Wirtsgogl G’schichtla: Totentanz im Fichtelgebirge

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Adrian Roßner, Foto: Privat

Adrian Roßner ist einer der jüngsten Heimatforscher Deutschlands und kommt aus der Region: In seiner bt-Serie „Wirtsgogl-Gschichtla“ gibt er regelmäßig Einblicke in seinen Fundus an kuriosen Geschichten, unglaublichen Erzählungen und Besonderheiten aus unserer Region.

In Teil elf der Serie erzählt Adrian Roßner vom Totentanz im Fichtelgebirge Region.

Hier die aktuellste Geschichte des Wirtsgogl als Text und als Podcast zum Anhören.

 


Wirtsgogl G’schichtla #11 als Podcast zum Anhören


Totentanz im Fichtelgebirge

Es gibt wenige Ausdrücke in der Geschichte, die einem derart schnell einen kalten Schauer über den Rücken rinnen lassen, wie die „Pest“. Als schwarzer oder wandernder Tod zählt sie bis heute zu den größten Geißeln, die die Menschen allen voran im Mittelalter heimgesucht haben. Doch wenngleich einmal mehr viel bekannt ist über ihren Verlauf in den großen Metropolen des einstigen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, wissen wir nurmehr wenig von den Schicksalsschlägen zu berichten, die um sich griffen, als sie über unsere Region hereinbrach. Grund genug, sich auf eine Spurensuche zu begeben, um der grausamen Seuche auf ihrem einstigen Wege nachzuspüren, wobei der Blick historisch wie geographisch in die Ferne schweifen muss. 

Der schwarze Tod breitet sich aus

Bis heute ist nicht genau bekannt, wie viele Opfer die Pest auf ihrer Reise durch die Geschichte forderte, doch gehen die Schätzungen in die Millionen – immerhin brach sie nicht nur einmal aus, sondern suchte in Wellen ganze Länder über mehrere Jahrhunderte hinweg heim.

Als Ausgangspunkt indes wird heute der Balchasee vermutet, an dem archäologische Grabungen erst vor kurzem eine erhöhte Sterblichkeit während des frühen 14. Jahrhunderts nachweisen konnten, die man auf die Virenerkrankung zurückführt. Entlang der Seidenstraße – einer der wichtigsten Handelsverbindungen in den Orient – breitete sie sich anschließend in Richtung Indien und China im Osten, sowie zum Schwarzen Meer hin aus, wo sie im Frühjahr 1347 die von den Tartaren belagerte Stadt Caffa erreichte.

Totentanz. Foto: Adrian Roßner.

Der Weg nach Europa

Schilderungen der Krankheit aus diesem frühen Kapitel ihrer Geschichte sind rar, doch berichtet der Zeitzeuge Gabriele de Mussi, dass die Tartaren „nach kurzer Zeit charakteristische Symbole an ihren Körpern [zeigten], nämlich verklumpte Körpersäfte an den Gelenken und Leisten.“ Die damit gemeinte Schwellung der Lymphknoten deutet stark auf die typischen Beulen hin, die als äußere Merkmale der sogenannten Bubonenpest gelten.

Sich der davon ausgehenden Gefahr bewusst, schleuderten die Belagerer die Leichname ihrer Toten über die Mauern der Stadt und brachten die Seuche damit unter das fliehende Volk. Vermutlich werden Händler und andere Reisende sie anschließend über den Seeweg nach Europa gebracht haben, wo sie ihr grausames Werk fortführte.

Ein Totenkopf. Symbolbild: Pixabay.

Ein qualvoller Tod

Erst relativ spät, im 19. Jahrhundert, konnte die Medizin ihren wahren Kern benennen und den Floh Xenophylla Cheopsis Roth als Überträger identifizieren. Eine Art Pfropfen aus Speichel und Blut führt bei diesem Insekt zu einem Verschluss des Proventikels, eines Teils der Speiseröhre, und ermöglicht es Bakterien und Viren so, sich unter optimalen Bedingen zu vermehren. Darunter war auch der Erreger yersinia pestis, der durch einen Biss des Flohs in den Blutkreislauf seines neuen Wirtes gelangt und dort sein vernichtendes Werk beginnt.

Innerhalb von nur 48 Stunden kommt es zu einer Schwellung der Lymphknoten in den Achseln, am Hals und in der Leistengegend, wodurch die namensgebenden Bubonen – oder Beulen – entstehen. Der Kranke leidet unter massiven Kopfschmerzen und Fieberschüben, während der Organismus versucht, sich gegen den Angreifer zu schützen. Verliert er den Kampf, kommt der Tod schließlich durch eine Blutvergiftung, erlöst das Opfer jedoch meist erst nach einer Zeit des Leides und der Qualen. 

Mangelnde Hygiene. Ratten haben Flöhe und Flöhe übertragen Krankheiten. Symbolbild: Pixabay.

Verfolgung und Pogrome

Was sich an die ersten Pesttoten anschloss, war eine allgemeine Unsicherheit – gesteigert noch durch die vergebliche Suche nach den Ursprüngen der immer größere Kreise ziehenden Krankheit, die weder Medizin noch Religion einzudämmen wussten. Schließlich meinte man, den Schuldigen gefunden zu haben – in den Juden.

Auch im Fichtelgebirge begannen Pogrome, denen unzählige wehrlose Menschen zum Opfer fielen, da man ihnen nachsagte, sie hätten die Seuche absichtlich eingeführt, um damit die Herrschaft über ein letztendlich entvölkertes Europa antreten zu können. Vielmehr noch gingen „diese hartnäckigen Menschen […] in ihrer beharrlichen Grausamkeit so weit, daß sie die Brunnen vergifteten oder die Luft zu verunreinigen wußten und entsetzliches Sterben in vielen Ländern veranlaßten“, wie Pertsch aus Wunsiedel berichtet.

Die Tatsache, dass auch Juden zu den Opfern der heimtückischen Seuche wurden, klammerte man aus – zu dankbar war man, im Angesicht der aussichtslosen Lage endlich einen Sündenbock gefunden zu haben, mit dessen Vernichtung man dem Sterben ein Ende hätte machen können.

Die Pest forderte viele Todesopfer. Symbolfoto: Pixabay.

Vergiftete Luft

Generell sagte man „fremden Völkern“ gewisse Kenntnisse nach, die, gerne genutzt in Friedensjahren, in Zeiten epochaler Grausamkeit zu Massenmorden und Lynchjustiz führten. Gerade die Mär der vergifteten Luft („Miasma“ genannt), wie sie Pertsch in seiner Schilderung erwähnte, hielt sich zudem über mehrere Generationen hinweg im Gedächtnis der Bevölkerung: Durch „Fäulnisgase“ hätte sich die Krankheit ausgebreitet – immerhin in diesem Punkt waren sich Ärzte und Pfarrer einig und betraten die Stuben der Seuchenopfer daher meist nur mit entsprechenden Masken, um sich der Krankheit zu erwehren.

Bis heute hält sich zudem in manchen Orten wie Wunsiedel die Mär von der eingemauerten Pest, die man in Form eines „Hauches“ in Löcher lockte, die man anschließend mit Steinen blockierte. Wurde der Dunst schließlich durch die Unwissenheit der Nachfahren wieder befreit, brach die Seuche erneut über die Menschen herein und forderte wiederum unzählige Opfer. Dadurch suchte man zu erklären, wie es ihr gelang, innerhalb kürzester Zeit spurlos zu verschwinden, um nach fünfzig bis hundert Jahren mit neuer Härte zurückzukehren.

Der Tod ging um. Symbolbild: Pixabay.

Über tausend Tote in Hof

Auch aus der nordostoberfränkischen Region sind die Epidemie-Wellen gut rekonstruierbar: Nach dem ersten Auftreten der Pestilenz war sie um 1350 mit einem Male verschwunden, nur um 1495 zurückzukehren. Allein in den folgenden Jahren soll sie in Hof 1400 Menschen, in Bayreuth immerhin 650 Bewohnern das Leben gekostet haben – höhere Zahlen sind schließlich für den schlimmsten Ausbruch im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges nachweisbar, in dessen Zuge man versuchte, die Seuche durch Gräben, Kanonenschüsse und Kirchenglocken am Betreten der Dörfer zu hindern.

War sie erst ausgebrochen, schaffte man die Toten schnellstmöglich aus der Stadt und verscharrte sie eilig in den „Pestilenzgärten“, wie sie sich auch im Fichtelgebirge belegen lassen. Als gerechte Strafe Gottes fasste man den wandernden Tod damals auf, der die Hoffart der menschlichen Schöpfung ebenso geißelte, wie die Duldung „Ungläubiger“ in den Gemeinden.

Angst ums Überleben

Im Angesicht der neuerlichen Katastrophe brachen Menschen überall zu segensspenden Wallfahrten auf oder aber zogen als Flagellanten (auch „Geißler“ genannt) sich selbst züchtigend durch die Lande. Angst regierte in den Straßen der Städte wie auch der Dörfer; bei Reichen und bei Armen. Ironischerweise war die Seuche demnach auch ein großer Gleichmacher – sie machte vor niemandem Halt, verschonte die Adligen ebenso wenig, wie die einfachen Bauern; und hinterließ einst blühende Landschaften als blanke Ödnis.

Ferner sollte ihre Rolle in der Regionalgeschichte keineswegs unterschätzt werden – immerhin zeigte sie auch hier auf, dass jedwede zivilisierte Struktur zusammenzubrechen vermag, so nur die ureigene Angst ums blanke Überleben groß genug ist. 


Text: Adrian Roßner


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