Vor 50 Jahren: Warum Bayreuth Universitätsstadt wurde
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Genau heute vor 50 Jahren, am 21. Oktober 1969, wird Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt. Sein Wahlkampf führte Brandt kurz vor dem Gang an die Wahlurnen auch nach Bayreuth. An diesem Tag forderte Oberbürgermeister Hans-Walter Wild eine eigene Universität für Bayreuth.
Und so wurde auch die Uni Bayreuth im September 50 Jahre alt. Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück auf den Tag, an dem in Bayreuth zum ersten Mal von einer eigenen Uni die Rede war.
Erst herrschte Stille. Dann ging ein leises Raunen durch die Menge. Was hat er da eben zu Willy Brandt gesagt? Jetzt übertreibt er aber! Weit über 4.000 Bayreuther waren an diesem Freitag, dem 19. September 1969, zum Luitpoldplatz gekommen um den Kanzlerkandidaten der SPD zu hören. Die Spannung war förmlich mit Händen zu greifen. Nur noch neun Tage waren es bis zum Gang an die Wahlurne. Würde Kurt Georg Kiesinger von der CDU Bundeskanzler bleiben oder wird “sein” Außenminister, der SPD-Politiker Willy Brandt, neuer Chef der Bundesregierung? Je näher die Bundestagswahl rückte, desto mehr nahmen die Differenzen zwischen den Partnern der großen Koalition zu. Größer konnte die Polarisierung, die bundesweit zu einer Wahlbeteiligung von 86,78 Prozent führen sollte, kaum sein.
Wahlkampf in Bayreuth
In seinem Wahlkampf kam Willy Brandt auch nach Bayreuth. Eine große Bühne für Hans-Walter Wild! Der Bayreuther Oberbürgermeister begrüßte „seinen Freund” Willy Brandt, lobte dessen Arbeit in der Bundesregierung, kam aber dann sehr schnell auf die lokalen Probleme zu sprechen.
Das Gebiet Nordostbayern erlebt nach den Jahren des Wiederaufbaues und der Anpassung an die schicksalhafte Grenzziehung zur DDR und CSSR hin eine Phase wirtschaftlicher Stagnation mit starken Abwanderungstendenzen.
(Hans-Walter Wild, Oberbürgermeister)
Mit großer Besorgnis wies er auf die negativen Prognosen hin und stellte fest, dass es sofortiger, neuer Impulse zu einer wirksamen Strukturverbesserung bedürfe:
Wir fordern, dass geprüft wird, inwieweit bei der Errichtung neuer Landes-Universitäten auch die Stadt Bayreuth als Standort einer Grenzland-Universität in Frage kommt.
(Hans-Walter Wild, Oberbürgermeister)
Mit einer gezielt gesetzten Pause ließ er seinen Satz wirken. Ja, er hatte soeben für seine 64.000-Einwohner-Stadt eine Universität gefordert.
Ein Beamter ist gefragt
Nun begann die Arbeit von Hans Eschlwöch, der als Rechtsdirektor jahrzehntelang eine Schlüsselfigur im Bayreuther Rathaus war. Wild hatte Eschlwöch stets als seinen Lehrmeister und als Praktiker bezeichnet, der nicht ständig über bürokratische Zwirnsfäden stolpert. Nun forderte der Oberbürgermeister seinen „ersten Beamten” auf, seine Forderung auch auf dem Verwaltungswege in die richtigen Bahnen zu lenken – frei nach dem Motto: „Jetzt hab ich es gesagt, jetzt wird es auch gemacht.”
Der Auftrag verursachte bei Hans Eschlwöch zunächst einmal Stirnrunzeln. Wie war die Sachlage? Die Entscheidung für eine neue Landes-Universität lag in München. Bei der Bundestagswahl am 28. September 1969 wurde Willy Brandt tatsächlich zum Bundeskanzler gewählt. Die Laune des jüngst abgewählten bisherigen Finanzministers Franz-Josef Strauß war ziemlich schlecht. Wie würde wohl der CSU-Vorsitzende und Chef der Bonner CSU-Landesgruppe in München auf das Vorhaben des Bayreuther SPD-Oberbürgermeisters reagieren?
Bayreuther bleiben gelassen
In seiner Glosse „Lektion über die Bayreuther“ schrieb Erich Rappl, langjähriger Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts, im Jahr 1970:
Neuerdings träumt man davon, der Wagnerstadt einen weiteren zusätzlichen Glanz zu verschaffen: Bayreuth soll Universitätsstadt werden. Dass die Initiative dazu von Neubürgern, insbesondere von dem aus Würzburg stammenden, eminent rührigen Oberbürgermeister Hans Walter Wild ausgeht, liegt auf der Hand. Die Altbürger sehen auch dieser Entwicklung mit Gelassenheit entgegen. Doch werden sie, wenn es eines Tages so weit sein sollte, der Universität ganz ohne Zweifel wohlwollend Beifall klatschen. Und sie werden die neue, zusätzliche Würde ihrem Selbstbewusstsein ebenso einverleiben, wie sie das Ehrendiplom der Festspielstadt annektierten – und wenn sie gelegentlich darüber murren, protzeln, stöhnen und meckern. Denn das Stöhnen, Meckern und Klagen ist in Bayreuth ein Ausdruck allgemeinen Wohlbehagens, des Einverständnisses mit sich selber.
(Erich Rappl, Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts)
Ein Fackelzug geht durch die Stadt
Die Entscheidung für die Errichtung der Universität Bayreuth fiel am 14. Dezember 1971. Der Bayerische Landtag ab grünes Licht für die Universität Bayreuth, die im Endausbau über 9.000 Studierende aufnehmen sollte. Die Nachricht verbreitet sich in Windeseile. Aus Freude darüber formierte sich ein spontaner Fackelzug durch die Innenstadt. Erich Rappl beschrieb die Szenerie wie folgt:
Der gut und gerne tausend Meter lange Lichterbandwurm legte für eine halbe Stunde den Verkehr in der Innenstadt lahm. Doch gab’s diesmal kein Protestgehupe. Die Fahrer, deren Autos vor den Ampeln Schlange standen und die vielen, die sich das wandernde Lichterfest vom Gehsteig aus ansahen, wussten, worum es ging. Und wenn sie auch nicht jubelten oder applaudierten – was nun einmal nicht Bayreuther Art ist – so bezeugte doch mancherlei Grüßen und Winken eine Mitfreude, ganz besonders mit dem rechten Flügelmann an der Spitze des Zugs, der über zwei Jahre lange mit beispielloser Zähigkeit und äußerstem persönlichem Einsatz um den Erfolg dieses Tages gekämpft hatte: Hans Walter Wild.
(Erich Rappl, Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts)
In seiner Autobiographie “Denk ich an damals” erinnert sich Hans Walter Wild an diese Entscheidung:
Es war die wahrscheinlich bedeutendste stadtgeschichtliche Entscheidung im 20. Jahrhundert, die nur mit der Verlegung des markgräflichen Hofes nach Bayreuth und der Gründung der Richard-Wagner-Festspiele vergleichbar ist.
(Hans Walter Wild, Oberbürgermeister)
Text: Stephan Müller
Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.
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