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Jean Paul: Sieben Männer streiten um ein Erbe

Sieben Männer, die um ein Erbe streiten. So könnte ein Kinofilm beginnen. Dass das ein Werk von Jean Paul ist, vermutet man im ersten Moment nicht. bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller beweist mit der Erzählung “Testamentsvollstreckung”, dass Jean Paul nicht immer trocken und schwere Kost sein muss.


Stoff wie für einen Kinofilm

Im dem Kinofilm “Didi und die Rache der Enterbten” mit Didi Hallervorden aus dem Jahr 1985 stirbt der Bankier Gustav Böllemann, nachdem er sich kurz zuvor noch mit einer leichten Dame amüsiert hatte. In der Testamentsverkündung zeigt der Notar der anwesenden Verwandtschaft von Gustav: In seinem letzten Willen enterbt Böllemann seine gierigen Nichten und Neffen, die es alle zu nichts gebracht haben und benennt stattdessen Dieter Dödel, einen Neffen dritten Grades, als Alleinerben seines Millionen-Vermögens.

Zumindest die Handlung am Anfang dieses Filmes erinnert an eine herrliche Erzählung eines großen Bayreuthers, an Jean Paul und seine “Testamentseröffnung” in dem Buch “Die Flegeljahre”. Jean Paul, der zu Lebzeiten zeitweise der meistgelesenste Autor in Deutschland war, ist in Vergessenheit geraten. Konnten seine Zeitgenossen seine Bücher ohne Probleme lesen, sind sie für uns heute schwere Kost.

Porträt Jean Paul im Rathaus. Foto: Stephan Müller

Leseexpedition durch Jean Pauls Werk

Am besten beschrieb dies der Chefredakteur Erich Rappl im Jahre 1963 im „Bayreuther Tagblatt“: „Allzu viele, die ihn für sich entdecken wollten, haben ihre Leseexpedition durch das Urwaldgestrüpp seiner ‘Flegeljahre’ abgebrochen und bestenfalls auf ein vages ‘Spätereinmal’ verschoben. Denn wer nichts anderes will, als auf der glatten Bahn einer zügig und knapp dahinerzählten Romanhandlung voranzublättern, der wird bei Jean Paul nie zum Ziele gelangen.“

“Die Testamentsvollstreckung”

Eine von Jean Pauls amüsantesten Erzählungen ist die “Testamentsvollstreckung” aus dem Buch “Die Flegeljahre”.

Der vermögende Herr Van der Kabel aus Haßlau hat das Zeitliche gesegnet. Sieben Männer erscheinen zur Testamentseröffnung und hoffen auf ein großes Erbe.

Sieben noch lebende weitläuftige Anverwandte von sieben verstorbenen weitläuftigen Anverwandten Kabels machten sich zwar einige Hoffnung auf Plätze im Vermächtnis, weil der Krösus ihnen geschworen, ihrer da zu gedenken; aber die Hoffnungen blieben zu matt, weil man ihm nicht sonderlich trauen wollte.

(Auszug aus Jean Pauls “Testamentsvollstreckung”)

Schreibfeder mit Tinte, Bierkrug und die Gästebücher im Dichterstübchen. Foto: Stephan Müller

War Van der Kabel doch immer jemand, der “so spöttisch dareingriff und mit einem solchen Herzen voll Streiche und Fallstricke”. Und tatsächlich sollten die Anverwandten eine böse Überraschung erleben, als der Bürgermeister als “Ober-Exekutor” verlas:

Demzufolge vermach’ ich denn dem Hrn. Kirchenrat Glanz, dem Hrn. Hoffiskal Knoll, dem Hrn. Hofagent Peter Neupeter, dem Hrn. Polizei-Inspektor Harprecht, dem Hrn. Frühprediger Flachs und dem Hrn. Hofbuchhändler Paßvogel und Hrn. Flitten … vor der Hand nichts ….

Als sie erfahren, dass das Vermögen an “hiesige Stadtarme”, den Schulmeistern des Fürstentums, der Judenschaft und an einen Universalerben geht, fallen die sieben “Anverwandten” fast vom Hocker:

Sieben lange Gesichtslängen fuhren hier wie Siebenschläfer auf.

Van Kabel begründet dies in seinem Testament damit, weil er von jedem Einzelnen weiß, dass sie “seine geringe Person lieber haben als sein großes Vermögen”.

Eine Locke von Jean Paul war das schönste Andenken für die Damen der gehobenen Gesellschaft – zumindest bis durchsickerte, dass diese Locken auch schon mal von seinem Pudel Ponto stammten. Foto: Stephan Müller

Mitten in die Wut und die Flüche der sieben Männer verliest der Bürgermeister die dritte Klausel des Testaments: Zu vererben wäre noch das Haus in der Hundsgasse: Das Haus erbt derjenige von seinen sieben genannten Hrn. Anverwandten, “welcher früher als die übrigen sechs Nebenbuhler eine oder ein paar Tränen über mich, seinen dahingegangenen Onkel, vergießen kann. Bleibt aber alles trocken, so muss das Haus gleichfalls dem Universalerben verfallen.”

Hier machte der Bürgermeister das Testament zu, merkte an, die Bedingung sei wohl ungewöhnlich, aber doch nicht gesetzwidrig, sondern das Gericht müsse dem ersten, der weine, das Haus zusprechen, legte seine Uhr auf den Sessionstisch, welche auf 11 1/2 Uhr zeigte, und setzte sich ruhig nieder, um als Testaments-Vollstrecker so gut wie das ganze Gericht aufzumerken, wer zuerst die begehrten Tränen über den Testator vergösse.

Ob es den enttäuschten, erbosten und aufgebrachten Verwandten gelingt, gerade in diesem Moment eine Träne für den Verstorbenen zu verdrücken?

Und nun zum Original

An dieser Stelle steigen wir in Jean Pauls Original mit den schrulligen Gedanken jedes einzelnen “Erben” und schließlich mit der Auflösung ein. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen. Probieren Sie es … Es lohnt sich!

Dass es, solange die Erde geht und steht, je auf ihr einen betrübteren und krauseren Kongress gegeben als diesen von sieben gleichsam zum Weinen vereinigten trocknen Provinzen, kann wohl ohne Parteilichkeit nicht angenommen werden.

Jean Paul im Sonnenlicht. Foto: Stephan Müller

Anfangs wurde noch kostbare Minuten hindurch bloß verwirrt gestaunt und gelächelt. An reine Rührung konnte – das sah jeder – keiner denken, so im Galopp an Platzregen, an Jagdtaufe der Augen; doch konnte in 26 Minuten etwas geschehen.


Kaufmann Neupeter

Der Kaufmann Neupeter fragte, ob das nicht ein verfluchter Handel und Narrensposse sei für einen verständigen Mann, und verstand sich zu nichts; doch verspürt’ er bei dem Gedanken, dass ihm ein Haus auf einer Zähre in den Beutel schwimmen könnte, sonderbaren Drüsen-Reiz und sah wie eine kranke Lerche aus, die man mit einem eingeölten Stecknadelknopfe – das Haus war der Knopf – klistiert.


Hoffiskal Knoll

Der Hoffiskal Knoll verzog sein Gesicht wie ein armer Handwerksmann, den ein Gesell Sonnabend abends bei einem Schusterlicht rasiert und radiert; er war fürchterlich erboset auf den Mißbrauch des Titels von Testamenten und nahe genug an Tränen des Grimms.


Buchhändler Paßvogel

Der listige Buchhändler Paßvogel machte sich sogleich still an die Sache selber und durchging flüchtig alles Rührende, was er teils im Verlage hatte, teils in Kommission; und hoffte etwas zu brauen; noch sah er dabei aus wie ein Hund, der das Brechmittel, das ihm der Pariser Hundearzt Hemet auf die Nase gestrichen, langsam ableckt; es war durchaus Zeit erforderlich zum Effekt.


Flitte aus Elsaß

Flitte aus Elsaß tanzte geradezu im Sessionszimmer, besah lachend alle Ernste und schwur, er sei nicht der Reichste unter ihnen, aber für ganz Straßburg und Elsaß dazu wär’ er nicht imstande, bei einem solchen Spaß zu weinen.


Polizei-Inspektor Harprecht

Zuletzt sah ihn der Polizei-Inspektor Harprecht sehr bedeutend an und versicherte: falls Monsieur etwa hoffe, durch Gelächter aus den sehr bekannten Drüsen und aus den Meibomischen und der Karunkel und andern die begehrten Tropfen zu erpressen und sich diebisch mit diesem Fensterschweiß zu beschlagen, so wolle er ihn erinnern, dass er damit so wenig gewinnen könne, als wenn er die Nase schneuzen und davon profitieren wollte, indem in letztere, wie bekannt, durch den ductus nasalis mehr aus den Augen fließe als in jeden Kirchenstuhl hinein unter einer Leichenpredigt. – Aber der Elsasser versicherte, er lache nur zum Spaß, nicht aus ernsteren Absichten. Der Inspektor seinerseits, bekannt mit seinem dephlegmierten Herzen, suchte dadurch etwas Passendes in die Augen zu treiben, dass er mit ihnen sehr starr und weit offen blickte.


Frühprediger Flachs

Der Frühprediger Flachs sah aus wie ein reitender Betteljude, mit welchem ein Hengst durchgeht; indes hätt’ er mit seinem Herzen, das durch Haus- und Kirchenjammer schon die besten schwülsten Wolken um sich hatte, leicht wie eine Sonne vor elendem Wetter auf der Stelle das nötigste Wasser aufgezogen, wär’ ihm nur nicht das herschiffende Flöß-Haus immer dazwischengekommen als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.


Kirchenrat Glanz

Der Kirchenrat Glanz, der seine Natur kannte aus Neujahrs- und Leichenpredigten, und der gewiss wusste, dass er sich selber zuerst erweiche, sobald er nur an andere Erweichungs-Reden halte, stand auf – da er sich und andere so lang am Trockenseile hängen sah – und sagte mit Würde, jeder, der seine gedruckten Werke gelesen, wisse gewiss, dass er ein Herz im Busen trage, das so heilige Zeichen, wie Tränen sind, eher zurückzudrängen, um keinem Nebenmenschen damit etwas zu entziehen, als mühsam hervorzureizen nötig habe aus Nebenabsichten. – »Dies Herz hat sie schon vergossen, aber heimlich, denn Kabel war ja mein Freund«, sagt’ er und sah umher. Mit Vergnügen bemerkte er, dass alle noch so trocken dasaßen wie Korkhölzer; besonders jetzt konnten Krokodile, Hirsche, Elefanten, Hexen, Reben leichter weinen als die Erben, von Glanzen so gestört und grimmig gemacht.


Bloß Flachsen schlugs heimlich zu; dieser hielt sich Kabels Wohltaten und die schlechten Röcke und grauen Haare seiner Zuhörerinnen des Frühgottesdienstes, den Lazarus mit seinen Hunden und seinen eigenen langen Sarg in der Eile vor, ferner das Köpfen so mancher Menschen, Werthers Leiden, ein kleines Schlachtfeld und sich selber, wie er sich da so erbärmlich um den Testaments-Artikel in seinen jungen Jahren abquäle und abringe – noch drei Stöße hatt’ er zu tun mit dem Pumpenstiefel, so hatte er sein Wasser und Haus.

Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

»O Kabel, mein Kabel«, fuhr Glanz fort, fast vor Freude über nahe Trauertränen weinend: »Ich glaube, meine verehrtesten Herren«, sagte Flachs, betrübt aufstehend und überfließend umhersehend, »ich weine« – setzte sich darauf nieder und ließ es vergnügter laufen;  … Er war nun auf dem Trocknen.


Text: Stephan Müller


Wie eine Glocke: Was von der Bayreuther Stadtmauer noch übrig ist

Zugegeben: Mit der vollständigen erhaltenen Stadtmauer in Nördlingen oder den mittelalterlichen Wehranlagen in Rothenburg ob der Tauber kann die Bayreuther Stadtmauer nicht mithalten. Dennoch wären so manche Städte stolz darauf, wenn sie behaupten könnten, dass heute noch zwei Drittel der historischen Wehranlage erhalten sind. Von einem kreisrunden Mauer-“Ring” kann man in Bayreuth nicht sprechen. Der Mauerverlauf ähnelt in seiner an die Landschaft angepassten Form eher an eine Glocke. Die Wehranlage um die Stadt Bayreuth wurde um das Jahr 1300 errichtet und in den Jahren 1448, 1457 und 1660 verstärkt. Hobby-Historiker Stephan Müller hat sich die Stadtmauer genauer angesehen.


Foto: Stephan Müller

Ein Graben vor der Mauer

Ob der davor gelagerte Graben mit Wasser – möglicherweise vom Roten Main und dem Sendelbach – gespeist wurde, lässt sich heute nur noch vermuten. Dass es diese Gräben gab, beweisen der ehemalige Straßenname “Am Graben” und eindrucksvoll der Garten des Hauses Friedrichstraße 5. Ein Blick hinter das Sterbehaus von Jean Paul verdeutlicht den deutlichen Höhenunterschied, der zwischen der Straße und dem Graben bestand.

Mauer an der Opernstraße vor Errichtung des Wittelsbacher Brunnens 1914. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Neben dem Mühltürlein und dem “Schanztor” neben dem Alten Schloss (Schloßberglein), die nur für Fußgänger zugänglich waren, gab es mit dem Oberen Tor und dem Unteren Tor nur zwei große Tore, die im Rahmen einer markgräflichen “Stadtverschönerung” im Jahr 1752 abgerissen wurden.

Das waren die Tore der Stadt

Markgraf Friedrich vergrößerte die Stadt, in dem er neue Tore errichten ließ, die allerdings nur Kontroll- und Zollfunktionen hatten. Gedenktafeln an der Badstraße 30 (Ziegelgässer Tor) und an der Richard-Wagner-Straße 34 (Eremitager Tor) erinnern an den erweiterten Stadtkern. Darüber hinaus gab es unter anderem das Brandenburger Tor, das Erlanger Tor (Erlanger Straße), das Moritzhöfener Tor (an der heutigen Jean-Paul-Straße beim “Gänsehügel”) sowie das Röthgasser Türlein, das aber möglicherweise mit dem ebenfalls erwähnten Cottenbacher Tor (etwa am Güterbahnhof) identisch ist.

Das Obere Tor führte im Mittelalter vom Markt zum heutigen Sternplatz. Es bestand aus einem inneren und einem äußeren Tor, zwischen denen es mehrere kleine Gebäude gab, die als Läden und Werkstätten benutzt wurden. Der innere Torteil der Wehranlage stand zwischen dem Schloss und der Schmiedgasse (Kanzleistraße) und wird als ein viereckiges mit Schiefer gedecktes Gebäude mit Flügeltüren beschrieben. Erwähnt wurden auch ein “Fallgatter” und “Palisaden”. Es wurde 1736 auf Befehl von Markgraf Friedrich abgetragen.

Einiges lässt sich nur noch aus alten Chroniken, Skizzen und Stadt-Stichen erahnen: Die Lage der ehemaligen Tore, die Türme, der Schwertelturm, der Teufelsturm “mit je zwei Hackenbüchsen und einer Büchse im Gerüst”, der ehemalige Pfeilturm bei der Stadtkirche “mit Armbrüsten, Pfeilen, Böcken und Bänken gefüllt”, der Pulver- oder Gefängnisturm und die ebenfalls durch einen Turm gekrönte Wächterwohnung am Mühltürlein. Von den ehemals sechs Wehrbefestigungen ist nur noch eine, der Diebsturm hinter der von-Römer-Straße (Zugang neben dem Café Händel in der Dammallee), erhalten.

Das Untere Tor stand in der heutigen unteren Fußgängerzone und war mit einer gewölbten und einer “Schlagbrücke” versehen. Daneben standen ein “Wacht- und Schützenhaus” sowie der “Pulver- und Gefängnisturm”. Hinter dem Wohnhaus der Wagner-Freundin Malwida von Meysenburg (Gedenktafel an der Ecke Dammallee/Dammwäldchen) stand der starke “Teufelsturm”. Auf dem Stadtbild des Küffnerschen Epitaphs von 1615 (in der Stadtkirche) ist er als klobiger Eckpfeiler der Stadtmauer zu erkennen.

Das Gemälde auf dem Küffner‘schen  Epitaph von 1615 zeigt die zerstörte Stadtkirche (Stadtbrand 1605). Es ist aber noch das Rathaus (zerstört beim Stadtbrand 1621) zu sehen. Unmittelbar vor dem Schlossturm sieht man bereits ein Haus, dass auf die Stadtmauer gebaut wurde. Am ganz rechten Rand erkennt man den Teufelsturm.

Was von damals noch erhalten ist

Erhalten sind noch der viereckige “Schwertelturm” hinter dem ehemaligen Café Händel und zwei von drei Ravelins, die vor der Stadtmauer standen. Diese beiden Wachhäuser für die Soldaten, die die Tore schützen sollten, stehen noch heute in der Nähe der beiden Standorte des Unteren und Oberen Tores am Hohenzollernring (früher Firma Eisen-Ries) und im Garten des Hauses Maximilianstraße 9 (früher Siegelin und Buck), in dem Jean Paul seine erste Wohnstätte in Bayreuth fand.

Vom Garten des Miam Miam Glou Glou zu sehen. Der Rest eines Wappens der an einem Ravelin, also einem Wachhaus der Wachsoldaten hing. Foto: Stephan Müller.

Stadtmauer wird überflüssig

Mit der Einführung der Feuerwaffen verloren die Stadtmauern an Bedeutung. In Bayreuth führte dieser Umstand dazu, dass die komplette Wehranlage im Jahr 1745 an die Bürger verkauft wurde. In der heutigen Von-Römer-Straße (damals Judengasse) nutzten die Anwohner die Umschanzung als Außenmauer für ihre neuen Häuser.

Diese Idee war zu diesem Zeitpunkt nicht neu. Auf dem bereits erwähnten Stadtbild des Küffnerschen Epitaphs ist zu erkennen, dass schon mindestens 130 Jahre vorher ein einzelnes Haus auf die Stadtmauer gebaut wurde. Durch die Aufschüttung des Grabens wurden in Richtung Dammallee weitere Baugrundstücke geschaffen, die den immer noch vorhandenen Mauerring verschwinden ließen.

Foto: Stephan Müller

Reste werden wieder freigelegt

Erst der Bau des Hohenzollernrings in den siebziger Jahren und die Häuserabrisse in der Dammallee (Kegelbahn und Textilreinigung Wild) vor etwa 15 Jahren wurden wieder große Teile der Stadtmauer freigelegt. Damit endete das fast zwei Jahrhunderte lange Mauerblümchendasein der alten Wehranlage.

Ebenfalls umfunktioniert wurde die Stadtmauer im Bereich des Schloßbergleins und der Opernstraße. Das Mauerwerk bietet heute den Hintergrund für den Wittelsbacher Brunnen, der 1914 (mit vier Jahren Verspätung) zum 100-jährigen Anschluss Bayreuths an das Königreich Bayern errichtet wurde. Westlich neben dem mächtigen Alten Schloss, in dessen Bereich kein Mauerring notwendig war, zog sich die Befestigung entlang der heutigen Kanalstraße bis zum heutigen Hohenzollernring entlang. Dort könnte es – ähnlich wie am Hohenzollernring im Bereich der Frauengasse – teilweise eine in diesem Bereich wichtige Doppelmauer gegeben haben, die einen Verteidigungsgang möglich machte. Im Stadtbuch von 1464 heißt es, dass die “Viertelmeister” die Stadtmauer regelmäßig begehen mussten.

Foto: Stephan Müller

Dass diese jedoch nicht überall begehbar war, erkennt man bei einem Spaziergang durch den Hof der Regierung von Oberfranken zwischen der Ludwigstraße und der Kanzleistraße. Neben dem schönen Präsidentengarten und in den Hinterhöfen des evangelischen Dekanats und dem Pfarrhaus ist die hohe Wehranlage in über sechs Jahrhunderten unverändert geblieben.

Ein inzwischen abgerissener Teil der Stadtmauer im Hof der Regierung von Oberfranken. Foto: Archiv Stephan Müller.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

Vom Gymnasium geflogen: Graf Gravina, Lausbub und Bayreuther Original

„Grüß Gott, Herr Scholti.” Wie von der Tarantel gestochen bleibt Festspielleiter Wolfgang Wagner auf der Bühne des Festspielhauses stehen, als sein Mitarbeiter einen Statisten mit diesem berühmten Dirigenten-Namen begrüßt. „Scholti? Sind Sie etwa mit dem Georg Solti verwandt?“, fragt Wagner. „Ja, mein Großvater kommt aus Ungarn. Es ist sein Cousin”. Wolfgang Wagner sieht Martin Scholti lange an: „Na ja, für seine Verwandtschaft kann man ja nichts“, und fügte nach einer kleinen – wohl gesetzten – Pause schmunzelnd hinzu: „Das weiß ich am besten.“

Wen mochte Wagner wohl gemeint haben? In Frage kommen zweifellos mehrere Familienmitglieder. Vielleicht sein Cousin, Gilbert Graf Gravina? Er war eine schillernde Persönlichkeit, stadtbekannt und hatte es als Kind faustdick hinter den Ohren. Hobby-Historiker Stephan Müller erzählt warum.


Gilbert Graf Gravina. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Wolfgang Wagners Tante Blandine, eine Tochter aus Cosima Wagners erster Ehe mit Hans von Bülow, hatte am 25. August 1882 den sizilianischen Conte Biagio Gravina geheiratet. Blandine und ihr ältester Sohn Manfredi, der als italienischer Marineoffizier, Diplomat und Hoher Kommissar des Völkerbundes Karriere machte, waren später Wolfgang Wagners Taufpaten. Während er seine Tante Blandine verehrte, würdigte Wolfgang Wagner Manfredis jüngeren Bruder Gilbert (1890 – 1972) in seiner Biografie „Lebensakte” mit keiner einzigen Zeile.

Wer war Graf Gravina?

Gilbert Graf Gravina, geboren 1980 in Palermo, war also der Enkel von Cosima Wagner und damit auch Urenkel von Cosimas Vater Franz Liszt. Richard Wagner war als zweiter Ehemann von Cosima quasi sein “Stiefgroßvater”, Wolfgang und Wieland Wagner seine Cousins. Nach dem Selbstmord seines Vaters im Jahr 1897 wurde der siebenjährige Gilbert der Ziehsohn von Wolfgang Wagners Vater Siegfried und wuchs in Bayreuth auf. Siegfried Wagner komponierte für den begabten Flötenspieler sogar ein eigenes Konzert porträtierte ihn in einer seiner Opern als Lebemann, der er auch zweifellos war. Er starb im Jahr 1972 in Bayreuth und ist im Grab seiner Tante Daniela Thode am Bayreuther Stadtfriedhof beigesetzt.

Cosima Wagner mit ihren Kindern und Enkeln (von links nach rechts): Enkel Gilbert Graf Gravina, Isolde Wagner, Daniela Thode, Cosima Wagner, Siegfried Wagner, Eva Wagner und die Gräfin Blandine Gravina. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Der junge Graf flog von der Schule

Schon als Junge hatte es der Graf faustdick hinter den Ohren. Das zeigt eine Begebenheit aus dem Gymnasium Christian Ernestinum in der Friedrichstraße, die der Spinnerei-Besitzer Dr. Fritz Bayerlein immer wieder gern zum Besten gab: Etwa um die Jahrhundertwende, als Gilbert die siebte Klasse besuchte, kam täglich um Punkt 7.45 Uhr ein Fiaker vorgefahren. Dem türlosen Zweisitzer entstieg, seiner Würde bewusst, einer der Herren Professoren. Die Mappe an die Brust gedrückt, erklomm er die Stufen des Schulgebäudes und verschwand durch die Eingangstür.

Die Postkarte aus dem Jahr 1900 zeigt den Jean-Paul-Platz mit dem Bayreuther Gymnasium. Foto: Archiv Dr. Syliva Habermann.

Eines Tages wurden die vor der Tür noch harrenden Schüler durch Flüsterpropaganda aufgefordert, sich am nächsten Tag schon vor 7.45 Uhr vor dem Penal einzufinden. Es würde etwas Besonderes geboten, das auch Jean Paul, der auf seinem Sockel dem Schulgebäude gegenüberstand sicher Spaß gemacht hätte. Keine Frage, dass sich am nächsten Tag eine große Schülerzahl einfand. Da trabte, pünktlich auf die Minute, auch schon der Einspänner an. Doch die Aufmerksamkeit richtete sich auf die andere Straßenseite. Denn von dort ertönten ebenfalls Pferdehufe.

Eine elegante Chaise, von zwei Pferden gezogen, fuhr direkt auf das Gymnasium zu. Auf dem Bock saß ein Kutscher mit Zylinder und langer Peitsche, neben ihm ein livrierter Diener.

Fast im gleichen Augenblick hielten nun beide Kutschen einander gegenüber vor dem Schuleingang. Dem Fiaker entstieg, wie immer wortlos, der Herr Professor, der diesmal aber verdutzt stehen blieb. Er musste mit ansehen, wie der Lakai vom Bock sprang und seinem Fahrgast die Türe aufriss. Der Kutsche entstieg der Schüler Gilbert Graf Gravina, der dem Professor gemächlichen Schrittes ins Schulgebäude folgte.

Dr. Fritz Bayerlein erzählt: „An diesem Tag verzögerte sich Unterrichtsbeginn erheblich, weil sofort eine Lehrerkonferenz einberufen worden war.“ In den Klassenzimmern herrschte ein reges Treiben, bis gegen 10.30 Uhr der Schüler Gravina vom Pedell ins Lehrerzimmer gerufen wurde. Er sollte nicht mehr in sein Klassenzimmer zurückkehren, denn Gilbert Graf Gravina war mit sofortiger Wirkung der Schule verwiesen worden!

Ein Bayreuther Original

Gilbert Graf Gravina war bei den Einheimischen ein beliebtes Original. Als Dirigent leitete er 1965 die musikalische Untermalung bei der Eröffnung der Stadthalle. Sie steht an der Stelle, an der sich einst besagtes Gymnasium befunden hatte. Ob er beim Betreten des neuen Konzerthauses wohl an sein Bubenstück gedacht hat?

Noch im hohen Alter oblag dem Grafen eine wichtige Aufgabe im Festspielhaus. Der Urenkel von Franz Liszt und Enkel von Cosima Wagner sorgte viele Jahre lang für das exakte Öffnen und Schließen des Hauptvorhangs.

Im Sommer 1965: Graf Gravina mit Festspielleiter Wieland Wagner, der Begum Aga Khan, dem Sänger Theo Adam und Dirigent Otmar Suitner bei einem Empfang im Festspielhaus. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Der Graf und sein Humor

Der „Gil”, wie er von den Bayreuthern genannt wurde, beteiligte sich rege am Leben im Städtchen. Gern erinnern sich die Bayreuther an die „sportlichen Leistungen“ des Grafen.

So war er in seiner Altersklasse mehrfacher Stadtmeister im Skilanglauf. Allerdings hatte er in der Kategorie der “über Siebzigjährigen” als einziger Starter keine allzu große Konkurrenz. Bei einem kurzen Plausch während eines Rennes bekam er auf die Frage, ob er “nicht weiter” müsse die Antwort, dass er keine Eile hätte: “In meiner Altersklasse gewinne ich ja sowieso!”

Für Aufsehen sorgte er auch, als man den Grafen während einer Stadtmeisterschaft auf dem Buchstein suchen musste. Er hatte sich verlaufen.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

Von Prinz Charles bis Obama: Das Goldene Buch der Stadt Bayreuth

Wohl kaum eine Stadt von der Größe Bayreuths hat ein „Goldenes Buch”, das mit einer solchen Menge hochkarätiger Persönlichkeiten aufwarten kann. Der Grund: Die Bayreuther Festspiele, die zur Premierenaufführung jährlich am 25. Juli die Prominenz nach Bayreuth locken. Fast alle Bundespräsidenten waren hier, Könige, Staatschefs und Botschafter befreundeter Staaten, Stars und Sternchen aus der Schauspielwelt, Industrielle und Fürsten. Für das Bayreuther Tagblatt hat der Hobbyhistoriker Stephan Müller einen Blick in das Goldene Buch der Stadt geworfen.

Prinzen, Könige, Präsidenten

Ihre Majestät Königin Margarethe II. von Dänemark, Michail Gorbatschow und seine Ehefrau Raissa Gorbatschowa, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Seine Exzellenz Juan Antonio Samaranch, die Prinzessin Begum Aga Khan oder eine komplette UNO-Delegation sind nur einige dieser berühmten Persönlichkeiten. Erst vor zwei Jahren kamen beim Staatsempfang nach der Festspielpremiere Schwedens König Carl Gustaf und Königin Silvia dazu. Einer der herausragenden Eintragungen im Golden Buch der Stadt Bayreuth entstand anlässlich des Besuches von Prinz Charles am 6. August 1987. Der englische Thronfolger Prinz verband einen Besuch bei seiner Coburger Verwandtschaft mit einem Besuch der Bayreuther Festspiele.

Habe die Ehre

Im Bayreuther Stadtrecht ist in einer „Satzung über Auszeichnungen der Stadt Bayreuth“ geregelt, wer sich eintragen darf: So haben Ehrenbürger, Inhaber der Bürgermedaille und des Ehrenrings sogar das Recht, sich in das Goldene Buch der Stadt einzutragen. Auch besondere Ereignisse in der Stadtgeschichte finden sich im Buch, wie die „Festliche Sondersitzung” mit allen Unterschriften der Stadträte zur Einweihung des Neuen Rathauses am 5. Mai 1972.

Fünf auf einen Streich

Zur Geburt der Bayreuther Fünflinge Lisa, Peter, Dirk, Tim und Moritz trugen sich am 27. Juni 1984 die stolzen Eltern Margot und Jürgen Abel ein, ebenso die Delegationen der Partnerstädte Annecy, La Spezia und Rudolstadt, der Franzensbader Heimatgruppe sowie der Partnerregion Burgenland.

Größen der Opernwelt

An große Persönlichkeiten der Bayreuther Festspiele erinnern die Unterschriften von Winifred Wagner, Wolfgang Wagner (anlässlich der Verleihung des Ehrenbürgerrechts am 22. Juli 1976), der Kammersängerin Astrid Varney, dem Kammersänger Wolfgang Windgassen, der Chordirektoren Wilhelm Pitz und Norbert Balatsch oder der Generalmusikdirektor Hans Knappertsbusch.

Die Schwester des Präsidenten

Auma Obama, die Germanistin und kenianische Halbschwester des früheren US-Präsidenten Barack Obama, hat zwischen 1988 und 1996 an der Uni Bayreuth ihren Doktortitel erworben. Im Jahr 2018 kam sie in die alte Heimat zurück und unterschrieb im Goldenen Buch der Stadt.

Zweimal Gold bei Olympia

Zwei Goldmedaillen gewann die Hochspringerin Ulrike Meyfarth: 1972 in München und 1984 in Los Angeles. Im April 1985 verschlug es sie nach Bayreuth. Die Bayreuther fackelten nicht lange und hielten der Spitzensportlerin ihr Goldenes Buch unter die Nase.

Bayreuths große Mannschaften

Einmal klopfte die Spielvereinigung Bayreuth an der Tür zur 1. Fußball-Bundesliga. In der Saison 1979/80 war das. Die SpVgg wurde Vize-Meister in der 2. Liga, scheiterte in der Aufstiegs-Quali aber mit 1:1 und 1:2 an Bayer 05 Uerdingen.

1985 sind die Basketballer von Steiner Bayreuth in die 1. Bundesliga aufgestiegen. Ein Jahr später belegten sie im Oberhaus sogar den dritten Platz – und zwar mit diesen Spelern in ihren Reihen:

Alle guten Dinge sind drei: Neben Fußball und Basketball wird in Bayreuth seit jeher Eishockey gespielt. Die Mannschaft des Schwimmvereins Bayreuth, wie dieTigers ganz früher einmal hießen, schafften es bis in die 1. Bundesliga. Die ganze Mannschaft kam zum Unterschreiben ins Rathaus.

Weitere Spitzensportler der Stadt

Der Zeichner

Zuständig für die Gestaltung der meisten dieser Seiten war übrigens Sepp Ableiter. Der brauchte für seine beiden großen Freizeitbeschäftigungen Ruhe. Als Bogenschütze bei der Bayreuther Turnerschaft und als Grafiker, der im Auftrag der Stadt Bayreuth die Einträge für das Goldene Buch gestaltete, war es unerlässlich, dass Josef Ableiter eine ruhige Hand bewies.

Von 1960 bis 2004 zeichnete der „Sepp” vor dem Besuch der Prominenten Staatswappen, landestypische Gebäude oder passende Merkmale in das wertvolle Buch. Im Alter von 92 Jahren übergab er diesen „städtischen Auftrag” an seinen Nachfolger Heinz Schimmel. Sepp Ableiter starb 2006 im Alter von 94 Jahren.


Text und Fotos: Stephan Müller


 

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es hier beim bt.

 

Ein Bayreuther als Vorreiter im Kampf gegen den Katzendreck

Der Bayreuther Stadtförster Gotthard Eitler traut seinen Augen nicht. In den 70er-Jahren besucht er seinen Freund Ludwig Hahn in seiner Heimat im Erzgebirge und kann nicht glauben, was er dort sieht. Der einstmals dichte Bilderbuch-Wald bietet ein gespenstisches Bild. Von dem vollen Nadelwald, den er aus seiner Jugend kannte, ist nur noch ein Gerippe zu sehen. Hobby-Historiker Stephan Müller erzählt seine Geschichte.

Pioniere im Kampf gegen das Waldsterben

Die beiden Männer mussten vorsichtig sein. Ihre geheime Absprache hätte für Ludwig Hahn schlimme Folgen haben können. Doch der Oberförster aus dem Erzgebirge vertraute seinem Kollegen aus dem Westen, den er noch aus seiner Kindergartenzeit kannte. Die beiden Naturschützer gingen ihr gewagtes Unternehmen an.

Schon seit dem Ende der sechziger Jahre hatte Eitler die zunehmenden Schädigungen am Baumbestand im Erzgebirge beobachtet. Den beiden Fachleuten war klar, dass das „Waldsterben” auf die zunehmende Luftverschmutzung zurückzuführen war. Als ihm sein Freund Ludwig Hahn die schlimmsten Stellen gezeigt hatte, stand für Eitler endgültig fest, dass gehandelt werden musste.

Hahn sollte weitere Informationen beschaffen, Eitler würde im Westen an die Öffentlichkeit gehen. In der DDR waren die sterbenden Wälder ein Tabu-Thema. Welches Risiko Ludwig Hahn einging, muss also nicht betont werden.

Kampf dem Katzendreck

Im Jahr 1978 gab Eitler seine erste Dokumentation „Kampf dem Katzendreck“ heraus, in der er feststellte, dass das Waldsterben auch das Fichtelgebirge längst erreicht hätte. Verzweifelt schrieb er seinen berühmten „Försterbrief” an Bundeskanzler Helmut Kohl und wurde dafür aus der Bayerischen Staatskanzlei als „Übertreiber” getadelt.

Der Forstamtmann ließ sich aber nicht beirren: Im Februar 1983 brachte er Josef Ertl, den damaligen Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, zum Umdenken. Von Ertls provozierenden Fragen – Wann habt ihr das letzte Mal richtig ausgeforstet? Sind das nicht Schäden vom Schneebruch? Die Bäume stehen halt zu dicht! – ließ er sich nicht beirren, sondern öffnete dem Minister mit einem beeindruckenden Diavortrag die Augen.

Ich habe heute viel gelernt.

(Fazit von Josef Ertl)

Eitler war der Durchbruch gelungen.

Wenig später hielt Eitler seinen Vortrag im Bundeskanzleramt, ehe im April 1983 eine Forstexpertengruppe aus 17 Ländern direkt aus Genf ins Fichtelgebirge reiste.

UNO gründet eine Kommission

Nach Eitlers Ausführungen gründete die UNO die Kommission „Air Pollution“ (Luftverschmutzung). In dieser Zeit hielt Eitler seinen Vortrag über 270 Mal und klärte über die Ursachen des Waldsterbens durch Schwefeldioxid und Stickoxide auf. Seine Forderung nach Dreiwege-Katalysatoren und Tempolimit fand Gehör.

Vom damaligen Oberbürgermeister Dr. Dieter Mronz stammt das Zitat: „Vom einsamen Rufer zum geehrten Preisträger”. Bei der Verleihung des Umweltpreises der Stadt Bayreuth lobte Mronz den Stadtförster, der sich nicht hätte beirren lassen und „alle Anfeindungen mannhaft und tapfer durchgestanden” hätte.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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Via Hochrad: Als zwei Festspiel-Mitarbeiter Kamerun entdeckten

Das Verkehrsschild nach “Kamerun”, das kurz hinter Wolfsbach an der Bundesstraße nach Creußen und Pegnitz zu sehen ist, hat sicherlich schon manchen Autofahrer zum Schmunzeln gebracht. Das beliebte Forsthaus ist nämlich tatsächlich nach der alten deutschen Kolonie in Afrika benannt.

Ausflug im Sommer

An einem Sommertage des Jahres 1884 benutzten zwei junge Männer auf Hochrädern die Strasse nach Neuenreuth. Einer davon war Fritz Brandt, der technischer Leiter im Festspielhaus und als Verlobter von Cosima Wagners ältester Tochter Daniela von Bülow zumindest vorübergehend ein Mitglied der Wagner-Familie war.

Zusammen mit seinem Mitarbeiter Friedrich Kranich nutzte Brandt also diesen schönen Sommertag zu einem Ausflug, um sich von der Bühneneinrichtung für die (ein Jahr nach Richard Wagners Tod) bevorstehenden “Parsifal”-Aufführungen” zu erholen. Um sich von der Hitze zu erholen, bogen die beiden jungen Männer kurz hinter Wolfsbach auf einen ihnen unbekannten Waldweg ein, um den Schatten der alten Kiefern zu nutzen.

Rast im idyllischen Forsthaus

Wenige Meter später war die Überraschung groß, als sie das idyllische Forsthaus von Ottmannsreuth entdeckten. Die Frau des Waldaufsehers Philbert begrüßte die beiden Männer und bot ihnen eine Erfrischung an. Zufrieden legten sie eine längere Pause ein.

Foto: Forsthaus Kamerun

Brandt rief aus: “Eine richtige Entdeckung haben wir da gemacht” , worauf Kranich ergänzte: “Ja, wie der Nachtigall in Afrika!” Mit diesen Worten schilderten sie auch abends nach der Rückkehr ihr Erlebnis.

Einsames Forsthaus als Anziehungspunkt

Weil im Juli 1884 alle Zeitungen von der Hissung der deutschen Flagge durch den Afrikaforscher und späteren kaiserliche Generalkonsul Dr. Gustav Nachtigall in Kamerun berichteten, nannten die beiden Entdecker das einsame Forsthaus “Neu-Kamerun”. Durch den Besuch von Brandt und Kranich wurde das 1848 erbaute Forsthaus ein immer größerer Anziehungspunkt für die Mitwirkenden der Festspiele. Grund genug für den Waldaufseher Philbert, eine Wirtschaftskonzession unter dem Namen “Kamerun” zu beantragen.

Die Ausflugsgaststätte Neu-Bukoba

Neubukoba. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Gut zehn Jahre später eröffnete nur einen Kilometer Luftlinie entfernt eine weitere Ausflugsgaststätte, die in Zeiten des Kolonialismus einen afrikanischen Namen erhielt: “Neubukoba”. Wer heute aus Richtung Nürnberg kommend, auf der Autobahn A9 in Richtung Berlin kurz vor Bayreuth auf dem Rastplatz Sophienberg anhält, der befindet sich ganz in der Nähe des damaligen Stadtortes. Gäbe es die 1894 eröffnete Wirtschaft heute noch, dann läge sie wie eingeklemmt zwischen der lärmenden sechsspurigen Autobahn und der Bahnlinie Nürnberg-Bayreuth – ein Biergartenidyll sehe wohl anders aus.

Wo Kamerun und Neubukoba liegen. Foto: Bernd Meyer Stiftung.

Das Gebäude wurde 1821 erbaut und 1894 von Johann Carl Christian Querfeld als “Neu-Bukoba – Bierwirtschaft mit Spirituosen” angemeldet und wurde schnell ein beliebtes Ausflugsziel für die Bayreuther.

Bukoba in West-Afrika

Bukoba ist eine Stadt an der Westküste des Viktoriasees, gelegen im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania. Darüber, warum Querfeld gerade diesen Ort als Namensgeber wählte, kann nur spekuliert werden. Vielleicht wegen des damals schon sehr bekannten Bukoba-Kaffees, der dort sicherlich auf der Getränkekarte stand, oder wegen der Weiher auf denen rund um die Ausflugsgaststätte auch Ruderboote unterwegs waren.

Kaffee und Kuchen im Garten

Im Jahr 1907 übernahmen Karl und Mathilde Kolb für gut 20 Jahre das Anwesen und verkauften in Spitzenzeiten 49 Hektoliter in der Saison. In dieser Zeit beschreibt der Bayreuther Friedrich Bauer, wie er dort einkehrte: “Wir wanderten entlang dem Röhrensee, dann an dem Einzelgehöft Plantage vorbei in Richtung Thiergarten. Kurz davor bogen wir links in den Schindelteichwald ein und erreichten über Oberthiergarten Neubukoba. Unsere Eltern setzten sich in den schattigen Garten und unterhielten sich bei Kuchen und Kaffee und sonstigen Getränken.”

Neubukoba. Foto: Bernd Mayer Stiftung.

Viele Bayreuther nutzten aber auch die Eisenbahn in Richtung Creußen, um nach Neubukoba zu kommen. Vom Bahnhof Neuenreuth war es nur noch ein kurzer Spaziergang zu der Ausflugsgaststätte.

Diese Idylle endete rund vier Jahrzehnte nach der Eröffnung. Im Jahr 1936 wurde die Autobahn fertig gestellt, zwei Jahre später wurde das einst so beliebte Lokal abgerissen.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Warum die Turner der BTS die Feuerwehr gründeten

Von Montag, den 23. September, bis Sonntag, den 29. September findet in Bayreuth eine Aktionswoche zum Brandschutz statt. Insgesamt gibt es die Freiwillige Feuerwehr in Bayreuth schon seit 158 Jahren. Ohne die Turner der BTS würde es die Bayreuther Feuerbekämpfer wohl aber noch gar nicht so lange geben, wie der Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller herausgefunden hat. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Hier ist die Geschichte:

Wir schreiben das Jahr 1861, das Gründungsjahr der Bayreuther Feuerwehr. In einem an den Turnverein gerichteten Schreiben vom 13. Mai 1861, regen die Räte des Stadtmagistrats an:

Wir wünschen aufrichtig, dass der edle Zweck des Turnens immer mehr anerkannt und wirklich erreicht und dass dies dem Verein bald gelingen werde, gleichwie es von Turnvereinen anderer Städte geschehen ist, die hiesige Feuerwehr durch eine Feuerwehr aus Turnern zu vermehren.

Bayreuth hat damals 18.000 Einwohner

Es scheint fast so, als ob der Magistrat, der vorher mit allen Versuchen eine schlagkräftige Feuerwehr oder einen Löschverein zu bilden, gescheitert war, sehnsüchtig auf einen Turnverein gewartet hatte. Wie in vielen Städten war auch in Bayreuth mit seinen damals 18.044 Einwohner (Stand 1861) die Brandbekämpfung mit einem großen undisziplinierten und meist nur widerwillig arbeitenden Haufen von „Löschdienstpflichtigen“ der Feuer-Rettungsgesellschaft von 1836 mehr als unprofessionell.

Brandkatastrophen häufen sich

Dabei häuften sich durch die Industrialisierung die Brandkatastrophen. Nachdem 1860 auch die Aufstellung einer städtischen freiwilligen Feuerwehr und eines schlagkräftigen Rettungs-Corps kläglich scheiterte, schien sich mit den Turnern eine Lösung anzubieten. Die jungen Männer, die im Verein ihre Körperkräfte stärkten und sich turnerische Fähigkeiten erwarben, könnten doch ihre Geschicklichkeit auch praktisch unter Beweis stellen.

Foto: Stephan Müller

Die Turner finden Gefallen an der Sache

Das Vorhaben gelang: Die Turner sahen das Leiternbesteigen, „Hinaufkraxeln“ und Löschen von den benachbarten Hausdächern als Herausforderung und nahmen den Vorschlag des Magistrats an. Der diesem Wunsche des Stadtmagistrats entsprechende Antrag des Vorstandes zur Bildung einer freiwilligen Turnerfeuerwehr wurde freudigst begrüßt und einstimmig angenommen. Nicht weniger als 114 Turner traten am 20. Juni 1861 sofort als „Steiger“ in die freiwillige Turnerfeuerwehr. Dieser Freiwilligen Turnerfeuerwehr, die ein selbständiges Corps bildete, unterstanden nun auch alle bisher bestandenen Lösch- und Rettungsabteilungen. Der Verein führte nun den Namen „Turnverein und Freiwillige Turnerfeuerwehr von 1861“.

Foto: Stephan Müller

Für großes Aufsehen sorgte die erste Hauptübung der freiwilligen Turnerfeuerwehr im Herbst 1862.

Foto: Stephan Müller

Freude bei der Presse

Voller Begeisterung berichtete das Bayreuther Tagblatt:

Es ist eine wahre Freude, diese muntere Schar jugendlicher Turner mit keckem Muth und Selbstvertrauen das abschüssige Dach, den hohen Giebel und alle Fenster des für die Übungen ausersehenen Gebäudes mit seltener Geschwindigkeit ersteigen und ihre Lösch- und Rettungsapparate überallhin tragen und befestigen zu sehen. Jeder Einwohner unserer Stadt geht von heute an um vieles ruhiger zu Bette, da er wisse, dass auf den ersten Feuerruf alle rüstigen Turner bereit stehen, das gefährdete Leben und Eigentum der Einwohnerschaft opfermütig zu schützen und zu retten.

(Bayreuther Tagblatt, 1861)

Foto: Stephan Müller

Auch nachts im Einsatz

Neben den regelmäßigen Übungen übernahm die Turnerfeuerwehr ab 1862 in den Wintermonaten von 21 bis 5 Uhr eine freiwillige Drei-Mann-Nachtwache in den Räumen der Polizei im Rathaus, was am 14. Oktober 1862 vom Tagblatt wie folgt honoriert wurde:

Schließlich bitten wir die wackeren Turner noch um Verzeihung, wenn wir ihnen zumuten, bisweilen auch noch die Ruhe der Nacht dem allgemeinen Wohle der Einwohnerschaft zu opfern.

(Bayreuther Tagblatt, 1862)

Auch die Stadtvertretung betonte, dass sie auf ihre Feuerwehr stolz ist und alle Ursache dazu hat. „Sie ist dankbar und wird es in Zukunft auch bleiben.“

Ein weiterer Höhepunkt war die Einweihung eines Steigerturms, der am 29. Oktober 1865 an die Dammallee-Turnhalle angebaut wurde. Dort, wo heute das Richard-Wagner-Gymnasium seien Sportanlagen unterhält.

Foto: Stephan Müller

Auch im Krieg im Einsatz

Ein Jahr später wurden die Turner sogar als Sanitäter aktiv. Im bayerisch-preußischen Krieg von 1866 transportierten sie „aus dem Schlachtfeld bei Seybothenreuth die unglücklich schwer Verwundeten ab“ und während des Krieges 1870/71 bildeten 140 Mitglieder ein freiwilliges Turnerhilfskorps, das den „Transport der Verwundeten vom Bahnhof in die drei Bayreuther Spitäler“ übernahm.

Zu Beginn des Jahres 1889 rief der praktische Arzt Dr. Hess auch offiziell eine „Sanitätsabteilung“ ins Leben:

Sie hielt ihre erste Instruktionsstunde am 7. Februar ab. Hierauf spielte unsere Vereinskapelle.

Der Verein führte nun 75 Jahre lang den Namen „Turnverein und Freiwillige Turnerfeuerwehr von 1861“. Erst im Zuge der Neuordnung des Feuerwehrwesens im Jahr 1935 wurde die Turnerfeuerwehr in die Freiwillige Feuerwehr übergeführt. Am 26. Juni 1935 wurden die Feuerwehren mit dem Inkrafttreten des Luftschutzgesetzes amtlich in den Gesamtaufbau des zivilen Luftschutzes eingegliedert und wurden später eine „Hilfspolizeitruppe“ unter staatlicher Aufsicht.

Foto: Stephan Müller

Eine Anekdote noch zur Feuerwehr:

Im März 1835 wurde durch den Magistrat eine „Instruktion für Feuer-Rettungs-Gesellschaft“ beschlossen. In diese Rettungs-Compagnie wurden unter anderen sämtliche Schreinermeister mit ihren Gesellen, sämtliche Auf- und Ablader, sämtliche Müller mit ihren bespannten Mühlwagen, alle Glaser- und Schlossermeister verpflichtet.

Wenn diese sich im Brandfall durch schnelle Hilfe, Anstrengung oder Geistesgegenwart auszeichnen, würden sie belohnt und öffentlich gelobt, während die „Vorsteher“ um Sophian Kolb und F. C. Dilchert „weder Lohn noch Lob zu erwarten“ hätten:

Ihnen genüge das Bewußtseyn treuerfüllter Bürgerpflicht und die Ehre, einem Verein anzugehören, der Achtung und Zutrauen verdient!

Vorsicht vor Streichhölzern!

Dabei war die Feuergefahr immer gegenwärtig: Am 11. Mai 1854 wies der Stadtmagistrat darauf hin, dass „der Gebrauch der in neuerer Zeit aufgekommenen Zündhölzchen, welche durch bloßes Aufstreichen oder Überfahren einer rauhen Fläche oder Reibung zwischen Sand-Papieren sich entzünden, mit besonderer Feuers-Gefährlichkeit verbunden ist.“

In weiteren vier Paragraphen wird mit einer „entsprechenden Arreststrafe“ oder Geldstrafe gedroht, wenn derartige Reibfeuerzeuge an Kinder unter 14 Jahre verkauft oder nicht vorschriftsmäßig in verschlossenen Behältern aus Stein, Metall oder Thon aufbewahrt werden. Die Notwendigkeit einer neuen Feuerwehr wurde endgültig am 23. Februar 1858 deutlich, als man „beim jüngsten Brande im militärischen Krankenhause zu St. Georgen eine „unliebsame Wahrnehmung“ gemacht hat:

Obwohl dieser Brand durch Zusammenläuten der Glocken auf den Thürmen zu St. Georgen zur Kenntniß der dortigen Einwohner gebracht worden war, doch nur Einzelne, äußerst wenige Personen sich angeschickt haben, zur Löschung des Brandes beizutragen und daß viele Personen zur Beischaffung von Feuerlöschrequisiten aufgefordert, dies zu thun sich geweigert und unter ungeeigneten Äußerungen sich in ihre Wohnungen zurückbegeben haben.


Text und Fotos: Stephan Müller


 

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es hier beim bt. Die Geschichte der Bayreuther Feuerwehr hat Müller ursprünglich für die Jubiläumsschrift 150 Jahre Bayreuther Turnerschaft im Jahr 2011 verfasst. 

 

Fünf auf einen Streich: Die Geschichte der Bayreuther Fünflinge

Vor kurzem hat der Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller für das Bayreuther Tagblatt ins Goldene Buch der Stadt geschaut. Dort fand er auch ein Eintrag über eine Bayreuther Fünflings-Familie. Die Geschichte dazu erzählt Müller hier und heute.

Carl Maria von Weber: Als Knabe auf Bayreuths Bühnen

Bayreuth im September 1793. Der Schriftsteller Jean Paul besucht die alte Residenzstadt und lernt in diesen Tagen Emanuel Osmund kennen. Es entsteht eine lebenslange enge Freundschaft. Vielleicht haben die beiden Männer einen Spaziergang von der Friedrichstraße, vorbei am “Theater im Reithaus” zum Neuen Schloss und über den Kutscherplatz zum Markgräflichen Opernhaus gemacht. Möglicherweise ist Jean Paul auf dem Weg der siebenjährige Carl aufgefallen, der lustig um seine Eltern sprang, und möglicherweise sah er den 23-jährigen Alexander, der vom preußischen Oberbergdépartement, das sich entweder in der Kanzlei oder im Alten Schloss befand, nach Hause ging.

Es ist eine fiktive Vorstellung, aber bei nur 9.000 Einwohnern, die Bayreuth damals hatte, sicher keine unwahrscheinliche, meint Hobby-Historiker Stephan Müller. Denn der Dichter Jean Paul, der spätere Komponist Carl Maria von Weber und der Bergmann und spätere Naturforscher Alexander von Humboldt waren gleichzeitig in Bayreuth.

Auch wenn Jean Paul, der ab 1804 bis zu seinem Tod im Jahr 1825 in Bayreuth sesshaft wurde, nicht wusste, wer ihm vielleicht im September 1793 begegnet ist, gehört und gelesen hat er später mit Sicherheit von diesen beiden Bayreuthern: Von Carl Maria von Weber, der 1821 mit der Uraufführung des “Freischütz” einen unglaublichen Erfolg feierte, oder von Alexander von Humboldt, der viele Jahre als Forscher in Südamerika unterwegs war, wissenschaftliche Aufsätze schrieb und im diplomatischen Dienst für die preußische Krone unterwegs war. “Richtige Bayreuther” waren natürlich beide nicht: Carl Maria von Weber ist in Eutin geboren und Alexander von Humboldt in Berlin. Aber dennoch eint sie, dass sie beide ab dem Frühjahr 1793 Lebensjahre in Bayreuth verbracht haben und sie mit Sicherheit den noch unverfälschten Dialekt der Einheimischen nur schwer verstanden haben.

Alexander von Humboldt und Jean Paul verbrachten ebenso wie Carl Maria von Weber einige Jahre in Bayreuth. Fotos: Bernd-Mayer-Archiv

Heute wenden wir uns aber Carl Maria von Weber zu, der am 18. oder 19. November 1786 in Eutin geboren wurde. Sicher ist, dass er am 20. November in der dortigen Schlosskapelle getauft wurde. Sein Vater, der fürstbischöfliche Kapellmeister Franz Anton von Weber, gründete 1789 eine eigene Theatertruppe, die ab März 1793 ihren Dienst in Bayreuth antrat. Als Prinzipal trug Anton von Weber, der mit seiner Familie im “Goldenen Anker” logierte, der Mode und den Wünschen des Publikums offenbar Rechnung und bot ein ausgewogenes Angebot aus Lustspiel, Drama und Oper. Sein Ensemble muss sich schnell gut eingeführt haben, denn in einem Schreiben vom 10. April 1793 machte Freiherr von Hardenberg dem “Generalgouverneur von Anspach und Bayreuth”, Herzog Friedrich Eugen von Württemberg, den Vorschlag, das Ensemble fest anzustellen und aus den Mitteln der Hofkasse “zu unterstützen”.

Ein zweites Theater in Bayreuth

Die leidige Tatsache, dass das Opernhaus nur in halbwegs wärmender Jahreszeit bespielbar war, hatte noch unter Markgraf Karl Alexander 1785 zur Einrichtung eines kleineren, einigermaßen heizbaren Theaters in der Reithalle geführt. In diesen beiden Spielstätten führte Anton von Weber Goethes Trauerspiel “Clavigo”, Haydns Singspiel “Der Freibrief” oder Schillers Dramen “Die Räuber”, “Don Carlos” oder “Kabale und Liebe” ebenso auf, wie im Frühjahr 1794 die erst 1791 uraufgeführte Mozart-Oper “Die Zauberflöte”. Gerade das Interesse an Mozarts Werken war groß, schließlich war Mozarts Ehefrau Constanze, geborene Weber, Antons Nichte und somit Carl Marias Cousine. Somit sei m Rande bemerkt, dass also nicht nur Mozarts “Bäsle” (Cousine) Marianne Thekla Mozart von 1814 bis 1841 in Bayreuth lebte, sondern zehn Jahre vorher auch schon der Cousin von Wolfgangs Frau.

In der ehemaligen Markgräflichen Reithalle wurde Ende des 18. Jahrhunderts das “Theater im Reithaus” eingerichtet. Im Jahr 1841 wurde das Jean-Paul-Denkmal vor der Reithalle aufgestellt. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

In der Weberschen Gesellschaft bildete die Familie Weber den Kernstock: Vater, Mutter, Sohn und Schwiegertochter waren beachtenswerte Künstler, die Ergänzung in Kinderrollen war der kleine Carl Maria gut zu verwenden. In so manchen Stücken war der Knabe auf den beiden Bayreuther Bühnen zu sehen. In “Hamlet” trat er als Page der Königin auf, in Brahms Lustspiel “Der ungegründete Verdacht” war er Lucindes Söhnchen “Tom” und in dem Singspiel “Die Jagd” spielte er das “Hänschen”. Belegt ist auch seine Mitwirkung in Kotzebues “Menschenhass und Reue”, in “Der  schwarze Mann” und in Mozarts “Zauberflöte”. Von der Aufführung des Schauspiels „Albrecht Achilles. Markgraf von Brandenburg“ gibt es im Stadtarchiv Bayreuth einen Theaterzettel vom 17. Mai 1793 in dem “d. kleine C. v. Weber” sogar namentlich als Johannes, der erstgeborene Prinz, erwähnt wird.

Ein Theaterzettel vom 17. Mai 1793 von der Aufführung des Schauspiels „Albrecht Achilles. Markgraf von Brandenburg” aus dem Stadtarchiv Bayreuth. Der “kleine C. v. Weber” wird als Johannes, der erstgeborene Prinz, namentlich erwähnt. Autor des Stückes war der Bayreuther Kammersekretär bei der Königlichen Regierung Johann Christoph Krauseneck. Foto: Stadtarchiv Bayreuth.

Finanziell war Anton von Weber jedoch kein Erfolg beschieden. Er legte die Direktion nieder und übergab seine Truppe an den Schauspieldirektor Daniel Gottlieb Quandt, der ab 4. Mai 1794 das Bayreuther Ensemble leitete. Vielleicht auch, weil seine Frau Genovefa eine lukrative Anstellung am Weimarer Hoftheater in Aussicht hatte. Von Juni bis Oktober 1794 wirkte sie am Hoftheater in Weimar, Lauchstädt, Rudolstadt und Erfurt. In dieser Zeit gab der junge Carl Maria wohl in Weimar auch sein erstes Konzert.

Ein Wiedersehen in Bayreuth

Zu einem unerwarteten Wiedersehen der Bayreuther Musikfreunde mit dem 20-jährigen Carl Maria von Weber kam es im Juni 1807. Am 20. Juni 1807 zeigte der befreundete Stadtmusikus Heinel an, dass der junge Pianist, der bereits als Elfjähriger in Salzburg von Michael Haydn ausgebildet wurde, eine “Akademie” geben werde. Das Konzert, das von dem Singchor unterstützt wird, fand am 29. Juni 1807 im Neuen Schloss statt. Untergebracht war er im Hotel “Goldenen Adler”, dem heutigen “Reichshof”-Gebäude. Schon wenig später machte er eine große Karriere: Von 1813 bis 1816 war er Operndirektor in Prag, ab 1817 wirkte er als Direktor und  Königlicher Kapellmeister am Dresdner Hoftheater.

Im Jahr 1807 gab Carl Maria von Weber eine “Akademie” im Neuen Schloss. Foto: Stephan Müller.

Von Weber und Richard Wagner

Als Hofkapellmeister war ein großer Förderer von Richard Wagners Bruder Albert. So lernte der siebenjährige Richard Wagner um 1820 Carl Maria von Weber kennen, als der bereits mit 34 Jahren sehr erfolgreiche Komponist Wagners Stiefvater Ludwig Geyer in Dresden besuchte. Die bereits fertig komponierte Ouvertüre von Webers “Freischütz” animierte den Knaben fleißig am Klavier zu üben, um diese Musik immer wieder hören zu können. Dieses Werk, mit dem er die damalige Vorherrschaft der italienischen Oper durchbrach, wurde nach seiner Uraufführung am 18. Juni 1821 in Berlin zur deutschen Volksoper und wurde bereits am 27. September 1822 erstmals auch in Bayreuth gespielt.

Am 5. März 1826 reiste von Weber nach London, um die Uraufführung seiner Oper “Oberon” einzustudieren. Die Premiere fand am 12. April 1826 unter seiner musikalischen Leitung im Royal Opera House Covent Garden statt. Von einer chronischen Tuberkulose-Erkrankung geschwächt stirbt er am 5. Juni 1826 in London und wird dort in der Gruft der katholischen Moorsfield Chapel beigesetzt.

Richard Wagners Bruder Anton Wagner und sein Schwiegervater Ludwig Geyer. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Was im Gedächtnis bleibt: Geschichten über Wolfgang Wagner

Katharina Wagner brachte es jüngst in einem Interview auf den Punkt: “Wolfgang Wagner war ein Mensch, über den zahllose Geschichten kursierten – wahre und erfundene, humorvolle und zornige”. Einige dieser Geschichten kann Hobbyhistoriker Stephan Müller beitragen. Diese sind, wie er verspricht, nicht erfunden.

Mit der Stadtpolizei in die Eule

Beginnen wir mit einer Lieblingsgeschichte von Wolfgang Wagner, die es sogar in seine Biografie “Lebensakte” geschafft hat. Wieder einmal hatten sich die beiden berühmten Dirigenten Hans Knappertsbusch und Joseph Keilberth, den der “Kna”, um ihn zu ärgern immer nur “Keilberg” nannte, heillos gestritten. So kam Keilberth in das Büro von Wolfgang Wagner, um sich den Frust von der Seele zu reden und wohl auch zu trinken.

Dirigent Keilberth

Dirigent Keilberth, Foto: Bernd Meyer Stiftung

In seiner Lebensakte erzählt Wolfgang Wagner: “Einmal trank der Dirigent Joseph Keilberth in meinem Büro sieben tröstende Bocksbeutel, also insgesamt fast fünf Liter Wein. Ich erschrak furchtbar, als er mir mitteilte, dass er noch zu einem abschließenden Nachttrunk noch in das Künstlerlokal “Eule” fahren wollte.”

Nachdem es Wolfgang Wagner nicht gelang, dem Dirigenten die Autoschlüssel abzunehmen, rief er die Stadtpolizei an. Die Beamten schauten sich die Sachlage an und entschlossen sich zu einer interessanten Aktion: Statt Keilberth den Autoschlüssel per Amtsgewalt zu konfiszieren, ließen sie ihn selbst ans Steuer, nahmen den VW-Käfer mit ihren zwei Dienstwagen in die Mitte, um ihn mit Blaulicht sicher zum Markt zu geleiten.

Wolfgang Wagner: “Wehmütig denken wir heute an solch städtische Serviceleistungen, in der die Promille nicht den strafenden Arm des Gesetzes beschworen, sondern dessen verständig-bedachtsam helfende Hand.”

Franz Josef Strauß will die Festspiel-Zuschüsse streichen

“Eines versprechen Sie mir: Wenn Sie in der Bundesrepublik bleiben wollen, dann tun Sie das nicht während Ihres Engagements bei den Bayreuther Festspielen, sondern später!” sagte Wolfgang Wagner zu Götz Friedrich, den er direkt aus der DDR für eine neue “Tannhäuser”-Inszenierung verpflichtet hat. Nachdem sich der Italiener Giorgio Strehler nicht entscheiden konnte (“Er war etwas problematisch in seinen Zu- und Absagen”) engagierte er Götz Friedrich, der noch nie eine Wagner-Oper inszeniert hatte und von dem er auch nie zuvor eine Inszenierung gesehen hatte.

Und Götz Friedrich sorgte auch erst einmal für Schlagzeilen: Seine Inszenierung sorgte 1972 für einen handfesten Skandal, der durch den Kalten Krieg noch verstärkt wurde: CSU-Chef Franz Josef Strauß empörte sich damals, dass der Minnesänger Tannhäuser nicht als Held, sondern als Revolutionär dargestellt wurde. Wegen des Schlussbildes mit dem „Betriebskampf-Gruppenchor der volkseigenen Betriebe Rote Lokomotive in Leipzig” (Strauß) kündigte er die Streichung der Zuschüsse durch den Freistaat Bayern an und verließ demonstrativ den Staatsempfang im Neuen Schloss, als Götz Friedrich dort eintraf.

Übrigens hielt Götz Friedrich sein Versprechen an Wolfgang Wagner und kehrte nach den Bayreuther Festspielen nach Ostdeutschland zurück. Geflohen ist er erst ein halbes Jahr später, als er im November 1972 von einem Gastspiel in Stockholm nicht mehr in die DDR zurückkehrte und im Westen blieb.

Keine Angst, ich singe hier nicht

“Ist jemand hier, der Recht mir weiß, der tret’ als Zeug’ in diesen Kreis!” Kurz nach dem Aufruf von Hans Sachs tritt werkgetreu Walther von Stolzing hervor und begrüßt Sachs, Meister und Volk mit ritterlicher Freundlichkeit. Alles weilt einen Augenblick schweigend in seiner Betrachtung.

Auch bei der “Meistersinger”-Aufführung am 28. August 1997 weilten erst einmal alle “schweigend in seiner Betrachtung, bekamen dann aber große Augen, als nicht Stolzing sondern Wolfgang Wagner auf die Bühne kam und dem überraschten Dirigenten Daniel Barenboim andeutete, dass er mal abbrechen soll.

Den mucksmäuschenstillen Zuschauern sagte er “Keine Angst ich singe hier nicht” und teilte dem Publikum mit, dass nun Robert Dean Smith für den indisponierten Peter Seiffert als Stolzing weitersingen werde. Smith tat es und das Publikum tobte nach der Leistung des Debütanten vor Begeisterung. Wolfgang Wagner blieb übrigens gleich auf der Bühne und nahm – “im Smoking” – zwischen dem Festspielchor Platz…

(links) Robert Dean Smith bei einer Signierstunde. Foto: Stephan Müller

Hans Walter Wild, der Parterre-Akrobat

Durch den Kulturreferenten der Stadt Bayreuth, Max Kuttenfelder, erhielt der junge Rechtsrat Hans-Walter Wild, lange bevor er Oberbürgermeister wurde, zwei Generalproben-Karten für eine „Tannhäuser-Aufführung“. Mit hochgespannter Erwartung pilgerte er mit seiner Frau Gerda zum Festspielhaus, allerdings vorgewarnt durch den Hinweis, dass die Generalproben nicht selten unterbrochen würden, wenn sich dies aus betrieblicher oder künstlerischer Notwendigkeit als erforderlich erweist.

Hans Walter Wild und Wolfgang Wagner.

Hans Walter Wild und Wolfgang Wagner. Foto: Stephan Müller

Und so geschah es denn auch. Das Ehepaar Wild hatte Plätze in den hinteren Reihen und verfolgte mit großem Interesse, wie sich Wieland und Wolfgang Wagner bemühten, auch noch die letzten Zuschauer hinaus zu bugsieren. Wild in seinem Buch „Denk ich an damals…“: „Wie hielten uns lässig bedeckt und hofften, wir würden übersehen oder die Räumung sei vielleicht nicht so ernst gemeint.“

Wie ein Bannstrahl traf sie der Zuruf Wolfgang Wagners: „Na, was ist denn mit Euch, ihr Parterre-Akrobaten!“ Weder er noch Hans-Walter Wild ahnten, dass der eine Parterre-Akrobat später, als er schon lange Oberbürgermeister war, einmal sein Trauzeuge sein würde. Wenige Tage vor der Festspielpremiere 1976 war Hans-Walter Wild erstmals in seinem Leben bei der Verehelichung von Wolfgang und Gudrun Trauzeuge. „Und ein nicht einmal ganz unbedeutender…“

Ich muss mich entschuldigen

Die sogenannte Hauptprobe, also die letzten Probe einer Neuinszenierung vor der Generalprobe, ist sehr oft „gesperrt“. In den Zuschauerraum dürfen wirklich nur Mitwirkende, die tatsächlich unmittelbar beschäftigt sind. „Du bist Ersatz eines Statisten. Setz Dich rein“, sagte der „Tannhäuser“-Regisseur Philippe Arlaud in seinem französischen Akzent zu einem Statisten! Er tat es und traf auf Wolfgang Wagner, der ihn hochkant hinauswarf.

Ungerecht behandelt fühlte er sich schon, einen roten Kopf hatte er auch, fasste aber den Entschluss besser nichts zu sagen und mit kurzen schnellen Schritten das Parkett zu verlassen. Umso erstaunter war er, dass ihn der Festspielleiter am nächsten Tag vor einer Probebühne am Arm nahm und sagte: „Ich muss mich entschuldigen“, ich wusste nicht, dass sie rein durften. Warum hamm’s denn nix g’sagt?“ – das war Wolfgang Wagner!

Banale Geschmacklosigkeit

(v.l.) Jo Schumacher und Wolfgang Wagner: Alles wieder gut. Wagner ist nicht aus dem Fremdenverkehrsverein ausgetreten. Foto: Stephan Müller

Foto: Bayreuth aktuell

Auch der langjährige Fremdenverkehrsdirektor Jo Schumacher hatte ein besonderes Erlebnis mit dem Festspielleiter. “Das ist toll. Das ist witzig.

Das Titelblatt zeigen Sie mal gleich Wolfgang Wagner”, sagte Oberbürgermeister Hans Walter Wild, der von der Fotomontage für die Monatsschrift “Bayreuth aktuell” begeistert war und Schumacher tat, wie es ihm geheißen wurde.

Die Antwort von Wolfgang Wagner vom 4. Juli 1985, mit der Schumacher allerdings nicht gerechnet hatte, kam schriftlich und wurde “durch Boten” übermittelt.

 

Sehr geehrter Herr Schumacher,

Sie haben mir das Plakat mit dem Breker-Kopf, Lippenstiftkussmund (bereits in Bonn sattsam verwendet), Regenschirm und merkwürdiger junge Dame zugeschickt .

Ich bedauere außerordentlich, dass Bayreuth dem allgemeinen Trend banaler Geschmacklosigkeiten nunmehr auch folgt. Nachdem Apotheken und andere Einrichtungen sich Namen der Werke Richard Wagners aus opportunistischer Werbewirksamkeit zugelegt haben, wundert mich leider langsam nichts mehr – ich darf hiermit meine Mitgliedschaft im Fremdenverkehrsverein bayreuth aufkündigen.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Wagner

(Kopie an Herrn Oberbürgermeister Hans Walter Wild)

Nachtzutragen ist, dass Oberbürgermeister Hans Walter Wild, immerhin Wolfgang Wagners Trauzeuge,  letztendlich besänftigend auf ihn eingeredet und Wagners Austritt aus den Fremdenverkehrsverein verhindert hat.

Wolfang Wagner als Geschichtenerzähler

Solisten, Chorsänger, Techniker und Statisten haben sich von der Bühne aus immer wieder gewundert, aus welcher Ecke des Festspielhauses Wolfgang Wagner aufgetaucht ist. „Plötzlich steht er neben Dir. Entweder es gibt ihn öfters oder uns sind noch nicht alle Geheimgänge bekannt“, war ein gängiger Kalauer im Festspielhaus. Die Mitwirkenden liebten „ihren Chef“ und seine Geschichten, die er immer dann zum Besten gab, wenn sich jemand in einer Pause zu fragen traute. Von der Autorität und fränkischen Sturköpfigkeit, die er gegenüber den Medien an den Tag legte, war dann nichts zu spüren. Und Geschichten hatte er, der schließlich noch zahlreiche große Menschen aus dem 19. Jahrhundert kennengelernt hatte, immer parat. Und dann hing ihm eine ganze Meute an den Lippen.

Schließlich wuchs der „Chef“ mit vielen Menschen auf, die Richard Wagner noch selbst gekannt hatten! Es war schon atemberaubend, wenn man im 21. Jahrhundert einen Mann befragt, der immerhin bis zu seinem elften Lebensjahr mit Cosima Wagner im Haus gelebt hatte – einer Frau, die am 1837 am selben Tag wie die Kaiserin Sissi von Österreich geboren worden war, und hautnah die Gründung der Festspiele miterlebt hatte.

Erzählt hat er immer höchst unkonventionell, von Cosima zum Beispiel: „Sie konnte ja am Schluss nicht mehr richtig“, sagte er. „Sie saß den ganzen Tag in ihrem Rollstuhl, bis wir sie nach dem Fünf-Uhr-Tee, wenn sich die ganze Familie versammelte, in ihr Bett hoben. Vorher haben sie Wieland und ich immer noch an den Füßen gekitzelt, weil wir wissen wollten, ob sie noch lebt.“

“So! Jetzt sterbe ich wann ich will!”

Beim Streit um seine Nachfolge setzte er sich, wie es Museumsleiter Dr. Sven Friedrich jüngst erzählte,  über das Votum der Richard-Wagner-Stiftung umstandslos mit Hinweis auf seinen Lebenszeitvertrag als Festspielleiter hinweg und blieb einfach im Amt.

Wenige, so der Museumsleiter, aber wissen, wie er seine Entscheidung damals kommentierte, nämlich mit einem typischen, trotzigen “So! Jetzt sterbe ich wann ich will!” Er tat es 21. März 2010 im Alter von 90 Jahren.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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