Alle Gamer sind fette Amokläufer – oder?
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Horst Seehofer hat es wieder getan. Nach dem Amoklauf von Halle am 9. Oktober hat Seehofer einen der Gründe für die Tat in der Gamingszene gesucht: „Viele von den Tätern oder den potenziellen Tätern kommen aus der Gamerszene“, sagte er in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin. Damit reiht er sich nicht nur in eine Reihe mit Donald Trump, der Videospielen die Schuld an einem Amoklauf gab, sondern erntete harsche Kritik von Experten. Auch die Bayreuther Studenten des eSport UBT-Teams finden solche Klischees „absolut lächerlich“.
Universität Bayreuth: 34 Millionen Gamer in Deutschland
„Es ist eine krasse Verallgemeinerung zu sagen, Gamer sind Amokläufer“, sagt der Teamleiter des Universitätteams eSport UBT, Leon Janßen. Es gibt 34 Millionen Gamer in Deutschland, sagt Janßen. „Das heißt, dass wir 34 Millionen potentielle Amokläufer in Deutschland haben“, fasst er zusammen. Da kann man genauso sagen, „dass alle Amokläufer Brot gegessen haben“.
Dabei findet der Leiter des Sponsoring des eSport UBT-Teams, Dennis Wagner, dass es „traurig ist, dass man sich als Gamer für sowas rechtfertigen muss“. Dabei hätten schon Studien seit den 90er-Jahren bewiesen, dass es keinen Zusammenhang zwischen einem Amoklauf und Videospielen gibt.
Leon Janßen sieht zwar den offensichtlichen Zusammenhang zwischen sogenannten Killerspielen und einem Amoklauf. Er sagt allerdings, dass nicht das Töten im Vordergrund des Spiels steht, sondern die Taktik, die in vielen verschiedenen Spielmodi angepasst werden muss.
Medien waren schon immer Sündenbock
Die beiden kennen sich mit solchen Vorurteilen aus, da es auch in Vorlesungen zum Thema gemacht wird. „Früher wurde behauptet, Bücher machen dumm, dann war es das Fernsehen. Vor einigen Jahren gab es Diskussionen zu den Splatter-Filmen“, erläutert Leon Janßen.
Janßen will dabei Killerspiele nicht verharmlosen. Auch „in der Community gibt es rechtsextreme Gamer“, weiß er aus Foren. Auch das Frauenbild bei vielen Gamern sei „nicht tragbar“. Dieses Klischee, Videospiele seien hauptsächlich für Männer, können beide Bayreuther Gamer im Allgemeinen bejahen. „In unserem Team sind allerdings einige Frauen“, sagt Dennis Wagner. Es sei zwar noch kein ausgeglichenes Verhältnis, aber beim eSport-Team der Uni „darf jeder kommen, der will – uns ist das egal“, sagt er.
Weitere Klischees von Gamern: Es macht aggressiv
Zocken macht aggressiv? „Kommt darauf an“, sagt Leon Janßen. Es sei nicht das Spiel an sich, dass einen wütend macht, sondern das Spielen selbst. Vergleichbar sei es mit Fußball oder Eishockey: Wenn rumgeschrien wird, Emotionen hochkochen oder Fäuste fliegen – „Keiner würde sagen, dass Fußballspielen aggressiv macht.“
Zocker sind sozial inkompetent
„Gerade durch das Spielen habe ich viele Freunde bekommen, mit denen ich immer wieder Kontakt habe“, erzählt Leon Janßen. Auch durch die Teilnahme beim eSport-Team der Uni hat er dort erste Kontakte geknüpft. Dazu veranstalten sie verschiedene Events, wie am 10. November: Dort gibt es ein Public-Viewing eines League of Legends Turniers in der Uni Bayreuth.
Dick und ungepflegt sehen Zocker aus?
Um dieses Klischee zu widerlegen, muss man sich die beiden Spieler nur anschauen. Keiner wirkt ungepflegt oder gar übergewichtig. „Und bei den professionellen Teams wird darauf geachtet, dass die Spieler einen Ausgleichssport machen“, erklärt Dennis Wagner.
Beide Spieler werden allerdings selten mit solchen Klischees betrachtet. „Das war vielleicht vor zehn Jahren noch so“, sagt Dennis Wagner, „aber diese Standart-Klischees werden von der Gesellschaft nicht mehr getragen“.
Das sagt die Wissenschaft
Unterstützung erhalten die Gamer aus dem Bereich der Wissenschaft. Unabhängige Forschungsergebnisse von Siegbert A. Warwitz von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe sowie der Motivationspsychologin Rita Steckel und Clemens Trudewind von der Ruhr-Universität Bochum haben empirische Untersuchungen zum Gaming angestellt. Das Ergebnis: Ob Kinder und Jugendliche dazu neigen Gewalt anzuwenden, liege weniger an sogenannten Ballerspielen zu, sondern eher der Wertevermittlung und den sozialen Umständen der Kindheit und Jugend.
Zum einem ähnlichen Ergebnis kommen Studien aus den Vereinigten Staaten. Dabei stellte sich heraus, dass die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen über einen Zeitraum von zehn Jahren immer mehr sank, je mehr Computerspiele verkauft wurden.