Buhrufe für den Falschen – Ein Nachruf für Norbert Balatsch
Norbert Balatsch, langjähriger Chordirektor der Bayreuther Festspiele, ist am vergangenen Mittwoch im Alter von 92 Jahren gestorben. In einer Mitteilung der Festspielleitung heißt es, dass sich “die Festspiele vor einem großartigen Künstler verneigen.”
Im Sommer 1997 organisierte der Festspielchor eine Ausflugsfahrt nach Eisenach. Im großen Saal der Wartburg bekam Chorleiter Norbert Balatsch nicht nur ein "Ständchen" zu seinem 25-jährigen Bayreuth-Jubiläum sondern auch Geschenke von den Chorvorständen Richard Rost, Hartwig Adler und Petra Salzburger-Brehmer. Foto: Stephan Müller
Norbert Balatsch, langjähriger Chordirektor der Bayreuther Festspiele, ist am vergangenen Mittwoch im Alter von 92 Jahren gestorben. In einer Mitteilung der Festspielleitung heißt es, dass sich “die Festspiele vor einem großartigen Künstler verneigen.”
Träger des goldenen Ehrenrings
Norbert Balatsch war von 1972 bis 1999 Chorleiter bei den Wagner-Festspielen. Er arbeitete in dieser Zeit mit Dirigenten wie Carlos Kleiber, Pierre Boulez, Sir Colin Davis und Daniel Barenboim zusammen.
Der Österreicher war Träger des goldenen Ehrenrings der Stadt Bayreuth. Er lebte in Wien und in Kierling. Verheiratet war er mit Herta Balatsch, einer ehemaligen Sängerin des Wiener Staatsopernchores. Er war Vater einer Tochter und eines Sohnes.
Chorleiter Norbert Balatsch und sein Nachfolger Eberhard Friedrich. Foto: Stephan Müller
In den 23 Festspieljahren wurde Norbert Balatsch immer bejubelt. Nur an einem Abend nicht. Ausgerechnet nach seiner ersten Vorstellung am Grünen Hügel brach ein Buh-Gewitter auf den Chorleiter los.
Wie kam es zu den Buhrufen?
„Eines versprechen Sie mir: Wenn Sie in der Bundesrepublik bleiben wollen, dann tun Sie das nicht während Ihres Engagements bei den Bayreuther Festspielen, sondern später!“ Sein neuer „Tannhäuser“-Regisseur hielt gegenüber Wolfgang Wagner Wort: Götz Friedrich verließ die DDR, nachdem er den wiederholten telegrafischen Aufforderungen zur Rückkehr nicht gefolgt war, erst ein halbes Jahr später.
Für Wolfgang Wagner war es wichtig, dass er „seine“ Festspiele rausgehalten hat. Für Schlagzeilen hatte Götz Friedrich mit seiner „Tannhäuser“-Inszenierung im Juli 1972 ohnehin gesorgt. „Wir müssen jüngere Regisseure sieben und sichten und dem Werk Richard Wagners konfrontieren“, sagte der Festspielleiter. Nachdem sich der Italiener Giorgio Strehler nicht entscheiden konnte („Er war etwas problematisch in seinen Zu- und Absagen“) engagierte er Götz Friedrich, der noch nie eine Wagner-Oper inszeniert hatte und von dem er auch nie zuvor eine Inszenierung gesehen hatte.
Inszenierung sorgte für Skandal
Friedrichs Inszenierung sorgte 1972 für einen handfesten Skandal, der durch den Kalten Krieg (Stichwort: „Import aus dem Osten“) noch verstärkt wurde: CSU-Chef Franz Josef Strauß empörte sich damals, dass der Minnesänger Tannhäuser nicht als Held, sondern als Revolutionär dargestellt wurde. Wegen des Schlussbildes mit dem „Betriebskampf-Gruppenchor der volkseigenen Betriebe Rote Lokomotive in Leipzig“ (Strauß) kündigte er die Streichung der Zuschüsse durch den Freistaat Bayern an und verließ demonstrativ den Staatsempfang im Neuen Schloss, als Götz Friedrich dort eintraf.
Eine Stunde vorher reagierte das fein gemachte Premierenpublikum mit orkanartigen Protesten. Die eindeutigen politischen Aussagen und die sexuellen Anzüglichkeiten in John Neumeiers Choreographie des Bacchanals brachten nicht nur die stockkonservativen Alt-Wagnerianer auf die Palme. Das erste „Buh-Gewitter“ bekam an diesem Premierenabend allerdings ein anderer ab.
Norbert Balatsch bekommt Buhrufe ab
Weil Götz Friedrich zum Schlussvorhang nicht gleich zur Stelle war, entschloss sich der Abendspielleiter, zuerst den Vorhang für den Chor zu öffnen. Der in Unterhemden gekleidete Festspielchor mit Norbert Balatsch an der Spitze bekam die „ganze Buh-Ladung“ ab. Dies war für den jungen Balatsch umso tragischer, weil er gerade von Wilhelm Pitz die Leitung des Chores übernommen hatte und gerade mit seiner allererste Vorstellung im Festspielhaus debütiert hatte. Die Befürchtung eines musikalischen Protestes legte sich aber schnell.
Schon am nächsten Tag sprachen die Musikkritiker von einer Verwechslung und lobten die ausgezeichnete Leistung des „Arbeiter- und Bauernchores“. Balatsch sagte später, dass er „die Publicity“, die er dadurch bei seinem Debüt hatte, „gar nicht hätte bezahlen können“.
Götz Friedrich erinnerte sich bei Verleihung an den Moment
Götz Friedrich erinnerte sich in seinen Dankesworten für die Verleihung des Wilhelm-Pitz-Preises: „Und immer noch, lieber Norbert Balatsch, befinde ich mich Ihnen gegenüber in größter Schuld. Es war der erste Applaus nach der Premiere. Es war das erste Jahr, in dem Herr Balatsch in der Nachfolge von unserem verehrten Herrn Pitz die Leitung des Festspielchores übernommen hatte. Der Chor stand da, und in der Mitte des Chores stand ein Mensch, den man damals als Publikum noch nicht so genau kannte. Denn er war ja neu. Und nun dachten die, das sei ich. Und auf Herrn Balatsch prasselte ein Buh-Gewitter los, das man mir zugedacht hatte. Es war der Beginn einer kollegialen, freundschaftlichen Verbundenheit über viele Jahre.“ Nachzutragen bleibt, dass dieser „Tannhäuser“, der 1979 die erste Fernsehaufzeichnung im Festspielhaus erfuhr, noch heute als „Kult-Inszenierung“ gilt.
Stephan Müller
Stephan Müller (54) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.