Serien, Kolumen und Formate  aus Bayreuth und für Bayreuth

Gessn werd dahaam: Ein heißer Hund, ein kleiner Hund und ein Toast Hawaii

Die Suche nach perfektem luftgetrockneten Schinken führt Christoph Scholz in einen Bayreuther Feinkostladen.

Roter Main: Zurück zum Ursprung

Erst in seiner letzten Sitzung hat der Stadtrat Bayreuth über die Renaturierung des Roten Mains gesprochen, um das Klima der Stadt zu verbessern. Naturbelassen wie der Main einst einmal war, wollte ihn auch Wagners Frau Cosima sehen. Stephan Müller schreibt von einem Brief, in dem sie den damaligen Bürgermeister Theodor Ritter von Muncker bat, den Bau eines Konzerthauses am Roten Main zu überdenken. Dem Kanal wären an dieser Stelle mehrere Linden zum Opfer gefallen.


In die 37-jährige Amtszeit von Bürgermeister Theodor Ritter von Muncker von 1863 bis 1900 fielen die ersten Bayreuther Festspiele im Jahr 1876 und auch der Tod von Richard Wagner im Jahr 1883.
Wagners Frau Cosima überlebte ihren Mann um 47 Jahre und war in dieser Zeit auch kommunalpolitisch sehr engagiert.

Cosima Wagner. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Dies kommt in einem Brief vom 28. März 1898 an Bürgermeister Muncker zum Ausdruck. Der Stadtrat wollte an der Ecke Kanalstraße/Luitpoldplatz ein Gesellschafts- und Konzerthaus errichten, gegen das sich Wagners Witwe wandte: 

Hochgeehrter Herr Hofrath! (…). Ich höre, dass es projectirt ist, den neuen Bau im Garten hinter dem Centralschulhaus zu errichten. Ich hörte ferner, dass diesem Zweck der Maincanal überbrückt werden soll und dass die alten, am Ufer dieses Canals stehenden Linden bedroht sind. Meine Ansicht geht nun dahin, dass die Wahl dieses Platzes keine günstige ist und ich erlaube mir, dies zu begründen.

Unsere Stadt leidet am Wassermangel, demnach muss jede Gelegenheit vermieden werden, den Anblick des Wassers zu verringern. Im Gegenteil müsste man suchen, jede Stelle wo sich Wasser befindet, hervorzuheben und auszuschmücken, um einen entschiedenen Nachteil zum Besseren zu verhelfen.

Zum anderen sind alte Bäume ein großer, ja unersetzlicher Schmuck und wir sehen jetzt alle Einsichtigen in allen Städten bemüht, solche zu erhalten oder durch neue Pflanzungen dem Leiden, welches Staub und der Ruß hervorbringen, entgegen zu arbeiten.

Meine erste Bitte geht nun dahin, den Main nicht mehr noch als bereits geschehen, zu überbrücken und die alten Linden bestehen zu lassen, ja womöglich diese Stelle mit der Zeit zu einem hübschen Quai umzuwandeln, wozu die schönen Bäume sich sehr dienlich erweisen würden.

Etwa an der Stelle, an der das Gesellschafts- und Konzerthaus gebaut werden sollte, wurde später das “Haus der deutschen Erziehung” errichtet.

Das Haus der deutschen Erziehung. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Wirtsgogl G’schichtla: Einmarsch Napoleons ins Fichtelgebirge

Adrian Roßner, Foto: Privat

Adrian Roßner ist einer der jüngsten Heimatforscher Deutschlands und kommt aus der Region: In seiner bt-Serie „Wirtsgogl-Gschichtla“ gibt er regelmäßig Einblicke in seinen Fundus an kuriosen Geschichten, unglaublichen Erzählungen und Besonderheiten aus unserer Region.

In Teil zehn der Serie erzählt Adrian Roßner von Napoleons Einmarsch in die Region.

Hier die aktuellste Geschichte des Wirtsgogl als Text und als Podcast zum Anhören.

 


Wirtsgogl G’schichtla #10 als Podcast zum Anhören


Als Napoleon ins Fichtelgebirge kam

Die letzten Jahre des 18. Jahrhunderts stellen in der europäischen Geschichte tiefe Einschnitte dar, die teils bis heute Auswirkungen auf die Politik haben. Ausgehend von der Französischen Revolution und dem damit einhergehenden Untergang des Absolutismus, war ein Zeitenwechsel angebrochen, dem sich nur wenige entgegenzustellen wagten. Was jedoch aus dem anfänglich stolz aus allen Kehlen gesungenen „Vive La Republique“ geworden war, steht auf einem anderen Blatt: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hatten die Anführer des Aufstandes dem Volk versprochen – und ihnen Terror, Angst und Gewalt gebracht. Aus der Asche des anfangs umjubelten Umsturzes erhob sich schließlich ein Korse als neuer Führer einer Weltmacht: Napoleon Bonaparte. Er sollte es sein, der – als angeblich „Größter Feldherr aller Zeiten“ – Europa mit einem umfassenden Krieg überzog, der auch vor unserer Region nicht Halt machte. 

Napoleon. Foto: Pixabay.

Mit dem Staatsbankrott konfrontiert

Abgesehen von Napoleons Ausgreifen über den Rhein war das Fürstentum Brandburg-Kulmbach-Bayreuth (seit 1769 durch Ansbach ergänzt) ebenfalls an einem Wendepunkt seiner Geschichte angekommen. Schon lange hatten die preußischen Zollern versucht, die Anverwandten in den fränkischen Territorien zu einer Übergabe der Region zu bringen, was ihnen jedoch nicht gelungen war. Mit dem Amtsantritt des letzten Markgrafen, Karl Alexander, sollte sich das jedoch ändern: Insbesondere durch die Ausgaben seiner indirekten Vorgängerin Wilhelmine sah er sich dem drohenden Staatsbankrott gegenüber und suchte, einen Ausweg in umfassenden Sparmaßnahmen und Reformen zu finden, was jedoch nicht funktionieren wollte. Ein neuerliches Angebot der preußischen Verwandtschaft, die ihm eine nicht geringe Leibrente in Aussicht stellten und dafür anboten, das verschuldete Fürstentum zu übernehmen, schien da gerade recht zu kommen.

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Am 15. April 1792 erfolgte schließlich der endgültige Anschluss an das Königreich, das kurz darauf mit Karl Freiherr von Hardenberg einen fähigen Staatsmann entsandte, um den maroden Haushalt auf Vordermann zu bringen. Ihm ist der Weg des nach wie vor mittelalterlich geprägten Fürstentums hin zu einem prä-modernen Staat zu verdanken, der sich jedoch schon bald ernsten Bedrohungen von außen gegenübersah. Mit Vorsicht schielte man nach Frankreich, wo zu jener Zeit die Feuer der Revolution höher brannten, als je zuvor und fürchtete gar, ein kleiner Funke könnte auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation genügen, um das Pulverfass zu zünden.

Preußisches Territorium?

Im Fürstentum Bayreuth gab man schließlich am 30. April 1794 die Anweisung an alle Beamten heraus, auf französische Agenten zu achten, von denen man glaubte, sie würden absichtlich die billigen Lebensmittel aufkaufen, um mit der daraus entstehenden Unzufriedenheit den Umsturz zu provozieren. Stolz präsentierte man sich indes an den Straßen durch die Region, an denen ab 1796 Tafeln mit der Aufschrift „Territorium Borussium“ vom Landesherren zeugten. Erfolgreich stemmte man sich gegen die Ausuferungen aus der neuen Republique jenseits der Grenze. 

All das jedoch änderte sich im frühen 19. Jahrhundert, als ein Schreckgespenst durch die Landen zu streifen begann, von dem niemand mit Sicherheit zu sagen wusste, ob es der erhoffte Befreier von allzu großer Abgabenlast, oder der neue Unterdrücker sei: Napoleon. Nachdem König Friedrich Wilhelm III. noch am 6. August 1806 die Mobilmachung gegen Frankreich anberaumt hatte, um ein Ausgreifen des mächtig gewordenen Nachbarn zu verhindern, ging im Fürstentum die Mär, die stolzen Preußen wollten sich kampflos ergeben.

“Wir bleiben preußisch”

Ein „Aufruf an die braven Bayreuther“, der sich an alle Bewohner der Region richtete, sollte Klarheit schaffen:

Bayreuth ist also nicht verkauft, wenn auch des Königs Soldaten aus dem Lande verreisen. […] Fluch dem, der ein anderes glaubt! Schande und Verderben über die, welche jetzt ihr Vaterland, die Fahne verlassen, um erst abzuwarten, was geschieht! […] Der Brave vertraut Gott und seinem Könige! Nicht wert seid Ihr Bayreuther, preußisch zu sein, so Ihr nicht fest vertrauet, es immer zu bleiben! Rufet alle froh und mutig: wir bleiben preußisch mit Blut und Gut!“

Die Französische Revolution sorgte für Veränderung in Europa. Foto: Pixabay.

Einmarsch Frankreichs

Diesem Aufruf an die patriotischen Bewohner des Fürstentums folgte im Laufe der zweiten Jahreshälfte der komplette Rückzug aller preußischen Truppen hinter die Grenze und damit die kampflose Überlassung Bayreuths, wohin am 7. Oktober 1806 die Franzosen unter Marschall Soult vorrückten. Was daraufhin folgte, war der Kontakt der einfachen Bevölkerung mit dem schwelenden Kriege, der sie in ein Chaos stürzte, das die alten Ständeunterschiede und Ordnungen wieder hervorbrechen ließ. Ein Augenzeugenbericht aus Münchberg gibt bis heute beredtes Beispiel der Abläufe: 

Der 6. October gedachten Jahres war für Münchberg ein Tag des Schreckens und der Angst. An demselben […] überzogen ganz unerwartet die ersten Franzosen diese Stadt. […] Mit dem Säbel im Munde und Pistolen in der Hand sprengte der Vortrab – aus reitenden Jägern bestehend – herein und vernichtete sogleich alle Zeichen der preußischen Herrschaft, welche sich hier vorfanden. […] Während […][der Nacht] campirte (sic!) der Marschall Soult mit ungefähr 40.000 Mann in der Stadt und Umgegend. Die Häuser und Straßen der Stadt – alles war mit Soldaten angefüllt, und vom Lager in der Umgebung brachen dieselben auch haufenweise herein, plünderten viele Häuser aus und mißhandelten die Bewohner. Das Vieh wurde von den umliegenden Dörfern heerdenweise (sic!) ins Lager getrieben und abgeschlachtet, so wie auch die übrigen Lebensmittel aus der Stadt und den Dörfern herbeigeschafft wurden.
(Augenzeugenbericht aus Münchberg)

Napoleon Bonaparte. Foto: Archiv Adrian Roßner.

Materielle Abgaben

Die gigantischen Heeresaufgebote Napoleons stellten allen voran aufgrund der resultierenden Versorgungslage ein großes Problem für die Zivilbevölkerung des Fichtelgebirges dar. Um schneller marschieren zu können, hatte der Kaiser auf die Einrichtung von Magazinen verzichtet. Stattdessen hatte er Requisitionen eingeführt. Die vorgebrachten Erinnerungen können auch anhand der im Stadtarchiv lagernden Einquartierungsbillets und entsprechender Zusammenfassungen der durch Abgaben entstandenen Schäden nachvollzogen werden.

So musste allein der Kaufmann Hieronymus Bretting Wein und Schnaps im Wert von 180 Gulden, Tabak für 50 Gulden und Champagner, Wein, Kaffee und Schokolade für 482 Gulden an die Offiziere liefern. Johann Reichel indes gab zu Protokoll, dass er 60 Bouteillen Rheinwein, 30 Flaschen Burgunder, 12 Flaschen Champagner und 45 Liter Branntwein an Marschall Soult und seine Apanage abzugeben hatte. Alles in allem lagerten gemäß der Zusammenstellung des Amtsmannes Dietsch in der Zeit vom 12. Oktober bis zum 31. Dezember 1806 12.207 Soldaten in Münchberg, darunter 20 Generäle, 299 Offiziere, 995 Unteroffiziere und 10.893 Gemeine.

Neuanfang als Teil Bayerns

Doch nicht allein die materiellen Abgaben machten zu schaffen, auch die vom Fürstentum verlangten Zahlungen in Höhe von 2,5 Millionen Francs, die man auf die Steuerzahler umzulegen trachtete, zehrten an den eisernen Reserven. Was auf die Schrecknisse dieser ersten Jahre folgte, war eine Zeit des kompletten Umsturzes. Die Region fand sich am Scheideweg. Es galt zu entscheiden, ob man die Scherben des Alten neu zusammensetzen, oder das umgepflügte Feld neu bestellen sollte. Man entschied sich für letzteres. Als schließlich 1810 die Übergabe des ehemaligen Fürstentums an das neugeschaffene Königreich Bayern vollzogen wurde, war endgültig eine neue Zeitrechnung angebrochen. Begonnen jedoch hatte diese mit Napoleon. 


Text: Adrian Roßner

 

Als ein Nachttopf zum großen Streit führte

Klarer kann der Sachverhalt im Gassenviertel zu Bayreuth nicht sein. Am 4. Juli 1675 schüttete der junge Vetterlein, abends, so kurz nach acht Uhr, in der Ochsengasse, wie es halt so üblich war, seinen vollen Nachttopf aus dem Fenster.

Der Inhalt “striff” den Hof-Musikanten Georg Carl, der dies (vermutlich lautstark) “mit Schelt-Worten scharff geahndet” hat, seinen Degen zog, in das Haus stürmte und dem Vetterlein eine ordentliche Tracht Prügel versetzte. Drei Tage später, am 7. Juli 1675, wurden mit dem Schneider Rathsam, dem Rathsherren Hirsch, dem Glaser Keck und dem Messerschmidt Fischer vier Zeugen über den Hergang der Schlägerei befragt.

Stephan Müller hat sich im Bayreuther Stadtarchiv das “Actum” mit den vier Zeugenaussagen angesehen.


Prügel für den Pfarrers-Sohn

In dem “Actum” wird also berichtet, dass der Hof-Musikus Georg Carl, am 4. Juli 1675 in der Ochsengasse “abends nach 8 Uhr” von einem ausgeschütteten “Cammerscherben”, also einem Nachttopf, erwischt wurde. Er zog seinen Degen, rannte die Stiegen hinauf, verschaffte sich gewaltsam Eintritt und versetzte dem “jungen Vetterlein”, dem Sohn des Bindlacher Pfarrers, eine ordentliche Tracht Prügel.

Die Kirchgasse, die sich heute von der Adlerapotheke bis zur Stadtkirche zieht, hieß früher Ochsengasse. Aus welchem Haus der Inhalt des Nachttopfes aus dem Fenster flog, lässt sich allerdings heute nicht mehr feststellen. Foto: Stephan Müller

Es war “ein großes Geschrey und Geschlag gewesen”. Klar, dass sich vor dem Haus “daselbst die Leuthe ziemblich versammlet” haben. Als Zeugen wurden der Schneider Hans Rathsam, der Glaser Leonhardt Keck, der Messerschmidt Balthasar Fischer und der Rathsherr Christian Hirsch geladen.

Leonhardt Keck sagte aus, dass “die Ursach für den Zanck und Schlägerey gewesen were, dass der junge Vetterlein während des “Fürbeygehen” des Musicantens den Cammerscherben herunter gegoßen hat. Dieser habe dies “scharff geahndet”, aber von oben wurden “Schelt-Wortten” herunter geworffen. Keck bestätigte, dass der Carl nichts gethan hat, aber “durch das Ausgießen und hernach erfolgtes wörtliches Injuriren aber were er böse gemacht worden” ist.

Ratsherr, Glaser und Messerschmidt mussten schlichten

Rathsherr Hirsch, Glaser Keck und Messerschmidt Fischer liefen ins Haus, um den Streit zu schlichten.

Sie trafen Carl “uff der Stiegen” an. “Was er da für Händel anfinge” wollte der Ratsherr wissen und “setzte ihn zur Rede”. Carl machte sich “dagegen unnütz” und “warff mit injuriosischen Wortten” um sich. “Was er sich um ihn schere” wollte der Carl vom Hirsch wissen. Anscheinend konnte der Musikus aber vom Ratsherrn beruhigt werden, denn Keck erzählte, dass “H. Hirsch ihm den Degen genommen habe und dann darnach beede zum Hauß hinaus ihrer Weg fortgangen weren”.

Stadtansicht Bayreuth 1686. Foto: Archiv Bernd Mayer

Alles gar nicht wahr

Der einzige Zeuge der die Schlägerei selbst gesehen hat, war Hans Rathsam. Der Schneider gab zu Protokoll, dass der Inhalt des Nachttopfs den Geschädigten gar nicht getroffen hat:

Der Cammerscherben, so doch nicht gros, gegen die Gaße ausgeleeret, da unten der Musicant, Carl genannt, und die Ammfrau beysammen gestanden, solle aber damit nicht getroffen worden seyn. Gleichwohl were gemeldter Musicant hinaff gelauffen, die Cammer aufgestoßen, den jungen Vetterlein zu Boden geworffen, auff ihn gekniet und mit Schlägen tractiret, darüber Deponent aus dem Bette gesprungen und abgewehret, habe Ihn mit dem Stiel über den Kopf geschlagen und sonst Ihm noch Stöß geben, darnach were H. Hirsch darzu kommen, daß er sich aus dem Hauß fortgemacht und seiner Wege gegangen, habe aber ziembliche Droh-Wortt schießen laßen.

(Protokoll Hans Rathsam)


Warnruf für den Nachttopfinhalt

Diese Art der Entsorgung, die unser guter Musikus in Bayreuth erleben musste, war bis zum Ende des Mittelalters in allen Städten gang und gäbe. Das Treppensteigen mitten in der Nacht war den Einwohnern zu lästig, vielleicht den älteren auch zu anstrengend oder die Gruben zu weit entfernt. Kurz: Es war den Bürgern, trotz des strengen Geruchs, der sich in den Gassen festsetzte, einfach nicht abzugewöhnen, dass sie ihr Sammelgut des nachts kurzerhand aus dem Fenster schütteten.

Foto: pixabay

Vorsicht, Wasser!

In dem Buch “Wo selbst die Kaiserin zu Fuß hinging – Das Kaleidoskop vom Klo” erfahren wir von Autor Ingolf Rheinholz, den Lösungsvorschlag schlechthin. Ein Lösungsvorschlag, der fast in allen Städten durchgeführt wurde. Ein lautstarker Warnruf:

So beschlossen die Stadtväter in Paris im 14. Jahrhundert, dass dreimal laut “Gare l’eau!”, also “Vorsicht, Wasser” gerufen werden musste, ehe die Ladung aus dem Fenster geschüttet wurde. In Edinburgh wurde diese Maßnahme mit dem “Gardy loo!” übernommen. Beide Warnrufe haben sich in Frankreich und Schottland bis heute als gängige Sprichwörter erhalten. Das “Gare l’eau!” bedeutet so viel wie “Kopf weg!”, das “Gardy loo!”: “Herrgott, sei uns gnädig”.

In Regensburg, so wusste ein Gästeführer dort zu berichten, rief man drei Mal auf französisch “attention”.

In Preußen, wie könnte es anders sein, wurde eine strenge Anordnung zu diesem Thema erlassen: “Da denen bisherigen Verordnungen zuwider sich viele Leute unterstehen, die Straßen durch Ausgiessung derer Nachteymer und Hinwerfung des Mülles zu verunreinigen”, machte das Preußische Policeydirectorium im Jahr 1771″zu jedermanns Achtung und Warnung hierdurch bekannt”, dass “dergleichen Personen künftig statt 2 Rthlr. mit 5 Rthlr. oder proportionirlicher Leibesstrafe belegt; über dem aber ohne Ansehen der Person an den Ort, wo sie betroffen werden, öffentlich mit einem Zettel vor der Brust ausgestellt” werden.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

150 Jahre Siegfried Wagner: Der kuriose Tod einer Festspiel-Tänzerin

Zu Siegfried Wagners 150. Geburtstag fällt dem Bayreuther Hobbyhistoriker Stephan Müller die Geschichte der Isadora Duncan wieder ein. Die Amerikanerin die bis heute vielleicht aufregendste Künstlerin, die die Bayreuther Festspiele je gesehen haben. Und Cosima Wagner wollte sie dem Memoiren der Tänzerin zufolge, einst mit ihrem Sohn Siegfried verkuppeln.

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Sie wollte provozieren und schockieren. So wagte sie sich Ende des 19. Jahrhunderts im puritanischen Amerika fast nackt auf die Bühne. Ihr ganzes Leben kämpfte sie für die freie Liebe und gegen bürgerliche Konventionen. Und ausgerechnet Cosima Wagner verpflichtete die Tänzerin Isadora Duncan für den Tanz der Grazien im „Tannhäuser“ im Festspielsommer 1904.

Isadora Duncan im Tannhäuser. Foto: Archiv Bernd Mayer

Eine Sensation: Die amerikanische Balletttänzerin dürfte bis heute die aufregendste Festspielsolistin aller Zeiten sein. Die am 27. Mai 1878 in San Francisco geborene Tänzerin hatte  einen neuen Tanzstil kreiert, der von den starren Regeln und der Kostümierung des klassischen Balletts vollkommen abwich.

Kurz vor ihrem 27. Geburtstag kam die Tänzerin in Bayreuth an. In der Nähe der Eremitage entdeckte sie die „Philippsruh“. Sie mietete das historische Gebäude für die ganze Festspielsaison und ließ für diese wenigen Wochen alle Wände mit einem zarten Grün übertünchen. Als Möblierung wählte sie Diwans, Ruhekissen und rosafarbene Lampen aus.

Foto: Stephan Müller

Wenn man den Memoiren der Tänzerin Glauben schenken darf, war die rassige Schönheit in diesem Festspielsommer auch Cosima Wagners heimliche „Wunschschwiegertochter“ für ihren damals 35-jährigen, immer noch unverheirateten, Sohn Siegfried.

Siegfried Wagner und Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Daraus wurde freilich nichts: Denn Siegfried war höchstwahrscheinlich homosexuell, dies konnte er in dieser wilhelminischen Zeit als “Prominenter” keinesfalls offen kundtun, was wenig später die skandalösen Verleumdungsklagen der Harden-Eulenburg-Affäre zwischen 1907 und 1909 deutlich zeigten.

Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Wenn auch nicht von Siegfried, so bekam Isadora von anderen Männer fleißig Besuch: Während Zar Ferdinand von Bulgarien oder der Naturforscher Ernst von Haeckel tagsüber kamen, verbrachten der Sänger Alfred von Bary, aber auch Cosimas Schwiegersohn Henry Thode die Nächte bei reichlich Champagner in der „Philippsruh“.

In ihren Memoiren schrieb sie, dass sie sich in Henry Thode, den genervten Ehemann von Cosimas Tochter Daniela, unsterblich verliebt hat und von einer Wollust in die andere verfiel:

Es war, als befände sich jeder Nerv meines Körpers konstant in höchstem Liebesschauer. Noch nie habe sie solch eine ‚beseligende Liebesekstase erlebt’.

(Isadora Duncan)

Die Festspielen begeisterten Isadora: „Meine Seele glich einem Schlachtfeld, wo Apollo, Dionysos, Christus, Nietzsche und Richard Wagner einander den Boden streitig machten“, schrieb sie.

Viele Bayreuther Sänger waren groß und dick, aber wenn sie zu singen begannen, drangen ihre Stimmen aus einer Welt vergeistigter Schönheit, wo die ewigen Götter leben. Ich stelle diese Behauptung auf, dass diese Künstler sich ihres Leibes gar nicht bewusst waren; dieser stellte für sie nur eine Maske voll gewaltiger Energie und Kraft dar, durch die sei ihre göttliche Kunst auszudrücken imstande waren.

(Isadora Duncan)

Umgekehrt waren das Publikum und die Presse auch von Isadora Duncan begeistert: Sie zeigte natürliche harmonische Bewegung im klassisch-griechischen Sinn: Statt kurzem Röckchen, Korsett und weißen Strümpfen trug sie fließende Gewänder und tanzte nicht in Spitzenschuhen, sondern barfuß. Duncan erschuf den modernen Tanz und war die Erste, die sich nach den großen klassischen Musikwerken auf eine ganz neue, weiblich freizügige Art bewegte. Tanz war für sie körperlich-seelische Einfühlung in die Musik.

Isadora Duncan. Foto: Archiv Bernd Mayer

Der gestrengen Frau Cosima gefiel die viel zu durchsichtige Tunika der Tänzerin allerdings überhaupt nicht. Sie ließ ihr ein langes weißes Hemd in die Garderobe schicken.

Die Mutter stirbt wie ihre Kinder: Bei einem Unfall mit dem Auto

Isadora Duncan starb am 14. September 1927 auf der Promenade des Anglais in Nizza im Alter von erst 50 Jahren. Sie war Beifahrerin in einem offenen Amilcar. Ihr langer Seidenschal verfing sich an einem Rad des Sportwagens. Sie wurde auf die Straße geschleudert und zog sich einen Genickbruch zu und starb noch am Unfallort.

In einem französischen Amilcar wie diesem, fand Isadora Duncan den Tod. Foto: pixabay

Besonders tragisch: Erst 14 Jahre zuvor starben ihre beiden Kinder bei einem Autounfall in Paris. Duncans Chauffeur hatte vergessen, die Handbremse anzuziehen, als er ausstieg, um den in einer Kurve stockenden Motor zu reparieren. Das Auto stürzte in die Seine und die Kinder und das Kindermädchen ertranken.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Siegfried Wagner: Mit Papa Richard in der Kneipe

Siegfried Wagner wurde als Sohn Richard Wagners weltberühmt. Anlässlich seines 150. Geburtstags wurde am Donnerstag 6. Juni, am Familiengrab der Wagners in einer feierlichen Zeremonie ein Kranz niederlegt.

Grabstätte Siegfried Wagner. Foto: Susanne Jagodzik

Warum aber aus Siegfried ein namenhafter Künstler werden konnte, obwohl er bereits mit fünf Jahren in der  Kneipe anzutreffen war, das verrät Hobbyhistoriker Stephan Müller.

Vom Sohn Richard Wagners zum eigenständigen Komponisten

„Heute ist der glücklichste Tag meines Lebens“ jubelte Richard Wagner am Sonntag, den 6. Juni 1869. An diesem Tag schenkte Cosima von Bülow dem 56-jährigen Komponisten einen „schönen kräftigen Sohn mit hoher Stirn und klarem Auge“.

Der Vater, Richard Wagner, verarbeitet seine Empfindungen in der Komposition “Tribschen – Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang”. Später wird diese Komposition als “Siegfried-Idyll” weltberühmt. Den Wunsch des Vaters am Tage seiner Geburt, dass der Sohn sein Werk erhalten solle („dereinst – da muss mein Junge für das Rechte sorgen“) hat Siegfried voll und ganz erfüllt. Er übernahm im Jahre 1906 die Leitung der Festspiele von seiner Mutter und steuerte sie bis zu seinem Tode im Jahre 1930 erfolgreich durch schwieriges Fahrwasser.

Architektur oder Musik

Die Entscheidung, das Lebenswerk seines Vaters fortzuführen oder sich künftig der architektonischen Begabung zu widmen, fiel „Fidi“ nach seinem Abiturabschluss im Jahr 1889 nicht leicht. Als Belohnung für das bestandene Abitur darf er die Weltausstellung in Paris besuchen. Er interessiert sich für Malerei, Literatur und Architektur, beginnt aber bei Engelbert Humperdinck, dem Komponisten der Oper “Hänsel und Gretel” in Mainz das Studium der Komposition. Schon im Sommer 1890 weiß Humperdinck, dass Siegfried “jetzt mit allen Elementen der Musiktheorie vertraut ist. Er sei im Stande fortan seine weiteren Studien ohne die Hilfe anderer fortzusetzen”.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Trotzdem konnte sich Siegfried nicht entscheiden, ob er sich der Architektur oder der Musik widmen soll. Klarheit brachte ihm eine sechsmonatige Schiffsreise über Gibraltar nach Saigon, Hongkong, auf die Philippinen, danach von Ceylon wieder nach Neapel im Jahr 1892. Unter den Eindrücken der fernöstlichen Klänge entschloss er sich nach „österlichen Träumen“ in der Nacht zum Ostersonntag für die Musik.

Feuertaufe 1894

Im Jahr 1894 wirkt er an der Seite seiner Mutter als Assistent bei der Vorbereitung der Festspiele mit. Doch wird der Wagner-Sohn auch von den Künstlern und Musikern ernst genommen? Bei einer Probe ist der “Lohengrin”-Dirigent Felix Mottl “unauffindbar”. Siegfried soll “ganz plötzlich” einspringen. Der Trick funktioniert. Siegfried hat quasi seine “Prüfung” im Orchestergraben des Festspielhauses bestanden. Er fasst Selbstvertrauen und dirigiert Konzerte in Rom, London, Budapest und Wien. Im Jahr 1896 dirigiert Siegfried zum ersten Mal in Bayreuth den “Ring des Nibelungen”. Der anwesende Gustav Mahler schreibt einen Brief an Cosima und lobt Siegfrieds Begabung in den höchsten Tönen.

Aus dem Schatten des Vaters heraus

Ja, so ein(en) Vater zu schleppen ist gar nicht gut“ schrieb Cosima Wagner in ihren Tagebüchern. Dennoch geriet Siegfried Wagner nicht so sehr in den großen Schatten des Vaters, wie es den Söhnen der ebenfalls übermächtigen Väter Bach, Goethe oder Picasso ergangen ist.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Dies liegt wohl darin begründet, dass Siegfried Wagner neben den großen Aufgaben als Festspielleiter, Regisseur und Dirigent noch Zeit für eigene Kompositionen finden konnte. Sein musikdramatisches Schaffen beinhaltet 18 umfangreiche Opern, verschiedene Orchesterwerke und Liedvertonungen. Auch wenn Siegfried Wagners Werke heute – bis auf einige Ausnahmen – nur sehr selten auf die Spielpläne der Opernhäuser kommen (in Bayreuths Partnerstadt Rudolstadt wurden vor einigen Jahren der „Bärenhäuter“, das „Schwarzschwanenreich“, das „Wahnopfer“ und „Banadietrich“ gegeben), darf man nicht vergessen, dass die Opern des „beliebtesten Junggesellen seiner Zeit“ vor allem am Anfang unseres Jahrhunderts zum Repertoire aller großen Opernhäuser gehörten.

Zwischen 1899 und 1914 gab es von seinen ersten sechs Werken auf den Bühnen der namhaftesten Kulturzentren im deutschsprachigen Raum insgesamt nicht weniger als 327 Aufführungen.

Der Festspielleiter

Am 9. Dezember 1906 erlitt Richard Wagners Witwe Cosima bei einem Besuch beim Erbprinzen Hohenlohe auf Schloss Langenburg einen schweren Herzanfall. Ihr Sohn Siegfried reist von einem Konzert bei der Musikalischen Gesellschaft in Essen sofort zu ihr. Auch ihre Tochter Isolde findet sich umgehend ein.

Siegfried Wagner vor dem Bayreuther Tagblatt in der Opernstraße. Foto: Stephan Müller

Die fast 70-jährige Festspielleiterin wird von Professor Ernst Schwenninger, Bismarcks Leibarzt, behandelt und schwebt bald nicht mehr in Lebensgefahr. Vier Tage später begleiten Isolde und Siegfried ihre Mutter mit dem Zug nach Bayreuth. Für das Frühjahr 1907 verordnete Schwenninger Cosima Wagner eine längere Kur in Cannes. Die ohnehin schon geplante Übergabe der Festspielleitung an Siegfried Wagner war damit besiegelt. Im Jahr 1907 fanden keine Festspiele statt. Siegfried nutzt die Zeit für intensive Probenarbeiten für die Wiederaufnahme des „Lohengrin“ im Jahr 1908.

Es gilt, die Werke meines Vaters möglichst stilgerecht zur Aufführung zu bringen, wobei das Musikalische im Tempo und Vortrag durch die lebendige Überlieferung zu einer geheiligten Tradition geworden ist, hingegen die äußere Form in Bezug auf Szenerie, Beleuchtung, Kostüme und so weiter immer dem Geist des Werkes entsprechend dem modernen Empfinden angepasst werden muss.

(Siegfried Wagner)

Trotz des Anspruchs an die Moderne, den er schon vor der Jahrhundertwende formuliert hat, modifiziert er die Inszenierung seiner Mutter nur vorsichtig. Der ehemalige Architekturstudent verändert und vereinfacht vor allem im ersten und zweiten Aufzug mit wirkungsvollen Schritten die Dekoration, die seiner Chorführung mehr Freiheiten lässt. Für die „Brautgemach-Szene“ im dritten Akt nutzt er das Bühnenbild von 1894.

Dieser Mittelweg zwischen Altem und Neuem und auch der erstmalige Einsatz von dreidimensionalen Requisiten machten ihn für viele Opernfreunde zum geistvollsten und bedeutendsten Opernregisseur der Gegenwart. Bis ihn der Erste Weltkrieg zu einer zehnjährigen Festspielpause von 1915 bis 1924 zwang, inszenierte Siegfried Wagner die „Meistersinger“ (1911) und den „Fliegenden Holländer“ (1914) und stieß mit seinen Ideen auf ein positives Echo. Es begann eine erfolgreiche Zeit. Ab 1908 waren alle Aufführungen im Festspielhaus schon ein halbes Jahr vor der Premiere ausverkauft.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Während seine Mutter in ihren letzten Jahren als Festspielleiterin auf einen Turnus von zwei Jahren (1902, 1904, 1906) setzte, kehrte Siegfried Wagner zu dem Rhythmus aus den Anfangsjahren zurück. Jeweils nach zwei Festspieljahren setzte er ein Pausenjahr zur Einstudierung eines neuen Werkes fest. Dabei machte er auch im Jahr 1913 keine Ausnahme. Im 100. Geburtsjahr seines Vaters fanden keine Festspiele statt. Eine hohe Ehre erfuhr der große Komponist trotzdem: In der Walhalla wurde eine Richard-Wagner-Büste aufgestellt.

Die Katastrophe

Das Jahr 1914 sollte zu einer finanziellen Katastrophe führen. Mitten in der Festspielzeit brach der Erste Weltkrieg aus. Am 1. und 3. August erklärt Deutschland zunächst Russland und dann Frankreich den Krieg. Nach dem Einmarsch über das neutrale Belgien in Frankreich hat das Reich mit England einen weiteren Kriegsgegner.

Als die Festspiele am 22. Juli 1914 mit dem „Fliegenden Holländer“ in der Inszenierung und unter der musikalischen Leitung von Siegfried Wagner eröffnet werden, haben es viele ausländische Besucher unter dem Eindruck des Attentats von Sarajevo auf Erzherzog Prinz Ferdinand und dem Ultimatum von Österreich-Ungarn an Serbien vorgezogen, erst gar nicht nach Bayreuth zu reisen. Von den geplanten 20 Aufführungen („Holländer“, „Ring des Nibelungen“ und „Parsifal“) konnten bis zum Ausbruch des Weltkrieges gerade einmal acht Vorstellungen vor zum Teil halbleeren Rängen gespielt werden. Am 1. August brach Siegfried Wagner die Festspiele ab und musste die Unsumme von 400.000 Mark für die Rücknahme der Karten bezahlen.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

In sechs dieser acht Vorstellungen saß ein erst 17-jähriges Mädchen an der Seite ihres Pflegevaters Karl Klindworth. Die junge Engländerin Winifred Williams, nach dem frühen Tod ihrer Eltern von dem Ehepaar Klindworth adoptiert, wird von der Familie Wagner warmherzig aufgenommen. Neben dem finanziellen Fiasko gibt es im Haus Wahnfried nämlich noch ein anderes Problem. Der mittlerweile 45-jährige Festspielleiter war immer noch Junggeselle, die Wagner-Dynastie gefährdet.

Die Hochzeit mit Winifred

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Das Unternehmen gelingt. Siegfried verliebt sich in Winifred und beginnt mit der 28 Jahre jüngeren Frau einen regelmäßigen Briefwechsel. Am 22. September 1915 – nur acht Wochen nach ihrem Verlöbnis – heirateten Siegfried und Winifred im Haus Wahnfried in Bayreuth. Am 5. Januar 1917 kam mit Wieland der erste dynastisch legitime Enkel von Richard Wagner auf die Welt. Am Tage seiner Geburt kam es zu einer rührenden Szene. Die 80-jährige Cosima setzte sich zum ersten Mal seit Wagners Tod an das Klavier und spielte einige Takte aus dem „Siegfried-Idyll“. Das Paar konnte sich noch über die Geburten von Friedelind (1918), dem späteren Festspielleiter Wolfgang (1919) und Verena (1920) freuen.

Siegfried Wagner. Foto: Archiv Bernd Mayer

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Festspiele im Jahr 1924 mit 20 Aufführungen (“Meistersinger”, “Ring des Nibelungen” und “Parsifal”) wieder eröffnet. Siegfried Wagner setzte sich weiter für eine zeitgemäße Modernisierung ein, insbesondere durch die Verpflichtung des jungen Bühnenbildners Kurt Söhnlein. Einer seiner innigsten Wünsche war eine eigene Neuinszenierung des “Tannhäusers”, die ihm zusammen mit dem musikalische Leiter Arturo Toscanini im Jahr 1930 noch gelingen sollte. Bei einer der Proben in diesem heißen Sommer erlitt Siegfried Wagner einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht mehr erholte. Er starb am 4. August 1930.

Traueranzeige für Siegfried Wagner. Foto: Stephan Müller


Gott, einen solchen Jungen bei mir zu haben…

Was uns heute als unglaublich erscheint, war in den vergangenen Jahrhunderten völlig normal. Die Kinder tranken schon in frühen Jahren Bier. Dies lag zum einem daran, dass die Kinder schon früh mitarbeiten mussten und sich genauso ernährten wie Erwachsene. Zum anderem beobachtete man, dass die oft schlechte Wasserqualität zu Krankheiten führte. Nachdem die Gerste vorher gekocht worden war, blieben Biertrinker gesund! Im ländlichen Raum rund um Bayreuth war es in den 50er Jahren vielleicht nicht mehr üblich, aber dennoch weit verbreitet, dass die Kinder vor dem Einschlafen noch ihren Schluck Bier bekamen.

Tafel vor dem Glenk-Biergarten mit einer Erklärung von Jean-Paul aus seinem Erziehungsroman Levana. Foto: Stephan Müller

So auch der junge Siegfried Wagner, der seinen Vater schon als Fünfjähriger in die Stammkneipe Angermann begleitete. Richard und Cosima nannten ihren jüngsten Spross, der am 6. Juni 1869 in Luzern geboren ist, “Fidi”. Dass “Fidi” schon früh ins Bierglas schauen durfte, entnehmen wir zwei Tagebucheinträgen von Cosima Wagner:

Sonnabend 24ten R. geht nachmittags mit Fidi aus, bei Angermann redet ein Fremder den Kleinen an: »Kannst du auch Bier trinken«, Fidi schweigt, sagt dann schüchtern »ja«, worauf R.: »Der Knabe kennt Sie nicht, bester Herr!« – – R. freut sich Fidi’s, sagt: »Gott, einen solchen Jungen bei mir zu haben, der mich Papa nennt und alles frägt; es ist zu schön.

(Aus dem Tagebuch Cosima Wagners, 24. Oktober 1874)

 

Sonntag 27ten Großes Gewitter in der Nacht, welches uns wach erhält, und heute Regenwetter und Kälte! R. arbeitet, ich muß mich legen, da die Müdigkeit es mir förmlich versagt, aufzubleiben. Abends komme ich aber hinunter. R. ist mit Siegfried zu Angermann gegangen und hat sehr gelacht, dort für Fidi ein Stammglas zu finden: Herr Siegfried Wagner!

(Aus dem Tagebuch Cosima Wagners, 27. Juli 1879)


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Kid38: Rap über Animes und Kant statt Autos und Frauen

In der zweiten Folge des Hip Hop Podcasts des Bayreuther Tagblatts, „RaPod“, haben sich die Moderatoren Frederik Eichstädt und Johannes „Quasi“ Besold mit dem Bayreuther Rapper Kid38 getroffen. Dieser steht am 15. Juni beim Uni Open Air in Bayreuth auf der Bühne. Neben dem Interview mit dem Bayreuther Rapper sprechen Frederik Eichstädt und Quasi im Intro über modernen Rap, Reimtechnik und ihren musikalischen Werdegang.

Kid38 im Podcast Interview

Zwischen Bamberg und Bayreuth

Im Talk mit den Moderatoren spricht der Student, der einen Teil seiner Kindheit und Jugend in Bamberg verbracht hat, über seine Musik, die Arbeit seines Labels Purple Mind Records und das Leben im Heim. Besonders letzteres hat seinen Werdegang in der Musik sehr geprägt.

Samy Deluxe oder Bushido?

Dabei musste er sich in frühen Jahren bereits entscheiden. Die Frage ob man Rapper “Samy Deluxe” oder “Bushido” bevorzuge, spaltete die Jugendlichen im Heim. Und mit seiner Antwort auf diese Grundsatzfrage traf man eine folgenschwere Entscheidung. Denn ab da war geklärt, mit welchen anderen Kids man befreundet sein konnte und mit welchen nicht. Diese und mehr Geschichten verrät Kid38 als Antwort auf die erbarmungslosen Entweder-Oder-Fragen von bt-Redakteur Frederik Eichstädt.

Offenes Studio bei Purple Mind Records

Kid38 schätzt die Kreativität im Studio und steckt viel Energie in Songkonzepte und Ideen. Während andere Rapper häufig über Frauen, Geld und Autos rappen, ist das Themenspektrum beim Bayreuther Künstler deutlich breiter. Neben Textverweisen zu Kant oder Darwin, hat Kid38 beispielsweise auch ein Lied aus der Sicht eines Hundes gemacht.

Ich finde Studiosessions besser als Live-Auftritte. Auf der Livestage bin ich nicht so kreativ unterwegs, im Studio kann man richtig ausrasten.
(Kid 38)

Bei seinem Label, Purple Mind Records, können derzeit Leute ein- und ausgehen und für eine kleine Aufwandsentschädigung eigene Texte einrappen. Seine Produzenten würden diese dann abmischen und zu fertigen Liedern verarbeiten.

Die Jungs von Purple Mind Records haben angefangen, Leuten Studioaufnahmen zu ermöglichen. Für einen Zehner oder zwanzig Euro können dabei Rapper vorbeikommen, die Bock darauf haben. Derzeit sind nun auch immer wieder Rapper am Start, die auf Suaheli rappen. Wir verstehen da zwar kein Wort, aber es ist fett.

Kid38 live. Foto: Purple Mind Records.

Auch zum Battlen und Dissen hat Kid38 eine ganz eigene Meinung. In dieser Gattung von Rap, bei der man in einem Wettbewerb seinen Gegnern mit Worten schlecht machen soll, sei der Bayreuther nicht besonders gut. Das liegt hauptsächlich daran, dass seine Hemmschwelle hier höher sei als die vieler anderer Rapper. Er würde nämlich auch in seiner Musik nur Dinge sagen, die er auch als Mensch vertreten würde.

Ich bin super schlecht im Battlen. Jedes Mal wenn ich es versuche, ist es eine Katastrophe. Ich schaffe es noch nicht, Kid83 von Andi zu trennen. Daher sind die Bewertungsschemata die von Andy. Beim Battlen muss man das trennen können. Man muss auf der Bühne stehen und seinen Gegner besiegen wollen. Das ist bei mir nicht so. Ich könnte zum Beispiel niemals eine Mutter beleidigen. Denn Andy mag Mütter. Andy mag Menschen, Andy mag Leben. Wenn ich auf der Bühne stehe und battlen will, dann gebe ich meinem Gegenüber immer erstmal ein Kompliment. Das kommt dann meist nicht so gut.

Uni Open Air

Am 15. Juni steht Kid38 dann auf dem Bayreuther Campus beim Uni Open Air auf der Bühne. Neben anderen Künstlern wie Zugezogen Maskulin, Blond oder Kuso Gvki wird dabei auch der Purple Mind Künstler auf der Stage stehen und seine Lieder zum Besten geben. Mehr Infos zur Veranstaltung finden Sie auf der Website der Uni Bayreuth.

NameAndreas Egginger
LabelPurple Mind Records
HeimatstadtBayreuth
AliasKid38
Geboren20. Mai 1994
Erstes Rap-AlbumKid38 - Lootertape
Bisher letztes Rap-AlbumKid38 - Lootertape
Bestes Rap-Album nationalKid38 - Lootertape
Bestes Rap-Album internationalKid38 - Lootertape
Einflussreichste KünstlerGeto Boys, Prinz Pi, Aggro Berlin, Tech N9ne
Bestes Rap-ZitatDas müsst ihr selbst entscheiden.
Bestes MusikvideoKid38 - Update (bis jetzt)
Dieser Künstler sollte erfolgreicher seinMC ReneTech N9ne (in Deutschland)
Rap ist für mich...einer meiner ältesten Freunde
Wieso mache ich RapIch liebe den Scheiß einfach, Ich hoffe, er liebt mich auch.
Worüber rappe ichALLES. Es gibt keine Einschränkungen.
Mit diesem Trend in der Musik kann ich gar nichts anfangenIch nehme sie alle, packe sie in einen Topf, rühre ein paar Mal kräftig um und mache dir ein witzig, würziges Album daraus
Würde ich nicht rappen, ......würde ich Leuten ohne Musik ein Ohr abkauen. Vielleicht als Streamer. Vielleicht auf einer Kiste in der Stadt. You never know.

Mehr zum RaPod

Der RaPod ist ein regelmäßig erscheinendes Podcast-Format von Frederik Eichstädt und Johannes “Quasi” Besold. Mehr Infos dazu finden Sie in Kürze auf unserer Website.

Die RaPod-Moderatoren Frederik Eichstädt und Johannes “Quasi” Besold. Foto: Carolin Richter.

Gessn werd dahaam: Mörderisch gutes Gemüse

Auf der Suche nach dem perfekten Gemüse landet Christoph Scholz in der Gärtnerei Schmidt.

bt öffnet Türen: Im Himmel über Bayreuth

Die Sonne scheint. Am Airport Bayreuth sitzen einige Männer und Frauen in Campingstühlen neben einer der vier Start- und Landebahnen. Es sind Mitglieder der Luftsportgemeinschaft Bayreuth. Während das Bundesligateam schon seit mehreren Stunden für Punkte in der Ligawertung unterwegs ist, kommen hier Flugfreunde zusammen, um das gute Wetter zu nutzen.

Regelmäßig schießen hier Segelflugzeuge in Richtung Himmel nach oben. Je nach Wetter dauern die Flüge manchmal nur wenige Minuten, manchmal aber auch über eine Stunde. Am Samstag, 1. Juni, gesellte sich bt-Redakteur Frederik Eichstädt dazu, um einen Flug mit Pressesprecher Daniel Große Verspohl zu unternehmen. Das Video zum Flug finden Sie über dem Text.

Im engen Cockpit

Frederik Eichstädt am Flugplatz

Mit angelegtem Sicherheitsgurt. Foto: Redaktion.

Am Anfang war ich schon ein bisschen nervös, besonders, als ich den Fallschirm anlegte. Denn mein Kopf begann just beim Anlegen damit, sich vorzustellen, in welchen Situationen ich das Utensil denn nun während des Flugs bestimmt auch gebrauchen könnte. Und was dabei so alles schief gehen kann. Nachdem ich mir selbst einredete, und lebhaft vorstellte, dass ich das alles bestimmt super bewältigen würde, wich die Anspannung aber einer gewissen Vorfreude. Nach der Sicherheitsunterweisung ging es dann auch schon in das Cockpit der Maschine ASK21. Die hat zwar eine Spannweite von 17 Metern, aber das Cockpit ist ziemlich eng. Besonders wenn man fast zwei Meter groß ist. Ein paar, wahrscheinlich nur halbwegs elegante, Verrenkungen später, saß ich dann im Flugzeug. Wenn man dann über sich die Deckenklappen des gläsernen Cockpits schließt, weiß man, dass es jetzt erstmal kein Zurück mehr gibt. Irgendwie schön, irgendwie auch etwas unheimlich. Dann heißt es warten. Und es wird heiß. Sehr heiß. Die Sonne prallt direkt auf das Glasdach. Der Schweiß läuft von meiner Stirn. Zum Wegmachen bleibt keine Zeit, da ich die Kamera in Position bringen muss.

Während mir mein Pilot noch erklärt, dass unser Flugzeug gleich in drei Sekunden von 0 auf 100 beschleunigen wird, haben wir die 100 km/h bereits erreicht und rasen über die Startbahn nach vorne. Im nächsten Moment sind wir bereits in der Luft. Und es fühlt sich gut an. Sehr gut. Der Bordfunk macht sich bemerkbar, der Höhenmesser piepst und ich bin wirklich begeistert von der Aussicht. Das Fliegen fühlt sich im Segelflieger ganz anders an als in den großen Passagiermaschinen. Man fühlt den Wind. Ein Gefühl von Freiheit macht sich breit. Ich habe ein Grinsen auf dem Gesicht. Auf die Frage, wie es mir geht, antworte ich euphorisch: “Geil”, und schiebe wenig später noch ein: “Ja, doch, wirklich gut” hinterher. Nach ein paar Runden beschließen wir dann dennoch zu landen. Es wird wieder gefunkt und gepiepst. Und wenig später setzen wir dann schon wieder auf dem Landeplatz auf. Ich habe immer noch ein Lächeln auf dem Gesicht.

Im Cockpit des Segelflugzeugs. Foto: Frederik Eichstädt.

Mehr zur LSG Bayreuth

Die Luftsportgemeinschaft Bayreuth (LSG) ist amtierender Deutscher Meister im Segelfliegen. Seit Oktober 2018 weilt die Meisterschale in der Wagnerstadt. Kurz darauf durfte sich die siegreiche Mannschaft im Rathaus in das Goldene Buch der Stadt eintragen. Auch in der aktuellen Saison sind die Bundesligaflieger wieder an den Wochenenden in der Bundesliga auf Punktejagd.

Die Maschine der LSG im Rathaus. Foto: Redaktion.

Briefmarken: Als der Osten Richard Wagner gedachte, der Westen aber nicht

Zum 150. Geburtstag des Komponisten Richard Wagner erschienen Sondermarken in der UdSSR und in der DDR. In der BRD dagegen nicht – trotz Beschwerden aus Bayreuth. Hobbyhistoriker Stephan Müller kennt die Geschichte.

Richard Stücklen war nicht nur Bundestagspräsident sondern auch von 1957 bis 1966 fast ein Jahrzehnt lang Bundespostminister. In dieser Zeit hat er mit Sicherheit viele Vorschläge, Ideen und Forderungen für Briefmarkenmotive bekommen. Mindestens eine davon auch aus Bayreuth.

Beschwerdebrief aus der Wagner-Stadt

Der damals 49-jährige Bayreuther Bundestagsabgeordnete Herbert Hauffe beschwerte sich im Jahr 1963 bei Richard Stücklen über die Weigerung der Bundespost, zum 150. Geburtstag von Richard Wagner eine Sondermarke herauszubringen. Die Begründung schien plausibel. Hauffe wies den Postminister darauf hin, dass “diesmal ausgerechnet die Sowjetunion ein Wertzeichen zur Erinnerung an Richard Wagner aufgelegt hat”.

Was stattdessen erschien

Ein Antwortschreiben kennen wir nicht. Fest steht aber: Zumindest zu diesem Anlass ist, im Gegensatz zu der Briefmarke aus der UdSSR, in West-Deutschland keine Briefmarke zum Wagner-Jubiläum erschienen. In der Bundesrepublik entschied sich Stücklen stattdessen dafür, der Feier “400 Jahre Heiliger Katechismus” ein Denkmal in Form einer Briefmarke zu setzen. Außerdem dem Gimpel, dem Eisvogel, dem Pirol und dem Wiedehopf, sowie dem Märchen Rotkäppchen und der Einweihung der “Vogelfluglinie” zwischen Deutschland und Kopenhagen. Dazu dem 100-jährigen Jubiläum des Roten Kreuzes und dem 100. Jahrestag der 1. Internationalen Postkonferenz in Paris. Eine vollständige Auflistung finden Sie hier.

Gedenken an den Leipziger

In der DDR dagegen erhielt Richard Wagner 1963 eine Briefmarke. Sie zeigt sein Porträt vor einer Szene aus dem “Fliegenden Holländer” zu seinem Jubiläum. In einer Serie erschien der Bayreuther Meister, der ja in Leipzig geboren ist, zusammen mit den Schriftstellern Georg Büchner und Johann Gottfried Seume sowie dem Dichter Friedrich Hebbel und dem Schriftsteller Georg Büchner auf dem Briefmarkenmarkt.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.