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Kommentar

Deutschland spart sich krank: Kommentar zum Krankenhäuser-Kollaps

Nicht nur das Bayreuther Klinikum ist im Ausnahmezustand: vielerorts gibt es zu wenig freie Betten und zu viel krankes Personal. Das ist die Quittung des Sparens an der falschen Stelle. Ein Kommentar von bt-Redakteur Johannes Pittroff.

Während die Politik unermüdlich vor den Gefahren des Corona-Virus warnte, sind in den Krankenhäusern Tausende Intensivbetten der Sparpolitik zum Opfer gefallen.

Jetzt sind die Kinderkliniken überfüllt, in den Krankenhäusern fehlen die Pfleger und gewöhnlicher Fiebersaft wird zur begehrten Ware.

Tausende Intensivbetten weggespart

Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schien zu Beginn der Corona-Krise bestrebt zu sein, das kranke deutsche Gesundheitssystem zu stärken. Stattdessen ist in den folgenden Monaten in den Kliniken und Pflegeheimen massiv Personal abgewandert. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat eine ernüchternde Feststellung gemacht. Sie zeigt, wie Deutschlands Gesundheitsversorgung von Oktober 2020 bis Oktober 2021, also innerhalb eines Jahres mitten in der Corona-Krise, abgebaut hat. Demnach hat Deutschland innerhalb dieses einen Jahres 5.000 Intensivbetten “verloren”.

Die Gesamtzahl sank damit von 27.170 auf 22.170 Intensivbetten. Wieso? Laut DIVI schlicht deswegen, weil das Personal fehlte, diese 5.000 Intensivbetten zu betreiben. Während der Corona-Krise hingen demnach viele Pfleger und Krankenschwestern ihren Job an den Nagel, weil er zu zermürbend und zu schlecht bezahlt war.




Klatschen statt Kohle für Pflegekräfte

Im Bayreuther Klinikum herrscht zurzeit Lockdown: Besuche sind verboten. Der Krankenstand im Personal ist zu hoch. Offenbar stehen nicht genügend Pfleger und Krankenschwestern zur Verfügung, um die aktuellen Krankheitswellen abzufedern. Dabei bekamen die Pfleger und Schwestern zu Beginn der Corona-Krise nicht nur Applaus von der Bevölkerung zu hören. Auch die Politik machte Versprechungen: höherer Lohn, bessere Arbeitsbedingungen sollten kommen. Doch abgesehen vom einmaligen Pflegebonus, der zudem nicht an alle Gesundheitsberufe ging, ist seitdem wenig passiert. Was haben die Pfleger stattdessen bekommen? Die Impfpflicht. Ein seltsamer Ausdruck der Wertschätzung.

Dabei war zu dem Zeitpunkt, als die Impfpflicht für Pfleger kam, nicht nur klar, dass auch geimpfte Mitarbeiter jederzeit das Virus bekommen und weitergeben können. Sondern auch, dass mit massivem Widerstand im Personal zu rechnen sein würde. Wer noch zu Beginn dieses Jahres der Ansicht war, dass wir auch diejenigen Pfleger und Schwestern dringend brauchen, die sich nicht impfen lassen wollten, galt als Querdenker. Jetzt, am Ende des Jahres, spricht sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft dafür aus, Corona-Infizierte ohne Symptome im Krankenhaus weiterarbeiten zu lassen. Und die Impfpflicht? Wurde von den Landratsämtern und Rathäusern nicht umgesetzt, die Politik will sie nicht fortsetzen. Statt die Gesundheitsberufe attraktiver zu machen, hat man sie zu Spielbällen der Symbolpolitik degradiert.

Auch Kinderkliniken haben Betten abgebaut

Besonders schlimm ist die Lage zurzeit in den Kinderkliniken. So auch in Bayreuth, wo an der Notaufnahme stundenlange Wartezeiten drohen. In Deutschlands Kinderkliniken ist die Bettenzahl zwischen 1991 und 2017 um ein Drittel gesunken, wie die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) aufzeigt. Der Grund dafür: Unterfinanzierung durch das Fallpauschalen-System. Die DGKJ zog schon damals die Schlussfolgerung: “Schon jetzt sind die flächendeckende Versorgung und die ‘Zugangsgerechtigkeit’ in Frage gestellt.”

Seitdem ging der Betten-Abbau an den Kinderkliniken weiter. Von 2018 bis 2020 verringerte sich die Betten-Zahl für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen um 455, von 2020 bis 2021 verschwanden 288 Betten aus der Statistik. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamtes auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Demnach verfügt die Kinder- und Jugendmedizin noch insgesamt über 25.920 Betten.

Billiges Antibiotika aus China

In Deutschlands Apotheken werden immer mehr Medikamente knapp, vom Fiebersaft bis zum Scherzmittel. Als Grund gelten oft die gestörten Lieferketten. Das allerdings verwechselt Ursache und Wirkung: Denn wenn die Medikamenten-Produkion nichts aus Kostengründen ins Ausland ausgelagert wäre, gäbe es auch nicht die Lieferketten-Problem.

Besonders alarmierend: Bei Antibiotika dominiert China den Weltmarkt. Das Deutsche Ärzteblatt, herausgegeben von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, warnte kürzlich in einem Beitrag: “Sollte es zu einem militärischen Konflikt zwischen China und Taiwan kommen, drohen dramatische Auswirkungen auf die Antibiotikaversorgung in Deutschland.”

Gesundheit kann man nicht kaufen

Natürlich lassen sich nicht alle Probleme im Gesundheitssystem mit dicken Geldbündeln lösen. Wenn, so wie jetzt, mehrere Krankheitswellen auf einmal über uns hereinbrechen, mag das auch ein gut ausgestattetes Gesundheitswesen strapazieren. Doch dass deutlich mehr als der Status Quo möglich ist, zeigt schon die Tatsache, dass die Versorgung in Deutschland eben schon einmal deutlich besser gewesen ist. Man muss also nichts schaffen, was über das Menschenmögliche hinausgeht. Das Niveau der Vergangenheit wiederzuerreichen wäre schon ein Anfang.

Aber Geld ist doch überall knapp – oder? Scheinbar nicht. Geht es um manch andere Belange, scheinen im Staatssäckel stets noch ein paar millionenschwere Münzen zu klimpern. Oder auch milliardenschwere, wenn es etwa um Waffen an die Ukraine geht. Doch beim Gesundheitssystem, da greift die Hand des Staates nicht in den Säckel, sondern zum Rotstift.