Wirtsgogl-G’schichtla: Auf den Spuren der schwarzen Kunst

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Adrian Roßner, Foto: Privat

Adrian Roßner ist einer der jüngsten Heimatforscher Deutschlands und kommt aus der Region: In unserer bt-Serie “Wirtsgogl-Gschichtla” gibt er uns alle 14 Tage Einblicke ins seinen Fundus:  kuriose Geschichten, unglaubliche Erzählungen und Besonderheiten aus unserer Region. 

In dieser Folge erklärt Adrian Roßner, wo eigentlich unser Aberglaube herkommt! Warum denken wir bei heulende Wind an Geister? Woher kommt die Idee, dass bestimmt Rituale uns beschützen können? Und was hat das alles mit unseren Vorfahren zu tun? Hören Sie hier die aktuellste Geschichte vom Wirtsgogl:

 

“Auf den Spuren der schwarzen Kunst”


Wirtsgogls-Gschichtla #3 zum Anhören


Aberglaube aus der dunklen Jahreszeit

Wenn der Herbst Einzug hält in Fichtelgebirge und Frankenwald, die Bäume ihre Blätter erst in bunten Farben erstrahlen lassen, ehe sie leblos zu Boden sinken und das Nebelgespinst sich, einem Fluss aus reinster Seide gleich, aus den Wäldern wagt, beginnt die Zeit des Jahres, in der der Aberglauben besonders stark um sich greift. Auf die kirchlichen Hochfeste Allerheiligen und Allerseelen folgen mit der Andreasnacht und den berühmt-berüchtigten Rauhnächten die für Sagen und Brauchtum wichtigsten Abschnitte des Zeitenlaufs, dem das alte Jahr zum Opfer fällt, ehe ein neues beginnen kann. Kein Wunder, dass sich viele der überlieferten Riten mit dem Sterben und der Vorhersehung zukünftiger Ereignisse auseinandersetzen. Doch wie entstanden diese, für den modernen Beobachter derart fremd klingenden Sitten, bei deren Erläuterung noch immer der ein oder andere Schauer den Rücken hinabrinnt?

Die menschliche Ur-Angst

Die Antwort auf diese Frage findet sich im Wesen des Aberglaubens, der, anders, als weithin bekannt, nicht etwa Blasphemie und Abgötterei umschreibt, sondern in seinem Innern auf einen der ureigensten Instinkte des Menschen zurückführt: Die Angst. In der zugegebenermaßen recht kurzen Geschichte unseres Geschlechts ist sie eines der wichtigsten Gefühle überhaupt, da sie einst dazu diente, unsere Vorfahren bereit zu machen für die zwei grundlegenden Reflexe, denen man bei einer drohenden Gefahr nachgeben kann: Flucht oder Kampf. Sobald sich eine trügerische Stille einstellte und die umgebende Natur sich scheinbar innerhalb eines kurzen Moments komplett in eine lauernde Anspannung zurückzog, war es die Angst, die dafür verantwortlich zeichnete, sich auf die drohende Gefahr von Raubtieren und anderen lebensbedrohlichen Situationen einzustellen. Jene uns allen eigene „Ur-Angst“ bildet den eigentlichen Kern des Aberglaubens, dessen Deutung als „Irrlehre“ und „Ausdruck des Heidentums“ vor allem durch Martin Luther geprägt worden ist. In ihm nämlich finden sich noch heute Elemente, die ganz klar auf den Instinkt unserer Ahnen zurückführen. Wem haben sich nicht schon einmal die Haare aufgestellt, als er bei einem anfangs gemütlichen Spaziergang plötzlich ein leises Ächzen im nahen Unterholz hörte? Der Schritt von dieser Schutzfunktion des Körpers bis hin zum Aberglauben mit der angegliederten Welt der Dämonen und Geister ist nicht sonderlich weit, was in zwei Dingen begründet liegt.

Warum wir Geister und Dämonen sehen

Zum einen ist es eine bekannte Eigenschaft von Instinkten, dass sie ohne kognitive Abläufe funktionieren, was heißt, dass der Mensch, der Angst empfindet, nicht lange nachdenkt, sondern direkt zu handeln versucht, um der Gefahr zu entgehen. Spitz formuliert, klinkt sich das logisch denkende Gehirn aus der Situation aus und überlässt den rudimentären Reflexen des Körpers, die sich beispielsweise in Freuds „Es“ wiederfinden, das Feld. Sobald jedoch eine abwiegende Deutung der Situation nicht mehr möglich ist, brechen sofort alle möglichen Szenarien über den ängstlichen Menschen herein, denen er nicht Herr zu werden vermag: Aus dem einfachen Knacken eines Astes im dämmrigen Licht des abendlichen Waldes wird somit innerhalb kürzester Zeit eine nicht zu unterschätzende Bedrohung, der man, aufgrund fehlender logischer Erklärungen, sofort alle möglichen Kräfte und Mächte zuspricht. Kein Wunder also, dass sich die Sagen unserer Heimat meist nicht mit Tieren oder anderen realen Objekten befassen, sondern mit Geistern und Dämonen, die hinter jeder Ecke lauern könnten.

Ohne logische Erklärung setzt die Angst ein

Der zweite wichtige Aspekt leitet sich mehr oder weniger direkt aus den eben erwähnten Überlegungen ab. Der Mensch ist, wie manche Psychologen es auszudrücken pflegen, ein „wissenschaftlicher Laie“, der bei allen Vorgängen und Szenarien stets nach den jeweiligen Gründen sucht. In unserer Welt existiert nichts „einfach nur so“, sondern alles muss eine Daseinsberechtigung vorweisen können. Diese Suche nach Ursachen, die man auch „Kausalattribution“ nennt, spiegelt sich stark im Aberglauben wider: Es ist eine Tatsache, dass wir uns am meisten vor eben jenen Feinden fürchten, die wir nicht kennen, über deren Stärken und Schwächen wir nichts wissen und die uns damit als überlegen erscheinen. In einer logischen Folge darauf entwickelten die Menschen bald Erklärungsversuche für die in ihren Augen übernatürlichen Phänomene, wobei allzu oft „höhere Mächte“ eine große Rolle spielen: So wurde beispielsweise aus dem Waldwind, der noch heute mancherorts unheimlich klagend um die Ecken der Häuser pfeift, der Vorbote des bald über die Bewohner hereinbrechenden „Wilden Heeres“. Andere erkannten darin die „Wehklage“, eine Art Geistererscheinung, die den nahenden Tod eines der Hausbewohner ankündigte. Trat daraufhin tatsächlich ein wie auch immer geartetes Unglück ein, wurde dies sofort den vorher erlebten Vorgängen zugesprochen, die daraufhin an Macht gewannen und deren Geschichten man sich als Warnung an zukünftige Generationen weitererzählte.

Die Jagd nach dem Wissen

Diese Jagd des Menschen nach Wissen ist seit alters her ein fester Bestandteil unseres Wesens: Als Adam und Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis aßen, taten sie dies, da ihnen die Schlange versprochen hatte, dass sie dadurch gottgleich würden und Einsicht bekämen in alle Vorgänge des Mysteriums „Welt“. Ähnlich wie die beiden ersten biblischen Menschen, jagte auch Dr. Faust der Erkenntnis hinterher, da er wissen wollte, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ und da die guten Geister ihn als unwürdig erachteten, wandte er sich schließlich der dunklen Macht, Mephistopheles, zu, um begreifen zu können.

Wissen ist Macht, nach deren Erlangung jeder strebt – ob es nun die großen Gelehrten waren, oder die einfache Landbevölkerung Oberfrankens.

Bräuche suggerieren Sicherheit

In den Bereich des Aberglaubens sind schließlich auch die Bräuche einzuordnen, die sich bis heute in mannigfaltiger Ausführung erhalten haben. Es ist, wie bereits beschrieben worden ist, eine Tatsache, dass man sich immer dann besonders fürchtet, wenn die Gefahr besteht, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Bräuche stellen entsprechend nichts weiter dar, als Regeln, die den Menschen Sicherheit suggerieren sollen, wo es eigentlich keine geben kann, indem sie ihnen ein Stück weit Halt zu geben versuchen. So ist für diejenigen, die alle wichtigen Sitten während der anfangs erwähnten Rauhnächte einhalten, vollkommen klar, dass ihnen nun nichts Schlimmes mehr widerfahren kann, da sie ja alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um drohendes Unheil abzuwenden. Ein Ritus, der sich bis heute erhalten hat, ist das Bleigießen zu Sylvester, das die Angst vor der ungewissen Zukunft durch fadenscheinige Formdeutungen nehmen soll.

Es bleibt schließlich allein übrig, sich den Worten Johann Wolfgang von Goethes anzuschließen, der einst sagte: „Der Aberglauben gehört zum Wesen des Menschen und flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn man sich einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt.“