50 Jahre Richard-Wagner-Stiftung
Richard Wagner hat erstaunlicher Weise kein Testament hinterlassen. Sollte es ihm etwa egal gewesen sein, was mit seinem Nachlass, Wahnfried und dem Festspielhaus nach seinem Tod passiert? – Mitnichten! Für ihn war die gesetzliche Erbfolge gleichsam ein Naturgesetz und so wurde seine Witwe Cosima zur Alleinerbin, die wiederum ihren Sohn Siegfried als Alleinerben bestimmte. Ihre Töchter gingen bis auf ihre Pflichtteile leer aus. So macht man das in Dynastien…
Aber Cosima sollte Richard Wagner um fast 50 Jahre überleben; sie starb erst am 1. April 1930 hochbetagt mit 93 Jahren. Schon ein Jahr zuvor hatten indessen Siegfried Wagner und seine Frau Winifred ein gemeinschaftliches Testament verfasst, in welchem sie sich gegenseitig als Vorerben ihrer Kinder einsetzten und als Auflage der Erbschaft verfügten: „Das Festspielhaus darf nicht veräussert werden. Es soll stets den Zwecken, für die es sein Erbauer bestimmt hat, dienstbar gemacht werden, einzig also der festlichen Aufführung der Werke Richard Wagners.“
Am 4. August 1930 starb Siegfried Wagner, nur wenige Monate nach seiner Mutter Cosima. Winifred Wagner war nun alleinige Eigentümerin des Familienvermögens, über das sie als Vorerbin ihrer vier Kinder jedoch auch nicht verfügen konnte. Nach dem frühen Tod ihres ältesten Sohnes Wieland 1966 mit nur 49 Jahren, begann sie sich Gedanken zu machen, was aus dem Familienerbe einst nach ihrem Tod werden solle. Wie konnte verhindert werden, dass Festspielhaus, Wahnfried und Wagners Nachlass eventuell doch würden verkauft werden müssen, falls eines ihrer drei Kinder oder die vier Kinder Wieland Wagners ihre Erbansprüche geltend machen würden?
Bereits Richard Wagner selbst hatte die Gründung einer Stiftung in Erwägung gezogen, um die Festspiele dauerhaft zu sichern und zu finanzieren. Dieses Vorhaben war jedoch ebenso gescheitert wie die kurzlebige „Deutsche Festspielstiftung Bayreuth“ in den 1920er Jahren, die auf eine Idee Siegfried Wagners zurückging.
Doch 1973 gelang es. Nach langen Verhandlungen entschloss sich die Familie Wagner, das Festspielhaus als Vermögen in die neue Richard-Wagner-Stiftung einzubringen. Diese vermietet es als Eigentümerin an den Festspielunternehmer, damals Wolfgang Wagner, heute die Bayreuther Festspiele GmbH. Die Mieteinnahmen fließen der Stiftung zur Erfüllung ihres Zwecks zu. Dieser besteht im Sinne des Testaments von Siegfried und Winifred Wagner im dauerhaften Erhalt des Festspielhauses für die Allgemeinheit zur festlichen Aufführung von Wagners Werken, im dauerhaften Erhalt des Wagner-Nachlasses für die Allgemeinheit, der Förderung der Richard-Wagner-Forschung sowie der Förderung des Verständnisses für Wagners Werke insbesondere bei der Jugend und beim künstlerischen Nachwuchs. Den drei letzten dient seit 1976 das Richard Wagner Museum mit Nationalarchiv und Forschungsstätte.
Die Nachlässe Richard und Cosima Wagners, vor allem mit wertvollen Werk- und Briefhandschriften, das Festspiel-Archiv bis 1945 und der künstlerische Nachlass Siegfried Wagners wurden von der Bundesrepublik Deutschland, der Oberfrankenstiftung und der Bayerischen Landesstiftung für insgesamt 12,4 Mio. DM zu gleichen Teilen der Familie abgekauft, die das Haus Wahnfried mit allen Nebengebäuden und dem Park der Stadt Bayreuth schenkte, damit hier ein Richard Wagner Museum geschaffen werden könne. Zugleich wurden Haus Wahnfried und das Archiv von ihren neuen Eigentümern der Stiftung als Dauerleihgaben überlassen.
Der Freistaat Bayern indessen verpflichtete sich zur Zahlung des laufenden Unterhalts der Stiftung zur Erfüllung ihres Zwecks. Weitere Stifter sind die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth mit dem Verzicht auf Ihren Anspruch auf Rückzahlung der Bauinvestitionen am Festspielhaus sowie die Stadt Bayreuth mit der Verpflichtung, einen wissenschaftlichen Leiter für das Archiv zu stellen. Schließlich verpflichtete sich der Bezirk Oberfranken, eine Schreibkraftstelle zu finanzieren.
Das alles klingt recht kompliziert, ist es wohl auch, ebenso wie die Rechtsform der Stiftung selbst, nämlich als „rechtsfähige öffentliche Stiftung bürgerlichen Rechts“, hat aber in den 50 Jahren seit der Gründung der Stiftung am 2. Ami 1973 bis heute Erhalt und Gedeihen eines kulturgeschichtlich hoch bedeutsamen Erbes gewährleistet.
Sven Friedrich
zum Autor
Dr. Sven Friedrich
ist Theater-, Literatur- und Kommunikationswissenschaftler. Seit 1993 leitet er in Bayreuth das Richard Wagner Museum mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung, das Franz-Liszt- und das Jean-Paul-Museum.