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Meinung

Krankenschwestern und -pfleger sind keine Helden – es sind Idioten: ein Kommentar

Die Corona-Krise rückt vor allem Pflegekräfte in den Mittelpunkt. Sie werden als Helden gefeiert, aber wie Idioten behandelt. Ein Kommentar von Christoph Wiedemann.

Zwölf Stunden-Schichten, viel zu wenig Personal, unbezahlte Überstunden, Bereitschaft an Feiertagen und Wochenenden und dazu noch ein Hungerlohn. Das ist das Leben des Pflegepersonals in der Corona-Krise. Doch nicht nur während dieser Zeit: Das ist ihr Alltag.

Und plötzlich werden Krankenschwestern, Altenpfleger, Ärzte oder Rettungssanitäter als Helden bezeichnet. Plakate mit „Ihr seid unsere Helden“, Werbespots mit A- bis Z-Promis, die versichern, dass ihnen die Helden in Krankenhäusern und Pflegeheimen so viel bedeuten. Daneben gibt es natürlich auch Politiker, die erklären, dass es ohne diese Berufe ziemlich schwarz aussehen würde. Bei jedem einzelnen dieser Helden-Stilisierung könnte ich kotzen.

Krankenschwester aus Berlin: “Geklatsche sonstwohin stecken”

Eine Krankenschwester aus Berlin schrieb auf Facebook: „Ihr könnt euch euer Geklatsche sonstwohin stecken.“ Ich kann es ihr nicht verdenken. 

Denn sie sind nicht unsere Helden, sie sind die Idioten der Nation: Sie bekommen einen Hungerlohn dafür, im Zentrum der Öffentlichkeit für das Überleben der Menschen in der Coronakrise zu sorgen. Als Belohnung werden sie dafür gefeiert. Eine geniale Idee.

Dazu kommt, dass die Missstände des Gesundheitswesen mit der Heorisierung des Personals schön kaschiert werden können. Keine Schutzausrüstung, viel zu wenig Personal und zu geringe Bettenkapazitäten. Es ist also so, als müsste Cristiano Ronaldo im EM-Finale gegen Deutschland spielen. Alleine. Ohne Fußballschuhe. Dafür mit zwei gebrochenen Beinen.

Arbeitet doch einfach krank weiter

Zur Krönung empfiehlt die Corona-Experten-Institution schlechthin, das Robert Koch-Institut, die Hygienevorschriften für Pflegepersonal zu lockern. Heißt: Ihr habt Kontakt mit Corona-Infizierten? Scheiß drauf, macht weiter. Wir haben ja niemand anderen. 

Die Geste ist von den Allermeisten sicherlich nett gemeint und möchte Anerkennung und Dankbarkeit ausdrücken. Doch Rettungssanitäter, Krankenschwestern oder Altenpfleger haben diese Anerkennung jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde und das an 365 Tagen im Jahr verdient – nicht nur während einer Epidemie.

Keinen Gedanken an bessere Entlohnung verschwenden

Es ist eine Frechheit, dass fast kein Politiker bisher über eine Gehaltserhöhung für diese Berufe gesprochen hat. Und das zeigt, wie weit ein solches Vorhaben entfernt ist. Wie könnte beispielsweise ein Jens Spahn mehr Sympathien sammeln, als zu verkünden: Wir wollen mehr Lohn für Pflegepersonal.

Deshalb sollten alle, die Pfleger als Helden bezeichnen, auch etwas für ihre Helden machen. Geht auf die Straßen und demonstriert für bessere Arbeitsbedingungen – natürlich nach der Corona-Krise. Macht euch selbst zu Helden, für die Menschen, die euer Leben retten.

Bayreuther Tagblatt - Christoph Wiedemann

 bt-Redakteur Online/Multimedia
Christoph Wiedemann