Bauteile industriell biegen – ein Blechorigami
von Kai Mönch
Bleche zu biegen ist elementarer Teil der Blechbearbeitung. Dabei verhält es sich in der Blechbearbeitung wie beim Basteln mit dem Papier: Je mehr Arbeitsschritte nötig sind, umso aufwendiger, aber auch umso werthaltiger wird die Bastelei. Die Person, die das Blech biegt, lässt sich dabei– um dieser Analogie zu bleiben – gewissermaßen mit einem Origami-Künstler vergleichen. Für die Kunst des Papierfaltens bedarf es viel räumliches Vorstellungsvermögen und Präzision, damit am Ende des Tages der Papierschwan keinen Knick im Flügel hat. Aber wie mit vielen Dingen im Leben, ebenso beim Papierfalten und am Ende des Tages auch beim Bleche biegen macht Übung den Meister. Doch ist ein „Blechschwan“ genauso herzustellen wie seinen „Verwandten“ aus Papier?
In seiner Grundform kann ein Blech genauso gebogen werden wie ein Stück Papier: Blech festhalten, mit der Hand umklappen, festdrücken – so die Theorie. Dies wird auch zum Teil in Werkstätten für sehr dünnes Blech noch so praktiziert. Da jedoch die Dicke von Blechen in der Regel wesentlich größer ist als die von Papier, ist auch der manuelle Kraftaufwand entsprechend größer und ist ab einer bestimmten Blechdicke nicht mehr ohne maschinelle Hilft biegbar.
Wie oben bereits angedeutet greift man im industriellen Format auf Maschinen zurück, die die Biegungen mühelos bis zu mehreren Zentimeter Blechdicke durchführen können. Man unterscheidet zwischen manuellen Biegemaschinen, die an das o.g. händische Umbiegen von Blechbiegen mithilfe von Hebelkräften angelehnt sind, Rundbiegemaschinen, bei denen das Blech zwischen hydraulischen, CNC-gesteuerten oder manuell geführten Walzen gedrückt wird und dadurch eine Biegung erzeugt wird, sowie – und dies ist vermutlich die am häufigsten verwendete Art Blech zu biegen – Abkantpressen.
Industrielle Abkantpressen wenden in der Praxis am häufigsten das sog. Gesenkbiegen an. Anders als das Falten von Papier (einseitiges Papier Festhalten, Umschlagen, Festdrücken) wird beim Gesenkbiegen das Werkstück, also das Blech zwischen 2 Werkzeuge eingelegt, wobei das untere Werkzeug wie ein V-förmige Schiene und das obere Werkzeug wie ein nach unten zeigender Keil aussieht. Das obere Werkzeug, in der Fachsprache „Stempel“ genannt“, drückt dabei durch hydraulische oder elektrische Kräfte das darunterliegende Bleche in das untere V-förmige Matrize bzw. das untere Werkzeug, dass sich je nach Werkzeugbeschaffenheit das Blech mehr oder weniger stark auch v-förmig biegt. Um das optimale Biegeergebnis zu erreichen, muss das Blech zuvor optimal zwischen den beiden Werkzeugen positioniert werden. Die genaue Positionierung sowie die genauen Abmessungen und der gewünschte Biegewinkel werden dabei anhand technischer Zeichnungen oder anderen Referenzpunkten festgelegt. Die Biegewinkel und die Größe des Biegeradius werden dabei bestimmt durch die beiden genannten Werkzeuge, wodurch sich eine Vielzahl an verschiedenen Biegungen erzielen lässt.
Damit am Ende des Biegevorgangs das gewünschte Ergebnis herbeigeführt wird, sind bei modernen Abkantpressen unterschiedlichste Sensoren verbaut, die die Position, die Krafteinwirkung und den Biegewinkel überwachen. Je nach Vorgabe können Bauteile eine Vielzahl gleicher oder unterschiedlicher Biegungen haben. Werden viele unterschiedliche Biegewinkel oder –radien benötigt, müssen entsprechend viele verschiedene Ober- und Unterwerkzeuge verwendet werden. Nach Abschluss des Biegevorgangs wird das gebogene Werkstück aus der Abkantpresse entfernt und für den nächsten Schritt in der Produktionskette vorbereitet.
Die Genauigkeit und Wiederholbarkeit der Biegeoperationen hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der Maschinenpräzision, der Qualität der Werkzeuge und der Programmierung der Steuerungssysteme. Moderne Abkantpressen können oft automatisiert sein und über computergesteuerte Systeme verfügen, die komplexe Biegungen und eine hohe Produktionsgeschwindigkeit ermöglichen.
Nun stellt sich aber die Frage, hat das Biegen von Blech nichts mit Papier falten zu tun?
Neben dem Gesenkbiegen existiert zudem das Schwenkbiegen, welches tatsächlich dem Falten von Papier sehr nahekommt. Das Blech wird von einer feststehenden Oberwange und einer beweglichen Unterwange geklemmt wird. Die Bewegung der Unterwange erfolgt dann in einer schwenkenden Bewegung, wodurch das Blech je nach Vorgabe und vorheriger Einstellung v-förmige, u-förmige oder andersförmige Biegungen durchführen kann.
Warum werden aber 2 verschiedene Verfahren zum Biegen von Blech eingesetzt?
Industrielle Gesenkbiegemaschinen sind in der Regel wesentlich kostengünstiger als Schwenkbiegemaschinen, welche heutzutage sehr weitreichende Computersteuerungen und Automatisierungen vorweisen. Das Schwenkbiegen bietet eine wesentlich höhere Präzision und Wiederholbarkeit von komplexen Teilen. Allgemein ermöglichen Schwenkbiegemaschinen die Verarbeitung wesentlich komplexerer Biegekonstellationen und zum Teil auch höherer Blechdicken. Gesenkbiegemaschinen eignen sich hingegen eher für Bleche mit geringeren Blechdicken und einfachen Biegekonstellationen.
Wir stellen also fest, dass bei Blechbiegungen wirklich eine Menge Technik und Know-How gefragt ist. Wenn Sie also das nächste Mal wieder eine Bauteil aus Metall mit vielen Biegungen sehen, nehmen Sie sich einen Moment Zeit und denken Sie an den Origami-Künstler dahinter.
Zum Autor
Kai Mönch ist Prokurist bei der HBK Metallbearbeitung GmbH in Goldkronach bei Bayreuth, einem Familienunternehmen. Der Prokurist und Qualitätsmanager informiert in seiner Kolumne zu interessanten und relevanten Themen aus der Branche der Metallverarbeitung.
Die Fortschrittlichkeit in der Metallverarbeitung steht für ihn immer im Vordergrund seiner Tätigkeiten. Seit mehreren Jahren ist er als Prokurist und Qualitätsmanager tätig und gut vernetzt, was seinen Lesern:innen viele Insider/Geheim-Tipps ermöglicht.