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Kommentar

Kommentar: Mit Wut im Bauch fährt sich’s besser

ein Kommentar von Benedikt Günther
Bayreuther Tagblatt - Benedikt Günther

Benedikt Günther

Eine gesunde Portion Wut kann beim Autofahren hilfreich sein. Denn Wut schärft die Sinne.

Auf Deutschlands Straßen gibt es vieles, weswegen man richtig wütend werden kann – das bietet auch seine Vorteile.

Die Liste der Ärgernisse ist lang

Die Aggression im Straßenverkehr nimmt laut einer neuen Studie zu. Kein Wunder: Der Weg zur Arbeit ist für viele von uns aktuell voller Baustellen, Umleitungen und Staus. Dazu kommt der gelegentliche herbstliche Platzregen samt Aquaplaning-Gefahr und ehe man sich versieht, heißt es auch schon wieder Eis kratzen.

Wenn man dann noch an die ganzen anderen Autofahrer denkt, die sich regelmäßig falsch einordnen, permanent die Überholspur besetzen oder spontan die Vorfahrtsregel vergessen, schwillt die Wut-Ader an der Stirn ganz schnell an.

Alltägliches Leid auf dem Weg zur Arbeit

Wenn ich meine morgendliche Tour von Bamberg nach Bayreuth antrete, muss ich aktuell deutlich früher los, als normal. Grund: Die gesperrte A9-Auffahrt. Sobald ich dann von der A70 abfahre, bietet sich mir immer das gleiche Bild. Eine lange Schlange an Pendlern, dazu ein paar Lkws und der mittlerweile obligatorische Betonmischer (irgendwo ist ja immer Baustelle) haben sich allesamt brav vor mir eingereiht und stehen zwischen mir und einer entspannten Fahrt ins Büro.

An diesem Punkt ist es um meine Ruhe längst geschehen und ich werde aggressiv – vor allem auch, weil ich da schon weiß, dass es auf dem Rückweg fast genau so aussehen wird. Mittlerweile ist mir aber auch klar, dass diese Wut auch nützlich ist, denn: Wer wütend ist, fährt besser!

Dank Wut Fehler vermeiden

Es ist im Prinzip ganz einfach. Wenn man täglich unterwegs ist, bekommt man auch sehr viel falsches Verhalten im Straßenverkehr mit. Oft wird sich falsch eingeordnet und dann an der Ampel noch reingedrängelt, wodurch mindestens sechs andere eine Ampelphase länger aufs Abbiegen warten müssen. Wenn ich sowas mitbekomme und am besten noch derjenige bin, bei dem das Licht von gelb auf rot schaltet, dann sitze ich in meinem Auto und werde laut.

Nicht selten wird der Drängler, der längst über alle Berge ist, auch mal mit dem einen oder anderen unschönen Ausdruck belegt. Das Problem: Es hilft nicht. Ist die Wut einmal da, bleibt sie mir auch erhalten – oft auch über die Fahrt hinaus.

Wer wütend ist, fährt konzentriert

Das Gute daran ist allerdings: Wenn ich wütend bin, fahre ich anders. Wer auf der Landstraße 90 statt 100 fährt, wird überholt. Wenn ein Opel mit geschätztem Baujahr 1989, der seine letzte TÜV-Zulassung im Lotto gewonnen hat, bergauf mit Tempo 80 die linke A70-Spur belegt, bekommt der auch mal die Lichthupe.

Klar, das ist nicht die feine englische Art, aber man achtet ja trotzdem darauf, dass niemand zu Schaden kommt. Und das Beste: Wenn man sich jeden Tag über dumme Fehler der anderen Autofahrer aufregt, macht man sie selbst nicht. Nie wieder falsch einordnen, beim Reißverschlussverfahren noch dreist immer weiter vordrängeln, keinen Platz bei der Auffahrt auf die Autobahn machen – all das, was mich selbst so wahnsinnig wütend macht, passiert mir selbst nie wieder. Und genau da liegt der Nutzen der Wut.

Die Grenzen sind entscheidend

Nur um das klarzustellen: Niemand redet hier davon, dass man permanent mit 200 Sachen und Lichthupe am Kofferraum des Vordermanns riechen soll. So ein Verhalten ist nichts anderes als rücksichtslos und jeder, der so Auto fährt, gefährdet sich und – noch wichtiger – unschuldige andere. Diesen Autofahrern wünsche ich, dass ihnen immer die Ärmel beim Händewaschen herunterrutschen. Das hat auch nichts mehr mit einer wütenden Fahrweise zu tun, das ist einfach nur unverantwortlich.

Das, was ich meine, ist allerdings eine kontrollierte Wut, die die Sinne schärft – immer darauf bedacht, keinen Fehler zu machen und niemanden zu gefährden. Dabei kann man vielleicht die ein oder andere (kleine) Grenze bewusst überschreiten, einfach weil man weiß, dass es so besser ist – und weil man einfach nur noch nach Hause will.

Die Kunst liegt freilich darin, hier auch wirklich zu wissen, was man machen kann und was man trotz allem lassen sollte. Dass mit einer wütenden Grundhaltung eine durchgezogene Linie vielleicht doch ein paar Lücken bekommt, ist sicher nicht damit gleichzusetzen, wie ein Irrer zu überholen und dabei am besten noch jedes zweite Auto zu schneiden.

Wie in vielen Dingen im Leben ist auch beim wütenden Autofahren also das Maß entscheidend – und die Grenze zwischen Nutzen und Schaden sehr schnell überschritten.