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Mark-Twain

Ein Festspielbesuch: Als Mark Twain in Bayreuth beinahe verhungert wäre

Was hat Mark Twain im Jahr 1891 nur nach Bayreuth getrieben? Die Musik von Richard Wagner konnte es eigentlich nicht sein, denn als er im Frühjahr 1878 im Rahmen einer Deutschland-Reise den “Lohengrin” in Mannheim besuchte, bezeichnete er diese Kostprobe als reine Zumutung:

So etwas von Gedröhne, Gekrache und Getobe kann man sich nicht vorstellen. Die Erinnerung an diese mitleidlose Marter wird nie aus meinem Gedächtnis weichen und steht würdig neben der Erinnerung an die Stunden, in denen meine Zähne in Ordnung gebracht wurden. Besondere Umstände zwangen mich, die ganzen vier Stunden bis zum Schluss dazubleiben. Wenn das Heulen, das Wehklagen und Gekreisch der Sänger, wenn das Rasen und Toben, die Explosionen des großen Orchesters schriller und schriller, wilder und wilder, mächtiger und mächtiger sich erhoben, in diesem Augenblicken hätte ich laut geweint, wenn ich allein gewesen wäre.
(Mark Twain)

Mit dem Zug nach Bayreuth

Dennoch kam Samuel Langhorne Clemens (alias Mark Twain) 13 Jahre später nach Bayreuth und schrieb – wie es sich für einen Schriftsteller gehört – ein Essay über den Festspielbesuch: “At the Shrine of St. Wagner” – “Am Schrein des heiligen Wagner”.

Den Titel dafür hatte er wahrscheinlich bereits seit der Zugreise von Nürnberg nach Bayreuth im Kopf. Diese Eisenbahnfahrt mit einer “Flut musikverrückter Ausländer” löst seine Verwunderung aus: Er habe eine solche Menschenmenge schon lange nicht mehr gesehen, gesteht Mark Twain, und es sei der längste Zug gewesen, der ihm in Europa je begegnet sei.

“Ja, es ist eine Pilgerfahrt”, ruft er aus. “Die Gläubigen kommen aus allen Ecken und Enden der Welt herbei, um ihrem Propheten in seiner eigenen Kaaba, in seinem eigenen Mekka, zu huldigen.”

Dom-von-Siena-Gralstempel

Die Uraufführung des “Parsifal” fand zu den 2. Bayreuther Festspielen am 26. Juli 1882 unter der Regie von Richard Wagner statt. Diese Inszenierung war bis zum Jahr 1933 genau 205 mal im Festspielhaus zu sehen. Mark Twain sah also 1891 noch die Original-Bühnenbilder von Paul Joukowsky, der für den dritten Akt den Dom von Siena als Vorlage für den Gralstempel (unser Foto) nahm. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Tausende blieben hungrig

Nach der Ankunft stellt Twain fest, dass es gleich mehrere Klippen zu überwinden gibt. So bleiben bei jeder Aufführung in den Pausen “tausend hungrig”, weil das einzige Restaurant die Gäste nicht fassen kann. Aber auch im Städtchen ist ein harter Kampf um Ess- und Trinkbares entbrannt. “Wenn nicht, wird man schwer zu kämpfen haben, um sich in Bayreuth vor dem Verhungern zu retten. Bayreuth ist nicht mehr als ein großes Dorf und hat keine sehr großen Hotels oder Gaststätten.”

Als die wichtigsten Gasthöfe nennt Mark Twain den “Goldenen Anker” und die “Sonne”. An beiden Orten könne man hervorragend speisen, beziehungsweise “kann man dort zusehen, wie andere hervorragend speisen”.

Der Kampf ums Überleben

Die übrigen zahlreichen Gaststätten in der Stadt seien klein, schlecht und heillos überfüllt. Und so kommt der Satiriker zu dem dramatischen Resümee:

Wir mussten täglich ums Überleben kämpfen.

Vom Überlebenskampf verschont bleiben nach seinen Worten nur die “Veteranen”, die von früheren Aufenthalten über die Verhältnisse in Bayreuth genau Bescheid wissen und vorsorglich alle Tische reservieren. In den Wirtschaften außerhalb der Stadt bekommt Mark Twain zu seinem Leidwesen nur unverdauliche “Kleinigkeiten und Reste” zwischen die Zähne, “in keinem Fall eine ordentliche, zufrieden stellende Mahlzeit”.

1891-Parsifal-Carl Grengg

Carl Grengg sang in den Jahren 1891 bis 1897 in vier Festspielzeiten den Gurnemanz im Parsifal (unser Foto), den König Heinrich im Lohengrin (1894) und den Hagen in der “Götterdämmerung” (1896) . Als Gurnemanz alternierte er mit Ernest Van Dyck. Ob Mark Twain Carl Grengg oder Ernest Van Dyck als Gurnemanz erlebt hat, werden wir nicht mehr feststellen können. Foto: Bernd Mayer-Stiftung.

Eine solide Masse von 1.500 Köpfen

Twain selbst hat damals eine Karte für den “Parsifal”: “Falls sich Ihr Sitz im Festspielhaus in der Mitte einer Reihe befindet, und falls Sie spät eintreffen, müssen Sie sich an etwa 25 Damen und Herren vorbeischlängeln, um ihn zu erreichen. Dies ist jedoch kein Problem, da jedermann aufsteht, bis alle Sitze voll sind, und dies dauert nur wenige Minuten. Dann setzen sich alle, und das Ergebnis ist eine solide Masse von 1.500 Köpfen, in steiler Neigung vom Ende des Hauses bis zur Bühne.”

Er genießt die “Parsifal”-Ouvertüre in ihrer ganzen Länge als “herrlich und einzigartig”, aber dann nervt ihn freilich sofort wieder der Gesang. Für Laien, so Mark Twain, könnte nichts vollkommender und befriedigender sein als eine Wagner-Oper ohne Gesang, vielleicht in Pantomime: “Dann könnte man der wunderbaren Orchestrierung lauschen, im Geist in sie eintauchen und sich an dem betörend schönen Bühnenbild berauschen, ohne dass der Genuss durch die Schauspielerei geschmälert würde.”

An derlei Sätzen lässt sich unschwer erkennen: Der alte Spötter hat Feuer gefangen. Wagners Musik scheint ihm unter die Haut zu gehen, die starre Personenregie indes auf den Geist:

In der Regel sieht man zwei schweigende Leute, von denen einer still steht und der andere Fliegen fängt.


Vom “Drumherum” reichlich desillusioniert

Während Wagner und seine Musik erstaunlich gut wegkommen, wird der berühmte Festspielgast vom “Drumherum” reichlich desillusioniert.

Twain-sw

Bayreuth ist damals durch den Ansturm der Gäste organisatorisch überfordert. Wehe dem, der an Festspieltagen ohne Karten und Quartier auf gut Glück ankommt. In den Augen Mark Twains sind solche “Kartenhabenichtse”, die sich obendrein erst in Bayreuth auf Quartiersuche machen, ein jämmerlicher Anblick. Mark Twain gehört zu den Weitsichtigen, die sich schon Monate zuvor Opernkarten und Unterkünfte sichern:

Wenn man dann Glück hat, bekommt man zwei Karten für Plätze in der letzten Reihe und Unterkunft am Stadtrand. Wenn man aufhört zu schreiben, bekommt man nichts.

Oper nebensächlich

So tritt bei Mark Twain schließlich das Kunsterlebnis völlig in den Hintergrund, und das Essen wird zur Erinnerung, die alles überdeckt. “Unter Wissenschaftlern”, so der Kauz mit dem ätzenden Spott, “gibt es gemeinhin die Annahme, dass man einen Bayreuth-Pilger – wo immer er auf der Welt begraben liegt – anhand seines Mageninhalts erkennen könne…”



Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

Lesen Sie auch:

Ekelhaft, nutzlos, hirnverbrannt: Festspiel-Kritik zu Wagners Lebzeiten

Nach den ersten Bayreuther Festspielen im Jahr 1876 stellte der Musikschriftsteller Wilhelm Tappert (1830 – 1927) eine Sammlung von groben und gehässigen Zitaten zusammen, die von den damaligen Kritikern und Spöttern gegen Richard Wagner und seine Werke veröffentlicht wurden. “Das Wörterbuch der Unhöflichkeit” nannte er die Sammlung und gab sie 1877 als Buch heraus.

Einer der heftigsten Kritiker von Richard Wagner war demnach ein gewisser Eduard Hanslick. Wagner revanchierte sich für dessen Verrisse, in dem er die Figur des „Merkers“ Sixtus Beckmesser als Parodie auf Hanslick anlegte. In den ersten Meistersinger-Entwürfen von 1862 war die Rolle des Beckmesser noch als „Hans Lick“ und später „Veit Hanslich“ benannt.

Aus der zweiten, “bedeutend vermehrten und umgearbeiteten” Auflage aus dem Jahr 1903 hat bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller folgende Leckerbissen entnommen. Den aktuell tätigen Regisseuren möchte man danach zurufen, dass sie sich über die Kritik unserer Tage wahrlich nicht beschweren dürfen. Früher klang Wagner-Kritik nämlich so:

Wo die Oper des schildernden Elements sich begibt, wo sie aufhört, “Marine”, und anfängt, “Musik” zu werden, da stehen Wagners Blößen in hellem Licht: die Armut seiner Erfindung und das Dilletantische seiner Methode.”

(Eduard Hanslick, 1859)

Wagners Unglück ist, dass er sich nicht nur für den Dalai Lama selbst hält, sondern auch für des Dalai Lamas Oberpriester in einer Person, und daher jedes seiner Exkremente für den Ausfluss einer göttlichen Eingebung.

(H. Dorn, 1865)

1872: Opernhaus Grundsteinlegung. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Opernsänger Vogl, dessen Frau in der Oper “Rheingold” die Partie der drei Rheintöchter singt, hat, wie wir dem Süddeutschen Telegramm entnehmen, gegen den Redakteur des “Münchner Vaterland”, welcher das in der ersten Szene der Oper vorkommende Innere des Rheins als “Hurenaquarium” zu bezeichnen sich bemüßigt fand, Klage wegen Ehrenbeleidigung seiner Frau erhoben.

(Signale, 1869)

Niemals singen ihrer zwei zugleich. Langsam und pathetisch rezitiert einer nach dem andern, während die übrigen stumm und gelangweilt zusehen. Ein drei Stunden langer musikalischer Gänsemarsch.

(Eduard Hanslick, 1869 über die Münchner Aufführung des “Rheingold”)

1865: Tristan und Isolde. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Über die Bayreuther Grundsteinlegungsfeier werden wir keinen Bericht bringen, trotzdem uns mehrer zugegangen sind. Wir halten dieselbe für eine Farce, eine mit Wagnerschen Raffinement in Szene gesetzte Komödie, nur darauf berechnet, sich persönlich verhimmeln zu lassen. Manche dort vorgekommenen Szenen sind geradezu ekelhaft.

(Otto Reinsdorf, 1872)

Herr Niemann, welcher in Leipzig gastieren sollte, hat, gestützt auf ein ärztliches Attest, einen Absagebrief geschickt. Wahrscheinlich hat er sich beim Hokuspokus mit der 9. Sinfonie bei der Grundsteinlegung in Bayreuth vollends ausgesungen.

(Berliner Musikzeitung Echo, 5. Juni 1872)

Für den Bazar zugunsten des Wagnertheaters in Bayreuth sind uns die nachfolgenden Gegenstände zugegangen, welche wir an die Haupt-Almosenempfangsstelle demnächst abliefern werden.

  1. Zigarrentasche aus gesprengten Trommelfellen
  2. Klavierauszug aus der Oper “Cosima fan tutti” von Hans von Bülow. Bearbeitet von Kollektanten.
  3. Posanistenbruchband mit dem aufgedruckten Finale des zweiten Aktes der “Meistersinger”.
  4. Eine Garnitur Gehörwattons für “Walkyrenbesucher” etc.

Berliner Montagszeitung, 4. Mai 1874

Walküre 1876. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Das hirnverbrannteste Unternehmen, das je ein Künstler oder ein dem Irrenhaus Entlaufender angestrebt hat.

(Lárt musical, Paris 1875)

Ungemein erheiternd ist es, dass in einem hirnverbrannten Kopfe nachträglich noch die Idee auftauchen konnte, dieses an und für sich ganz nutzlose Haus (das Wagnertheater nämlich) auf Kosten der deutschen Nation zu erwerben uns so für alle Zukunft dem mit Wagner getriebenen Götzendienst einen Tempel zu reservieren.

(H. M. Schletterer, Richard Wagners Bühnenfestspiel, 1876)

Außer dem konzessionierten Ausschank von Spirituosen (1. Akt, Szene 2) haben wir auch diesmal in dem Drama keine weitere Handlung bemerkt.

(Berliner Montagszeitung, 4.12.1876)

Das Festspielhaus 1876. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Gequassel und Gequatsche, in solchem nudelt sich das Duett von Tristan und Isolde von Seite 111 bis Seite 135 des Klavierauszuges.

(H. Dorn, 1876)

Für eine Flasche Wein in Eis hätten wir mit Vergnügen das ganze Göttergelichter verschenkt.

(Karl Frenzel nach dem 2. Akt der Walküre in Bayreuth, 1876)

Endlosere, ermüdendere, gleichgültige, Bekanntes immer wiederkäuendere Schwätzer hat die Bühne nie gesehen als im “Ring des Nibelungen”.

(H. M. Schletterer, Richard Wagners Bühnenfestspiel, 1876)

1876: Walküre, 1. Akt. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Meine tiefinnerste Abneigung gegen eine derartige Dichtung ist so unüberwindlich, dass ich, wenn der liebe Gott in eigener Person zu mir käme, um mich eines Besseren zu belehren, ich zu ihm sagen würde: Allen Respekt lieber Papa, – aber diesmal bist Du im Irrtum.

(Ferdinand Hiller, 1877 über den “Ring des Nibelungen”)

Den Fafner rechnen wir eigentlich nicht mehr zu einer musikalischen Rolle, dennoch sei erwähnt, dass Herr Reß den “Brüllton” nach Möglichkeit traf.”

(“Signale”, 1878, Bericht über die Leipziger Aufführung des “Siegfried”)

Richard Wagner. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Die ganze Handlung im Nibelungenringe ist eine so widersinnige Gemeinheit, dass es Wunder nimmt, dass sie aufgeführt werden darf.

(Berliner Fremdenblatt, 6. April, 1879)

Dreißig Mark für eine Vorstellung zu fordern, war eine Beutelschneiderei, was man sah und hörte, war mit dem zehnten Teile dieses Betrages mehr als genug bezahlt.

(“Grenzboten” vom 19. Oktober 1882)

Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

An das allerliebste „Bäsle-Häsle“: Mozarts geheime, obszöne Briefe

Bayreuth ist bekanntlich die Stadt der Markgräfin Wilhelmine, Richard Wagner-Stadt und Jean Paul-Stadt. Viele Berühmtheiten haben ihre Spuren in der Stadt hinterlassen. Und so ist Bayreuth auch ein wenig Mozart-Stadt. Hobbyhistoriker Stephan Müller weiß warum.

Carl Maria von Weber, der Cousin von Mozarts Frau Constanze, sammelte als Kind in der Schauspieltruppe seines Vaters im “Theater im Reithaus”, dem heutigen “Friedrichsforum” erste Erfahrungen auf der Bühne. Ebenfalls in Bayreuth, dem “Theater im Reithaus” gleich gegenüber in der “Postei”, wohnte Marianne Thekla Mozart. Mozarts Cousine, das “Bäsle”, verbrachte hier ihre letzten Jahre.

Mozart und seine Cousine hatten ein intimes Verhältnis. Sie schrieben sich regelmäßig Briefe. Briefe, die lange im Verborgenen blieben, weil sie anal-erotisch, obszön und unappetitlich waren.

Neun sehr drastisch derbe Briefe von Wolfgang Amadeus Mozart an seine Base von 1777 bis 1781 sind heute noch erhalten. So schrieb Mozart an sein Bäsle:

Jetzt muß ich Ihnen eine traurige geschichte erzählen, die sich jetzt den augenblick ereignet hat. (…).wie ich aufstehe, so höre ich nur noch etwas ganz schwach – aber ich schmecke so was angebrandtes – wo ich hingehe, so stinckt es. wenn ich zum fenster hinaus sehe so verliert sich der geruch, sehe ich wieder herein, so nimmt der geruch wieder zu – endlich sagt Meine Mama zu mir: was wette ich, du hast einen gehen lassen? –  ich glaube nicht Mama. ja ja, es ist gewiss so. Ich mache die Probe, thue den ersten finger im arsch und dann zur Nase, und – Ecce Probatum est, die Mama hatte recht. Nun leben sie recht wohl, ich küsse sie 10000mahl und bin wie allzeit der alte junge Sauschwanz.

Meine Schwester gibt Ihnen tausend cousinische Küsse, und der Vetter gibt Ihnen das was er Ihnen nicht geben darf.

Jetzt wünsch ich eine gute nacht, scheissen sie ins bett dass es kracht; schlafens gesund, reckens den arsch zum mund, ich gehe izt nach schlaraffen, und thue ein wenig schlaffen.

Wie mir Mannheim gefällt? — so gut einen ein ort ohne bäsle gefallen kann. Verzeihen sie mir meine schlechte schrift, die feder ist schon alt, ich scheisse schon wirklich bald 22 jahr aus den nämlichen loch, und ist doch noch nicht verrissen! – und hab schon so oft geschissen — und mit den Zähnen den dreck abbissen.

Bevor ich Ihnen schreibe, muß ich aufs Häusel gehen — ietzt ist’s vorbey! ach! — nun ist mir wieder leichter ums Herz! – jetzt ist mir ein Stein vom Herzen – nun kann ich doch wieder schmausen! – nu, nu, wenn man sich halt ausgeleert hat, ist’s noch so gut leben.

In seinen Briefen an das „Bäsle-Häsle“ befreite sich Mozart für einen Moment vom beständigen Druck seiner ungewissen Zukunft. Hier lebte er auf und brachte die unernste, komische Seite seines Wesens zum Klingen. Nach der Veröffentlichung war die Mozart-Gemeinde entsetzt. Noch 1914 in der ersten kritischen Gesamtausgabe der Briefe wurden alle anstößigen Stellen eliminiert. Die vermutliche Liebesaffäre wurde von vielen Mozartverehrern in bewusster Verdunkelung als „kleine Liebelei“ bagatellisiert. Das „Bäsle“ aber wurde als Empfängerin der Briefe unsterblich.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

250 Jahre Humboldt: Auf Spurensuche in Bayreuth

Vor 250 Jahren, am 14. September 1769, ist Alexander von Humboldt (1769 – 1859) in Berlin geboren worden. Hobby-Historiker Stephan Müller hat sich auf die Spuren Humboldts in Bayreuth begeben. Der abenteuerlustige Naturforscher hat seinen Namen auf der ganzen Welt hinterlassen – auch in Bayreuth.


Ab 29. Juni 1792 machte Alexander von Humboldt eine mehrwöchige Bestandsaufnahme der verschiedenen Bergämter in der preußischen Provinz Bayreuth, vom 30. Mai 1793 bis zum 24. Februar 1797 hatte er seinen Amtssitz fast vier Jahre in Bayreuth.

Die beiden möglichen Dienstsitze von Humboldt. Es ist nicht sicher, ob sein Dienstsitz ab 1793 das Oberbergdépartement im Alten Schloss (hinten im Bild, wie heute das Bergamt) oder in der “Kanzlei” rechts war. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

An der Stelle des “Postgebäudes”, das Alexander von Humboldt noch nicht kannte, standen die Gaststätten das “Weiße Lamm” und “Angermann”. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Alexander von Humboldt in Bayreuth

Ich gehe vielleicht schon in drei Wochen nach Bayreuth, nach dem Fichtelgebirge. Ich habe den ehrenvollen Auftrag, die natürliche Beschaffenheit beider Markgrafentümer geognostisch und bergmännisch zu untersuchen (…).

Alexander von Humboldt war seine Vorfreude in dem Brief vom 4. Juni 1792 an seinen Jugendfreund Johann Karl Freiesleben deutlich anzumerken. Gerade erst hatte er sein Studium an der Bergakademie Freiberg abgeschlossen und schon wartete ein hochrangiger und verantwortungsvoller Posten in Bayreuth auf ihn.

Humboldt: Der ideale Mann

Denn nur wenige Wochen vorher hatte der Markgraf Karl Alexander seine beiden Fürstentümer Ansbach und Bayreuth gegen eine Leibrente von jährlich 300.000 Gulden an Preußen abgetreten. Als Gouverneur für die neue preußische Provinz wurde Karl August Freiherr von Hardenberg eingesetzt, der, um möglichst schnell für “preußisches” Recht und Ordnung zu sorgen, für alle Bereiche preußische Spitzenbeamte und herausragende Absolventen nach Bayreuth holte.

Hardenberg und der für den preußischen Bergbau zuständige Minister Freiherr von Heinitz sahen in dem jungen Alexander von Humboldt, der gerade erst als Assessor cum voto im preußischen Bergdepartement angestellt wurde, den idealen Mann, um den maroden Bergbau im Fichtelgebirge zu inspizieren.

Alexander von Humboldt, in Berlin 1807 (Frédéric Christophe de Houdetot) Foto: bernd-Mayer-Stiftung

Humboldts erste Bestandaufnahme

Sein erster Auftrag ist eine Bestandsaufnahme der Gruben und Hütten in den neuen preußischen Provinzen. Am 29. Juni 1792 bricht Humboldt aus Berlin zu dieser Dienstreise nach Franken auf.

Er reist von Naila über Münchberg ins Goldkronacher und das Wunsiedler Revier. Am 23. Juli 1792 war die Inspektion der drei bayreutherischen Bergämter beendet. Am 26. August 1792 legte Humboldt den Freiherren von Heinitz und von Hardenberg – zunächst mündlich, später schriftlich – seinen umfassenden Bericht seiner Inspektionsreise vor.

Sie waren von Humboldts präzisen Ausführungen, Analysen und Verbesserungskonzepte angetan und übertrugen ihm sofort die Leitung des Berg- und Hüttenwesens in Bayreuth.

Voller Stolz berichtet Humboldt seinen Freund Johann Karl Freiesleben in einem Brief vom 27. August 1792:

Ich bin gestern zum königlichen Oberbergmeister in den beiden fränkischen Fürstentümern ernannt worden. Alle meine Wünsche, guter Freiesleben, sind nun erfüllt. Ich werde von nun an ganz dem praktischen Bergbau und der Mineralogie leben.

Der Dienstantritt in Bayreuth

Am 30. Mai 1793 trat er seinen Dienst als Oberbergmeister im preußischen Oberbergdépartement in Bayreuth an. Aus Bayreuth schreibt Humboldt an Freiesleben:

Ich habe mit meinen Grubenberichten so viel Ehre eingelegt, dass ich die alleinige Direktion des Bergbaus in den drei Bergämtern Naila, Wunsiedel und Goldkronach erhalten habe.

Hoch zu Ross inspizierte er die ihm anvertrauten Bergämter. In den Betriebsanalysen stellte er schnell die Mängel fest, lieferte Verbesserungsvorschläge. Die Maßnahmen wurden erfolgreich umgesetzt. In kürzester Zeit gelang es Humboldt, die maroden Bergwerke profitabel zu machen.

Die erste Bergschule

Schon bei seiner ersten Befahrung erkannte Humboldt, dass es den Bergleuten nicht an Fleiß, sondern an Wissen fehlt. So gründete im November 1793 aus eigenen Mitteln in Steben eine „freie königliche” Bergschule. Es entstand quasi die ersten Berufsschule in Deutschland. In keinem anderen Bergrevier wurden junge Männer aus dem Bergbau in der damaligen Zeit so fundiert und praxisbezogen ausgebildet wie in Steben.

Drang nach Reisen und Forschung

Ab Mitte 1794 merkte man Humboldt in seinen Briefen mehr und mehr seinen Wunsch nach großen Reisen und Forschungen an. Er teilt Friedrich Schiller in einem Brief vom 6. August 1794 mit:

Vielleicht glückt es mir, mich bald ganz los zu machen und der großen wissenschaftlichen Arbeit, die ich mir vorgestreckt und die ich mit Anstrengung verfolge, ganz zu leben.

Am 26. März 1795 bat Alexander von Humboldt um seine Entlassung von seinen Pflichten als Oberbergmeister. Diese “Kündigung” konnten von Hardenberg und von Heinitz mit einer Beförderung zum Oberbergrat und mehr “Freiheiten” für wissenschaftliche Reisen noch verhindern.

Er arbeitete nun fast ausschließlich im Bayreuther Oberbergdépartement. Im Mittelpunkt seiner Arbeit standen nun Verbesserungen um die Sicherheit in den Bergwerken. Nicht zuletzt deshalb, weil er bei einem Versuch im Bernecker Alaunwerk fast selbst ums Leben gekommen wäre, experimentierte er an einer Grubenlampe und entwickelte Rettungsgeräte und Atmungsmasken für verunglückte Bergarbeiter.

Sorgen bereitet ihm dieser Zeit eine unglückliche Liebesbeziehung zu dem Infanterieleutnant Reinhard von Haeften, mit dem er sich in Bayreuth eine Wohnung teilt. („Ich lebe nur noch durch dich, lieber Reinhard, und ich kann nur glücklich sein, wenn ich bei dir bin”).

Das Fernweh siegte

Das Fernweh ließ Alexander von Humboldt jedoch nicht mehr los. „Ich bereite mich jetzt ernsthaft zu einer großen Reise außerhalb Europas vor”, schrieb er an Abraham Gottlob Werner.

Insgeheim wusste er wohl schon länger, dass die Anstellung in Bayreuth nicht die “Erfüllung all seiner Wünsche” war. Schade für Bayreuth, dass am Ende sein Fernweh die Oberhand behielt, aber auch ein Glück, sonst wären der Welt seine großartigen späteren Erkenntnisse verloren geblieben!

So schied Humboldt Ende Dezember 1796 auf eigenen Wunsch aus dem Bergdienst aus. Am 24. Februar 1797 verließ er Bayreuth.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

Sommernachtsfest: Als sich Frauen die Kleider vom Leib rissen

Das Sommernachtsfest feiert Jubiläum. Schon zum 50. Mal findet das Fest in der Eremitage an diesem Wochenende statt. Die Ursprünge der Feier gehen aber noch viel weiter zurück. Hobby-Historiker Stephan Müller weiß von Spielen, bei denen sich schon vor rund 300 Jahren Frauen in der damals noch jungen Eremitage die Kleider vom Leib rissen. Hier ist seine Geschichte:

Durch die Schriften des „Stadtschreibers“ Erdmann Johann Creta (1667 bis 1732) sind fundierte Berichte aus Bayreuth Stadt und Land erhalten. So wissen wir, dass die ersten “Kerwas”, die zu Regierungszeiten des Markgrafen Georg Wilhelm (1712 bis 1726) in der Eremitage veranstaltet wurden, schon etwas ausschweifender waren. Die Erzählungen über das “Rennen nach der Jungfer” oder das “Lanzenstechen” der Bayreuther Bauerssöhne verdanken wir Erdmann Johann Creta, der schreibt:

Hoch zu Roß und ohne Sattel versuchten damals die Bauerssöhne mit „Lantzen oder Stangen“ einen Ring aufzuspießen. Gelang es ihnen, so gab es einen „Gewinst“ wie einen Beutel mit Geld, Stiefel, Bockfelle, Strümpfe oder „Halßtücher“. Trafen die Männer nicht, wurden sie mit einem Kübel voller Wasser begossen.

(Stadtschreiber Erdmann Johann Creta um 1700)

Noch mehr Freude hatte die Herrschaft „beym Rennen nach der Jungfer“, bei dem sich die jungen Mädchen gegenseitig aus Draht geflochtene Kränze vom Kopf reißen mussten: Sie wurden „Von oben oder von unten herauff durch Fontainen, so naß gemacht, dass nicht eine trockene Faser an ihnen blieb.“ Die Mädchen „zerrten und schlugen sich so um des Gewinstes, dass sie darniederfielen und sich auch die Kleider vom Leibe rissen, was (der Herrschaft) so den grössten Lust ergab.“ Dies nahmen die Mädchen für „Hauben, Schürtzen, Schleyern oder Kirchentücher“ auf sich.

Repro: Stephan Müller

Verantwortlich zeichnete der Markgraf

Der, der diese Spiele abhalten ließ, hieß Markgraf Georg Wilhelm (1712 bis 1726). Er war es, der in der Eremitage, die um 1715 entstand, ein Sommerschloss bauen ließ, das heutige Alte Schloss der Eremitage. Das Neue Schloss, das Römische Theater und die Untere Grotte entstand erst Jahrzehnte später unter Markgräfin Wilhelmine.

Wie Prinz Charles

Georg Wilhelm war als junger Mann zunächst in einer Situation, die sich heute durchaus mit der englischen Königin Elisabeth II. und Sohnemann Charles vergleichen lässt. Er durfte zwar nicht regieren, aber sich zumindest den Künsten und der Repräsentation ganz im Sinne des fürstlichen Absolutismus widmen. Der junge Erbprinz hatte einen Hang zu theatralischen Auftritten vor ausgewählten Publikum und war gegenüber den Strömungen der Zeit und auch ihrer Moden sehr aufgeschlossen. Die Residenzstadt Bayreuth war ihm hierfür wohl zu eng.

Die weiteren Hobbys des Erbprinzen

So ließ der Erbprinz ab 1701 in der Nähe von Bayreuth am Ufer des Brandenburger Sees die planmäßig angelegte Stadt Sankt Georgen mit dem Schloss und der Sophienkirche – einer der bedeutendsten evangelischen Sakralbauten des Spätbarocks in Oberfranken – errichten. Noch heute finden wir die geometrisch streng geplante und kunstvoll angelegte Vorstadt mit Ordens- und Stiftskirche, Friedhof, markgräflichem Schloss und 24 gleichartigen Häusern mit Walmdächern am Marktplatz fast unverändert. Auf dem See unterhielt der Markgraf eigens eine kleine „Kriegsflotte“, die im Sommer zur Ergötzung des Bayreuther Hofes Seegefechte veranstaltete. An die Seeschlachten der markgräflichen Kriegsflottille erinnern nur noch die engen Häuschen in der Matrosengasse in St. Georgen und einige Schiffsmodelle im Stadtmuseum.

Das Alte Schloss in der Eremitage. Repro: Stephan Müller

Bekannt für Seeschlachten und Feuerwerke

So ist Georg Wilhelm durch das Eremitenspiel mit Stab und Kutte, durch die Seeschlachten und Feuerwerke, die phantastische Kostümierungen und in der geradezu unterwürfigen Anbetung seiner notorisch untreuen Ehefrau der Nachwelt als Exzentriker in Erinnerung geblieben. Genauso exzentrisch wie seine erste Kirchweih in der Eremitage. Wir freuen uns auf die Neuauflage der “Kirchweih in der Eremitage” im Jahr 2019, zweifeln aber daran, dass sich ähnliche Vorfälle mit Bauernsöhnen und “Jungfern” ereignen werden, wie zu Zeiten von Georg Wilhelm vor ziemlich genau 300 Jahren.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

Vor dem Bezirksliga-Kracher: Das war das spektakulärste Bayreuther Derby

Am Freitag startet das Saaser Sportler-Waldfest. Passend dazu kommt es um 18:30 Uhr auf dem Sportplatz des BSC Saas zum Bezirksliga-Derby mit dem TSV St. Johannis. Gut 300 Zuschauer werden erwartet. Schließlich waren Stadt-Derbys schon immer regelrechte Fußballfeste. Hobby-Historiker Stephan Müller hat sich die Geschichte der Bayreuther Derbys einmal genauer angeschaut und ist auf eine Partie gestoßen, bei der zwei Ex-Nationalspieler in Bayreuth schwer lädiert vom Platz gingen. Hier ist seine Geschichte:

Es gibt Fußballspiele und es gibt Derbys. Auch in Bayreuth. Seit der Vormachtstellung der SpVgg Bayreuth seit dem Ende der sechziger Jahre spielten sich die spannenden Lokalderbys eher in den unteren Ligen ab, wie in den achtziger Jahren, als hinter dem Zweitligisten mit dem BSV 98, dem 1. FC, dem BSC Saas und den SpVgg-Amateuren gleich vier Mannschaften in der Landesliga Nord und damit in der 4. Liga spielten. Das wohl aufregendste Fußball- Derby der Bayreuther Sportgeschichte fand aber noch ein paar Jahre früher statt.

Zwei Fußballer und ein Schwimmer. Hans Zeitler, Horst Weber und Fritz Semmelmann (von links) waren die Bayreuther Teilnehmer bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Drei Clubs auf Augenhöhe

In den 50er und 60er Jahren waren drei Bayreuther Fußballvereine nahezu auf Augenhöhe. In der Amateurliga Nordbayern belegten die Spielvereinigung, der 1. FC und der VfB Bayreuth in der Abschlusstabelle der Saison 1958/59 sogar die Plätze eins bis drei.

Während der VfB im Jahr 1956 als Bayerischer Fußballmeister noch an der Aufstiegsrunde zur zweiten Division scheiterte, gelang dies drei Jahre später, also 1969, der SpVgg Bayreuth. Daraufhin durfte sich die Altstadt drei Jahre lang in der zweithöchsten Spielklasse mit Mannschaften wie Waldhof Mannheim, Jahn Regensburg, Darmstadt 98 aber auch dem 1. FC Bamberg oder dem VfB Helmbrechts messen. Im Jahr 1962 stiegen die Altstädter wieder in die Amateurliga Bayern ab – und trafen am 21. Oktober zum wohl spektakulärsten Derby wieder auf den 1. FC Bayreuth.

Der “Jumbo” und “des Bäckla”, Hans Zeitler und Fritz Semmelmann (unten) spielten bei den Olympischen Spielen in Melbourne. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

4.000 Zuschauer beim FC

Viel stand auf dem Spiel an diesem 12. Spieltag in der Amateurliga Nordbayern. Der 1. FC empfing als Tabellenzweiter hinter dem 1. FC Bamberg die SpVgg Bayreuth, die als Absteiger aus der zweiten Division nur den zehnten Rang belegten. Ziel beider Vereine war ein Platz unter den ersten sechs in der Abschlusstabelle, um in der neu zu gründenden eingleisigen Bayernliga dabei zu sein. Der FC ging mit Ex-Nationalspieler Hans “Jumbo” Zeitler vor 4.000 Zuschauern im eigenen Stadion gegen die SpVgg mit Ex-Nationalspieler Fritz Semmelmann als Favorit ins Rennen.

Eine Klopperei ersten Ranges

Die Bayreuther Fußball-Anhänger sahen eine Klopperei ersten Ranges. In der 27. Minute schlug Stenger Zeitler so heftig gegen den linken Knöchel, dass sich der Ex-Nationalspieler bis zum Schlusspfiff nur noch humpelnd fortbewegen konnte. Auswechslungen waren damals noch nicht erlaubt. Nur drei Minuten später schoss ausgerechnet Stenger die Führung zum 1:0 für die Gäste. Fünf Minuten nach der Pause trat der FC-Läufer Horst “Horre” Wolf gegen das Schienbein Semmelmanns, der daraufhin mit einem Unterschenkelbruch in das Städtische Krankenhaus eingeliefert werden musste. In der 76. Minute musste SpVgg-Verteidiger Walther wegen wiederholten Foulspiels vorzeitig in die Kabine, so dass die Altstädter die letzte Viertelstunde nur noch mit neun Spielern absolvieren konnte. Zum knappen 1:0-Sieg reichte es für die Gelb-Schwarzen trotzdem.

Für den FC reicht es am Ende nicht

Das Rückspiel auf der Jakobshöhe endete ebenfalls mit einem knappen 1:0 Sieg für die Altstädter. Am Ende der Saison hatte sich die SpVgg als Tabellenvierter für die eingleisige Bayernliga qualifiziert, dem 1. FC fehlten am Ende auf Rang acht drei Zähler für den notwendigen sechsten Platz.

Hans “Jumbo” Zeitler. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Das ist Hans “Jumbo” Zeitler

Der Bindlacher Hans “Jumbo” Zeitler (1927 – 2018) nahm mit der deutschen Nationalmannschaft der Amateure bei den Olympischen Spielen in Helsinki (1952) und im australischen Melbourne (1956) teil. DFB-Trainer Sepp Herberger nominierte ihn auch für ein A-Länderspiel gegen Luxemburg, in dem er sich am 20. April 1952 auch in die Torschützenliste eintrug. Sein Wunsch, in Kader für die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 aufgenommen zu werden, ging nicht in Erfüllung. In Bayreuth spielte er für den VfB, die SpVgg und den 1. FC. Mit dem VfB wurde der Mittelstürmer im Jahr 1954 mit 26 Treffern Torschützenkönig. 1956 konnte er mit den “Prellmühlern” und 1959 mit der SpVgg die Bayernliga-Meisterschaft feiern. Mit den Altstädtern gelang ihm der Aufstieg in die zweite Division. Später wechselte er zum 1. FC Bayreuth, bei dem er nach seiner aktiven Zeit auch als Trainer tätig war.

 

Fritz Semmelmann. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Das ist Fritz Semmelmann

Fritz “das Bäckla” Semmelmann (1928 – 2011) wurde am 29. April 1953 erstmals in der deutschen Amateurnationalmannschaft eingesetzt. Durch Tore des Bayreuthers Jumbo Zeitler, Schröder und Klug gewann das DFB-Team in Linz gegen Österreich mit 3:1 Toren. Auch er spielte zusammen mit Jumbo Zeitler bei den Olympischen Spielen in Melbourne gegen die Sowjetunion. Semmelmann bestritt auch mehrere B-Länderspiele, in denen er an der Seite von Torwart Tilkowski, den späteren Weltmeistern Karl Mai vom 1. FC Nürnberg und Berni Klodt vom FC Schalke 04 oder dem jungen Uwe Seeler (HSV) spielte.

 

 


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Roter Main: Zurück zum Ursprung

Erst in seiner letzten Sitzung hat der Stadtrat Bayreuth über die Renaturierung des Roten Mains gesprochen, um das Klima der Stadt zu verbessern. Naturbelassen wie der Main einst einmal war, wollte ihn auch Wagners Frau Cosima sehen. Stephan Müller schreibt von einem Brief, in dem sie den damaligen Bürgermeister Theodor Ritter von Muncker bat, den Bau eines Konzerthauses am Roten Main zu überdenken. Dem Kanal wären an dieser Stelle mehrere Linden zum Opfer gefallen.


In die 37-jährige Amtszeit von Bürgermeister Theodor Ritter von Muncker von 1863 bis 1900 fielen die ersten Bayreuther Festspiele im Jahr 1876 und auch der Tod von Richard Wagner im Jahr 1883.
Wagners Frau Cosima überlebte ihren Mann um 47 Jahre und war in dieser Zeit auch kommunalpolitisch sehr engagiert.

Cosima Wagner. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Dies kommt in einem Brief vom 28. März 1898 an Bürgermeister Muncker zum Ausdruck. Der Stadtrat wollte an der Ecke Kanalstraße/Luitpoldplatz ein Gesellschafts- und Konzerthaus errichten, gegen das sich Wagners Witwe wandte: 

Hochgeehrter Herr Hofrath! (…). Ich höre, dass es projectirt ist, den neuen Bau im Garten hinter dem Centralschulhaus zu errichten. Ich hörte ferner, dass diesem Zweck der Maincanal überbrückt werden soll und dass die alten, am Ufer dieses Canals stehenden Linden bedroht sind. Meine Ansicht geht nun dahin, dass die Wahl dieses Platzes keine günstige ist und ich erlaube mir, dies zu begründen.

Unsere Stadt leidet am Wassermangel, demnach muss jede Gelegenheit vermieden werden, den Anblick des Wassers zu verringern. Im Gegenteil müsste man suchen, jede Stelle wo sich Wasser befindet, hervorzuheben und auszuschmücken, um einen entschiedenen Nachteil zum Besseren zu verhelfen.

Zum anderen sind alte Bäume ein großer, ja unersetzlicher Schmuck und wir sehen jetzt alle Einsichtigen in allen Städten bemüht, solche zu erhalten oder durch neue Pflanzungen dem Leiden, welches Staub und der Ruß hervorbringen, entgegen zu arbeiten.

Meine erste Bitte geht nun dahin, den Main nicht mehr noch als bereits geschehen, zu überbrücken und die alten Linden bestehen zu lassen, ja womöglich diese Stelle mit der Zeit zu einem hübschen Quai umzuwandeln, wozu die schönen Bäume sich sehr dienlich erweisen würden.

Etwa an der Stelle, an der das Gesellschafts- und Konzerthaus gebaut werden sollte, wurde später das “Haus der deutschen Erziehung” errichtet.

Das Haus der deutschen Erziehung. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Als ein Nachttopf zum großen Streit führte

Klarer kann der Sachverhalt im Gassenviertel zu Bayreuth nicht sein. Am 4. Juli 1675 schüttete der junge Vetterlein, abends, so kurz nach acht Uhr, in der Ochsengasse, wie es halt so üblich war, seinen vollen Nachttopf aus dem Fenster.

Der Inhalt “striff” den Hof-Musikanten Georg Carl, der dies (vermutlich lautstark) “mit Schelt-Worten scharff geahndet” hat, seinen Degen zog, in das Haus stürmte und dem Vetterlein eine ordentliche Tracht Prügel versetzte. Drei Tage später, am 7. Juli 1675, wurden mit dem Schneider Rathsam, dem Rathsherren Hirsch, dem Glaser Keck und dem Messerschmidt Fischer vier Zeugen über den Hergang der Schlägerei befragt.

Stephan Müller hat sich im Bayreuther Stadtarchiv das “Actum” mit den vier Zeugenaussagen angesehen.


Prügel für den Pfarrers-Sohn

In dem “Actum” wird also berichtet, dass der Hof-Musikus Georg Carl, am 4. Juli 1675 in der Ochsengasse “abends nach 8 Uhr” von einem ausgeschütteten “Cammerscherben”, also einem Nachttopf, erwischt wurde. Er zog seinen Degen, rannte die Stiegen hinauf, verschaffte sich gewaltsam Eintritt und versetzte dem “jungen Vetterlein”, dem Sohn des Bindlacher Pfarrers, eine ordentliche Tracht Prügel.

Die Kirchgasse, die sich heute von der Adlerapotheke bis zur Stadtkirche zieht, hieß früher Ochsengasse. Aus welchem Haus der Inhalt des Nachttopfes aus dem Fenster flog, lässt sich allerdings heute nicht mehr feststellen. Foto: Stephan Müller

Es war “ein großes Geschrey und Geschlag gewesen”. Klar, dass sich vor dem Haus “daselbst die Leuthe ziemblich versammlet” haben. Als Zeugen wurden der Schneider Hans Rathsam, der Glaser Leonhardt Keck, der Messerschmidt Balthasar Fischer und der Rathsherr Christian Hirsch geladen.

Leonhardt Keck sagte aus, dass “die Ursach für den Zanck und Schlägerey gewesen were, dass der junge Vetterlein während des “Fürbeygehen” des Musicantens den Cammerscherben herunter gegoßen hat. Dieser habe dies “scharff geahndet”, aber von oben wurden “Schelt-Wortten” herunter geworffen. Keck bestätigte, dass der Carl nichts gethan hat, aber “durch das Ausgießen und hernach erfolgtes wörtliches Injuriren aber were er böse gemacht worden” ist.

Ratsherr, Glaser und Messerschmidt mussten schlichten

Rathsherr Hirsch, Glaser Keck und Messerschmidt Fischer liefen ins Haus, um den Streit zu schlichten.

Sie trafen Carl “uff der Stiegen” an. “Was er da für Händel anfinge” wollte der Ratsherr wissen und “setzte ihn zur Rede”. Carl machte sich “dagegen unnütz” und “warff mit injuriosischen Wortten” um sich. “Was er sich um ihn schere” wollte der Carl vom Hirsch wissen. Anscheinend konnte der Musikus aber vom Ratsherrn beruhigt werden, denn Keck erzählte, dass “H. Hirsch ihm den Degen genommen habe und dann darnach beede zum Hauß hinaus ihrer Weg fortgangen weren”.

Stadtansicht Bayreuth 1686. Foto: Archiv Bernd Mayer

Alles gar nicht wahr

Der einzige Zeuge der die Schlägerei selbst gesehen hat, war Hans Rathsam. Der Schneider gab zu Protokoll, dass der Inhalt des Nachttopfs den Geschädigten gar nicht getroffen hat:

Der Cammerscherben, so doch nicht gros, gegen die Gaße ausgeleeret, da unten der Musicant, Carl genannt, und die Ammfrau beysammen gestanden, solle aber damit nicht getroffen worden seyn. Gleichwohl were gemeldter Musicant hinaff gelauffen, die Cammer aufgestoßen, den jungen Vetterlein zu Boden geworffen, auff ihn gekniet und mit Schlägen tractiret, darüber Deponent aus dem Bette gesprungen und abgewehret, habe Ihn mit dem Stiel über den Kopf geschlagen und sonst Ihm noch Stöß geben, darnach were H. Hirsch darzu kommen, daß er sich aus dem Hauß fortgemacht und seiner Wege gegangen, habe aber ziembliche Droh-Wortt schießen laßen.

(Protokoll Hans Rathsam)


Warnruf für den Nachttopfinhalt

Diese Art der Entsorgung, die unser guter Musikus in Bayreuth erleben musste, war bis zum Ende des Mittelalters in allen Städten gang und gäbe. Das Treppensteigen mitten in der Nacht war den Einwohnern zu lästig, vielleicht den älteren auch zu anstrengend oder die Gruben zu weit entfernt. Kurz: Es war den Bürgern, trotz des strengen Geruchs, der sich in den Gassen festsetzte, einfach nicht abzugewöhnen, dass sie ihr Sammelgut des nachts kurzerhand aus dem Fenster schütteten.

Foto: pixabay

Vorsicht, Wasser!

In dem Buch “Wo selbst die Kaiserin zu Fuß hinging – Das Kaleidoskop vom Klo” erfahren wir von Autor Ingolf Rheinholz, den Lösungsvorschlag schlechthin. Ein Lösungsvorschlag, der fast in allen Städten durchgeführt wurde. Ein lautstarker Warnruf:

So beschlossen die Stadtväter in Paris im 14. Jahrhundert, dass dreimal laut “Gare l’eau!”, also “Vorsicht, Wasser” gerufen werden musste, ehe die Ladung aus dem Fenster geschüttet wurde. In Edinburgh wurde diese Maßnahme mit dem “Gardy loo!” übernommen. Beide Warnrufe haben sich in Frankreich und Schottland bis heute als gängige Sprichwörter erhalten. Das “Gare l’eau!” bedeutet so viel wie “Kopf weg!”, das “Gardy loo!”: “Herrgott, sei uns gnädig”.

In Regensburg, so wusste ein Gästeführer dort zu berichten, rief man drei Mal auf französisch “attention”.

In Preußen, wie könnte es anders sein, wurde eine strenge Anordnung zu diesem Thema erlassen: “Da denen bisherigen Verordnungen zuwider sich viele Leute unterstehen, die Straßen durch Ausgiessung derer Nachteymer und Hinwerfung des Mülles zu verunreinigen”, machte das Preußische Policeydirectorium im Jahr 1771″zu jedermanns Achtung und Warnung hierdurch bekannt”, dass “dergleichen Personen künftig statt 2 Rthlr. mit 5 Rthlr. oder proportionirlicher Leibesstrafe belegt; über dem aber ohne Ansehen der Person an den Ort, wo sie betroffen werden, öffentlich mit einem Zettel vor der Brust ausgestellt” werden.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Volksfest 1984: Pferde trampeln Manta platt

Hans-Peter Hoppe erinnert sich nur ungern an den Tag vor 35 Jahren. Die Worte, die er seinem Sohn Erik zurief, wird er jedoch nie vergessen: “Duck’ dich, die Gäule kommen!” Der Auftakt zum Bayreuther Volksfest endete für Hoppe und seinen Sohn in einem Riesenschrecken, der viel schlimmer hätte enden können.

Es war 1984. Der Festzug war vorbei, die Besucher ließen sich längst ihr Bier im Zelt schmecken oder schossen der Liebsten ein großes Plüschtier, als Hans-Peter Hoppe und Erik mit ihrem Manta den Hohenzollernring entlang fuhren. Zeitgleich war eine Kutsche der Brauerei hinter Hoppe gerade auf dem Rückweg. Sechs große, starke Pferde zogen das Gespann, das schwere Bierfässer geladen hatte.

Dem Kutscher gehen die Pferde durch

Und dann geschah das Unglück: Plötzlich gingen dem Kutscher die Pferde durch. Sie galoppierten direkt auf den Manta zu.

Ich habe in den Rückspiegel gesehen und meinem Sohn zugerufen: ‘Duck’ dich, die Gäule kommen!’.

(Hans-Peter Hoppe)

Hoppe erinnert sich, dass die Brauereipferde von hinten auf den Manta trampelten. “Die haben ihn einfach zusammengedrückt.” Auf dem Kofferraumdeckel habe man noch die Hufspuren der Tiere gesehen. Die Kutsche stürzte um und blieb auf der Straße liegen.

Das Aus für den Umzug

Dass niemand, weder Hoppe und sein Sohn, noch der Kutscher oder die Pferde, schwer verletzt wurden, grenzt an ein Wunder. “Wir hatten großes Glück”, sagt der Bayreuther.

Für den Festzug bedeutete das Unglück das Aus. 21 Jahre lang gab es in Bayreuth zum Volksfest keinen Umzug mehr. Erst 2006 hat der damalige Oberbürgermeister Michael Hohl die Tradition wieder aufleben lassen.

150 Jahre Siegfried Wagner: Der kuriose Tod einer Festspiel-Tänzerin

Zu Siegfried Wagners 150. Geburtstag fällt dem Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller die Geschichte der Isadora Duncan wieder ein. Die Amerikanerin die bis heute vielleicht aufregendste Künstlerin, die die Bayreuther Festspiele je gesehen haben. Und Cosima Wagner wollte sie dem Memoiren der Tänzerin zufolge, einst mit ihrem Sohn Siegfried verkuppeln.

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Sie wollte provozieren und schockieren. So wagte sie sich Ende des 19. Jahrhunderts im puritanischen Amerika fast nackt auf die Bühne. Ihr ganzes Leben kämpfte sie für die freie Liebe und gegen bürgerliche Konventionen. Und ausgerechnet Cosima Wagner verpflichtete die Tänzerin Isadora Duncan für den Tanz der Grazien im „Tannhäuser“ im Festspielsommer 1904.

Isadora Duncan im Tannhäuser. Foto: Archiv Bernd Mayer

Eine Sensation: Die amerikanische Balletttänzerin dürfte bis heute die aufregendste Festspielsolistin aller Zeiten sein. Die am 27. Mai 1878 in San Francisco geborene Tänzerin hatte  einen neuen Tanzstil kreiert, der von den starren Regeln und der Kostümierung des klassischen Balletts vollkommen abwich.

Kurz vor ihrem 27. Geburtstag kam die Tänzerin in Bayreuth an. In der Nähe der Eremitage entdeckte sie die „Philippsruh“. Sie mietete das historische Gebäude für die ganze Festspielsaison und ließ für diese wenigen Wochen alle Wände mit einem zarten Grün übertünchen. Als Möblierung wählte sie Diwans, Ruhekissen und rosafarbene Lampen aus.

Foto: Stephan Müller

Wenn man den Memoiren der Tänzerin Glauben schenken darf, war die rassige Schönheit in diesem Festspielsommer auch Cosima Wagners heimliche „Wunschschwiegertochter“ für ihren damals 35-jährigen, immer noch unverheirateten, Sohn Siegfried.

Siegfried Wagner und Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Daraus wurde freilich nichts: Denn Siegfried war höchstwahrscheinlich homosexuell, dies konnte er in dieser wilhelminischen Zeit als “Prominenter” keinesfalls offen kundtun, was wenig später die skandalösen Verleumdungsklagen der Harden-Eulenburg-Affäre zwischen 1907 und 1909 deutlich zeigten.

Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Wenn auch nicht von Siegfried, so bekam Isadora von anderen Männer fleißig Besuch: Während Zar Ferdinand von Bulgarien oder der Naturforscher Ernst von Haeckel tagsüber kamen, verbrachten der Sänger Alfred von Bary, aber auch Cosimas Schwiegersohn Henry Thode die Nächte bei reichlich Champagner in der „Philippsruh“.

In ihren Memoiren schrieb sie, dass sie sich in Henry Thode, den genervten Ehemann von Cosimas Tochter Daniela, unsterblich verliebt hat und von einer Wollust in die andere verfiel:

Es war, als befände sich jeder Nerv meines Körpers konstant in höchstem Liebesschauer. Noch nie habe sie solch eine ‚beseligende Liebesekstase erlebt’.

(Isadora Duncan)

Die Festspielen begeisterten Isadora: „Meine Seele glich einem Schlachtfeld, wo Apollo, Dionysos, Christus, Nietzsche und Richard Wagner einander den Boden streitig machten“, schrieb sie.

Viele Bayreuther Sänger waren groß und dick, aber wenn sie zu singen begannen, drangen ihre Stimmen aus einer Welt vergeistigter Schönheit, wo die ewigen Götter leben. Ich stelle diese Behauptung auf, dass diese Künstler sich ihres Leibes gar nicht bewusst waren; dieser stellte für sie nur eine Maske voll gewaltiger Energie und Kraft dar, durch die sei ihre göttliche Kunst auszudrücken imstande waren.

(Isadora Duncan)

Umgekehrt waren das Publikum und die Presse auch von Isadora Duncan begeistert: Sie zeigte natürliche harmonische Bewegung im klassisch-griechischen Sinn: Statt kurzem Röckchen, Korsett und weißen Strümpfen trug sie fließende Gewänder und tanzte nicht in Spitzenschuhen, sondern barfuß. Duncan erschuf den modernen Tanz und war die Erste, die sich nach den großen klassischen Musikwerken auf eine ganz neue, weiblich freizügige Art bewegte. Tanz war für sie körperlich-seelische Einfühlung in die Musik.

Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Der gestrengen Frau Cosima gefiel die viel zu durchsichtige Tunika der Tänzerin allerdings überhaupt nicht. Sie ließ ihr ein langes weißes Hemd in die Garderobe schicken.

Die Mutter stirbt wie ihre Kinder: Bei einem Unfall mit dem Auto

Isadora Duncan starb am 14. September 1927 auf der Promenade des Anglais in Nizza im Alter von erst 50 Jahren. Sie war Beifahrerin in einem offenen Amilcar. Ihr langer Seidenschal verfing sich an einem Rad des Sportwagens. Sie wurde auf die Straße geschleudert und zog sich einen Genickbruch zu und starb noch am Unfallort.

In einem französischen Amilcar wie diesem, fand Isadora Duncan den Tod. Foto: pixabay

Besonders tragisch: Erst 14 Jahre zuvor starben ihre beiden Kinder bei einem Autounfall in Paris. Duncans Chauffeur hatte vergessen, die Handbremse anzuziehen, als er ausstieg, um den in einer Kurve stockenden Motor zu reparieren. Das Auto stürzte in die Seine und die Kinder und das Kindermädchen ertranken.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.