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Schubertiade 2025 in Hohenems
Klassik, Käsknöpfle und ein Hauch Postmoderne
Schon die Anreise wirkt wie ein filmischer Auftakt. Unten im Rheintal ziehen kleine Dörfer vorbei, darüber leuchten die Hügel des Bregenzerwalds. In der Ferne glimmt ein Turm aus Glas – das Four Points by Sheraton, futuristisch im Abendlicht, ein stilles Versprechen auf Komfort und Aussicht. Mit jedem Kilometer wächst die Vorfreude. Die klare Bergluft, ein erster Stern über dem Tal, das ferne Läuten einer Kuhglocke – alles scheint Teil einer Ouvertüre, deren Melodie man noch nicht kennt.
Futurismus mit Alpenblick
Im elften Stock des Dornbirner Hotels öffnet sich der Blick weit über das Rheintal bis zu den gezackten Gipfeln der Vorarlberger Alpen. Die Lobby – kühl, fast museal – wirkt wie ein stilles Gegenstück zur Herzlichkeit des Personals. Oben im Zimmer dann der filmreife Moment: Panoramafenster, ein großes, weiches Bett und draußen das Lichtermeer. Dieses „UFO der Hotellerie“ könnte mühelos als Basecamp der kommenden Tage dienen – ein Ort zwischen Rückzug und Aussicht, zwischen Klassik und Gegenwart. In Hohenems selbst ist der Dresscode fließend: Jeans oder Jackett, Perlen oder Pullover – alles erlaubt, solange man mit offenem Herzen hört.
Panoramafrühstück und Käsekultur
Der Morgen beginnt mit einem Blick auf den Karren, den Dornbirner Hausberg. Spontan fällt die Entscheidung: Frühstück mit Aussicht. In der Seilbahn summt eine Gruppe junger Chorsänger einen Kanon – wie ein leises Präludium zum Tag. Oben breitet sich ein 360-Grad-Panorama aus: im Osten der Bodensee, im Süden die Schweizer Alpen. Im Panoramarestaurant dampfen goldgelbe Käsknöpfle, der Bergkäse schmilzt sanft, während der Milchkaffee duftet. Ein Frühstück, das nach Ankommen schmeckt. Danach: die Rappenlochschlucht. Wasser rauscht über moosbewachsene Felsen, Sonnenflecken tanzen auf dem Bach, der Weg windet sich zwischen Licht und Schatten. Mal wild, mal still. Ein Zwischenakt der Natur – bevor die Musik übernimmt.
Licht und Schatten – die Liederabende
Donnerstagabend, Markus Sittikus Saal, Hohenems. Der erste Liederabend beginnt mit gespannter Erwartung. Das Publikum ist kultiviert, erfahren, konzentriert. Als Bariton Samuel Hasselhorn und Pianist Ammiel Bushakevitz die Bühne betreten, wird es still. Die Akustik: legendär. Gespielt wird auf einem Steinway & Sons-Konzertflügel, dessen Klang den Raum füllt und zugleich auflädt. Die Musik ist intensiv, stellenweise düster – „Der blinde Knabe“ berührt besonders. Nach 90 Minuten endet das Konzert mit Standing Ovations und einer Mahler-Zugabe, die das Publikum zugleich bewegt und herausfordert. Zwei Tage später: gleiche Bühne, neue Stimmung. Julian Prégardien (Tenor) und Malcolm Martineau (Klavier) bringen Leichtigkeit und Klarheit. Die Texte leuchten, die Töne schwingen frei. „Jetzt bin ich drin – jetzt berührt es mich“, notiert eine Besucherin in ihr Programmheft. Am Ende: ehrlicher Applaus, keine Pflichthöflichkeit. Musik, die wirklich ankommt.
Großes Finale mit dem Quatuor Ébène
Samstagabend, 20 Uhr. Das Kammerkonzert des Quatuor Ébène – ein elektrischer Moment. Der erste Ton von Beethoven trifft wie ein Funke. Die vier Musiker kommunizieren mit Blicken, Bewegungen, Atemzügen. In den leisesten Passagen herrscht fast sakrale Stille, im Forte knistert die Luft. Die Bratschistin zieht Blicke auf sich: leidenschaftlich, körperlich präsent, ein Ausdruck purer Hingabe. Für manche zu viel, für andere genau richtig – Gesprächsthema später an der Bar. Im zweiten Teil begegnen Debussy und Brahms derselben Intensität: technisches Können, feine Abstimmung, Spielfreude pur. Und mittendrin eine stille Institution: Reihe fünf, Dutt, Wolljacke, Opernglas – nennen wir sie „Madame Mottenkugel“. Sie wippt mit geschlossenen Augen, als kenne sie Schubert persönlich. Stammgast, Chronistin, Herz des Publikums.
Zwischen Klassik-Klischee und Popkultur
Was bleibt von Hohenems? Ein Festival, das auf Verzicht setzt – keine Effekte, kein Festivalzirkus, kein Lärm. Nur Musik. In ihrer reinsten Form. Und doch: 2025 fühlt sich anders an. Besucher posten vom Bergfrühstück, teilen Clips aus der Rappenlochschlucht, diskutieren abends beim Gin Tonic in der Hotelbar über musikalische Aha-Momente. Klassik trifft Alltag, Kunst fließt in die Timeline. Vielleicht ist genau das die postmoderne Schubertiade: Wenn Beethoven live erklingt – und später ein Meme über Bratschistinnen kursiert. Wenn Madame Mottenkugel jeden Takt mitwippt, als sei das ihr persönliches DJ-Set. Wenn jemand beim Heimweg durchs Dorf leise summt, ohne es zu merken. Am Sonntag, auf der Rückfahrt, läuft im Radio Schuberts Forellenquintett. Der Bodensee glitzert im Rückspiegel. Ein leises Lächeln bleibt – als Nachklang, der nicht enden will. Mehr Infos: Schubertiade – Home
Zum Autor
Christian Schwert ist Inhaber einer Beratungs- und Mediaagentur sowie Autor/Journalist für verschiedene Medien im Lifestyle- und Kulinarik-Segment.
Die Begegnungen und der Austausch/Vernetzungen mit Menschen steht für ihn immer im Vordergrund seiner Tätigkeiten. Seit über 25 Jahren ist er im Medienbereich tätig und gut vernetzt, was seinen Lesern:innen viele Insider/Geheim-Tipps ermöglicht.













Beide Fahrzeuge waren nicht mehr fahrbereit und mussten abgeschleppt werden. © PI Kulmbach
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