Weihnachten in Wahnfried
Weihnachten ist von je das Fest der Familie und der Kinder. So auch bei den Wagners in Wahnfried, zumal der Heilige Abend mit Cosimas Geburtstag, der aber stets am 1. Weihnachtag gefeiert wurde, zusammenfiel. Und Wagner machte seiner Frau schrecklich gerne Geschenke und liebte bekanntlich auch im Privaten die große Inszenierung.
Bereits 1870 aus Anlass der Geburt seines Sohnes heimlich das Siegfried-Idyll, das als Geburtstagsmusik für Cosima zu Weihnachten im Treppenhaus von Haus Tribschen uraufgeführt wurde. Der spätere Dirigent der Bayreuther Uraufführung des Ring des Nibelungen Hans Richter hatte eigens Zweck Trompete spielen gelernt. Aber auch beim ersten Weihnachtsfest in Wahnfried 1874 wurde das Werk in der Halle gespielt, zusammen mit dem Kinder-Katechismus, der schon beim letzten Weihnachtsfest im Haus an der Dammallee 1873 aufgeführt wurde und der mit dem Erlösungsmotiv aus der Götterdämmerung endet.
Mit großer, geradezu kindlicher Freude machte Wagner sich schon Wochen vor dem Fest an die Vorbereitungen. Es wurden Besorgungen gemacht, Heimlichkeiten begangen, Äpfel und Nüsse vergoldet, Geschenke eingepackt usw. In der Halle von Wahnfried stand stets eine mächtige Fichtelgebirgstanne, die bis an die Galerie reichte. Zur Bescherung wurde alles ausführlich dekoriert, das von Wagner so geliebte Kasperltheater aufgebaut, Knecht Ruprecht und das Christkind erschienen, und die Kinder mussten ihre sorgsam einstudierten Gedichte aufsagen.
Ansonsten verfasste Wagner zu Weihnachten immer wieder kleinere Gelegenheitskompositionen, 1877 noch am Heiligen Abend ein Lied für Kinderstimmen in C-Dur mit dem Titel Willkommen in Wahnfried, du heil’ger Christ, das sofort einstudiert und vor der Bescherung um 18 Uhr von den Kindern gesungen wurde.
Ein Jahr später hatte Wagner es dann sogar fertiggebracht, von Cosima unbemerkt, ein ganzes Konzert mit der Meininger Hofkapelle vorzubereiten und einzustudieren. Am Abend des 25. Dezember um 19 Uhr fand das Konzert vor geladenen Gästen in Wahnfried statt. Auf dem Programm standen ausschließlich Werke von Beethoven und Wagner: Begonnen wurde mit Beethovens Ouvertüre Die Weihe des Hauses, danach die 8. Symphonie. Nach einer Pause folgte wieder einmal das Siegfried-Idyll, daran anschließend Andante und Presto aus Beethovens 7. Symphonie, und dann die Egmont-Ouvertüre. Und nach einer weiteren langen Pause, in der das Souper eingenommen wurde, erklang zum allerersten Male das Vorspiel zu Parsifal.
Weihnachten 1880 war es dann an den Kindern, für die festliche Inszenierung zu sorgen. Zu diesem Zweck hatte Wagner wieder ein Lied mit dem Titel Ihr Kinder, geschwinde, geschwinde für 3 Kinderstimmen in G-Dur geschrieben. Und die Kinder stellten ein sogenanntes „lebendes Bild“, als „Heilige Familie“. Das gefiel Wagner so gut, dass er den Maler Paul v. Joukowsky, einen engen Freund der Familie, der auch das Bühnenbild für die Parsifal-Uraufführung entwarf, bat, dieses als Gemälde festzuhalten, was dieser dann im folgenden Frühjahr auch tat. Es zeigt Blandine, Isolde und Eva als musizierende Engel, Siegfried als Jesus ein Kreuz hobelnd, und die älteste Tochter Daniela als Maria. Joukowsky selbst hat sich als Joseph dargestellt, und ganz rechts oben in einem Medaillon auf einer Säule befindet sich – oft übersehen, aber umso bemerkenswerter – das Porträt des Rassentheoretikers Joseph Arthur Graf de Gobineau. Im Hintergrund sind deutlich die Türme der Bayreuther Stadtkirche zu erkennen.
Sein letztes, glückliches Weihnachtsfest erlebte Wagner 1882 in Venedig. Auch Franz Liszt war anwesend. Nach der Bescherung am Heiligen Abend im Palazzo Vendramin fuhr man gegen halb acht in drei Gondeln bei herrlichstem Mondschein und Glockengeläut ins Teatro La Fenice, wo Wagner im Saal vor geladenen Gästen sein Jugendwerk, die C-Dur-Symphonie von 1832, dirigierte. Es war das letzte Mal, dass er einen Taktstock führte. Bayreuth und sein Haus Wahnfried sollte er nicht wiedersehen.
Dr. Sven Friedrich
zum Autor
Dr. Sven Friedrich
ist Theater-, Literatur- und Kommunikationswissenschaftler. Seit 1993 leitet er in Bayreuth das Richard Wagner Museum mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung, das Franz-Liszt- und das Jean-Paul-Museum.