Zuletzt aktualisiert am
Wir spielen Oper! (und mehr von den Salzburger Festspielen 2022)
von Kulturbrief.de / Frank Piontek
Zum Programm der Salzburger Festspiele 2022
Wagner darf offensichtlich nicht fehlen – nicht einmal an der Salzach, bei den Festspielen 2022. Nicht, dass man dort eine ganze Oper aufführen würde (dies ist das Privileg der Osterfestspiele), aber die Zusammenstellungen der Fragmente sind reizvoll – und dramaturgisch wohlüberlegt. Am 20. und 22. August wird man also den zweiten Parsifal-Akt hören, nachdem der zweite Akt aus Camille Saint-Saëns’ Samson et Dalila über die konzertante Bühne gegangen sein wird. Bindeglied ist nicht nur die Tatsache, dass der Franzose seine Oper beendete, als Wagner mit der Komposition des “Bühnenweihfestspiels” begann. In beiden Werken steht ein “Held” auf der Bühne, der sich gegen die Machenschaften verführerischer Frauen und zauberischer Oberpriester des Bösen zur Wehr setzen muss – in Salzburg trifft Brandon Jovanovich auf Elīna Garanča und Michael Volle, der zunächst den Grand-Prêtre de Dagon, dann den Klingsor singen wird.
Wir finden diese Aufführungen innerhalb der Konzertreihe mit dem Stammorchester der Salzburger Festspiele, den Wiener Philharmonikern. Steht hier Daniel Barenboim am Pult, so wird nur kurz darauf, am 26. und 28. August, Esa-Pekka Salonen den Taktstock zu Vorspiel und Isoldes Liebestod, dann zu Olivier Messiaens Turangalîla-Symphonie heben – eine ingeniöse Kombination, spiegelt doch Messiaens Monumentalwerk auf seine Weise die Liebesmetaphysik wie die Exzesse der Wagnerschen Helden. Christian Thielemann aber ist diesmal nicht mit Wagner vertreten. Er wird, nach Brahms‘ Altrhapsodie, Bruckners 9. aufführen, auch als Reverenz vor einem Komponisten, dessen symphonisches Gesamtwerk er gerade mit den Wienern eingespielt hat.
Bekannte Werke in neuer Beleuchtung (Die Zauberflöte unter der Leitung der großartigen Joana Mallwitz, Rossinis Barbierunter der Regie von Rolando Villazon, mit Cecilia Bartoli als Rosina), Aida, Radames (Piotr Beczala) und Lucia di Lammermoor stoßen auf Exzeptionelles der frühen Moderne: auf Katja Kabanová (am Pult: Jakub Hrůša, an der Regie: Barrie Kosky, im dramatischen Mittelpunkt: Evelyn Herlitzius als Kabanicha) und Herzog Blaubarts Burg (mit Ausrine Stundyte als Judith in der ersten Opernpremiere dieser Festspiele), in der sich der Dirigent Teodor Currentzis und der Regisseur und Ausstatter Romeo Castellucci begegnen werden. Bartók wird nicht allein stehen; der Geschlechtertragödie folgt mit dem Mysterienframa De temporum fine comoedia ein bedeutendes, einst in Salzburg uraufgeführtes Spätwerk von Carl Orff. Bleiben Puccinis geniales Trittico (mit Bayreuths Sensations-Senta von 2021, Asmik Griigorian, in den drei weiblichen Hauptrollen sowie mit Karita Mattila und Hanna Schwarz) und Wolfgang Rihms Kammeroper Jakob Lenz, einem der wenigen Werke der jüngeren Moderne, die ins Randrepertoire der Oper Einlass fanden. Und schliesslich wird Arthur Honeggers Oratorium Jeanne d’Arc mit einer berühmten Schauspielerin konzertant realisiert: mit Isabelle Hupert.
Zum innersten Kern gehört in Salzburg der Jedermann; 2022 wird man vor dem Dom keine Geringeren als Lars Eidinger, Angela Winkler (als Mutter), Edith Clever (als Tod) und Mavie Hörbiger (als Gott und Teufel) erleben können. Das Schauspiel begibt sich mit Marieluise Fleißers Ingolstadt und Schnitzlers Reigen (mit Sibylle Canonica) in die klassisch gewordene Moderne von einst, Lesungen, u.a. mit Martina Gedeck und Claudia Michelsen, erhöhen das Star-Niveau der Festspiele, in denen die Literatur ihren festen Platz hat. Der Reigen findet seine Fortsetzung in verschiedenen anderen Programmen: in einem Film-Reigen und den Schauspiel-Recherchen, die auf je eigene Weise Schnitzlers Theaterstück variieren und diskutieren.
Wer auf bloße Konzerte aus ist, kann auch in diesem Sommer zahlreiche Reihen besuchen: mit sog. alter, „klassischer“ und neuerer Musik, mit den Altmeistern Jordi Savall und Riccardo Muti, der, am Pult der Wiener Philharmoniker stehend, Tschaikowskis 6. Symphonie, Liszts Symphonische Dichtung Von der Wiege bis zum Grabe und Arrigo Boitos Prologo in cieloaus der Oper Mefistofele zu einem konkreten wie metaphysischen Programm der letzten und höheren Dinge amalgamieren wird. Evgeny Kissin und András Schiff werden zusammenkommen, um zweiklavierige und vierhändige Werke zu spielen (darunter Smetanas Moldau und Dvořáks Slawische Tänze) – undundund… Das Programm ist, zwischen den Konzerthäusern und den Kirchen, den (Mozart-)Matineen und den Abendstätten, schier überbordend, wobei es sich bisweilen den Vorlieben der Musiker, manchmal den Wünschen des Konzertdramaturgen verdankt – und oft das Unterschiedliche für den Zusammenhang sorgt. Canto lirico, so heisst die Reihe, in der Juan Diego Flórez zusammen mit der Sinfonía por el Perú Youth Orchestra Rossini, Donizetti und Bellini – und Hispanisches singen wird.
Und wie wird es weitergehen mit der “Klassik”, die sich immer wieder neu erfinden muss, um nicht zu erstarren? Die Sektionjung & jede*r bietet nicht zuletzt die Möglichkeit, die Jüngsten mit den Schönheiten der Musik und des Musiktheaters vertraut zu machen. Wir spielen Oper! Diesen Titel trägt ein Einführungsworkshop „ausschließlich für Kinder“. Irgendwann müssen ja die zukünftigen Sängerinnen und Sänger, Musikerinnen und Musiker mit dem festspielen beginnen.
Über Kulturbrief.de
Der Kulturbrief ist ein Kulturmagazin im weitesten Sinne. Von der aktuellen Berichterstattung aus dem Kulturbetrieb, über fundierte Artikel zu kulturellen Persönlichkeiten und Bauwerken, bis hin zu Rezensionen und Kritiken aus dem Buchmarkt, der Oper, dem Theater und der Kulinarik.