer ein Urteil gefällt. Der 19-Jährige hat im Mai 2024 seine Ex-Freundin in Bindlach ermordet.

Die Jugendkammer am Landgericht Bayreuth hat heute, am 8. November 2024, das Urteil im Mordprozess gegen Leon D. verkündet.

Die Jugendkammer verurteilt den 19-jährigen Leon D. nach allgemeinem Strafrecht zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten. Damit folgte das Gericht der Forderung der Anklage. Die Anordnung einer Sicherungsverwahrung hat das Gericht vorbehalten. Leon D. muss außerdem die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Nebenklage tragen.

Leon D. wird wegen Mordes verurteilt

Der Angeklagte habe im Laufe der Ermittlungsverfahrens mehrfach die Frage aufgeworfen, ob er ein schlechter Mensch sei, beginnt die Richterin die Urteilsbegründung. Diese moralische Frage zu beantworten, sei nicht Sache des Gerichts. Stattdessen spricht das Gericht ein juristisches Urteil: Leon D. ist des Mordes schuldig. Er habe seine Ex-Freundin Rebecca S. heimtückisch und aus niedrigem Beweggrund ermordet und sei für die Allgemeinheit gefährlich. Rebecca S. habe er schon kurz nach dem Betreten ihres Hauses von hinten angegriffen und nicht, wie von ihm behauptet, im Zuge eines eskalierenden Streits.

Richterin: Tat ist aufgeklärt, bleibt aber unbegreifbar

“Der gewaltsame Tod von Rebecca hat über den Kreis ihrer Familie und Freunde hinaus Fassungslosigkeit und Bestürzung in der gesamten Region und darüber hinaus ausgelöst. Eine Fassungslosigkeit und Bestürzung, die auch heute noch anhält”, sagt Richterin Andrea Deyerling in ihrer Vorbemerkung zur Urteilsbegründung. Mit ihrer Einschätzung spricht sie sicherlich für viele, die die vergangenen Verhandlungstage verfolgt haben: Die Hauptverhandlung habe die Tat aufgeklärt, sie bleibe in ihrem Ausmaß aber unbegreifbar. 

Leon D. sitzt ausdruckslos neben seinem Anwalt, mit dem er heute die Plätze getauscht hat. Während die vorsitzende Richterin die Hintergründe der Tat aufrollt, bewegt sich Leon D.s Hand ab und zu über das Blatt, das vor ihm auf dem Tisch liegt. Was er schreibt oder zeichnet, bleibt sein Geheimnis. Blickkontakt mit der vorsitzenden Richterin nimmt er nur selten auf, auch wenn sie mit erhobener Stimme mit ihm spricht oder seinen Namen nennt. Die Beziehung zwischen Leon und Rebecca sei schnell von Streitigkeiten geprägt gewesen, die von Leon D. ausgegangen seien, sagt die Richterin. Rebecca habe versucht, ihren Freund zu besänftigen, indem sie die Schuld auf sich genommen, sich entschuldigt und Besserung gelobt habe. Auf die üblen Beschimpfungen von Seiten Leon D.s, die die Richterin im Gerichtssaal auch noch einmal nennt, habe Rebecca S. besänftigend reagiert.

Kontrollanspruch alleiniges Motiv

Besondere Wichtigkeit räumt Richterin Andrea Deyerling in der Urteilsbegründung dem Club-Besuch in der Woche vor der Tat am 24. Mai ein. Leon D. hatte im Vorfeld von seiner Ex-Freundin das Versprechen gefordert, dass sie sich während des Club-Besuchs anderen Männern nicht annähern würde. “Ich sehe es nicht gerne, wenn meine Ex-Freundin rumknutscht”, sagte Leon D. am ersten Tag der Hauptverhandlung. Zeugenaussagen zufolge tanzt Rebecca an diesem Abend mit einem anderen Mann, Leon D. beschimpft sie daraufhin auf dem Heimweg lautstark und öffentlich.

Nach Ansicht des Gerichts ist es dieser Abend, an dem Leon D. erkennt, dass er die Kontrolle über Rebecca verloren hat und derart in Wut gerät, dass er den Plan fasst, seine Ex-Freundin mit einem Messer zu töten. In diesen Plan habe er auch den Volksfestbesuch am Vorabend der Tat eingeschlossen, der eine Rolle im Schlussvortrag der Verteidigung spielte. Das alles war ja auch in dem Plan zu lesen, den Leon D. in der Woche vor der Tat in seiner Notizen-App verfasst hat. Dass dieser Plan nur ein Gedankenspiel gewesen sei, wie Leon D. über die gesamte Verhandlung hinweg behauptet hatte, sei ohne den Hauch eines Zweifels eine Schutzbehauptung, so die vorsitzende Richterin. Warum habe Leon D. dann mithilfe eines Snaps vorgaukeln sollen, dass er lerne? Warum habe er dann Handschuhe getragen oder Rebeccas Handy durchsucht?

Ein “Motivbündel”, wie es Staatsanwalt Daniel Götz in seinem Schlussvortrag am Dienstag beschrieb, liegt nach Ansicht des Gerichts nicht vor. Alle tatmotivierenden Aspekte speisten sich aus der Quelle des Besitz- und Kontrollanspruchs, den Leon D. über Rebecca S. gehabt habe. Ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben habe er verweigert. Ein derartiges Besitzdenken sei sowohl mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, als auch mit den Werten des deutschen Rechts absolut unvereinbar, betont Richterin Deyerling. Leon D.s Wut habe jeden nachvollziehbaren Grund entbehrt. Er habe die Umstände genau erkannt und in sein Bewusstsein aufgenommen, und das habe ihn wütend gemacht. Er könne diese Gefühlsregungen auch steuern und habe mit der Umsetzung seiner Tat warten können. 

Hauptverhandlung zeichnet Psychogramm des Angeklagten

“Diese Hauptverhandlung hat in den vorausgegangen acht Verhandlungstagen in seltener Klarheit ein Psychogramm des Angeklagten gezeichnet“, sagt die Richterin in ihrer Urteilsbegründung weiterhin. Sie beschreibt eine “fehlentwickelte Persönlichkeit”, die absolut Ich-zentriert sei. Selbst in seiner ergänzenden Einlassung, in der er das Bild, das er von Rebecca gezeichnet hatte, korrigieren wollte, hat Leon davon gesprochen, dass Rebecca ihm gut getan habe. Die Hauptverhandlung habe gezeigt, wie abhängig Leon D. von der Anerkennung und Bewunderung anderer sei und wie fragil sein Selbstwertgefühl sei, so die Einschätzung des Gerichts.

Große Teile der Verantwortung habe er von sich gewiesen und Schuldzuweisungen vor allem gegenüber seiner Mutter  und Rebecca S. gemacht. “Ihm fehlt die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, zur Empathiefähigkeit“, so die Richterin. Die Bedürfnisse anderer nehme Leon nicht wahr. Sowohl Rebecca, als auch seine Freunde habe er als seinen Besitz angesehen und kontrollieren wollen.

Die Verantwortung liegt restlos bei Leon D.

Das Bild, das Leon D. in seiner Aussage von Rebecca S. gezeichnet habe, habe sich im Laufe der Hauptverhandlung als falsch erwiesen. Entgegen seiner Aussage sei völlig auszuschließen, dass Rebecca S. je aggressiv gegen Leon D. gewesen sei. Kein Zeuge und keine Zeugin konnte das im Laufe der Hauptverhandlung bestätigen. Stattdessen sprachen die Zeugen übereinstimmend von Rebecca als einer liebenswürdigen, freundlichen, hilfsbereiten, fürsorglichen und immer wieder als einer lebensfreudigen jungen Frau. Kaum auszuhalten sei, mit welchen Beleidigungen Leon D. Rebecca S. immer wieder bedacht habe, so Richterin Andrea Deyerling. Auch die Suizid-Ankündigungen Leons sieht das Gericht – ebenso wie der forensische Psychiater Dr. Wenske – als Manipulationstechnik.

Rebecca S. habe in keinster Weise zur Tat beigetragen, sie habe Leon D. weder beleidigt, noch sich sonst in irgendeiner Weise falsch verhalten, so die Urteilsbegründung. “Entscheidend ist hier die objektive Betrachtungsweise, und nicht die subjektive Sicht der Dinge von Herrn D.”, fügt die Richterin hinzu. 

Jugendstrafrecht kommt nicht zur Anwendung

Ohne jeden Zweifel habe das Gericht auch entscheiden können, dass bei Leon D. keinerlei Reifeverzögerungen vorlägen und er nach allgemeinem Strafrecht zu verurteilen sei, so die vorsitzende Richterin. Die Gründe, dass er noch zuhause wohne und finanziell von den Eltern abhängig sei, wie sie die Jugendgerichtshilfe und die Verteidigung angebracht haben, seien kein Hinweis auf eine verzögerte Persönlichkeitsentwicklung. Leon D. weise in allen Bereichen eine altersgemäße Entwicklung auf, habe in seiner schulischen und universitären Laufbahn eigenständig agiert und sei Bindungen abseits des Elternhauses eingegangen. So zum Beispiel seine dreijährige Beziehung mit Rebecca S.. Er habe Werte und Normen verinnerlicht. “Müssen ja nicht die von allen anderen sein”, kommentiert die Richterin hier. In der Hauptverhandlung habe er der Jugendkammer die juristische Einschätzung angeboten, seine Tat sei Totschlag und kein Mord. Im Gespräch mit dem sachverständigen Psychiater habe er diesem die Fragen vorweggenommen.

Zu beachten sei für die Jugendkammer allerdings, dass bei einem 19-Jährigen die Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen sei, so Richterin Andrea Deyerling. Die Hoffnung, dass er sich wieder in die Gesellschaft eingliedern könne, bestehe.

Sicherungsverwahrung wird vorbehalten

Ob für Leon D. eine Sicherungsverwahrung angeordnet wird, muss zu gegebener Zeit entschieden werden. Für diese Entscheidung war bedeutsam, ob Leon D. einen Hang zu weiteren Straftaten hat. Dass bei Leon D. eine feste Neigung und kein vorübergehender Zustand besteht, hat der sachverständige Psychiater bestätigt. “Leon D. bleibt ein Beziehungsnarzisst, er kann nur lernen, damit umzugehen“, fasst die Richterin die Einschätzung des Psychiaters zusammen. Demnach sei eine ähnliche Tat vor allem dann wahrscheinlich, wenn sich zukünftige Partnerinnen Leon D. nicht unterordnen. “Wobei man sich fragen muss, wie man noch defensiver sein soll, als Rebecca es war”, merkt die Richterin an. Das Gericht schätzt Leon als für die Allgemeinheit gefährlich ein. Ob es gelingen könne, das zu ändern, sei noch unklar.

Als die Richterin über Leon D.s weiteren Weg spricht, vermeidet er den Blickkontakt mit ihr. “Er muss lernen, die Tat in sein Selbstbild zu integrieren, die Tatdynamik aufarbeiten, Coping Mechanismen erarbeiten und sie verinnerlichen”, sagt sie. Er müsse sich eingestehen, dass er pathologische Anteile habe. Außerdem brauche er vertrauensvolle Ansprechpartner und psychotherapeutische und psychologische Unterstützung. Für eine Vollziehung der Strafe in einer Einrichtung für Gewaltstraftäter bestehe aktuell kein Anlass, da noch unklar sei, ob Leon D. zum jetzigen Zeitpunkt bereit für die Maßnahme der Sozialtherapie für Gewaltstraftäter sei.

Das waren die Schlussplädoyers am Dienstag:

Staatsanwaltschaft forderte eine Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten

Am Dienstag hat das Gericht die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Nebenklage und Leon D.s Verteidiger gehört. Staatsanwalt Daniel Götz forderte eine Haftstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten. Verena Grohs, die die Eltern der getöteten 18-jährigen Ex-Freundin von Leon D. vertritt, beantragte eine lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten. Hilmar Lampert, Leon D.s Verteidiger, plädierte für eine neunjährige Haftstrafe für seinen Mandanten.

Anklage und Nebenklage forderten ein Urteil nach allgemeinem Strafrecht, die Verteidigung beantragte, Leon D. nach Jugendrecht zu verurteilen.