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Vor 50 Jahren: Warum Bayreuth Universitätsstadt wurde

Genau heute vor 50 Jahren, am 21. Oktober 1969, wird Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt. Sein Wahlkampf führte Brandt kurz vor dem Gang an die Wahlurnen auch nach Bayreuth. An diesem Tag forderte Oberbürgermeister Hans-Walter Wild eine eigene Universität für Bayreuth.

Und so wurde auch die Uni Bayreuth im September 50 Jahre alt. Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück auf den Tag, an dem in Bayreuth zum ersten Mal von einer eigenen Uni die Rede war.


Erst herrschte Stille. Dann ging ein leises Raunen durch die Menge. Was hat er da eben zu Willy Brandt gesagt? Jetzt übertreibt er aber! Weit über 4.000 Bayreuther waren an diesem Freitag, dem 19. September 1969, zum Luitpoldplatz gekommen um den Kanzlerkandidaten der SPD zu hören. Die Spannung war förmlich mit Händen zu greifen. Nur noch neun Tage waren es bis zum Gang an die Wahlurne. Würde Kurt Georg Kiesinger von der CDU Bundeskanzler bleiben oder wird “sein” Außenminister, der SPD-Politiker Willy Brandt, neuer Chef der Bundesregierung? Je näher die Bundestagswahl rückte, desto mehr nahmen die Differenzen zwischen den Partnern der großen Koalition zu. Größer konnte die Polarisierung, die bundesweit zu einer Wahlbeteiligung von 86,78 Prozent führen sollte, kaum sein.

Im Cabrio fährt Willy Brandt über die Maxstraße. Archivfoto: Stiftung Bernd Mayer

Wahlkampf in Bayreuth

In seinem Wahlkampf kam Willy Brandt auch nach Bayreuth. Eine große Bühne für Hans-Walter Wild! Der Bayreuther Oberbürgermeister begrüßte „seinen Freund” Willy Brandt, lobte dessen Arbeit in der Bundesregierung, kam aber dann sehr schnell auf die lokalen Probleme zu sprechen.

Das Gebiet Nordostbayern erlebt nach den Jahren des Wiederaufbaues und der Anpassung an die schicksalhafte Grenzziehung zur DDR und CSSR hin eine Phase wirtschaftlicher Stagnation mit starken Abwanderungstendenzen.

(Hans-Walter Wild, Oberbürgermeister)

Mit großer Besorgnis wies er auf die negativen Prognosen hin und stellte fest, dass es sofortiger, neuer Impulse zu einer wirksamen Strukturverbesserung bedürfe:

Wir fordern, dass geprüft wird, inwieweit bei der Errichtung neuer Landes-Universitäten auch die Stadt Bayreuth als Standort einer Grenzland-Universität in Frage kommt.

(Hans-Walter Wild, Oberbürgermeister)

Mit einer gezielt gesetzten Pause ließ er seinen Satz wirken. Ja, er hatte soeben für seine 64.000-Einwohner-Stadt eine Universität gefordert.

Bei Willy Brandts Wahlkampfveranstaltung am Bayreuther Luitpoldplatz fordert Oberbürgermeister Hans-Walter Wild am 19. September 1969 die Errichtung einer “Grenzlanduniversität” in Bayreuth. Archivfoto: Stiftung Bernd Mayer

Ein Beamter ist gefragt

Nun begann die Arbeit von Hans Eschlwöch, der als Rechtsdirektor jahrzehntelang eine Schlüsselfigur im Bayreuther Rathaus war. Wild hatte Eschlwöch stets als seinen Lehrmeister und als Praktiker bezeichnet, der nicht ständig über bürokratische Zwirnsfäden stolpert. Nun forderte der Oberbürgermeister seinen „ersten Beamten” auf, seine Forderung auch auf dem Verwaltungswege in die richtigen Bahnen zu lenken – frei nach dem Motto: „Jetzt hab ich es gesagt, jetzt wird es auch gemacht.”

Der Auftrag verursachte bei Hans Eschlwöch zunächst einmal Stirnrunzeln. Wie war die Sachlage? Die Entscheidung für eine neue Landes-Universität lag in München. Bei der Bundestagswahl am 28. September 1969 wurde Willy Brandt tatsächlich zum Bundeskanzler gewählt. Die Laune des jüngst abgewählten bisherigen Finanzministers Franz-Josef Strauß war ziemlich schlecht. Wie würde wohl der CSU-Vorsitzende und Chef der Bonner CSU-Landesgruppe in München auf das Vorhaben des Bayreuther SPD-Oberbürgermeisters reagieren?

Am 25. November 1969 übergibt Oberbürgermeister Hans Walter Wild dem bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Alfons Goppel und seinem Kultusminister Dr. Ludwig Huber die “Universitätsgedenkschrift” des Stadtrates Bayreuth. Archivfoto: Stiftung Bernd Mayer

Bayreuther bleiben gelassen

In seiner Glosse „Lektion über die Bayreuther“ schrieb Erich Rappl, langjähriger Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts, im Jahr 1970:

Neuerdings träumt man davon, der Wagnerstadt einen weiteren zusätzlichen Glanz zu verschaffen: Bayreuth soll Universitätsstadt werden. Dass die Initiative dazu von Neubürgern, insbesondere von dem aus Würzburg stammenden, eminent rührigen Oberbürgermeister Hans Walter Wild ausgeht, liegt auf der Hand. Die Altbürger sehen auch dieser Entwicklung mit Gelassenheit entgegen. Doch werden sie, wenn es eines Tages so weit sein sollte, der Universität ganz ohne Zweifel wohlwollend Beifall klatschen. Und sie werden die neue, zusätzliche Würde ihrem Selbstbewusstsein ebenso einverleiben, wie sie das Ehrendiplom der Festspielstadt annektierten – und wenn sie gelegentlich darüber murren, protzeln, stöhnen und meckern. Denn das Stöhnen, Meckern und Klagen ist in Bayreuth ein Ausdruck allgemeinen Wohlbehagens, des Einverständnisses mit sich selber.

(Erich Rappl, Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts)

Archivfoto: Stiftung Bernd Mayer

Ein Fackelzug geht durch die Stadt

Die Entscheidung für die Errichtung der Universität Bayreuth fiel am 14. Dezember 1971. Der Bayerische Landtag ab grünes Licht für die Universität Bayreuth, die im Endausbau über 9.000 Studierende aufnehmen sollte. Die Nachricht verbreitet sich in Windeseile. Aus Freude darüber formierte sich ein spontaner Fackelzug durch die Innenstadt. Erich Rappl beschrieb die Szenerie wie folgt:

Der gut und gerne tausend Meter lange Lichterbandwurm legte für eine halbe Stunde den Verkehr in der Innenstadt lahm. Doch gab’s diesmal kein Protestgehupe. Die Fahrer, deren Autos vor den Ampeln Schlange standen und die vielen, die sich das wandernde Lichterfest vom Gehsteig aus ansahen, wussten, worum es ging. Und wenn sie auch nicht jubelten oder applaudierten – was nun einmal nicht Bayreuther Art ist – so bezeugte doch mancherlei Grüßen und Winken eine Mitfreude, ganz besonders mit dem rechten Flügelmann an der Spitze des Zugs, der über zwei Jahre lange mit beispielloser Zähigkeit und äußerstem persönlichem Einsatz um den Erfolg dieses Tages gekämpft hatte: Hans Walter Wild.

(Erich Rappl, Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts)

In seiner Autobiographie “Denk ich an damals” erinnert sich Hans Walter Wild an diese Entscheidung:

Es war die wahrscheinlich bedeutendste stadtgeschichtliche Entscheidung im 20. Jahrhundert, die nur mit der Verlegung des markgräflichen Hofes nach Bayreuth und der Gründung der Richard-Wagner-Festspiele vergleichbar ist.

(Hans Walter Wild, Oberbürgermeister)


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

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Wie eine Glocke: Was von der Bayreuther Stadtmauer noch übrig ist

Zugegeben: Mit der vollständigen erhaltenen Stadtmauer in Nördlingen oder den mittelalterlichen Wehranlagen in Rothenburg ob der Tauber kann die Bayreuther Stadtmauer nicht mithalten. Dennoch wären so manche Städte stolz darauf, wenn sie behaupten könnten, dass heute noch zwei Drittel der historischen Wehranlage erhalten sind. Von einem kreisrunden Mauer-“Ring” kann man in Bayreuth nicht sprechen. Der Mauerverlauf ähnelt in seiner an die Landschaft angepassten Form eher an eine Glocke. Die Wehranlage um die Stadt Bayreuth wurde um das Jahr 1300 errichtet und in den Jahren 1448, 1457 und 1660 verstärkt. Hobby-Historiker Stephan Müller hat sich die Stadtmauer genauer angesehen.


Foto: Stephan Müller

Ein Graben vor der Mauer

Ob der davor gelagerte Graben mit Wasser – möglicherweise vom Roten Main und dem Sendelbach – gespeist wurde, lässt sich heute nur noch vermuten. Dass es diese Gräben gab, beweisen der ehemalige Straßenname “Am Graben” und eindrucksvoll der Garten des Hauses Friedrichstraße 5. Ein Blick hinter das Sterbehaus von Jean Paul verdeutlicht den deutlichen Höhenunterschied, der zwischen der Straße und dem Graben bestand.

Mauer an der Opernstraße vor Errichtung des Wittelsbacher Brunnens 1914. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Neben dem Mühltürlein und dem “Schanztor” neben dem Alten Schloss (Schloßberglein), die nur für Fußgänger zugänglich waren, gab es mit dem Oberen Tor und dem Unteren Tor nur zwei große Tore, die im Rahmen einer markgräflichen “Stadtverschönerung” im Jahr 1752 abgerissen wurden.

Das waren die Tore der Stadt

Markgraf Friedrich vergrößerte die Stadt, in dem er neue Tore errichten ließ, die allerdings nur Kontroll- und Zollfunktionen hatten. Gedenktafeln an der Badstraße 30 (Ziegelgässer Tor) und an der Richard-Wagner-Straße 34 (Eremitager Tor) erinnern an den erweiterten Stadtkern. Darüber hinaus gab es unter anderem das Brandenburger Tor, das Erlanger Tor (Erlanger Straße), das Moritzhöfener Tor (an der heutigen Jean-Paul-Straße beim “Gänsehügel”) sowie das Röthgasser Türlein, das aber möglicherweise mit dem ebenfalls erwähnten Cottenbacher Tor (etwa am Güterbahnhof) identisch ist.

Das Obere Tor führte im Mittelalter vom Markt zum heutigen Sternplatz. Es bestand aus einem inneren und einem äußeren Tor, zwischen denen es mehrere kleine Gebäude gab, die als Läden und Werkstätten benutzt wurden. Der innere Torteil der Wehranlage stand zwischen dem Schloss und der Schmiedgasse (Kanzleistraße) und wird als ein viereckiges mit Schiefer gedecktes Gebäude mit Flügeltüren beschrieben. Erwähnt wurden auch ein “Fallgatter” und “Palisaden”. Es wurde 1736 auf Befehl von Markgraf Friedrich abgetragen.

Einiges lässt sich nur noch aus alten Chroniken, Skizzen und Stadt-Stichen erahnen: Die Lage der ehemaligen Tore, die Türme, der Schwertelturm, der Teufelsturm “mit je zwei Hackenbüchsen und einer Büchse im Gerüst”, der ehemalige Pfeilturm bei der Stadtkirche “mit Armbrüsten, Pfeilen, Böcken und Bänken gefüllt”, der Pulver- oder Gefängnisturm und die ebenfalls durch einen Turm gekrönte Wächterwohnung am Mühltürlein. Von den ehemals sechs Wehrbefestigungen ist nur noch eine, der Diebsturm hinter der von-Römer-Straße (Zugang neben dem Café Händel in der Dammallee), erhalten.

Das Untere Tor stand in der heutigen unteren Fußgängerzone und war mit einer gewölbten und einer “Schlagbrücke” versehen. Daneben standen ein “Wacht- und Schützenhaus” sowie der “Pulver- und Gefängnisturm”. Hinter dem Wohnhaus der Wagner-Freundin Malwida von Meysenburg (Gedenktafel an der Ecke Dammallee/Dammwäldchen) stand der starke “Teufelsturm”. Auf dem Stadtbild des Küffnerschen Epitaphs von 1615 (in der Stadtkirche) ist er als klobiger Eckpfeiler der Stadtmauer zu erkennen.

Das Gemälde auf dem Küffner‘schen  Epitaph von 1615 zeigt die zerstörte Stadtkirche (Stadtbrand 1605). Es ist aber noch das Rathaus (zerstört beim Stadtbrand 1621) zu sehen. Unmittelbar vor dem Schlossturm sieht man bereits ein Haus, dass auf die Stadtmauer gebaut wurde. Am ganz rechten Rand erkennt man den Teufelsturm.

Was von damals noch erhalten ist

Erhalten sind noch der viereckige “Schwertelturm” hinter dem ehemaligen Café Händel und zwei von drei Ravelins, die vor der Stadtmauer standen. Diese beiden Wachhäuser für die Soldaten, die die Tore schützen sollten, stehen noch heute in der Nähe der beiden Standorte des Unteren und Oberen Tores am Hohenzollernring (früher Firma Eisen-Ries) und im Garten des Hauses Maximilianstraße 9 (früher Siegelin und Buck), in dem Jean Paul seine erste Wohnstätte in Bayreuth fand.

Vom Garten des Miam Miam Glou Glou zu sehen. Der Rest eines Wappens der an einem Ravelin, also einem Wachhaus der Wachsoldaten hing. Foto: Stephan Müller.

Stadtmauer wird überflüssig

Mit der Einführung der Feuerwaffen verloren die Stadtmauern an Bedeutung. In Bayreuth führte dieser Umstand dazu, dass die komplette Wehranlage im Jahr 1745 an die Bürger verkauft wurde. In der heutigen Von-Römer-Straße (damals Judengasse) nutzten die Anwohner die Umschanzung als Außenmauer für ihre neuen Häuser.

Diese Idee war zu diesem Zeitpunkt nicht neu. Auf dem bereits erwähnten Stadtbild des Küffnerschen Epitaphs ist zu erkennen, dass schon mindestens 130 Jahre vorher ein einzelnes Haus auf die Stadtmauer gebaut wurde. Durch die Aufschüttung des Grabens wurden in Richtung Dammallee weitere Baugrundstücke geschaffen, die den immer noch vorhandenen Mauerring verschwinden ließen.

Foto: Stephan Müller

Reste werden wieder freigelegt

Erst der Bau des Hohenzollernrings in den siebziger Jahren und die Häuserabrisse in der Dammallee (Kegelbahn und Textilreinigung Wild) vor etwa 15 Jahren wurden wieder große Teile der Stadtmauer freigelegt. Damit endete das fast zwei Jahrhunderte lange Mauerblümchendasein der alten Wehranlage.

Ebenfalls umfunktioniert wurde die Stadtmauer im Bereich des Schloßbergleins und der Opernstraße. Das Mauerwerk bietet heute den Hintergrund für den Wittelsbacher Brunnen, der 1914 (mit vier Jahren Verspätung) zum 100-jährigen Anschluss Bayreuths an das Königreich Bayern errichtet wurde. Westlich neben dem mächtigen Alten Schloss, in dessen Bereich kein Mauerring notwendig war, zog sich die Befestigung entlang der heutigen Kanalstraße bis zum heutigen Hohenzollernring entlang. Dort könnte es – ähnlich wie am Hohenzollernring im Bereich der Frauengasse – teilweise eine in diesem Bereich wichtige Doppelmauer gegeben haben, die einen Verteidigungsgang möglich machte. Im Stadtbuch von 1464 heißt es, dass die “Viertelmeister” die Stadtmauer regelmäßig begehen mussten.

Foto: Stephan Müller

Dass diese jedoch nicht überall begehbar war, erkennt man bei einem Spaziergang durch den Hof der Regierung von Oberfranken zwischen der Ludwigstraße und der Kanzleistraße. Neben dem schönen Präsidentengarten und in den Hinterhöfen des evangelischen Dekanats und dem Pfarrhaus ist die hohe Wehranlage in über sechs Jahrhunderten unverändert geblieben.

Ein inzwischen abgerissener Teil der Stadtmauer im Hof der Regierung von Oberfranken. Foto: Archiv Stephan Müller.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

Stand nur wenige Tage: Bayreuths kurioseste Bude

Vor 67 Jahren wurde in Bayreuth etwas weit und breit einzigartiges aufgebaut. Der Bayreuther “Milchpilz” war der Vorgänger der Milchbar am Luitpoldplatz und wanderte schließlich als Dönerbude in eine andere Stadt – wo der Pilz heute noch steht.

Großer Andrang am Bayreuther Milchpilz. Im Hintergrund das “Stenohaus”. Heute steht dort die Schloss-Galerie. Foto: Archiv Bernd Mayer

Mehr Milch fürs Volk

Der Milchpilz wurde als „der erste und bisher einzige seiner Art im ganzen Bundesgebiet“ aufgestellt, berichtete das „Bayreuther Tagblatt“ am 15. Mai 1952 mit sichtlichem Lokalstolz. Die Firma Waldner aus Wangen im Allgäu hatte den kleinen Kiosk, der als Anreiz „zur Steigerung des Milchverbrauchs“ dienen sollte, für genau 4195 Mark hergestellt. Der städtische Milchhof stellte ihn als Attraktion zu einer Tagung des „Verbandes großstädtischer Milchversorgungsbetriebe” vom 10. bis 17. Mai 1952 auf.

Der Pilz steht länger als erlaubt

Der auffällige Milchpilz war schnell Gesprächsthema Nummer eins. Aufgrund des riesigen Publikumserfolges entschloss sich der Milchhof, das „Milchhäusla” über diese eine Woche hinaus am Luitpoldplatz stehen zu lassen. Die Fränkische Presse berichtete, dass „Bayreuth von einem Milchtaumel erfasst” wurde:

Seit einer Woche zieht er jung und alt, groß und klein in seinen Bann.

Die Stadt bleibt hart

Damit eckte der Milchhof jedoch bei der Stadtverwaltung an, die hart blieb und den Abbau forderte. Der Milchpilz entspräche „in seiner Aufmachung nicht dem Stadtbild. Da nützte es auch nichts, dass Milchhofdirektor Hartl beim Oberbürgermeister die Begeisterung der Bürger und die volksgesundheitliche Bedeutung des Milchpilzes mit den „preislich günstigen und ernährungsphysiologischen Wert” der „Milch- und Milchmixgetränke” hervorhob. Stadtbaurat Schnabl drängte trotzdem auf die „umgehende Entfernung des Pilzes“ und konnte am 26. Juni den Abbau des „Milchkiosks in Pilzform“ vermelden. Die Bude wanderte nach Regensburg.

Rudolf Roesner vor seiner Milchbar am Luitpoldplatz. Foto: Gaby Roesner-Oliver

Margot Roesner hinter dem Tresen. Foto: Gaby Roesner-Oliver

Pilz geht, Bar kommt

Immerhin erhielt der Milchhof die Genehmigung zur Errichtung einer Milchtrinkhalle und Milchtrinkbar. So eröffneten dann Rudolf und Margot Roesner im September 1962 neben der bereits seit 1954 erfolgreichen legendären „Milchbar” (in der Badstraße und später am Sternplatz) eine zweite Eisdiele gleichen Namens am Luitpoldplatz.

Die erste Milchbar in Bayreuth gab es am Sternplatz. Foto: Archiv Bernd Mayer

Die Milchbar musste zusammen mit dem „Stenohaus” vor einigen Jahren dem Neubau der „Schlossgalerie” weichen.

Stehcafé in Regensburg

Den Bayreuther Milchpilz gibt es übrigens noch: Seit rund 60 Jahren steht er in Regensburg am Rande eines Parks und beherbergte erst eine Döner-Bude und heute ein beliebtes Stehcafé.

Als Döner-Bude drohte der Bayreuther Milchpilz zu verfallen. Dann nahm sich ein neuer Betreiber dem “Schwammerl” an, renovierte und eröffnete ein Steh-Café das es heute noch gibt. Foto: Stephan Müller


Text: Stephan Müller


Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

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Via Hochrad: Als zwei Festspiel-Mitarbeiter Kamerun entdeckten

Das Verkehrsschild nach “Kamerun”, das kurz hinter Wolfsbach an der Bundesstraße nach Creußen und Pegnitz zu sehen ist, hat sicherlich schon manchen Autofahrer zum Schmunzeln gebracht. Das beliebte Forsthaus ist nämlich tatsächlich nach der alten deutschen Kolonie in Afrika benannt.

Ausflug im Sommer

An einem Sommertage des Jahres 1884 benutzten zwei junge Männer auf Hochrädern die Strasse nach Neuenreuth. Einer davon war Fritz Brandt, der technischer Leiter im Festspielhaus und als Verlobter von Cosima Wagners ältester Tochter Daniela von Bülow zumindest vorübergehend ein Mitglied der Wagner-Familie war.

Zusammen mit seinem Mitarbeiter Friedrich Kranich nutzte Brandt also diesen schönen Sommertag zu einem Ausflug, um sich von der Bühneneinrichtung für die (ein Jahr nach Richard Wagners Tod) bevorstehenden “Parsifal”-Aufführungen” zu erholen. Um sich von der Hitze zu erholen, bogen die beiden jungen Männer kurz hinter Wolfsbach auf einen ihnen unbekannten Waldweg ein, um den Schatten der alten Kiefern zu nutzen.

Rast im idyllischen Forsthaus

Wenige Meter später war die Überraschung groß, als sie das idyllische Forsthaus von Ottmannsreuth entdeckten. Die Frau des Waldaufsehers Philbert begrüßte die beiden Männer und bot ihnen eine Erfrischung an. Zufrieden legten sie eine längere Pause ein.

Foto: Forsthaus Kamerun

Brandt rief aus: “Eine richtige Entdeckung haben wir da gemacht” , worauf Kranich ergänzte: “Ja, wie der Nachtigall in Afrika!” Mit diesen Worten schilderten sie auch abends nach der Rückkehr ihr Erlebnis.

Einsames Forsthaus als Anziehungspunkt

Weil im Juli 1884 alle Zeitungen von der Hissung der deutschen Flagge durch den Afrikaforscher und späteren kaiserliche Generalkonsul Dr. Gustav Nachtigall in Kamerun berichteten, nannten die beiden Entdecker das einsame Forsthaus “Neu-Kamerun”. Durch den Besuch von Brandt und Kranich wurde das 1848 erbaute Forsthaus ein immer größerer Anziehungspunkt für die Mitwirkenden der Festspiele. Grund genug für den Waldaufseher Philbert, eine Wirtschaftskonzession unter dem Namen “Kamerun” zu beantragen.

Die Ausflugsgaststätte Neu-Bukoba

Neubukoba. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Gut zehn Jahre später eröffnete nur einen Kilometer Luftlinie entfernt eine weitere Ausflugsgaststätte, die in Zeiten des Kolonialismus einen afrikanischen Namen erhielt: “Neubukoba”. Wer heute aus Richtung Nürnberg kommend, auf der Autobahn A9 in Richtung Berlin kurz vor Bayreuth auf dem Rastplatz Sophienberg anhält, der befindet sich ganz in der Nähe des damaligen Stadtortes. Gäbe es die 1894 eröffnete Wirtschaft heute noch, dann läge sie wie eingeklemmt zwischen der lärmenden sechsspurigen Autobahn und der Bahnlinie Nürnberg-Bayreuth – ein Biergartenidyll sehe wohl anders aus.

Wo Kamerun und Neubukoba liegen. Foto: Bernd Meyer Stiftung.

Das Gebäude wurde 1821 erbaut und 1894 von Johann Carl Christian Querfeld als “Neu-Bukoba – Bierwirtschaft mit Spirituosen” angemeldet und wurde schnell ein beliebtes Ausflugsziel für die Bayreuther.

Bukoba in West-Afrika

Bukoba ist eine Stadt an der Westküste des Viktoriasees, gelegen im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania. Darüber, warum Querfeld gerade diesen Ort als Namensgeber wählte, kann nur spekuliert werden. Vielleicht wegen des damals schon sehr bekannten Bukoba-Kaffees, der dort sicherlich auf der Getränkekarte stand, oder wegen der Weiher auf denen rund um die Ausflugsgaststätte auch Ruderboote unterwegs waren.

Kaffee und Kuchen im Garten

Im Jahr 1907 übernahmen Karl und Mathilde Kolb für gut 20 Jahre das Anwesen und verkauften in Spitzenzeiten 49 Hektoliter in der Saison. In dieser Zeit beschreibt der Bayreuther Friedrich Bauer, wie er dort einkehrte: “Wir wanderten entlang dem Röhrensee, dann an dem Einzelgehöft Plantage vorbei in Richtung Thiergarten. Kurz davor bogen wir links in den Schindelteichwald ein und erreichten über Oberthiergarten Neubukoba. Unsere Eltern setzten sich in den schattigen Garten und unterhielten sich bei Kuchen und Kaffee und sonstigen Getränken.”

Neubukoba. Foto: Bernd Mayer Stiftung.

Viele Bayreuther nutzten aber auch die Eisenbahn in Richtung Creußen, um nach Neubukoba zu kommen. Vom Bahnhof Neuenreuth war es nur noch ein kurzer Spaziergang zu der Ausflugsgaststätte.

Diese Idylle endete rund vier Jahrzehnte nach der Eröffnung. Im Jahr 1936 wurde die Autobahn fertig gestellt, zwei Jahre später wurde das einst so beliebte Lokal abgerissen.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Warum die Turner der BTS die Feuerwehr gründeten

Von Montag, den 23. September, bis Sonntag, den 29. September findet in Bayreuth eine Aktionswoche zum Brandschutz statt. Insgesamt gibt es die Freiwillige Feuerwehr in Bayreuth schon seit 158 Jahren. Ohne die Turner der BTS würde es die Bayreuther Feuerbekämpfer wohl aber noch gar nicht so lange geben, wie der Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller herausgefunden hat. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Hier ist die Geschichte:

Wir schreiben das Jahr 1861, das Gründungsjahr der Bayreuther Feuerwehr. In einem an den Turnverein gerichteten Schreiben vom 13. Mai 1861, regen die Räte des Stadtmagistrats an:

Wir wünschen aufrichtig, dass der edle Zweck des Turnens immer mehr anerkannt und wirklich erreicht und dass dies dem Verein bald gelingen werde, gleichwie es von Turnvereinen anderer Städte geschehen ist, die hiesige Feuerwehr durch eine Feuerwehr aus Turnern zu vermehren.

Bayreuth hat damals 18.000 Einwohner

Es scheint fast so, als ob der Magistrat, der vorher mit allen Versuchen eine schlagkräftige Feuerwehr oder einen Löschverein zu bilden, gescheitert war, sehnsüchtig auf einen Turnverein gewartet hatte. Wie in vielen Städten war auch in Bayreuth mit seinen damals 18.044 Einwohner (Stand 1861) die Brandbekämpfung mit einem großen undisziplinierten und meist nur widerwillig arbeitenden Haufen von „Löschdienstpflichtigen“ der Feuer-Rettungsgesellschaft von 1836 mehr als unprofessionell.

Brandkatastrophen häufen sich

Dabei häuften sich durch die Industrialisierung die Brandkatastrophen. Nachdem 1860 auch die Aufstellung einer städtischen freiwilligen Feuerwehr und eines schlagkräftigen Rettungs-Corps kläglich scheiterte, schien sich mit den Turnern eine Lösung anzubieten. Die jungen Männer, die im Verein ihre Körperkräfte stärkten und sich turnerische Fähigkeiten erwarben, könnten doch ihre Geschicklichkeit auch praktisch unter Beweis stellen.

Foto: Stephan Müller

Die Turner finden Gefallen an der Sache

Das Vorhaben gelang: Die Turner sahen das Leiternbesteigen, „Hinaufkraxeln“ und Löschen von den benachbarten Hausdächern als Herausforderung und nahmen den Vorschlag des Magistrats an. Der diesem Wunsche des Stadtmagistrats entsprechende Antrag des Vorstandes zur Bildung einer freiwilligen Turnerfeuerwehr wurde freudigst begrüßt und einstimmig angenommen. Nicht weniger als 114 Turner traten am 20. Juni 1861 sofort als „Steiger“ in die freiwillige Turnerfeuerwehr. Dieser Freiwilligen Turnerfeuerwehr, die ein selbständiges Corps bildete, unterstanden nun auch alle bisher bestandenen Lösch- und Rettungsabteilungen. Der Verein führte nun den Namen „Turnverein und Freiwillige Turnerfeuerwehr von 1861“.

Foto: Stephan Müller

Für großes Aufsehen sorgte die erste Hauptübung der freiwilligen Turnerfeuerwehr im Herbst 1862.

Foto: Stephan Müller

Freude bei der Presse

Voller Begeisterung berichtete das Bayreuther Tagblatt:

Es ist eine wahre Freude, diese muntere Schar jugendlicher Turner mit keckem Muth und Selbstvertrauen das abschüssige Dach, den hohen Giebel und alle Fenster des für die Übungen ausersehenen Gebäudes mit seltener Geschwindigkeit ersteigen und ihre Lösch- und Rettungsapparate überallhin tragen und befestigen zu sehen. Jeder Einwohner unserer Stadt geht von heute an um vieles ruhiger zu Bette, da er wisse, dass auf den ersten Feuerruf alle rüstigen Turner bereit stehen, das gefährdete Leben und Eigentum der Einwohnerschaft opfermütig zu schützen und zu retten.

(Bayreuther Tagblatt, 1861)

Foto: Stephan Müller

Auch nachts im Einsatz

Neben den regelmäßigen Übungen übernahm die Turnerfeuerwehr ab 1862 in den Wintermonaten von 21 bis 5 Uhr eine freiwillige Drei-Mann-Nachtwache in den Räumen der Polizei im Rathaus, was am 14. Oktober 1862 vom Tagblatt wie folgt honoriert wurde:

Schließlich bitten wir die wackeren Turner noch um Verzeihung, wenn wir ihnen zumuten, bisweilen auch noch die Ruhe der Nacht dem allgemeinen Wohle der Einwohnerschaft zu opfern.

(Bayreuther Tagblatt, 1862)

Auch die Stadtvertretung betonte, dass sie auf ihre Feuerwehr stolz ist und alle Ursache dazu hat. „Sie ist dankbar und wird es in Zukunft auch bleiben.“

Ein weiterer Höhepunkt war die Einweihung eines Steigerturms, der am 29. Oktober 1865 an die Dammallee-Turnhalle angebaut wurde. Dort, wo heute das Richard-Wagner-Gymnasium seien Sportanlagen unterhält.

Foto: Stephan Müller

Auch im Krieg im Einsatz

Ein Jahr später wurden die Turner sogar als Sanitäter aktiv. Im bayerisch-preußischen Krieg von 1866 transportierten sie „aus dem Schlachtfeld bei Seybothenreuth die unglücklich schwer Verwundeten ab“ und während des Krieges 1870/71 bildeten 140 Mitglieder ein freiwilliges Turnerhilfskorps, das den „Transport der Verwundeten vom Bahnhof in die drei Bayreuther Spitäler“ übernahm.

Zu Beginn des Jahres 1889 rief der praktische Arzt Dr. Hess auch offiziell eine „Sanitätsabteilung“ ins Leben:

Sie hielt ihre erste Instruktionsstunde am 7. Februar ab. Hierauf spielte unsere Vereinskapelle.

Der Verein führte nun 75 Jahre lang den Namen „Turnverein und Freiwillige Turnerfeuerwehr von 1861“. Erst im Zuge der Neuordnung des Feuerwehrwesens im Jahr 1935 wurde die Turnerfeuerwehr in die Freiwillige Feuerwehr übergeführt. Am 26. Juni 1935 wurden die Feuerwehren mit dem Inkrafttreten des Luftschutzgesetzes amtlich in den Gesamtaufbau des zivilen Luftschutzes eingegliedert und wurden später eine „Hilfspolizeitruppe“ unter staatlicher Aufsicht.

Foto: Stephan Müller

Eine Anekdote noch zur Feuerwehr:

Im März 1835 wurde durch den Magistrat eine „Instruktion für Feuer-Rettungs-Gesellschaft“ beschlossen. In diese Rettungs-Compagnie wurden unter anderen sämtliche Schreinermeister mit ihren Gesellen, sämtliche Auf- und Ablader, sämtliche Müller mit ihren bespannten Mühlwagen, alle Glaser- und Schlossermeister verpflichtet.

Wenn diese sich im Brandfall durch schnelle Hilfe, Anstrengung oder Geistesgegenwart auszeichnen, würden sie belohnt und öffentlich gelobt, während die „Vorsteher“ um Sophian Kolb und F. C. Dilchert „weder Lohn noch Lob zu erwarten“ hätten:

Ihnen genüge das Bewußtseyn treuerfüllter Bürgerpflicht und die Ehre, einem Verein anzugehören, der Achtung und Zutrauen verdient!

Vorsicht vor Streichhölzern!

Dabei war die Feuergefahr immer gegenwärtig: Am 11. Mai 1854 wies der Stadtmagistrat darauf hin, dass „der Gebrauch der in neuerer Zeit aufgekommenen Zündhölzchen, welche durch bloßes Aufstreichen oder Überfahren einer rauhen Fläche oder Reibung zwischen Sand-Papieren sich entzünden, mit besonderer Feuers-Gefährlichkeit verbunden ist.“

In weiteren vier Paragraphen wird mit einer „entsprechenden Arreststrafe“ oder Geldstrafe gedroht, wenn derartige Reibfeuerzeuge an Kinder unter 14 Jahre verkauft oder nicht vorschriftsmäßig in verschlossenen Behältern aus Stein, Metall oder Thon aufbewahrt werden. Die Notwendigkeit einer neuen Feuerwehr wurde endgültig am 23. Februar 1858 deutlich, als man „beim jüngsten Brande im militärischen Krankenhause zu St. Georgen eine „unliebsame Wahrnehmung“ gemacht hat:

Obwohl dieser Brand durch Zusammenläuten der Glocken auf den Thürmen zu St. Georgen zur Kenntniß der dortigen Einwohner gebracht worden war, doch nur Einzelne, äußerst wenige Personen sich angeschickt haben, zur Löschung des Brandes beizutragen und daß viele Personen zur Beischaffung von Feuerlöschrequisiten aufgefordert, dies zu thun sich geweigert und unter ungeeigneten Äußerungen sich in ihre Wohnungen zurückbegeben haben.


Text und Fotos: Stephan Müller


 

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es hier beim bt. Die Geschichte der Bayreuther Feuerwehr hat Müller ursprünglich für die Jubiläumsschrift 150 Jahre Bayreuther Turnerschaft im Jahr 2011 verfasst. 

 

Fünf auf einen Streich: Die Geschichte der Bayreuther Fünflinge

Vor kurzem hat der Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller für das Bayreuther Tagblatt ins Goldene Buch der Stadt geschaut. Dort fand er auch ein Eintrag über eine Bayreuther Fünflings-Familie. Die Geschichte dazu erzählt Müller hier und heute.

Warum Bayreuth ein Weinberg in Russland gehört

Im Jahr 1959 kam die Stadt Bayreuth zu einem kuriosen Erbe. Ein Weinberg nahe der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi gehörte plötzlich ihr – und tut es grundsätzlich noch heute.

Vererbt von einer Schwester aus dem Altenheim an der Lisztstraße. Doch die Verhandlungen mit den Russen erwiesen sich als schwierig. Der bekannte Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller ist der Sache auf den Grund gegangen.

Hier ist seine Geschichte:

Ach wäre das schön, auf städtischen Grundbesitz am Schwarzen Meer ein Fläschchen Wein in idyllischer Umgebung zu leeren. Es wird wohl ein Traum bleiben, auch wenn die Stadt Bayreuth nach wie vor rechtmäßige Alleinerbin eines fünfzig Hektar großen Weinberges zwischen der Insel Krim und der Olympiastadt Sotschi ist.

Zu diesem schönen Besitz kam die Stadt als eine gewisse Senta Emilie Bolton-Glasenapp am 31. Dezember 1959 das Zeitliche segnete. Ihre Liebe zu Bayreuth war so groß, dass sie ihr Eigentum der Stadt Bayreuth vermachte.

Die Tochter des Richard-Wagner-Biographen Carl Friedrich Glasenapp hatte vor dem ersten Weltkrieg in Riga den Staatsrat William Bolton geheiratet. Als Vertreter der deutschen Siemens-Kupfer-Bergwerke Bolten arbeitete Bolten viele Jahre in der russischen Erdölmetropole Baku und kaufte in dieser Zeit das Weinanbaugebiet am Schwarzen Meer.

Die Altenpflegerin aus der Lisztstraße

Im Jahr 1913 hatte er bei dem zaristischen Notar Zesar Warfeolomejewitsch Mosewitsch in Elosawetpol, der heutigen Stadt Gandscha in Aserbaidschan, seine Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt.

Bayreuths Weinberg in Russland

1913: Der zaristische Notar Zesar Warfeolomejewitsch Mosewitsch beurkundet das Testament von William Bolton.

Zwei Jahre später verstarb Bolton und Senta kehrte nach Bayreuth zurück. Sie trat in einen katholischen Frauenorden ein und war bis zu ihrem Tod als Schwester Senta im Altenheim an der Lisztstraße tätig. In ihrem Nachlass fanden sich all die Besitzurkunden und Lagepläne über den Weinberg und das Testament ihres Mannes. In ihrem eigenen Testament hat sie ausdrücklich auf diesen Grundbesitz hingewiesen.

“Zur Erbschaft gehört noch mein rechtmäßiger Anteil an einem Grundstück (Weinbergland und Wald) etwa zwölf Kilometer westlich der Stadt Noworossiesk am Nordufer des Schwarzen Meeres in der Gegend der Wissokaja Balka. Die diesbezüglich, vollzähligen Papiere (Urkunden) habe ich bereits der Stadt Bayreuth übergeben.”

(Aus dem Testament der Senta Emilie Bolton-Glasenapp)

Unter den “Papieren” waren seltsam glänzende Urkunden mit kyrillischen Schriftzeichen und putzigen, kleinen Zeichnungen versehen, die einstmals ein zaristischer Beamter knallbunt mit sichtlichem Vergnügen niedergepinselt hat.

Ein äußerst verzwicktes Erbe

Auch wenn die Verblichene von den edelsten Motiven beseelt war, zeigte sich leider schon bald, dass sie ihrer Lieblingsstadt ein äußerst verzwicktes Erbe aufgehalst hatte. Am Schwarzen Meer hatten damals die Sowjets das Sagen. Sie zeigten erwartungsgemäß nicht das geringste Verständnis, als die Stadt ihr Erbe antreten wollte.

Deutsches Volksblatt Stuttgart vom 22. Januar 1960.

Vergeblich setzte der damalige Oberbürgermeister Hans Walter Wild alle politischen Hebel in Bewegung, aber weder die russische noch das Auswärtige Amt konnten weiterhelfen. Der Weinberg war inzwischen russisches Volkseigentum.

“Die Stadt bittet um Mitteilung, ob ihr das Eigentum an dem Grundstück rechtswirksam zugefallen ist und ob eine Verwertung dieses Vermögensgegenstandes möglich ist. Bei der Prüfung der Angelegenheit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es sich bei dem jetzigen Eigentümer nicht um eine Privatperson, sondern um die Stadt Bayreuth, also um einen öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörper handelt, der öffentliche und gemeinnützige Aufgaben erfüllt”.

(Oberbürgermeister Hans Walter Wild an den sowjetischen Botschafter Smirnow in Bonn)

Bayreuther Anzeiger vom 20. März 1969.

Er erhielt keine Antwort. Auch die Abschriften der Pläne, Urkunden und des Testaments erhielt Wild nicht zurück. Der Akt “Weinberg am Schwarzen Meer” wurde bei der Stadtverwaltung “ad acta” gelegt.

Doch weil der Westen die sowjetischen Enteignungen nie anerkannt hat, besteht noch ein Fünkchen Hoffnung. Die malerische Besitzurkunde ruht seit Jahrzehnten im Grundstücksamt. Und wer weiß: Vielleicht wird der Rechtsanspruch, der sanft zwischen staubigen Aktendeckeln schlummert, eines Tages wiedererweckt wie weiland Dornröschen.

Nachdem aber nun auch die russischen Trauben hoch hängen, kann sich jeder neugierige Bayreuther sein Erbe ja mal im Internet anschauen. Senta Emilie Bolton-Glasenapp hat die Lage ja bestens beschrieben. Zwölf Kilometer westlich von Noworossiesk.


Text und Fotos: Stephan Müller


 

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Carl Maria von Weber: Als Knabe auf Bayreuths Bühnen

Bayreuth im September 1793. Der Schriftsteller Jean Paul besucht die alte Residenzstadt und lernt in diesen Tagen Emanuel Osmund kennen. Es entsteht eine lebenslange enge Freundschaft. Vielleicht haben die beiden Männer einen Spaziergang von der Friedrichstraße, vorbei am “Theater im Reithaus” zum Neuen Schloss und über den Kutscherplatz zum Markgräflichen Opernhaus gemacht. Möglicherweise ist Jean Paul auf dem Weg der siebenjährige Carl aufgefallen, der lustig um seine Eltern sprang, und möglicherweise sah er den 23-jährigen Alexander, der vom preußischen Oberbergdépartement, das sich entweder in der Kanzlei oder im Alten Schloss befand, nach Hause ging.

Es ist eine fiktive Vorstellung, aber bei nur 9.000 Einwohnern, die Bayreuth damals hatte, sicher keine unwahrscheinliche, meint Hobby-Historiker Stephan Müller. Denn der Dichter Jean Paul, der spätere Komponist Carl Maria von Weber und der Bergmann und spätere Naturforscher Alexander von Humboldt waren gleichzeitig in Bayreuth.

Auch wenn Jean Paul, der ab 1804 bis zu seinem Tod im Jahr 1825 in Bayreuth sesshaft wurde, nicht wusste, wer ihm vielleicht im September 1793 begegnet ist, gehört und gelesen hat er später mit Sicherheit von diesen beiden Bayreuthern: Von Carl Maria von Weber, der 1821 mit der Uraufführung des “Freischütz” einen unglaublichen Erfolg feierte, oder von Alexander von Humboldt, der viele Jahre als Forscher in Südamerika unterwegs war, wissenschaftliche Aufsätze schrieb und im diplomatischen Dienst für die preußische Krone unterwegs war. “Richtige Bayreuther” waren natürlich beide nicht: Carl Maria von Weber ist in Eutin geboren und Alexander von Humboldt in Berlin. Aber dennoch eint sie, dass sie beide ab dem Frühjahr 1793 Lebensjahre in Bayreuth verbracht haben und sie mit Sicherheit den noch unverfälschten Dialekt der Einheimischen nur schwer verstanden haben.

Alexander von Humboldt und Jean Paul verbrachten ebenso wie Carl Maria von Weber einige Jahre in Bayreuth. Fotos: Bernd-Mayer-Archiv

Heute wenden wir uns aber Carl Maria von Weber zu, der am 18. oder 19. November 1786 in Eutin geboren wurde. Sicher ist, dass er am 20. November in der dortigen Schlosskapelle getauft wurde. Sein Vater, der fürstbischöfliche Kapellmeister Franz Anton von Weber, gründete 1789 eine eigene Theatertruppe, die ab März 1793 ihren Dienst in Bayreuth antrat. Als Prinzipal trug Anton von Weber, der mit seiner Familie im “Goldenen Anker” logierte, der Mode und den Wünschen des Publikums offenbar Rechnung und bot ein ausgewogenes Angebot aus Lustspiel, Drama und Oper. Sein Ensemble muss sich schnell gut eingeführt haben, denn in einem Schreiben vom 10. April 1793 machte Freiherr von Hardenberg dem “Generalgouverneur von Anspach und Bayreuth”, Herzog Friedrich Eugen von Württemberg, den Vorschlag, das Ensemble fest anzustellen und aus den Mitteln der Hofkasse “zu unterstützen”.

Ein zweites Theater in Bayreuth

Die leidige Tatsache, dass das Opernhaus nur in halbwegs wärmender Jahreszeit bespielbar war, hatte noch unter Markgraf Karl Alexander 1785 zur Einrichtung eines kleineren, einigermaßen heizbaren Theaters in der Reithalle geführt. In diesen beiden Spielstätten führte Anton von Weber Goethes Trauerspiel “Clavigo”, Haydns Singspiel “Der Freibrief” oder Schillers Dramen “Die Räuber”, “Don Carlos” oder “Kabale und Liebe” ebenso auf, wie im Frühjahr 1794 die erst 1791 uraufgeführte Mozart-Oper “Die Zauberflöte”. Gerade das Interesse an Mozarts Werken war groß, schließlich war Mozarts Ehefrau Constanze, geborene Weber, Antons Nichte und somit Carl Marias Cousine. Somit sei m Rande bemerkt, dass also nicht nur Mozarts “Bäsle” (Cousine) Marianne Thekla Mozart von 1814 bis 1841 in Bayreuth lebte, sondern zehn Jahre vorher auch schon der Cousin von Wolfgangs Frau.

In der ehemaligen Markgräflichen Reithalle wurde Ende des 18. Jahrhunderts das “Theater im Reithaus” eingerichtet. Im Jahr 1841 wurde das Jean-Paul-Denkmal vor der Reithalle aufgestellt. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

In der Weberschen Gesellschaft bildete die Familie Weber den Kernstock: Vater, Mutter, Sohn und Schwiegertochter waren beachtenswerte Künstler, die Ergänzung in Kinderrollen war der kleine Carl Maria gut zu verwenden. In so manchen Stücken war der Knabe auf den beiden Bayreuther Bühnen zu sehen. In “Hamlet” trat er als Page der Königin auf, in Brahms Lustspiel “Der ungegründete Verdacht” war er Lucindes Söhnchen “Tom” und in dem Singspiel “Die Jagd” spielte er das “Hänschen”. Belegt ist auch seine Mitwirkung in Kotzebues “Menschenhass und Reue”, in “Der  schwarze Mann” und in Mozarts “Zauberflöte”. Von der Aufführung des Schauspiels „Albrecht Achilles. Markgraf von Brandenburg“ gibt es im Stadtarchiv Bayreuth einen Theaterzettel vom 17. Mai 1793 in dem “d. kleine C. v. Weber” sogar namentlich als Johannes, der erstgeborene Prinz, erwähnt wird.

Ein Theaterzettel vom 17. Mai 1793 von der Aufführung des Schauspiels „Albrecht Achilles. Markgraf von Brandenburg” aus dem Stadtarchiv Bayreuth. Der “kleine C. v. Weber” wird als Johannes, der erstgeborene Prinz, namentlich erwähnt. Autor des Stückes war der Bayreuther Kammersekretär bei der Königlichen Regierung Johann Christoph Krauseneck. Foto: Stadtarchiv Bayreuth.

Finanziell war Anton von Weber jedoch kein Erfolg beschieden. Er legte die Direktion nieder und übergab seine Truppe an den Schauspieldirektor Daniel Gottlieb Quandt, der ab 4. Mai 1794 das Bayreuther Ensemble leitete. Vielleicht auch, weil seine Frau Genovefa eine lukrative Anstellung am Weimarer Hoftheater in Aussicht hatte. Von Juni bis Oktober 1794 wirkte sie am Hoftheater in Weimar, Lauchstädt, Rudolstadt und Erfurt. In dieser Zeit gab der junge Carl Maria wohl in Weimar auch sein erstes Konzert.

Ein Wiedersehen in Bayreuth

Zu einem unerwarteten Wiedersehen der Bayreuther Musikfreunde mit dem 20-jährigen Carl Maria von Weber kam es im Juni 1807. Am 20. Juni 1807 zeigte der befreundete Stadtmusikus Heinel an, dass der junge Pianist, der bereits als Elfjähriger in Salzburg von Michael Haydn ausgebildet wurde, eine “Akademie” geben werde. Das Konzert, das von dem Singchor unterstützt wird, fand am 29. Juni 1807 im Neuen Schloss statt. Untergebracht war er im Hotel “Goldenen Adler”, dem heutigen “Reichshof”-Gebäude. Schon wenig später machte er eine große Karriere: Von 1813 bis 1816 war er Operndirektor in Prag, ab 1817 wirkte er als Direktor und  Königlicher Kapellmeister am Dresdner Hoftheater.

Im Jahr 1807 gab Carl Maria von Weber eine “Akademie” im Neuen Schloss. Foto: Stephan Müller.

Von Weber und Richard Wagner

Als Hofkapellmeister war ein großer Förderer von Richard Wagners Bruder Albert. So lernte der siebenjährige Richard Wagner um 1820 Carl Maria von Weber kennen, als der bereits mit 34 Jahren sehr erfolgreiche Komponist Wagners Stiefvater Ludwig Geyer in Dresden besuchte. Die bereits fertig komponierte Ouvertüre von Webers “Freischütz” animierte den Knaben fleißig am Klavier zu üben, um diese Musik immer wieder hören zu können. Dieses Werk, mit dem er die damalige Vorherrschaft der italienischen Oper durchbrach, wurde nach seiner Uraufführung am 18. Juni 1821 in Berlin zur deutschen Volksoper und wurde bereits am 27. September 1822 erstmals auch in Bayreuth gespielt.

Am 5. März 1826 reiste von Weber nach London, um die Uraufführung seiner Oper “Oberon” einzustudieren. Die Premiere fand am 12. April 1826 unter seiner musikalischen Leitung im Royal Opera House Covent Garden statt. Von einer chronischen Tuberkulose-Erkrankung geschwächt stirbt er am 5. Juni 1826 in London und wird dort in der Gruft der katholischen Moorsfield Chapel beigesetzt.

Richard Wagners Bruder Anton Wagner und sein Schwiegervater Ludwig Geyer. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Was im Gedächtnis bleibt: Geschichten über Wolfgang Wagner

Katharina Wagner brachte es jüngst in einem Interview auf den Punkt: “Wolfgang Wagner war ein Mensch, über den zahllose Geschichten kursierten – wahre und erfundene, humorvolle und zornige”. Einige dieser Geschichten kann Hobbyhistoriker Stephan Müller beitragen. Diese sind, wie er verspricht, nicht erfunden.

Mit der Stadtpolizei in die Eule

Beginnen wir mit einer Lieblingsgeschichte von Wolfgang Wagner, die es sogar in seine Biografie “Lebensakte” geschafft hat. Wieder einmal hatten sich die beiden berühmten Dirigenten Hans Knappertsbusch und Joseph Keilberth, den der “Kna”, um ihn zu ärgern immer nur “Keilberg” nannte, heillos gestritten. So kam Keilberth in das Büro von Wolfgang Wagner, um sich den Frust von der Seele zu reden und wohl auch zu trinken.

Dirigent Keilberth

Dirigent Keilberth, Foto: Bernd Meyer Stiftung

In seiner Lebensakte erzählt Wolfgang Wagner: “Einmal trank der Dirigent Joseph Keilberth in meinem Büro sieben tröstende Bocksbeutel, also insgesamt fast fünf Liter Wein. Ich erschrak furchtbar, als er mir mitteilte, dass er noch zu einem abschließenden Nachttrunk noch in das Künstlerlokal “Eule” fahren wollte.”

Nachdem es Wolfgang Wagner nicht gelang, dem Dirigenten die Autoschlüssel abzunehmen, rief er die Stadtpolizei an. Die Beamten schauten sich die Sachlage an und entschlossen sich zu einer interessanten Aktion: Statt Keilberth den Autoschlüssel per Amtsgewalt zu konfiszieren, ließen sie ihn selbst ans Steuer, nahmen den VW-Käfer mit ihren zwei Dienstwagen in die Mitte, um ihn mit Blaulicht sicher zum Markt zu geleiten.

Wolfgang Wagner: “Wehmütig denken wir heute an solch städtische Serviceleistungen, in der die Promille nicht den strafenden Arm des Gesetzes beschworen, sondern dessen verständig-bedachtsam helfende Hand.”

Franz Josef Strauß will die Festspiel-Zuschüsse streichen

“Eines versprechen Sie mir: Wenn Sie in der Bundesrepublik bleiben wollen, dann tun Sie das nicht während Ihres Engagements bei den Bayreuther Festspielen, sondern später!” sagte Wolfgang Wagner zu Götz Friedrich, den er direkt aus der DDR für eine neue “Tannhäuser”-Inszenierung verpflichtet hat. Nachdem sich der Italiener Giorgio Strehler nicht entscheiden konnte (“Er war etwas problematisch in seinen Zu- und Absagen”) engagierte er Götz Friedrich, der noch nie eine Wagner-Oper inszeniert hatte und von dem er auch nie zuvor eine Inszenierung gesehen hatte.

Und Götz Friedrich sorgte auch erst einmal für Schlagzeilen: Seine Inszenierung sorgte 1972 für einen handfesten Skandal, der durch den Kalten Krieg noch verstärkt wurde: CSU-Chef Franz Josef Strauß empörte sich damals, dass der Minnesänger Tannhäuser nicht als Held, sondern als Revolutionär dargestellt wurde. Wegen des Schlussbildes mit dem „Betriebskampf-Gruppenchor der volkseigenen Betriebe Rote Lokomotive in Leipzig” (Strauß) kündigte er die Streichung der Zuschüsse durch den Freistaat Bayern an und verließ demonstrativ den Staatsempfang im Neuen Schloss, als Götz Friedrich dort eintraf.

Übrigens hielt Götz Friedrich sein Versprechen an Wolfgang Wagner und kehrte nach den Bayreuther Festspielen nach Ostdeutschland zurück. Geflohen ist er erst ein halbes Jahr später, als er im November 1972 von einem Gastspiel in Stockholm nicht mehr in die DDR zurückkehrte und im Westen blieb.

Keine Angst, ich singe hier nicht

“Ist jemand hier, der Recht mir weiß, der tret’ als Zeug’ in diesen Kreis!” Kurz nach dem Aufruf von Hans Sachs tritt werkgetreu Walther von Stolzing hervor und begrüßt Sachs, Meister und Volk mit ritterlicher Freundlichkeit. Alles weilt einen Augenblick schweigend in seiner Betrachtung.

Auch bei der “Meistersinger”-Aufführung am 28. August 1997 weilten erst einmal alle “schweigend in seiner Betrachtung, bekamen dann aber große Augen, als nicht Stolzing sondern Wolfgang Wagner auf die Bühne kam und dem überraschten Dirigenten Daniel Barenboim andeutete, dass er mal abbrechen soll.

Den mucksmäuschenstillen Zuschauern sagte er “Keine Angst ich singe hier nicht” und teilte dem Publikum mit, dass nun Robert Dean Smith für den indisponierten Peter Seiffert als Stolzing weitersingen werde. Smith tat es und das Publikum tobte nach der Leistung des Debütanten vor Begeisterung. Wolfgang Wagner blieb übrigens gleich auf der Bühne und nahm – “im Smoking” – zwischen dem Festspielchor Platz…

(links) Robert Dean Smith bei einer Signierstunde. Foto: Stephan Müller

Hans Walter Wild, der Parterre-Akrobat

Durch den Kulturreferenten der Stadt Bayreuth, Max Kuttenfelder, erhielt der junge Rechtsrat Hans-Walter Wild, lange bevor er Oberbürgermeister wurde, zwei Generalproben-Karten für eine „Tannhäuser-Aufführung“. Mit hochgespannter Erwartung pilgerte er mit seiner Frau Gerda zum Festspielhaus, allerdings vorgewarnt durch den Hinweis, dass die Generalproben nicht selten unterbrochen würden, wenn sich dies aus betrieblicher oder künstlerischer Notwendigkeit als erforderlich erweist.

Hans Walter Wild und Wolfgang Wagner.

Hans Walter Wild und Wolfgang Wagner. Foto: Stephan Müller

Und so geschah es denn auch. Das Ehepaar Wild hatte Plätze in den hinteren Reihen und verfolgte mit großem Interesse, wie sich Wieland und Wolfgang Wagner bemühten, auch noch die letzten Zuschauer hinaus zu bugsieren. Wild in seinem Buch „Denk ich an damals…“: „Wie hielten uns lässig bedeckt und hofften, wir würden übersehen oder die Räumung sei vielleicht nicht so ernst gemeint.“

Wie ein Bannstrahl traf sie der Zuruf Wolfgang Wagners: „Na, was ist denn mit Euch, ihr Parterre-Akrobaten!“ Weder er noch Hans-Walter Wild ahnten, dass der eine Parterre-Akrobat später, als er schon lange Oberbürgermeister war, einmal sein Trauzeuge sein würde. Wenige Tage vor der Festspielpremiere 1976 war Hans-Walter Wild erstmals in seinem Leben bei der Verehelichung von Wolfgang und Gudrun Trauzeuge. „Und ein nicht einmal ganz unbedeutender…“

Ich muss mich entschuldigen

Die sogenannte Hauptprobe, also die letzten Probe einer Neuinszenierung vor der Generalprobe, ist sehr oft „gesperrt“. In den Zuschauerraum dürfen wirklich nur Mitwirkende, die tatsächlich unmittelbar beschäftigt sind. „Du bist Ersatz eines Statisten. Setz Dich rein“, sagte der „Tannhäuser“-Regisseur Philippe Arlaud in seinem französischen Akzent zu einem Statisten! Er tat es und traf auf Wolfgang Wagner, der ihn hochkant hinauswarf.

Ungerecht behandelt fühlte er sich schon, einen roten Kopf hatte er auch, fasste aber den Entschluss besser nichts zu sagen und mit kurzen schnellen Schritten das Parkett zu verlassen. Umso erstaunter war er, dass ihn der Festspielleiter am nächsten Tag vor einer Probebühne am Arm nahm und sagte: „Ich muss mich entschuldigen“, ich wusste nicht, dass sie rein durften. Warum hamm’s denn nix g’sagt?“ – das war Wolfgang Wagner!

Banale Geschmacklosigkeit

(v.l.) Jo Schumacher und Wolfgang Wagner: Alles wieder gut. Wagner ist nicht aus dem Fremdenverkehrsverein ausgetreten. Foto: Stephan Müller

Foto: Bayreuth aktuell

Auch der langjährige Fremdenverkehrsdirektor Jo Schumacher hatte ein besonderes Erlebnis mit dem Festspielleiter. “Das ist toll. Das ist witzig.

Das Titelblatt zeigen Sie mal gleich Wolfgang Wagner”, sagte Oberbürgermeister Hans Walter Wild, der von der Fotomontage für die Monatsschrift “Bayreuth aktuell” begeistert war und Schumacher tat, wie es ihm geheißen wurde.

Die Antwort von Wolfgang Wagner vom 4. Juli 1985, mit der Schumacher allerdings nicht gerechnet hatte, kam schriftlich und wurde “durch Boten” übermittelt.

 

Sehr geehrter Herr Schumacher,

Sie haben mir das Plakat mit dem Breker-Kopf, Lippenstiftkussmund (bereits in Bonn sattsam verwendet), Regenschirm und merkwürdiger junge Dame zugeschickt .

Ich bedauere außerordentlich, dass Bayreuth dem allgemeinen Trend banaler Geschmacklosigkeiten nunmehr auch folgt. Nachdem Apotheken und andere Einrichtungen sich Namen der Werke Richard Wagners aus opportunistischer Werbewirksamkeit zugelegt haben, wundert mich leider langsam nichts mehr – ich darf hiermit meine Mitgliedschaft im Fremdenverkehrsverein bayreuth aufkündigen.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Wagner

(Kopie an Herrn Oberbürgermeister Hans Walter Wild)

Nachtzutragen ist, dass Oberbürgermeister Hans Walter Wild, immerhin Wolfgang Wagners Trauzeuge,  letztendlich besänftigend auf ihn eingeredet und Wagners Austritt aus den Fremdenverkehrsverein verhindert hat.

Wolfang Wagner als Geschichtenerzähler

Solisten, Chorsänger, Techniker und Statisten haben sich von der Bühne aus immer wieder gewundert, aus welcher Ecke des Festspielhauses Wolfgang Wagner aufgetaucht ist. „Plötzlich steht er neben Dir. Entweder es gibt ihn öfters oder uns sind noch nicht alle Geheimgänge bekannt“, war ein gängiger Kalauer im Festspielhaus. Die Mitwirkenden liebten „ihren Chef“ und seine Geschichten, die er immer dann zum Besten gab, wenn sich jemand in einer Pause zu fragen traute. Von der Autorität und fränkischen Sturköpfigkeit, die er gegenüber den Medien an den Tag legte, war dann nichts zu spüren. Und Geschichten hatte er, der schließlich noch zahlreiche große Menschen aus dem 19. Jahrhundert kennengelernt hatte, immer parat. Und dann hing ihm eine ganze Meute an den Lippen.

Schließlich wuchs der „Chef“ mit vielen Menschen auf, die Richard Wagner noch selbst gekannt hatten! Es war schon atemberaubend, wenn man im 21. Jahrhundert einen Mann befragt, der immerhin bis zu seinem elften Lebensjahr mit Cosima Wagner im Haus gelebt hatte – einer Frau, die am 1837 am selben Tag wie die Kaiserin Sissi von Österreich geboren worden war, und hautnah die Gründung der Festspiele miterlebt hatte.

Erzählt hat er immer höchst unkonventionell, von Cosima zum Beispiel: „Sie konnte ja am Schluss nicht mehr richtig“, sagte er. „Sie saß den ganzen Tag in ihrem Rollstuhl, bis wir sie nach dem Fünf-Uhr-Tee, wenn sich die ganze Familie versammelte, in ihr Bett hoben. Vorher haben sie Wieland und ich immer noch an den Füßen gekitzelt, weil wir wissen wollten, ob sie noch lebt.“

“So! Jetzt sterbe ich wann ich will!”

Beim Streit um seine Nachfolge setzte er sich, wie es Museumsleiter Dr. Sven Friedrich jüngst erzählte,  über das Votum der Richard-Wagner-Stiftung umstandslos mit Hinweis auf seinen Lebenszeitvertrag als Festspielleiter hinweg und blieb einfach im Amt.

Wenige, so der Museumsleiter, aber wissen, wie er seine Entscheidung damals kommentierte, nämlich mit einem typischen, trotzigen “So! Jetzt sterbe ich wann ich will!” Er tat es 21. März 2010 im Alter von 90 Jahren.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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St. Georgen mit Sophienberg,

Wie der Sophienberg zu seinem Namen kam

Von gescheiterten Aussichtstürmen und hohem Besuch: Die Historie des Sophienberges und wie er zu seinem heutigen Namen kann.

Die Wanderungen auf dem Sophienberg haben Richard Wagner gefallen. Nur gut vier Wochen nachdem er seinen Lebensmittelpunkt nach Bayreuth verlegt hat, wanderte auf den 594 Meter hohen “Bayreuther Hausberg”. “Ein schönes Ländchen, alle menschlich freundlich” schreibt Cosima Wagner am 28. Mai 1872 in ihr Tagebuch. Die schönsten Eintrage Cosimas über den Sophienberg finden wir im Jahr 1878. Richard freut sich “zu wissen”, in so einem “hübschen Ding zu sein”. Eine Schar Gänse nimmt von oben sich aus wie ein “bewegliches Silberband” und das verschiedene Grün der Wiese und des Tales erfreut das Auge.

Hübsche Gegend

Und bei einer “weiteren Partie”, die die Familie am 8. Juni 1878 “in heiterster Laune ausführt”, trägt eine Frau ein Fässchen Bier hinauf. “Der Onkel zapft” heißt es. Richard genießt sein Bier, freut sich an der “hübschen Gegend” und sagt zu Cosima: “Nicht zehn Pferde bringen mich von hier fort”.


Auszug aus Cosima Wagners Tagebüchern

Cosima Wagner, Foto: Bernd Meyer Stiftung

 28.05.1872

Dienstag 28ten Mit den Kindern seit gestern wieder gearbeitet; an Hans geschrieben, auch an Fritz und L. Bucher wegen Herrn Lang. Viel über die 9te Symphonie gesprochen; wie kam B. zu der Idee, das Gedicht von Schiller zu komponieren? (…) Zum Sophienberg mit M. Meysenbug, schönes Ländchen, alle menschlich freundlich.

05.08.1872

Montag 5ten Ich korrigiere einige Blätter aus R.’s Biographie, während er an seinem Aufsatz arbeitet. Nachmittags gehen die Kinder zum Eckersdorfer Pfarrer und ich bleibe bei Loldi, während R. nach der Gegend des Sophienberg hin sich verliert, wo er mehrere Dörfer besucht. Abends liest er mir zum Spaß den ersten Akt von den Hebbel’schen »Nibelungen«; unglaublich schlechtes Machwerk.

08.06.1878

R. arbeitet etwas und beschließt dann eine Partie nach dem Sophienberg, welche wir dann in heiterster Laune ausführen. Eine Frau, die eben heute [dort war], trägt uns das Fäßchen Bier hinauf1, der »Onkel« zapft; R. freut sich der hübschen Gegend, »nicht zehn Pferde bringen mich von hier fort«. Um halb 9 nach Hause, Fidi’s Erinnerung an die rauhe Culm beim Sophienberg macht R. Vergnügen.

25.06.1878

Dienstag 25ten Partie nach dem Sophienberg, ein wenig anstrengend, aber trotzdem erfreulich, wie aufgehaltene Wellen liegt das hügelige Land vor uns, R. sagt: Man freut sich zu wissen, in so ein[em] hübschen Ding zu sein, eine Schar Gänse nimmt von oben sich aus wie ein »bewegliches Silberband«, und das verschiedene Grün der Wiese und des Tales erfreut das Auge.


Beliebtes Ausflugsziel

Bayreuth mit Sophienberg,

Die Stadt Bayreuth mit dem Sophienberg und der damaligen Sophienburg im Hintergrund. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Der Sophienberg war auch bei den Bayreuthern als Ausflugsziel beliebt. Aus den städtischen Akten geht noch heute hervor, dass am 30. Dezember 1887 genau 44 Bayreuther bei ihrem Bürgermeister Theodor von Muncker vorsprachen. Sie brachten vor, dass sie gemeinsam das kleine Grundstück rund um die alte Ruine am Sophienberg gekauft haben, um dort, wie schon Friedrich II., Markgraf von Brandenburg-Kulmbach im Jahr 1494, einen Aussichtsturm zu errichten. Dafür würden sie das Grundstück auch unter der Bedingung der Stadt Bayreuth überlassen, dass es für alle Zeit in deren Eigentum bleibt. Es ist nicht mehr festzustellen, warum aus dem Vorhaben nichts wurde.

Wieder kein Aussichtsturm

Genau einhundert Jahre später, das Grundstück ist immer noch im städtischen Eigentum, erfahren die “Naturfreunde” davon und bieten an, einen Aussichtsturm zu errichten. Ein Kostenvoranschlag ergab die Summe von 150.000 Deutsche Mark, die über Eigenmittel und einer Förderung aus dem Programm “Freizeit und Erholung” des Freistaates aufgebracht werden sollte.

Nach Vorberatungen im Hauptausschuss und im Umweltausschuss wurde das Vorhaben mit einem positiven Gutachten am 29. September 1987 dem Bayreuther Stadtrat vorgelegt, der dem Projekt zustimmte. Wie wir alle wissen,  wurde das Projekt, wohl aus Kostengründen, nicht mehr weiter verfolgt.

Einer von den Signaltürmen

Die Wartburg am Sophienberg gehörte einem System von “Signaltürmen” aus der früheren Markgrafenzeit an. Markgraf Friedrich hat 1498, also vier Jahre nachdem der Turm auf dem Sophienberg errichtet wurde, eine “Wartordnung” für das Gebiet „oberhalb des Gebürgs“ (also der Fränkischen Schweiz) mit 13 Türmen erlassen.

Viele dieser Türme sind noch erhalten, beziehungsweise wurden neu errichtet. Dazu zählen das “Backöfele” auf dem Schneeberg, der Rehturm bei Kulmbach, der Magnusturm bei Kasendorf oder der Turm auf dem Rauhen Kulm.  Zwei weitere schöne Aussichtstürme, die aber viel später errichtet wurden und freilich nichts mit dem – zum Teil “bewachten” – Wart-System der Markgrafen zu tun haben, sind der Klausenturm bei Mehlmeisel und der Aussichtsturm bei Hohenmirsberg.

Wie aus dem Culm der Sophienberg wurde

Markgräfin Wilhelmine

Markgräfin Wilhelmine. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Die schöne Aussicht vom Sophienberg war auch schon den Markgrafen bekannt. Sie errichteten auf dem Berg, der früher den slawischen Namen Culm (Hügel, Bergkuppe) trug, zwischen 1663 und 1669, an der Stelle, an der früher ein “Wartturm” aus dem Jahr 1494 stand, ein kleines Schlösschen und nannten den “Culmberg” nun Sophienberg. Namensgeberin war Erdmuthe Sophie von Sachsen, die Gemahlin von Markgraf Christian Ernst. Nach ihrem Regierungsantritt im Jahr 1735 bekam das Markgrafenpaar Friedrich und Wilhelmine hohen Besuch.

Markgraf von Schwedt zu Besuch

Mit Wilhelmines Schwager Friedrich Wilhelm von Schwedt, der überall der “tolle Markgraf” genannt wurde, kam ein ziemlicher Angeber nach Bayreuth. Wilhelmine mochte ihn nicht. Sie hätte 1731 den neun Jahre älteren Markgrafen von Schwedt (geb. 1700) heiraten sollen, lehnte ihn aber genauso ab wie Herzog Johann Adolf II. von Sachsen-Weißenfels, der 24 Jahre älter als sie war. Bevor sie der Vater in Festungshaft nach Spandau schickt, entschied sie sich für den ein Jahr jüngeren Erbprinzen Friedrich und folgte ihm 1732 nach Bayreuth. Nun waren sie also zu Besuch. Der Markgraf von Schwedt und Wilhelmines Schwester Sophie Dorothea Marie, die ihn 1734 ehelichen musste.

Eine Jagd auf dem Sophienberg

Parforcejagd

Parforcejagd. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Der Markgraf von Schwedt war ein verwegener Reiter und leidenschaftlicher Jäger. Angeblich soll er riskante Abenteuer, wie den Ritt durch drehende Windmühlenflügel oder Sprünge von Kutschen in schneller Fahrt geliebt haben. Um dem Schwager etwas zu bieten, veranstalteten Friedrich und Wilhelmine eine Jagd auf dem Sophienberg.

Friedrich Wilhelm, Markgraf von SchwedtWie fast alle Markgrafen aus dem Haus Hohenzollern war auch Markgraf Friedrich ein passionierter Jäger. Er hatte sich gleich zu Beginn seiner Regierung in Bayreuth Pferde und Hunde aus England kommen lassen, um Parforcejagden mit Hunden abhalten zu können. Eine der ersten Gelegenheiten, die sich dafür bot, war der Besuch des unbeliebten Schwagers. Schließlich nahm die Jagd als zentrales Ereignis höfischer Repräsentation eine herausragende Stellung ein.

Eine große Herausforderung

Mit diesen Draufgänger auf Jagd zu gehen war allerdings für den erst etwa 25-jährigen Friedrich in dem schwierigen hügeligen Gelände eine große Herausforderung. Sumpfige Wiesen waren bei solchen Parforce-Jagden für Mensch und Pferd eine hochgefährliche Angelegenheit. Aber da musste er durch. Es wurden 50 Hunde mitgenommen, weitere 50 Hunde warteten auf die Ablösung. Ziel der Hetzjagd war ein kapitaler Hirsch. Der weiße Zwölfender mit “einem stattlichen” Geweih, der dem Gast geboten wurde, wurde bereits vorher “angejagt”.

Die schönste Zinne

Es ging los. Der Markgraf von Schwedt zeigte seine Geschicklichkeit als Piqueur, also als Vorreiter. Er sorgte selbst dafür, dass dem Hirsch alle Rückwege “ins Holz” abgeschnitten wurden. Der Hirsch wurde erlegt. Der Schwedter blickte in die Umgebung und rief: “Hol mich der Teufel, Herr Schwager, du hast mich ja auf die schönste Zinne deiner Markgrafschaft geführt; ein solcher Anblick macht alles vergessen!”

Er bat Schenk von Stauffenberg um einen Becher Wein und brachte vor dem Spiel der Fanfaren den folgenden Toast auf das Markgrafenpaar aus:

Der weiße Hirsch mit seiner Pracht hat mich tief in den Schlamm gebracht, doch mit dem Humpen voll Burgunder blick ich lustig nach Bayreuth hinunter, wo unser Schwager Friedrich thront und die liebe Wilhelmine wohnt.Für beide sei dieser Trunk gebracht, so freudig wie die Sonne lacht.

Vielleicht war er ja doch nicht so unsympathisch, der Markgraf von Schwedt ….


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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