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Historisch
Der Jahrhundert-Winter in Bayreuth: Beamte beim Schneeschippen und Fasching bei -20 Grad
Der ungewöhnlich strenge Winter 1962/63 machte ganz Europa zu schaffen. Fasching feierten die Bayreuther bei -20 Grad Celsius. Das bt blickt zurück.
2021 warnt der DWD für die Region Bayreuth immer wieder vor Schnee, Frost und Glatteis. Ein Grund für bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller, um sich an den Jahrhundertwinter in Bayreuth zu erinnern. Aktuelle Wetterwarnungen gibt es hier im bt-Wetterticker.
Der strengste Winter des 20. Jahrhunderts in Bayreuth
Der ungewöhnlich strenge Winter 1962/63 machte ganz Europa zu schaffen. Er begann schon Mitte November 1962 mit polarer Kaltluft. Es folgte das grimmige Grönlandtief “Horatio”, das bis Anfang März 1963 andauerte. Das Ijsselmeer fror zu, auf dem Wattenmeer schwammen meterhohe Eisberge, Teile der Ostsee und Flüsse in den Niederlanden und Frankreich froren zu und bei Köln konnte man auf dem Rhein spazieren gehen. An der Loreley musste das Eis gesprengt werden, weil die Eisbrecher nicht mehr durchkamen und es kam zu dem seltenen Ereignis, dass der sehr tiefe Bodensee von Januar bis März 1963 komplett zugefroren war. In Deutschland war er mit seiner langen Frostdauer der strengste Winter des 20. Jahrhunderts.
Bayreuther Fasching bei -20 Grad
Im Januar 1963 meldete das “Bayreuther Tagblatt”, dass auch “die Bayreuther Bekanntschaft mit “Horatio” machten, “dem grimmigen Grönlandhoch”, das “wochenlang die Menschheit verfolgte.” Und weiter: “Unter den vielen Leidtragenden waren auch die Gardemädchen der beiden Karnevalsgesellschaften, die ihre blaugefrorenen, altbewährten, oft geschwenkten Faschingsbeine bei -20 Grad Kälte auf dem Marktplatz präsentierten. Dem tiefgekühlten Prinzenpaar händigte Oberbürgermeister Hans Walter Wild die Schlüssel der Stadt aus.”
Landrat und Kreisrat bleiben im Schnee stecken
Ende Januar wurde sogar der ganze Kreisrat samt Landrat Josef Kohut ein Opfer der Witterungsunbill. Nach einer Dienstbesprechung blieben alle auf dem Heimweg mit ihren Fahrzeugen im Schnee stecken. Auch die Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung bekamen den strengen Winter zu spüren. Sie mussten im Februar 1963 ran und räumten freiwillig die verkehrsreichsten Straßen der Innenstadt von Schneemassen.
Das “Bayreuther Tagblatt” berichtete: “Vom Amtmann bis zur Angestellten, vom Arbeiter bis zum Stadtrat war gestern die Stadtverwaltung freiwillig für einen Tag lang auf die Straßen gegangen, um den alten und neuen Schneemassen mit allen verfügbaren Kräften zu Leibe zu rücken.” Diese “Aktion Winterdienst” stand unter der Leitung von Bauamtmann Baumann und Oberbürgermeister Hans Walter Wild lobte die Arbeitsmoral der 85 Freiwilligen mit dem Prädikat “Ausgezeichnet”.
Grönlandhoch fordert Tribut
“Das ist doch einmal etwas Anderes”, freute sich ein Beamter aus dem Hochbauamt, als er gut gelaunt und mit sportlichem Schwung die Schneeschippe durch einen kniehohen Schneeberg schob. Schon vier Wochen vorher hat er sich zusammen mit zahlreichen weiteren Beamten der Stadtverwaltung freiwillig zum Winterdienst gemeldet. Wild startete schon im Januar einen Aufruf für diesen möglichen Einsatz. Schon lange hatte ihm der Krankenstand beim städtischen Bauhof zu denken gegeben. Das Grönlandhoch forderte über zwei Monate einen ununterbrochenen Einsatz, der Bauhofmitarbeiter, was nicht spurlos an der Belegschaft vorbeiging. Im Februar fielen rund 25 Prozent seine Arbeiter aus. “Der Winter geht weiter, die Stadt ertrinkt im Schnee” stellte das Tagblatt fest.
Antreten zum Schippen
Am 14. Februar 1963 war es also so weit. Nach einem erneuten Schneefall in der vergangenen Nacht wurden die Freiwilligen zwei Stunden nach Dienstantritt über das Personalamt verständigt. Rund 40 städtische Bedienstete verließen ihre Schreibtische und traten vor dem Rathaus an. Nachdem der Einsatz wohl doch recht überraschend kam: Leicht beschuht, im weißen Hemd mit Krawatte …
“Der guten Laune Taten”, so das Tagblatt, “machten die nasse Füße jedoch keinen Abbruch. Mit geschulterten Schneeschippen und Schaufeln wurden die Helfer in jeweils fünf Gruppen zu je acht bis zehn Mann eingeteilt und in die verschiedenen Straßenzüge geschickt. Geschippt wurde in der Maxstraße, der Erlanger Straße bis zur Einbindung der Wolfsgasse, der Wolfsgasse selbst, in der Sophienstraße und in der Richard-Wagner-Straße. Diese Straßen wurden von der Stadtpolizei gesperrt, damit es beim Schneeräumen zu keinen Störungen kommt. In der Mittagszeit wurden die freiwilligen Schneeräumer mit einer Brotzeit versorgt.
Stephan Müller
Stephan Müller (54) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.