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Bayreuther Festspiele
Wieso die Festspiele nicht ausverkauft sind: Das sagt der Leiter des Richard Wagner Museums
Einen Tag vor Beginn der Bayreuther Festspiele sind noch immer Karten verfügbar. Dr. Sven Friedrich äußert sich zu den Ursachen.
Dr. Sven Friedrich ist Wagner-Experte, er leitet seit 1993 das Bayreuther Richard Wagner Museum. Dass die Festspiele nicht mehr ausverkauft sind, liegt seiner Ansicht nach nicht nur an den Preisen.
Wo sind die gläubigen Wagnerianer hin?
bt: Herr Dr. Friedrich, morgen beginnen die Festspiele. Bei sieben der neun Produktionen gibt es noch immer Karten. Woran liegt das?
Dr. Sven Friedrich: Das ist eine neue Erfahrung, vor Corona war Bayreuth immer ausverkauft. Das Publikum hat sich verändert, die Tickets sind deutlich teurer geworden, die Konkurrenz an kulturellen Angeboten hat zugenommen.
Wie hat sich das Publikum verändert?
Der gläubige Wagnerianer, der von weither nach Bayreuth pilgert, um sein müdes Haupt auf einen Strohsack zu betten und am nächsten Tag nach einem kärglichen Frühstück auf Knien den Hügel empor rutscht, stellt mittlerweile eine Minderheit dar.
Weniger Festspielbesucher übernachten in Bayreuth
Woran liegt das?
Der Stellenwert der Kultur sinkt, nicht zuletzt durch die Bildungskatastrophe. Und die Menschen wollen nicht mehr langfristig planen. Sie sind nicht mehr ohne weiteres bereit, für eine ganze Woche nach Bayreuth zu fahren, um den „Ring“ zu sehen.
Wie wirkt sich das aus?
Es gibt immer mehr Festspiel-Besucher, die nicht in Bayreuth übernachten. Gerade auch angesichts der Kostensteigerungen.
Tickets zu teuer?
Sind auch die Tickets zu teuer?
Die Preise sind ein möglicher Faktor. Aber die gestiegenen Preise dienen ja nicht dazu, dass sich die Festspiele die Taschen vollstopfen. Sondern die Einnahmen dienen zur Reduzierung des Zuschussbedarfs, damit der Steuerzahler nicht über Gebühr belastet werden muss.
Ist Bayreuth für die Wagnerianer zu unattraktiv geworden?
Bayreuth hat auch nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal von früher. Heute wird überall Wagner gemacht, auch an kleinen Stadttheatern. Und ich kann mir den aktuellen „Ring“ auch streamen. Da kann ich ihn bequem mit Nüsschen und einem Gläschen Wein zuhause auf dem Sofa genießen.
„Die Festspiele waren immer stark, wenn sie unzeitgemäß waren“
Es wurde gemutmaßt, dass die „Augmented Reality“-Teile der „Parsifal“-Inszenierung die Leute abschrecken. Es gibt nur 330 AR-Brillen für 1.900 Besucher.
Das Gegenteil ist der Fall. Der „Parsifal“ ist ausverkauft.
Was können die Festspiele selbst unternehmen, um wieder mehr Besucher anzuziehen?
Die Festspiele waren immer stark, wenn sie unzeitgemäß waren. Wer dem Zeitgeist hinterher rennt, sieht ihn meist nur von hinten. Würde, Festlichkeit und ein gewisser kultureller Konservatismus sind die DNA der Bayreuther Festspiele. Sich darauf wieder zu konzentrieren, wäre gut. Und die Inszenierungen müssen ebenso Maßstäbe setzen wie die musikalischen Interpretationen.
Setzen die Inszenierungen dieses Jahr Maßstäbe?
Nein.
„Eine Art Wagner-Olympiade“ sei nötig
Wieso setzen die Bayreuther Inszenierungen keine Maßstäbe mehr?
Auch für die Mitwirkenden ist Bayreuth nicht mehr dieser heilige Ort, manche Musiker fahren in den Sommerferien mit ihrer Familie lieber in den erholsamen Urlaub als in eine vergleichsweise reizarme fränkische Kleinstadt, um hier auch noch für vergleichsweise wenig Gage zu arbeiten. Auch der Niedergang der Schallplatten-Industrie spielt da eine Rolle: Die Platte und die CD haben die Stars gemacht. Heute gibt es diese großen Stars so nicht mehr.
Was können die Festspiele also machen?
Sie brauchen ein aktives Recruiting über ganz Europa, um die besten Künstler für Bayreuth zu bekommen. Sie brauchen Wettbewerbe, eine Art Wagner-Olympiade, zur Nachwuchsbildung. Hier böten sich die Ressourcen der Richard-Wagner-Stipendienstiftung an. Sie brauchen funktionierende Strukturen, sie brauchen Kontinuität und Ensemblepflege, und sie brauchen eine Hausdramaturgie, welche ein Leitbild und Konzepte über die einzelnen Produktionen hinweg entwickelt.