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Der Markgrafenbrunnen
von Kulturbrief.de / Dr. Adrian Roßner
Majestätisch, kolossal, beinahe unnahbar steht er da: Der Markgrafenbrunnen vor dem Neuen Schloss zu Bayreuth! Hunderte, tausende Augen mögen in den vergangenen Jahrhunderten ehrfurchtsvoll am reich verzierten Sockel emporgeblickt haben, um schließlich am Reiterstandbild Christian Ernsts hängen zu bleiben; demjenigen, an dessen heroische Taten das Monument erinnern soll.
Und doch, aller Bekanntheit zum Trotze, birgt das Bauwerke ein spannendes Geheimnis, eine tiefgehende, mystische Symbolik, die weit zurückführt in die Geschichte des Fichtelgebirges: Den Mythos der vier Ströme. Schon die berühmten Bildungsbürger Pachelbel und Will stellten mit Erstaunen fest, dass die Region nordöstlich von Bayreuth mit einer einmaligen Besonderheit gesegnet ist: Der Tatsache, dass im granitenen Hufeisen des Fichtelgebirges vier große Ströme entspringen, die in alle vier Himmelsrichtungen davonfließen. Pachelbel, einerseits Vorreiter einer aufgeklärten, beobachtenden Wissenschaft, andererseits nach wie vor zutiefst in den mittelalterlichen Vorstellungen verankert, erkannte darin gar ein Wunder, das ihn dazu verleitete, die Region als „irdisches Paradeis“ zu betiteln und damit Bezüge zum biblischen Eden herzustellen, in dem „ein Strom entspringt, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen.“ Für ihn, wie auch für viele andere, die, ähnlich dem berühmten Faustus zu erkennen hofften, was die Welt im Innersten zusammenhält, wie also die göttliche Schöpfung funktioniert, war klar, dass die vier Wasserläufe einen gemeinsame Ursprung haben müssen, den er im Fichtelsee erkannt zu haben glaubte.
Die Symbolik der vier Ströme hat es schließlich auch Christian Ernst angetan, eben jenem, der sich bei der Verteidigung Wiens gegen die Osmanen Meriten verdient hatte und der an diese Taten durch den von Elias Räntz geschaffenen Markgrafenbrunnen erinnern wollte. Daher thront sein feistes Schlachtross nicht etwa auf einem kahlen Postament, sondern bekrönt den aus dem Sandstein gehauenen Felsbrocken, der für das granitene Hufeisen im Nordosten der Herrschaft steht. Aus ihm entspringen die vier Flüsse, die Saale, die Eger, die Naab und der Main, die, genial und eindrücklich durch Allegorien inszeniert, gleichsam auf die vier damals bekannten Kontinente, Amerika, Afrika, Asien und Europa, verweisen. Dadurch gelingt Räntz das Unglaubliche: Christian Ernst wird nicht allein als Bezwinger des osmanischen Heeres dargestellt, sondern als Herrscher über das Zentrum der Welt inszeniert. Bayreuth, jene Herrschaft inmitten des Flickenteppichs des Heiligen Römischen Reichs, schwingt sich auf zum heimlichen Mittelpunkt der absolutistischen Macht.
Selbst das Brunnen-Becken, unscheinbar von der Seite, birgt, von oben betrachtet, eine ungeheure Macht:
Durch die Verquickung aus rechteckigen und abgerundeten Teilen bildet es das eigentlich Unmögliche aus, die Quadratur des Kreises, wie sie auch den vitruvianischen Menschen des großen da Vinci umgibt und wie sie dessen Landsmann, Dante Alighieri, nutzt, um sie in der göttlichen Komödie mit seiner Unfähigkeit gleichsetzt, das Paradies zu finden. In Bayreuth aber ist gelungen, was der Mensch seit Jahrhunderten begehrte: Die Antwort auf die große Frage des Seins zu finden, das Rätsel nach dem Ursprung aller Dinge und nach der Geometrie im göttlichen Haus zu lösen. Die Ordnung der Elemente und damit auch die Struktur der Schöpfung haben demnach ihr Zentrum im Fichtelgebirge, dessen Regent, der stolze Markgraf von Brandenburg Bayreuth, auch über die Welt im Ganzen herrscht.
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