Zuletzt aktualisiert am
Der Klang von Geschichten:
Warum wir nie aufhören zu hören und zu lesen
Schon als kleine Kinder saßen wir gebannt an den Knien der Großeltern, lauschten atemlos einer Erzählung, mal von Fabelwesen, mal von Abenteuern, mal von verzweifelter Liebe. Dieses primitive Verlangen nach Geschichten – das Verbinden von Gehörtem, Erlebtem und Imaginärem – liegt tief in uns. Wenn wir erwachsen sind, verändert sich die Form: Wir greifen zu Romanen, Hörbüchern, Thrillern, Liebesgeschichten, historischen Erzählungen. Doch im Kern bleibt derselbe Hunger: die Sehnsucht nach Tiefe, nach Wahrheit – und nach Ergriffenheit. Ein Verlag, der diesen Hunger stillen will, riskiert sich selbst zu verlieren – wenn er nicht mit Leidenschaft geführt wird. Der Ronin Hörverlag gehört in diese Verlagskategorie: ein unabhängiger Klangkörper, der Geschichten atmen lässt, ihnen Raum gibt und sie mit Sorgfalt vertont. Seit seiner Gründung 2012 mit Sitz in Erlangen hat er sich konsequent für das Genreprogramm entschieden: Fantasy, Thriller, Science Fiction, Dystopie, Krimi. Doch man merkt: Bei Ronin wird nicht nur publiziert. Hier wird gelebt. Texte werden ausgewählt, Stimmen akribisch besetzt, Klangräume gestaltet – mit dem Ziel, die Erzählung in den Hörer zu tragen, nicht nur den Text. Bei Kein Hauch von Wahrheit, The German Daughter und Firefight liegen solche Klangräume offen – und sie fordern heraus, sie begleiten uns in dunkle Gedanken und unerwartete Gefühlslandschaften.
Kein Hauch von Wahrheit – im Nebel zwischen Lüge und Erinnerung
Lisa Jewells psychologischer Thriller Kein Hauch von Wahrheit (Original: None of This is True) ist kein simpler Spannungsroman. Er ist ein Spiegel, der uns peinlich genau vor Augen hält, wie brüchig die Grenze zwischen Realität und Fiktion sein kann. In der deutschen Fassung liest Laura Maire – und ihre Stimme wird zu einem Katalysator, der Unsicherheit, Zweifel und steigende Beklemmung direkt ans Ohr bringt. Die Geschichte entwirft zwei Frauen – Alix, die Podcasterin, und Josie, deren Geschichte sie erzählen soll. Stück um Stück verliert der Hörer den festen Boden: Wer lügt? Wer manipuliert? Wo endet Täuschung, wo beginnt Bedrohung? In diesem Schwebezustand entfaltet Ronin seinen klanglichen Zauber: kein übertriebener Sound, keine Effekthascherei, sondern ein redigierter, präziser Vortrag, der das Prickeln im Nacken erzeugt. In jeder Stille, in jedem Atemzug hört man: Hier hat ein Verlag mit Gewissen gearbeitet. Kein übertriebenes Narrativ, sondern eine Konzentration aufs Wesentliche. Die Geschichte spricht – und der Hörer ist gezwungen zuzuhören.
The German Daughter – doppeltes Erbe, doppelte Schuld, geteilte Identität
Mit The German Daughter bewegt sich Ronin in historisch-emotionalem Terrain. Der Roman von Marius Gabriel spielt in zwei Zeitebenen – 1940 in Norwegen und 1968 in England – und erzählt von Liebe, Verrat und einem Geheimnis, das stärker ist als jede Identität. Liv, eine junge Frau, wird vom Nationalsozialismus verführt. Jahre später stellt Agnes, die sie einst adoptiert wurde, ihr Leben in Frage, entdeckt, dass sie nicht ist, wer sie glaubte zu sein. Die Erzählung spricht von Schuld und menschlichem Überleben, von Propaganda und persönlichem Widerstand. In der deutschen Hörbuchfassung spricht Cathlen Gawlich die Stimme beider Frauen – eine Wahl, die die Verflechtung von Schuld und Unschuld akustisch spürbar macht. Hier gelingt Ronin eine Gratwanderung: Das historische Gewicht bleibt spürbar, ohne je in Schulmeistertum umzuschlagen. Das Erbe der Gewalt wird hörbar und zwar enorm tief. Wenn man zuhört, hört man die Lieder des Krieges, das Zittern von Loyalität, die Frage danach: Was bleibt, wenn die Lügen fallen?
Firefight – Tesseract 12: Der Schatten eines Killers, die Last der Schuld
Und dann der Kontrapunkt: Firefight – Feuergefecht (Tesseract 12) ist ein kompromissloser Actionthriller. Victor, ein Auftragskiller, bekommt einen brutalen Auftrag – doch als er erkennt, wer sein Ziel ist, gerät alles außer Kontrolle. Bedrohung, Verrat, Selbstzerstörung – alles in einem tödlichen Tanz. Ronin setzt auch hier nicht auf überbordenden Bombast, sondern auf Präzision: Spannung wird über Tempo und Atmosphäre erzeugt. Der Verlag liefert nicht nur das Manuskript, sondern eine akustische Inszenierung, die sich dem Hörer wie ein Messer in die Atmosphäre fährt. Was diesen Band besonders macht: Er markiert den zwölften Teil der Tesseract-Reihe – und dennoch hört man, dass hier Passion brennt. Ein zwölfter Teil, ja – aber kein müder Abklatsch, sondern eine Fortführung mit Wucht und klarem Ziel.
Leidenschaft als Prinzip – und die Verlagsphilosophie dahinter
Was all diese Werke verbindet, ist nicht ein Genre, sondern eine Haltung. Bei Ronin geschieht nichts beiläufig. Der Gründer Stanley Schäfer hat den Verlag mit dem Anspruch gegründet, hörbare Qualität in Genres zu wagen, die von großen Häusern gelegentlich vernachlässigt werden. Ein Verlag, der 30 neue Produktionen pro Jahr veröffentlicht und dennoch jeden Titel mit Sorgfalt begleitet, beweist: Leidenschaft kann kein Luxus sein – sondern Muss. Wenn man sich mit der Hörbuchbranche beschäftigt, weiß man: Oft sind es Kompromisse, Reduktionen, Sparmaßnahmen, die den Klang verwässern. Ronin aber setzt auf klare Kanten: auf Reduktion nach innen, Intensivierung nach außen. Stimmen werden streng gewählt, Sounddesign dort eingesetzt, wo es dem Erzählen dient, nie der Show.
Von der Kindheit zur Erwachsenenliebe: Unser instinktiver Drang nach Geschichten
Warum hören wir? Warum lesen wir? Manche Theoretiker sagen: Wir brauchen Modelle für das Leben, Figuren, mit denen wir uns identifizieren oder gegen die wir uns abgrenzen. Ich glaube: Es reicht, wenn wir uns berühren lassen – wenn eine Stimme uns unbewusst eine Erzählung in den Knochen schickt. Wenn wir Kinder sind, lauschen wir den Geschichten in der Nacht, den Märchen unter der Decke. Später lesen wir Kafka, Jane Austen, Ken Follett oder Suzanne Collins – Thrillers, Romane, historische Epen. Der Trieb, Geschichten aufzunehmen, bleibt. Ein guter Verlag hört darauf – und lässt uns mit erhöhter Sensibilität hören, nicht nur konsumieren. Ronin ist so ein Verlag. Er lädt uns nicht ein, sondern zwingt uns in Aufmerksamkeit. Kein Hauch von Wahrheit zwingt uns ins Vertrauen – und bricht es. The German Daughter zwingt uns, unser eigenes Erbe zu fragen. Firefight zwingt uns in den Adrenalinstrom, mit Victor zu leiden, zu zweifeln, zu überleben.
Ausblick und Wert für die literarische Landschaft
In einer Zeit, in der viele Verlage sich auf Bestsellerformeln verlassen oder Genres standardisieren, ist Ronin eine Insel der Widersprüche – aber eine notwendige. Es ist ein Verlag, der sich traut, nicht nur die großen Namen zu vertonen, sondern auch das akustische Experiment zu wagen: neue Stimmen, ungewöhnliche Stoffe, mutige Entscheidungen. Diese drei Titel sind Stellvertreter eines Programms, das Genrevielfalt nicht als Marketing-Slogan betreibt, sondern als Grundüberzeugung. Ein Verlag, bei dem Geschichten mehr sind als Ware – sondern Klang, Innenleben, Erregung. Und das ist das, was wir hören wollen. Wenn Sie morgen auf der Suche nach einem Hörbuch sind, das Sie nicht nur unterhält, sondern innerlich bewegt – hören Sie auf Ronin.
Mehr Infos: Shop – Ronin Hörverlag
Zum Autor
Christian Schwert ist Inhaber einer Beratungs- und Mediaagentur sowie Autor/Journalist für verschiedene Medien im Lifestyle- und Kulinarik-Segment.
Die Begegnungen und der Austausch/Vernetzungen mit Menschen steht für ihn immer im Vordergrund seiner Tätigkeiten. Seit über 25 Jahren ist er im Medienbereich tätig und gut vernetzt, was seinen Lesern:innen viele Insider/Geheim-Tipps ermöglicht.






Symbolfoto: pixabay
Henry Schramm und Alexander Herrmann teilen das oberfränkische Wort des Jahres in derselben mit: Rowern ©Bezirk Oberfranken