Historisches Bayreuth – Allgemein

Stephan Müller öffnet für das bt sein Archiv und präsentiert hier die besten Anekdoten rund um Bayreuth. Mit dabei sind viele kuriose, informative und spannende Geschichten.

Jugendherberge und Reservistenheim: Wo das Festspielhaus ursprünglich hin sollte

Im März 1870 braute sich etwas zusammen, was die Geschichte der Stadt Bayreuth grundlegend verändern sollte.

Der nackte Ritt auf einem Schwein: Marquis Salou und seine Kultkneipe

Schlapphut, Bart und wallender schwarzer Mantel – Marquis Salou war ein Provokateur, der den Bayreuthern bis heute im Gedächtnis bleibt. bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück.


„Jeder Fortschritt und jeder Wandel in der Geschichte kommt von Nonkonformisten. Wenn wir keine Dissidenten hätten, lebten wir noch in Höhlen.“ – ob das Zitat des britischen Historikers Alan J. P. Taylor auch auf den Bayreuther Provokateur Marquis Salou zutrifft, sei dahingestellt.

Der nackte Ritt auf einem Schwein

In den Fokus der damals so biederen Beamtenstadt rückte der Marquis im Jahr 1971 mit der Einweihung des „Life 2000″, einem großen Einkaufszentrum im Industriegebiet. Dort wurden gleichzeitig die moderne Diskothek „Jet Set” und die „Eve-Bar“ eröffnet. Endgültige Berühmtheit erlangte der Marquis Salou, als er nackt auf einem Schwein in seine Bar einritt und sich deshalb Ärger mit dem Bayreuther Tierschutzverein einhandelte. Und, da waren sich alle einig, er muss auch der unbekannte Nackte gewesen sein, der über den Luitpoldplatz und die Bahnhofstraße gelaufen war.

Wer war dieser Mann, der quasi aus dem Nichts auftauchte? Dass er Curt Auls hieß, wussten nur die Mitarbeiter des Einwohnermeldeamtes. Dass er in Berlin aufgewachsen ist, dort eine humanistische Bildung genossen hat und später als Schauspieler in Paris, London oder München auftrat und die ganze Welt bereiste, berichtete er selbst.

Marquis Salou. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Der Marquis war stolz darauf, dass er als Bayreuths schillerndste Persönlichkeit den Gästen nach dem Besuch der Eremitage und des Festspielhauses noch selbst als touristische Attraktion gezeigt wurde.

Irgendwann war er nach Bayreuth gekommen, blieb aber zunächst nicht lange. Zwei Jahre nach der Eröffnung besagter Diskothek, die später „Happy Night”, „VIP” und „Broadway” hieß, gab es einen Eigentümerwechsel.

Und irgendwann verschwand dann auch der Marquis, kehrte Ende der 70er Jahre aber wieder nach Bayreuth zurück, um in der Carl-Schüller-Straße das Nachtlokal „Japanische Teestube“, das in den 50er Jahren einen eher zweifelhaftem Ruf hatte, zu übernehmen.

Alle Promis waren beim „Marquis”

Er eröffnete seine Nachtbar „Marquis Galerie” und war fortan aus der Bayreuther Szene nicht mehr wegzudenken. Seine Bar war gesellschaftsfähig, wurde eine Institution. Bei ihm trafen sich die Bayreuther Geschäftsleute und die Stadtoberen. Am berühmten Stehtisch im Eck diskutierte Brauereichef Hans Schinner mit Großbäcker Kurt Schatz, Großschlachter und SpVgg-Chef Hans Wölfel mit Stadtrat Bernd Mayer, dem CSU-Fraktionsvorsitzenden Manfred Jahn oder Oberbürgermeister Hans-Walter Wild. Es durfte nicht jeder in seine „Galerie“. Ein Monitor über besagtem Stehtisch zeigte an, wer vor der Tür Einlass begehrte. Übrigens: Ein kleiner Kreis dieser Stammgäste hatte einen eigenen Schlüssel für das Etablissement.

Im der Galerie spielten sich immer wieder Aufsehen erregende Szenen wie diese ab: An der Theke spielten zwei Männer – einer nur mit einem Bademantel bekleidet – Back Gammon.

Die 100 Mark, die der Verlierer zahlen wollte, nahm der Sieger nicht an. Nach kurzer Diskussion verbrannte der Hundertmarkschein über einer Kerze. Die Szene ist verbrieft, denn der junge 18-jährige Bayreuther, der mit großen Augen beobachtet und nicht fassen kann, ist der Autor dieser Zeilen.

Marquis spendet Samen

Auch andere besondere Aktionen sorgten für Aufsehen. Schlüpfrige Ankündigungen wie „Marquis spendet Samen“ entpuppten sich dann freilich als harmloses Verschenken von Sonnenblumensamen. Spannend waren sie trotzdem, denn zuzutrauen war ihm eigentlich alles. Dieses Sprichwort war es dann auch, was ihm Freunde in seine Todesanzeige setzten: „Honi soit qui mal y pense!”

Der Marquis Salou starb am Dienstag, den 13. Februar 1990. Am gleichen Tag war 107 Jahre zuvor auch Richard Wagner gestorben – ein Schelm, der Böses dabei denkt.

In der Mitte der mit Menschen überfüllten Aussegnungshalle des Krematoriums am Südfriedhof stand zwischen einem Blumenmeer ein schwarzer Sarg mit dem schwarzen Schlapphut. Statt einem Pfarrer war es der bayerische Bluesbarde Willy Michl, der durch das „letzte Programm“ führte.

Traueranzeige Marquis Salou. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Für seinen Freund sang er sein Lied vom „Blütental”. Nach den Abschiedsreden von Hans Ebersberger, DFB-Schiedsrichter-Lehrwart und Direktor des städtischen Gymnasiums, dem befreundetem Arzt Edwin Kroha und Michelle, Salous Witwe, intoniert der Isar-Indianer „The House of the Rising Sun”, ehe er nach einer ergreifenden Pause mit lauter Moderatoren-Stimme eine für Kirchen eher seltene Aufforderung erklingen ließ: „Ladies and Gentlemen, das Geilste für Salou im Leben war der Applaus. Geben Sie ihm also einen letzten Applaus.”

Unter den Standing Ovations der Trauergemeinde versank schließlich der Sarg in den Tiefen des Krematoriums.


Text: Stephan Müller


Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es hier beim bt. Darunter Geschichten wie diese die bisher in keinem Buch veröffentlicht wurden.


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Darum waren Bayreuther Klöße früher grün

Wer sich in Bayreuth verliebt und womöglich sogar beschließt, sich hier niederzulassen, um zwischen Rotem Main und Festspielhügel einen geruhsamen Lebensabend zu verbringen, muss auch lernen, sich für das Bayreuther Sonn- und Festtagsessen zu begeistern: die rohen Kartoffelklöße. Hobby-Historiker Stephan Müller hat herausgefunden, seit wann es die “Bareitha Kleeß” gibt.

“Bareither Klöß”. Kein Kochbuch, sondern ein herrlicher Buchtitel für Dichtungen in oberfränkischer Mundart von Samuel Bach aus dem Jahr 1906. Foto: Stephan Müller


Sie sind das Alpha und das Omega aller Festlichkeit in Oberfranken. Kindstaufen, Hochzeiten, Leichenschmäuse, Richtfeste sind nicht denkbar ohne sie. Und bis zu 40 Kilometer fahren Alteingesessene an den Sonntagen, um in Wirtshäusern abzusteigen, wo die Klöße besonders gut, das heißt groß, handgerieben und vor allem billig sind. Gaststätten, in denen die Klöße mit Schweine-, Enten-, Gans- oder Sauerbraten noch weitere zehn oder 15 Pfennige unter dem preislichen Durchschnittsminimum liegen, werden dabei vor allem von den Bayreuther Millionären bevorzugt.

(Erich Rappl, 1970, ehemaliger Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts)

Diese Einschätzung stammt aus dem Jahr 1970 von dem ehemaligen Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts Erich Rappl, den die Bayreuther nur unter “Wafner” kennen. Sie hat bis auf die Umstellung von Pfennig auf Cent noch immer Bestand.

Seit 300 Jahren zum Sonntagsbraten unverzichtbar

Und dies vielleicht schon seit 300 Jahren: Es war ein Zufall, durch den Dr. Sylvia Habermann herausgefunden hat, dass der „Fränkische Kloß“ schon vor drei Jahrhunderten bekannt war. Bei der Suche nach einem Bildhauer, der für die Kirche in Neustädtlein am Forst Figuren geschnitzt hatte, stieß die damalige Leiterin des Historischen Museums in Bayreuth in den Rechnungsbänden auf ein Richtfest, bei dem imposant mit Klößen aufgekocht wurde. Die unverhältnismäßig hohe Rechnung vom 22. August 1707 lässt ohne Zweifel darauf schließen, dass es sich dabei tatsächlich um Kartoffelklöße und nicht etwa um die althergebrachten „billigen“ Mehlklößlein handelte. Die „erste urkundliche Erwähnung“ des Kartoffelkloßes stand fest.

Warum “grüne” Klöße?

Diese rohen Kartoffelklöße werden als „grüne Klöße“ bezeichnet. Das Wort grün ergab sich in früheren Zeiten tatsächlich aus der Farbe. Wenn der Kloßteig, der früher geschwefelt wurde, erkaltete, bekam er oft eine dunkelgrüne Farbe. So hat sich der Begriff „grüne Klöße“ als Bezeichnung für Klöße aus rohem Kartoffelteig erhalten.

Das Büchlein “Kiechla, Kleeß und Krautsalot” von Traudl Wolfrum ist in der ewigen Rangliste der am meist verkauften Bücher in Bayreuth wohl nie mehr zu schlagen. Foto: Stephan Müller

Der erste Kartoffelanbau in Rehau

Zu diesem Zeitpunkt wurde die Kartoffel in der Markgrafschaft bereits einige Jahrzehnte feldmäßig angebaut. Die ersten Kartoffeln vom Feld gab es 1647 in Pilgramsreuth bei Rehau. Dabei handelte es sich um den frühesten bisher bekannten „Erdäpfelanbau“ in Deutschland.

Der Bauer Hans Rogler erhielt während des 30-jährigen Krieges die ersten Saatkartoffeln von einem holländischen Soldaten. Der Ernteerfolg musste nicht lange auf sich warten: Schon bald wurden mehr als 500 Zentner Kartoffeln in dem 400 Seelendorf geerntet. Eine Bronzeplastik im Kirchhof – das so genannte „Kartoffeldenkmal“ – zeigt einen Bauern mit einem Grabegerät und eine kniende Bäuerin mit Kartoffelkorb, beide im üblichen bäuerlichen Gewand des 17. Jahrhunderts.

Streit um die ersten Kartoffeln endete vor Gericht

Dies lässt sich alles urkundlich belegen, weil es um diesen ersten Kartoffelanbau einen mächtigen Streit und sogar eine Gerichtsverhandlung in Hof an der Saale gab. Als Hans Rogler aus Pilgramsreuth und andere Bauern aus Roßbach bei Asch in Böhmen die Kartoffeln erhielten und mit dem Anbau begannen, weigerten sie sich “den Zehnt” abzugeben, weil dieser nach ihrer Ansicht nur für Getreide festgelegt war. Die Bauern behielten die Kartoffeln für sich. Das Gerichtsprotokoll aus Hof ist die erste “urkundliche Erwähnung des Kartoffelanbaus”.

Der Bayreuther Bürgermeister Erhard Christian Hagen von Hagenfels schrieb dazu im Jahr 1862 im „Archiv für Geschichte und Althertumskunde von Ober­franken“, dass ein in Böhmen einquartierter niederländischer Offizier von der Nützlichkeit “des Baues der Kartoffel” erzählt habe. Nachdem die Bauern misstrauisch waren, ließ er sich „aus seinem Vaterlande eine Partie Kar­tof­feln” kommen, die im Hausgarten gesteckt wurden. Die Anbauversuche gelangen, sodass die Pilgramsreuther schnell systematische Anpflanzungen auf den Feldern vornahmen. Dies war der Kirche ein Dorn im Auge. Die Kartoffel stand nicht in den Zehnt-Verzeichnissen. Bereits im Jahr 1694 wurde ein Jahresertrag von 1.300 Zentnern erzielt.

Bayreuther Saatkartoffeln für den Preußenkönig

Der Kartoffelanbau breitete sich in der Markgrafschaft Bayreuth bis zu den Regierungszeiten der Markgräfin Wilhelmine immer weiter aus. Im Gegensatz zum Getreide war und ist die Kartoffel weder bei der Aussaat noch vor der Ernte abhängig vom Wetter und der Witterung. Erst mit dem Kartoffelanbau konnten in Europa die Hungersnöte eingedämmt werden. Dazu ließ sich Friedrich der Große Saatkartoffeln aus Bayreuth kommen, um die Pflanzaktionen zu fördern.

Durch seine Schwester Wilhelmine soll Friedrich der Große auf die nützliche Frucht aus der Bayreuther Markgrafschaft aufmerksam geworden sein. Am 24. März 1756 erließ der Preußenkönig sein berühmtes Kartoffeldekret, wonach “der 15. Teil des Bodens” mit Kartoffeln anzupflanzen sei. Landwirte, die keine Kartoffeln anbauten, konnten künftig nicht mehr mit Steuererleichterungen rechnen.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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Weihnachtsüberraschungen mit Familie Wagner

Weihnachten ist das Familienfest Nummer 1. Doch jede Familie gestaltet die Feiertage anders. Wie Richard Wagner und seine Lieben das Fest feierten, verrät bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller.


Keine Worte für solche Freuden

Das Weihnachtsfest wurde von der Familie Wagner stets besonders hingebungsvoll gefeiert. Aus doppeltem Anlass: Denn auch Frau Cosima hatte am Heiligen Abend Geburtstag. Begangen wurde ihr Wiegenfest allerdings immer einen Tag später, also jeweils am ersten Weihnachtsfeiertag. Richard Wagner war immer darauf bedacht, seiner Cosima eine besondere Weihnachtsüberraschung zu bieten. Zwei Mal gelang ihm dies mit gerade erst komponierten Uraufführungen seiner Werke.

Am Sonntag, dem 25. Dezember 1870, kamen Orchestermitglieder der Züricher Tonhalle in das Haus Tribschen und weckten die 33-jährige Cosima in aller Frühe mit dem etwa zwanzigminütigen “Tribschener Idyll”, das später zum “Siegfried-Idyll” wurde.

Das Foto entstand 1873: Cosimas Kinder Isolde, Eva, Siegfried, Blandine und Daniela. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Aus Platzgründen spielte nur eine kleine Streicher-Besetzung. Weil die Musiker deshalb im Treppenhaus Aufstellung nahmen, wurde das “Siegfried-Idyll” von Wagners Kindern auch später nur “Treppenmusik” genannt. Nach dieser Uraufführung im kleinsten Kreise schritt Richard Wagner mit den Kindern und dem anwesenden Friedrich Nietzsche an Cosimas Bett und überreichte ihr das Manuskript des “Siegfried-Idyll”.

Der Titel des Geburtstagsgeschenks: “Tribschener Idylle mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang, als symphonischer Geburtstagsgruß seiner Cosima dargebracht von Richard Wagner”.

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Überraschung am Weihnachtstag

Genau acht Jahre später, die Familie Wagner lebte seit vier Jahren im Haus Wahnfried in Bayreuth, überraschte Richard Wagner seine Cosima am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1878 ein zweites Mal: Er bat den Herzog von Meiningen um eine zweitägige Beurlaubung seiner Hofkapelle. Die Musiker trafen einen Tag vor Heiligabend in Bayreuth ein – sozusagen als polyphones Weihnachtsgeschenk.

Kurz zuvor hatte Richard Wagner die Partitur zum “Parsifal”-Vorspiel abgeschlossen. Und dieses weihevolle vorab instrumentierte Werk wurde am ersten Feiertag morgens um sieben Uhr in der Halle des Hauses Wahnfried uraufgeführt – erneut ganz privat. Am Abend gab es zudem ein Konzert mit dem “Siegfried-Idyll” und Beethoven-Sätzen. Frau Cosima war außer sich vor Entzücken. In ihr Tagebuch schrieb sie wonnetrunken: “O dass man nur Worte hätte für solche Freuden”.

Zu Richards Weihnachtsüberraschungen gehörte auch der so genannte “Kinderkatechismus”, der am 25. Dezember 1873 und ein Jahr später in einer neuen instrumentierten Fassung beim ersten Weihnachtsfest in Wahnfried von den Kindern aufgeführt wurde. Eine Huldigung mit Gesang und Klavierbegleitung für Cosima. Allerdings kann man zumindest hier über den Gehalt von Richard Wagners Dichtkunst streiten:

Wisst ihr Kinder, was blüht am Maitag? Die Rose, die Rose, die Ros im Mai.

Kinder, wisst ihr auch, was blüht in der Weihnacht?

Die Kose, die Kose, die kosende Mama, die Cosimama.

Als die Meininger Hofkapelle morgens um sieben Uhr im Saal von Wahnfried das “Parsifal”-Vorspiel spielte, war Frau Cosima außer sich vor Entzücken. In ihr Tagebuch schrieb sie wonnetrunken: “O dass man nur Worte hätte für solche Freuden”. Der Bayreuther Karikaturist Matthias Ose hat das weihnachtliche Geburtstagsgeschenk in einer Zeichnung interpretiert. Repro: Stephan Müller.

Die “Heilige Familie Wagner”

Aber auch Frau Cosima wusste, wie sie ihrem Richard eine unvergessliche Bescherung bereiten konnte. Für den Heiligen Abend des Jahres 1880 dachte sie sich ein lebendes Bild aus: die “Heilige Familie Wagner”. Cosima, Töchter Eva, Isolde und Blandine mimten die musizierenden Engel, Tochter Daniela saß als Madonna neben dem Jesus-Knaben, der von Wagners einzigen Sohn Siegfried verkörpert wurde.

In ihrem Tagebuch berichtet die Ehefrau über Richards Reaktion: “Das lebende Bild, herrlich gestellt und gehalten von den Kindern, erfreut und ergreift ihn.”

Der beglückte Meister bat sogleich den anwesenden Maler und Freund Paul von Joukovsky, die Szene mit dem Pinsel festzuhalten. Ein bisschen kitschig fiel das Gemälde schon aus, aber – was soll`s”? Der Bayreuther Lokalhistoriker und ehemalige Bürgermeister Bernd Mayer stellte dazu einmal augenzwinkernd fest: “Es war immerhin das erste und einzige Mal, dass sich die Wagners als heilige Familie aufgeführt haben…”

Die “Heilige Familie Wagner”. Der Maler Paul von Joukovsky hielt das “lebende Bild” vom Heiligen Abend des Jahres 1880 mit dem Pinsel fest. Im Vordergrund Wagnersohn Siegfried (Fidi) als Jesusknabe, neben ihm Daniela von Bülow als Madonna. Eva, Isolde und Blandine mimten die musizierenden Engel. Im Hintergrund erkennt der Betrachter die Bayreuther Stadtkirchentürme. Repro: Stephan Müller.

Hier noch einmal ein Überblick über Richard Wagners schönste Weihnachtserlebnisse:

Am 26. Dezember 1862 fand Wagners erstes Konzert im “Theater an der Wien” statt. Im Beisein der Kaiserin Elisabeth standen das Vorspiel und zwei Szenen aus den “Meistersingern” sowie “fertige” Teile des “Rings” auf dem Programm. Vor allem nach dem “Walkürenritt” brandete großer Jubel auf.

  1. Dezember 1866: Wagner schreibt Stolzings Preislied im dritten Akt der “Meistersinger” nieder.
  2. Dezember 1870: Richard Wagner führt am Weihnachtsmorgen zu Cosimas Geburtstag das “Siegfried-Idyll” im Treppenhaus im Haus Tribschen bei Luzern auf. Auch Nietzsche ist anwesend.
  3. Dezember 1873: Familienaufführung des “Kinderkatechismus” in der Halle von Wahnfried
  1. Dezember 1874: Aufführung einer neuen, instrumentierten Fassung des “Kinderkatechismus” in der Halle von Wahnfried 
  1. Dezember 1878: Morgens um 7 Uhr spielt das von Wagner engagierte Meininger Hoforchester (unter Wagners Leitung) im Saal von Wahnfried das “Parsifal”-Vorspiel mit Konzertschluss, dessen Partitur vermutlich schon im Oktober, spätestens Anfang Dezember entstanden ist. Abends Konzert mit dem “Siegfried-Idyll” und Beethoven-Sätzen.

Am Heiligen Abend 1882 führt Wagner mit einem Schülerorchester im Teatro la Fenice seine 1833 im Gewandhaus aufgeführte Jugend-Symphonie in C-Dur auf. Liszt spielt zu Ehren seiner Tochter Klavier. Bei einer Hauptprobe am Vormittag hat Wagner Herzkrämpfe.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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Das haben Kaiserin Sisi und Cosima Wagner gemeinsam

Am Sonntag, dem 24. Dezember 1837, kamen an ein und demselben Heiligen Abend zwei Mädchen zur Welt, die später beide weltberühmt wurden, sich auch begegneten und beide einen Bezug zu Bayreuth haben. bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück.


Christ- und Sonntagskind

Cosima, spätere Ehefrau von Richard Wagner, und Elisabeth, genannt “Sisi”, Kaiserin von Österreich sind die beiden Christkinder. “Sisi” ist ein paar Stunden älter: Elisabeth kam um die Mittagszeit um Viertel vor elf Uhr im Herzog-Max-Palais in München zur Welt. Ihre Eltern waren Herzog Max Joseph I. in Bayern und Prinzessin Ludovika, Tochter von König Max Joseph.

Cosima wurde erst kurz vor Mitternacht, gerade noch am 24. Dezember 1837, am Comer See geboren. Sie war die zweite nichteheliche Tochter des damals schon berühmten Franz Liszt und der Gräfin Marie d´Agoult.

Cosima Wagner. Foto: Stephan Müller

An dieser Stelle sein angemerkt, dass sehr oft der 25. Dezember als Cosimas Geburtstag genannt wird. Dies liegt an Cosimas Tagebuch-Einträgen, in denen sie ihre Geburtstagsfeiern am ersten Weihnachtsfeiertag beschreibt. Grund dafür war, dass der Heilige Abend nicht ihr, sondern das “Fest” für die Kinder sein sollte.

Beide “Sonntagskinder” haben mit Bayreuth zu tun

Cosima Wagner lebte bekanntlich als Ehefrau und spätere Witwe von Richard Wagner fast 60 Jahre in Bayreuth. Auch “Sisi” hat eine “Beziehung” zu Bayreuth. Ihr Großvater väterlicherseits lebte fast zwei Jahrzehnte bis zu seinem Tod in Bayreuth, dabei in den Sommermonaten vornehmlich in der Eremitage. Es handelte sich um Herzog Pius von Bayern, der von den Bayreuthern nur der der “Klausner-Pius aus der Eremitage” genannt wurde.

Begegnung in Bayreuth

Die beiden Damen sind sich auch in Bayreuth begegnet. Sisi war die Cousine von König Maximilian II., dem Vater des großen “Festspielförderers” Ludwig II. Sisi und Ludwig waren sich sehr ähnlich. Sie verabscheuten höfische Zwänge, lasen fast täglich Bücher und liebten die Musik Richard Wagners.

Am 26. Dezember 1862 dirigierte Richard Wagner im Beisein der Kaiserin Elisabeth sein erstes Konzert im “Theater an der Wien”. Auf dem Programm standen das Vorspiel und zwei Szenen aus den “Meistersingern” sowie “fertige” Teile des “Rings”. Vor allem nach dem “Walkürenritt” wurde schon während des Konzerts gejubelt.

Als Richard Wagner am Ende die Bühne betrat, brach ein langer ungeheurer Beifall los. Kaiserin Elisabeth beugte sich unter den erstaunten Blicken der Besucher applaudierend aus der Loge. Mit ergeben ausgebreiteten Armen dankte der Meister für diese besondere – selten erlebte – Huldigung, die Erzherzogin Sophie sogar eine Eintragung in ihr Tagebuch wert war.

Begeisterung pur

Die Kaiserin Elisabeth war offenbar von der Musik derart begeistert, dass sie im Januar 1863 drei weitere Konzerte mit Richard Wagner besuchte. Das war bereits mehrere Monate bevor Ludwig II. Richard Wagner in München erstmals begegnete und ihn zu seinem Hofkapellmeister berief (4. Mai 1864) und bevor Richard und seine spätere Frau Cosima im Haus Pellet am Starnberger See endgültig ein Paar wurden (29. Juni 1864).

Franz Xaver Winterhalter schuf 1865 das wohl bekannteste Ölgemälde von Kaiserin Elisabeth von Österreich mit den “Edelweiß-Sternen” im Haar.

In Erinnerung an den 1886 verstorbenen Ludwig II. reiste Sisi auch nach Bayreuth, um im Sommer 1888 einer -von Cosima Wagner szenisch geleiteten – “Parsifal”-Aufführung im Festspielhaus beizuwohnen.

Auch hier war ihre Reaktion auf die Musik gefühlvoll:

Es ist etwas von dem man wollte, dass es nie endet, dass es immer so fortgeht.

Ihre Tochter, Erzherzogin Valerie, schrieb: “Mama war so entzückt, dass sie den Kapellmeister Mottl und die Darsteller des Parsifal und Amfortas zu sehen wünschte … ihre unpoetischen Erscheinungen nahmen etwas von der Illusion.”

Natürlich sprach die Kaiserin auch ausführlich mit Cosima Wagner, vor allem natürlich über Ludwig II., Sisis Neffen zweiten Grades. Cosima betonte die Ähnlichkeit von Ludwig und Sisi und sagte später zu Elisabeths Nichte Amélie, dass sie noch nie solche Ergriffenheit gesehen habe, “wie bei Tante Sisi nach dem ‘Parsifal'”.

Vierhändig am Klavier

Sicherlich werden sich Festspielleiterin und die Kaiserin auch über private Dinge unterhalten haben und es wird bestimmt von Cosimas Vater Franz Liszt, der damals vor zwei Jahren verstorben war, die Rede gewesen sein.

Als sich Kaiserpaar am Pfingstsamstag, dem 8. Juni 1867 in der Matthiaskirche von Budapest zum König und zur Königin von Ungarn krönen ließen, ertönte die “Krönungsmesse”, die Liszt eigens für diese Zeremonie komponiert hatte. Auch ist verbrieft, dass Sisi mit dem Klaviervirtuosen, der eine Kultfigur des damaligen europäischen Musiklebens war, vierhändig Klavier spielte.

Kein Thema war mit Sicherheit Lola Montez gewesen sein, die aber auch in beiden Familiengeschichten eine Rolle spielte.

Sanierung für 20.000 Gulden

Die damals 25-jährige verruchte Tänzerin war ab Oktober 1846 die Geliebte von Sisis Onkel, dem 60-jährigen Königs Ludwig I. Der Bayernkönig verliebte sich unsterblich in Lola Montez und änderte schon im November 1846 sein Testament zu ihren Gunsten. Wenige Tage später erwarb der Monarch für die Tänzerin ein Palais in der Barerstraße, das er für 20.000 Gulden sanieren ließ. Viele weitere Peinlichkeiten um Lola Montez, die beim Volk für viel Unruhe sorgten, trugen schließlich maßgeblich zum Rücktritt von Ludwig I. im Jahr 1848 bei.

Pikante Liebschaften

Auch der von den Frauen umschwärmte Franz Liszt hatte im Februar 1844, also vier Jahre vor Abdankung des bayerischen Königs, eine Liebschaft mit der rassigen Tänzerin. Lola lernte Liszt nach einem Konzert entweder am 24. Februar in Dessau oder am 25. Februar in Köthen kennen. Sicher ist, dass sie ihn nach seinem Konzert nach Dresden begleitete.

Pikant ist, dass sich der Pianist dieser Affäre offensichtlich nur mit Mühe wieder entziehen konnte. Man erzählte sich, dass Liszt Lola Montez im Hotelzimmer bereits am 29. Februar eingesperrt haben soll. Zumindest sprach sich herum, dass der Portier die Anweisung bekam “die Tobende erst zwölf Stunden nach seiner Abfahrt freizulassen”. Dafür hinterlegt Liszt vorsorglich einen “ansehnlichen Betrag” für das vermutlich demnächst zertrümmerte Mobiliar.

Nein, über diese Frau werden sich die beiden “Sonntagskinder” sicher nicht unterhalten haben ….


Text: Stephan Müller


Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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Bayreuths erste Kinos: Spargel statt Popcorn

Wer heutzutage ins Kino geht, kann die Geschichte auf der großen Leinwand mit allen Sinnen erleben, so als wäre er mittendrin. 3D- und ganz neu in Bayreuth 4DX-Technologien machen es möglich. Doch das war natürlich nicht immer so. bt-Autor Stephan Müller schaut zurück ins 19. Jahrhundert zu den Anfängen, als die ersten Filme in Bayreuth noch als Aneinanderreihung von Einzelbildern im ersten Kino der Stadt gezeigt wurden.


Erste Vorstellung im Alten Schloss

Im “Musenheim” von Christian Sammet im Alten Schloss fand 1897 die erste Bayreuther “Kinovorstellung” statt. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Der erste Bayreuther Kinofilm wurde im Alten Schloss gezeigt. In dem Gebäude in dem heute das Finanzamt residiert, hatte der Fotograf und Musenwirt Christian Sammet (1862 – 1920) sein Musenheim eingerichtet. Als im Jahr 1892 das Festspiellokal  “Angermann”, die Stammkneipe von Richard Wagner, und der Gasthof “Weißes Lamm” dem modernen Postgebäude in der Kanzleistraße weichen mussten, ergriff das geschäftstüchtige Bayreuther Original die Gunst der Stunde. Er holte das Angermannsche Inventar über die Straße in sein Lokal im Alten Schloss. Für die nächsten 16 Jahre war sein berühmtes Musenheim das “Absteigequartier für die Bühnen-Weihe-Festspielgäste”.

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Wotan-Schinken und Siegmunds Stangenspargel statt Popcorn

Die Dirigenten Hermann Levi, Hans Richter, der Schauspieler Josef Kainz und die gesamte Sängerelite tummelten sich in Sammets Musenstübchen. Sie bekamen “Fafner-Haxn”, “Kundry-Schnitzel”, “Wotan-Schinken”, “Hundings-Keulen” und “Evchen-Kotelett” serviert. Besondere Spezialitäten waren “Mime-Eier” und “Siegmunds Stangenspargel”. Sammet machte aber auch als Produzent und Veranstalter von musikalischen Darbietungen, Varietéveranstaltungen und auch als erster “Kinoveranstalter” von sich Reden. So warb das “Unikum” erstmals im Jahr 1897 von einer Vorführung “lebender Photographien” in seinem Musenheim, in das die Bayreuther über einen Gartensalon an der Kanalstraße gelangten.

“Hochinteressant!” und “Fotographie in Lebensgröße”: So wirbt Christian Sammet für die erste Kinematographen-Vorstellung in seinem Musenheim. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Es sind nicht todte Figuren, die man sieht, sondern sich bewegende Gestalten und nicht bloß eine oder zwei Figuren, sondern eine Reihe und noch mehr auf einmal.

(Das Bayreuther Tagblatt 1897)

Weitere Kinovorstellung zwei Jahre später

Auch wenn das erste Kino ganz sicher nur eine Aneinanderreihung von Einzelbildern war: Der wohl sehr große Erfolg animierte Sammet gut zwei Jahre später zur nächsten Kinovorstellung: “Ein jeder, der es sieht, ruft aus: Wunderbar!”, ließ er verkünden. So sahen die Bayreuther im Februar 1899 einen Bismarck-Film, in dem der alte Kanzler mit Hund zu sehen war. Weitere Kinoveranstaltungen im Musenheim sind uns nicht bekannt. Wegen eines Besitzerwechsels verabschiedete sich Sammet im Jahr 1908 als “Festwirt der grande nation”, ab diesem Zeitpunkt ging der Stern der “Eule” als Künstlerkneipe auf.

Kinovorführungen zwischen Schiffschaukeln und Karussellen

Auf  “Theater der lebenden Photographien” mussten die Bayreuther aber nicht verzichten. Auf den Messen und Kirchweihveranstaltungen boten ab 1900 immer mehr Kinematographen den staunenden Besuchern ihre Dienste an. Sie reihten sich zwischen den Karussellen, Schiffschaukeln, Zirkusdarbietungen und Schaubuden auf den Festplätzen ein. Die erste Vorstellung dieser Art bot der Kinematograph D. Dölle aus Fürth an, der sich am 10. Januar 1901 für den Bayreuther Pfingstmarkt am “Mainplatz” (heute Mainstraße) bewarb und quasi vom 9. bis 17. Mai Organisator der ersten Bayreuther Filmwoche war. Welche Filme er gezeigt hat, ist leider nicht bekannt.

Schlüpfrige Filme für die Herren

Was wir aber wissen, ist, dass die städtische Obrigkeit, die Gendarmerie und wohl auch die einheimischen Damen in den Folgejahren schon genau hinschauten, was die neue Zunft der Kinematographen der Bayreuther Männerwelt zwischen 1901 und 1905 so darbot.

Allein die Titel “Dinna Diana entsteigt dem Bad”, “Leben einer Pseudo-Baronesse” und “Die Liebe in allen Stockwerken” machten die Herren neugierig und prüde Bürokratie hellhörig.

Central-Theater: Erstes Kino in Bayreuth

Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Im Jahr 1908 war es dann soweit. In Bayreuth wurde das erste ortsfestes Kino gebaut. Die Unternehmer Joseph Mengele und Christoph Frank eröffneten am Sonntag, 18. Oktober, das “Central-Theater“, Bayreuths  “erstes, größtes und vornehmstes Theater lebender Photographien“. Es entstand am Ende der heutigen Wölfelstraße am Josephsplatz und hatte Platz für 500 Zuschauer. Im “Central” erlebten die Bayreuther auch die ersten “Tonbilder”, die als Vorläufer des Tonfilms gelten. Das Kino sollte lange bestehen. Auch nach dem zweiten Weltkrieg wurde es von 1949 bis 1964 noch einmal bespielt, ehe der Josephsplatz – auch durch den Bau des “Ring”-Hochhauses eine neue Gestalt bekam.

Schon zwei Jahre nach der Eröffnung des “Central” eröffneten Mengele und Frank ihre zweiten “Lichtspiele”. Am 9. Januar 1910 reichte der Bayreuther Maurermeister Max Köppel den Plan für einen Wohn- und Wirtschaftsneubau in der Kanalstraße 15 ein. Der Plan sah auch das “Union-Theater” vor, das bereits am 8. Oktober 1910 durch Bürgermeister Albert Preu eingeweiht werden konnte.

Mengele und Frank schufen sich mit ihren beiden Kinos eine enorme Vormachtstellung, sodass sich weitere Kinobetreiber in den Folgejahren sehr schwer taten.

Weitere Kinematographen steigen ins Geschäft ein

Dennoch erscheinen in dieser Zeit noch weitere Kinounternehmer auf der städtischen “Kinematographenliste”. Von  1916 bis 1920 betrieb der Fotograf Johann Konrad Friedel aus der Hirschenstraße ein “Lichtspielunternehmen”, von November 1921 bis Februar 1922 versuchte sich Josefine Wagner in der Rathstraße 4. Auch nicht besonders lang hielt sich Martin Wülfert mit seinem “Apollo” in der Karlstraße (heute: Albert-Preu-Straße). Wülfert hatte sich bis 1922 in der früheren Ludwigsturnhalle des Turnerbundes eingerichtet, die dann nur wenig später der Spitzhacke zum Opfer fiel.

Erfolgreiche Bayreuther Kinos

Die “Kammer-Lichtspiele” in der Schulstraße. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Viel erfolgreicher war hingegen die Initiative von Karl Haase, der zunächst das “Central” (nun “Zentral”) übernahm und zu Beginn der 20er-Jahre das “Lichtspielhaus Sonne” in der Richard-Wagner-Straße 6 eröffnete. Das Kino wurde später als “Blücher-Lichtspiele” und “Bali” (Bayreuther Lichtspiele) weitergeführt. Als zweites Haus eröffnete Haase wenig später die “Reichshof-Lichtspiele” in der Maximilianstraße 28. Ebenfalls von Erfolg gekrönt war die Investition von Richard Borns, der am 20. Oktober 1925 die Konzession für die “Kammer-Lichtspiele” in der Schulstraße 15 erhielt. Die drei Kinos “Reichshof”, “Kammer” und “Blücher” beherrschten das Bayreuther Kinoleben bis zum zweiten Weltkrieg.

Das Kino in der Richard-Wagner-Straße wurde in den 20er-Jahren als “Lichtspielhaus Sonne” eröffnet, wurde dann aber später als “Blücher-Lichtspiele” und “Bali” weitergeführt. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Nach dem Krieg wurden am 16. Februar 1950 die “Stadthallen-Lichtspiele” mit “Figaros Hochzeit” von Siegfried Thomas eröffnet, ehe sich von 1956 bis 1970 der “Filmpalast” in der Bahnhofstraße als erfolgreichstes Kino etablierte.

Handarbeit: Bayreuther gestaltet Filmplakate

Aus dieser Zeit gibt es noch zahlreiche Filmplakate, die der Bayreuther Grafiker und Plakatmaler Eberhard Loew schuf. Mit wetterfesten Temperafarben und einem Lohn von 17,50 Mark pro Einzelstück fertigte der Maler für die “Stadthallen-Lichtspiele” von Hand die Filmplakate an. Loew, der erst vor Kurzem mit über 90 Jahren gestorben ist, erzählte, dass viele Filme nur wenige Tage liefen, sodass er “nicht selten” zwei oder dreimal in der Woche zum Pinsel greifen musste. So entstanden weit über 1.000 Filmplakate mit Schauspielern wie Heinz Rühmann, Hans Moser, Theo Lingen, Luis Trenker und den amerikanischen Filmstars Gary Cooper, Errol Flynn und vielen anderen.

Die Familie Thomas betrieb in den 70er- und 80er-Jahren das Reichshof-Kino, das Kino-Center und das Rex-Kino in der Brandenburgerstraße. Die Thomas Filmtheater GmbH schloss ihre drei Kinos und baute gleichzeitig mit dem Rotmain-Center das “Cineplaza“, das 1997 eröffnete und inzwischen in “Cineplex” umbenannt wurde.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.

 

Kaiserin Sisi: Ihr Großvater war ein Bayreuther

Sisi ist weltberühmt. Doch was viele nicht wussten: Die Kaiserin hat Verbindungen zu Bayreuth. Alles zum Thema gibt’s hier im Artikel!

Kunst, Humor und Freundschaft – das sind die Niederländter

Sie freuen sich auf ihren Festakt am 21. März 2020. Dann feiern die “Niederländter” ihr 150-jähriges Bestehen. Der Männerbund wurde vor 150 Jahren, am 7. Februar 1870, gegründet. bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt auf die Geschichte der Niederländter zurück.


Einer der Höhepunkte der Feier zum 150. Geburtstag ist die Enthüllung eines Denkmals auf der Mainüberdachung, in direkter Nähe zur alten, im Krieg zerstörten, Kaserne: Ein großer Lindwurm, das Wappentier der Niederländter. Die Gesellschaft hat die Skulptur durch den Künstler Manfred Reinhart aus Rauhenebrach-Untersteinbach gestalten lassen und der Stadt Bayreuth geschenkt. Sie stellt das Symbol, den “Lindwurm” dar, so wie ihn von Nagel als den Bewacher des Niederländter Schatzes, der Pflege von Kunst, Humor und Freundschaft, ersonnen hat. Der Hauptausschuss des Stadtrates hat die Schenkung der rund 2,50 Meter hohen und drei Tonnen schweren Plastik im November mit großer Mehrheit angenommen und damit die Aufstellung der Skulptur genehmigt.

Ludwig von Nagel bzw. Adrian van Os. Foto: Stephan Müller

 Gründung der “Schwaabengesellschaft”

Im Jahr 1868 gründete Ludwig von Nagel, Oberleutnant des 6. Chevaulegersregiment in Bayreuth mit einigen Freunden die “Schwaaben­gesellschaft”. Der Name kam von den Wirtsleuten Schwaab, in deren Gaststätte sich die Männer regelmäßig trafen.

Es dauerte aber nicht lange, bis von Nagel und einigen Freunden der Ton bei den “Schwaaben” zu rau wurde. So trafen sich die Männer erneut, um “auf gepflegterer Ebene einen neuen Bund” zu gründen. Am 7. Februar 1870 kamen im Gasthaus “Zur Sonne” in der heutigen Richard-Wagner-Straße elf Männer zusammen, die unter dem Motto “Froh’ Gemüt, geschickte Hand” eine frohsinnige, keinesfalls elitären, aber geistvollen und vielleicht auch selbstironischen Bund ins Leben zu rufen. Neben dem Frohsinn sollten das Maltalent, das Musizieren, eigene Gedichte oder das Basteln im Mittelpunkt stehen. Beruf, Alltag und Politik blieben bei den Zusammenkünften ausgespart.

Foto: Stephan Müller

Nun fehlte nur noch ein Name für den Männerbund. Ludwig von Nagel, der auch ein begabter Kunstmaler war, erinnerte sich an ein Buch, das ihm zufällig in die Hände fiel. Ein Buch, das die Geschichte der altniederländischen Maler und Malergilden zum Thema hatte. Dabei kam ihm der Gedanke, dass doch seine musikalisch oder künstlerisch veranlagten Freunde sehr viel mit den niederländischen Gilden gemein haben.

“Froh’ Gemüt, geschickte Hand, Rathsherr und Lump, Hoch Niederlandt!”

Und so gaben sich die Männer der neuen Gesellschaft den Namen: “Societät der Niederländter”und “Mahlkasten”. Am Schluss der Veranstaltung wurde Ludwig von Nagel im Kreise der elf “Ur-Mynherrn” zum Vorsitzenden gewählt. Der Wahlspruch lautete nun: “Froh’ Gemüt, geschickte Hand, Rathsherr und Lump, Hoch Niederlandt.”

Ludwig von Nagel erhielt den niederländtischen Namen Adrian van Os, seine Freunde hießen van Dow, van Potter oder van Honthorst. Als Erkennungsruf hallte fortan “VAN” durch die Versammlungsstätten. VAN wie “vivat amicitia nostra”, “Es lebe unsere Freundschaft.”

Im Protokoll heißt es, dass sich “am 7. Februarius 1870, als dem Tag des Sankt Romuald bei gar kaltem Ostwind elf Stück der Niederländter versammelten. Sie aßen gesottenen Fisch neben welschem Salat. Es wurden viele Reden getan und Hochs ausgebracht, auch auf dem Spinett gar zierlich gespielet und man hat sich erlustieret bis gen Mitternacht.”

Foto: Stephan Müller

Die glückliche Zeit währte allerdings nicht lange. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 rief die Soldaten in das Feld, viele Offiziere wurden versetzt, so dass der die Treffen des “Mahlkasten” ab 1874 nicht mehr stattfinden konnten. Im Jahr 1876 gründeten einige “Niederländter”, die früherdem Bayreuther “Mahlkasten” angehörten, eine eigene Societät in Würzburg.

Durch die Kriegswirren, die zahlreichen Versetzungen und wohl auch dadurch, dass Richard Wagner die Bayreuther von seinem Erscheinen im Jahr 1871 bis zu seinem Tod 1883 in seinen Bann zog und die “Richard-Wagner-Verbände” starke Mitgliederzuwächse hatten, erlebten die Niederländter in Bayreuth dagegen eine längere Durststrecke.

Bayreuth ist Niebelungenreuth

So kam es am eigentlichen Gründungsort erst nach Wagners Tod im Februar 1885 wieder zu einer Neugründung. Die neue Bayreuther Societät wurde selbst “Urstätt” getauft, der Sitz wurde als Hommage an Richard Wagner “Niebelungenreuth” genannt, das Wappentier der Lindwurm.

Die Societät traf sich zunächst in der “Sonne”, später in der Restauration “Angermann”, also der früheren Lieblingswirtschaft von Richard Wagner, die 1891 dem Neubau des Postgebäudes (heute Kanzleistraße) weichen musste. So zog es die Niederländter unter anderem in die Mainstraße in das Lokal “Preßlein”, das später als der “Frühhaber” oder das “Podium” zum Begriff wurde. Dann trafen sie sich über 60 Jahre in der Alexanderstraße, ehe nun vor ein paar Jahren das Prinzessinnenhaus in St. Georgen das neue Domizil wurde.

Foto: Stephan Müller

Zwei Bürgermeister waren Niederländter

Berühmte Bayreuther Niederländter früherer Jahre waren die Bürgermeister Leopold Casselmann als “Lukas van de Capelle” (1886) und Albert Preu (1898) als “Allart van Putterhoek”.

Ausgehend von Bayreuth und Würzburg erfuhr Niederlandt in Bayern und den damals zu Bayern gehörenden Gebieten eine weite Verbreitung. Heute gibt es über 400 “Niederländter” in 20 Städten in Bayern, der Pfalz und in Bonn. Der Gründungsort, die Urstätte bleibt aber Bayreuth, in der Sprache der Niederländter “Die Urstätt in dembe Niebelungenreuth”. Der Sinn und Zweck der Zusammenkünfte blieb über die fast 150 Jahre gleich. Auch heute treffen sich die Niederländter meist zweimal im Monat in ihrem urigen ,,Lokälyn“, um zu dichten, zu malen, zu musizieren und um die Geselligkeit zu pflegen. Unter anderem in Hallstadt (Geuszkanne in deme Babinbergh), Regensburg (Bruck´n ze Regansbourigh), München (Krug in der Mönchstätt), Nürnberg (Treekschuyten ze Norimberghe) oder in Landau/Pfalz (Hoogschans zu Landawen) Soziätäten.

Jährliche Treffen in Pappenheim

Höhepunkte im Jahreslauf der Niederländter Societäten sind in den letzten Maitagen das Treffen aller Niederländter zur “Großen Weltumsegelung” im festlich geschmückten Städtchen Pappenheim an der Altmühl und das traditionelle familiäre Weinfest Anfang September in Landau in der Pfalz.

Zahlreiche Herrengesellschaften

In Bayreuth gibt es neben den “Niederländtern” mit den “Wilden Indianern”, den vom damaligen Oberbürgermeister Hans Walter Wild gegründeten “Braunbierrittern”, dem “Orden des Waldvogels” oder der “Schlaraffia” immer noch mehrere Herrenbünde, die sich allesamt kreativ – und oft unbemerkt von der Bayreuther Bevölkerung – selbst auf die Schippe nehmen: Jenseits von hektischem Alltagsgewühl und strapaziösen Freizeitzwängen schaffen sie sich ein “Gegenreich” unbeschwerter Lebensfreude.

Foto: Stephan Müller

Älteste Herrengesellschaft in Bayreuth

Die 1870 gegründete “Societät der Niederländter” ist heute jedoch die älteste Herrengesellschaft in Bayreuth. Auch wenn zu den Treffen in “Niederlandt” Damen nicht zugelassen sind: Die Herren freuen sich, dass dies von den “Mynfrauen” toleriert wird. Dafür bedanken sich die Niederländter mit der “Mynfrauenwacht”, die dann in besonders festlichem Rahmen begangen wird.


Text: Stephan Müller


Warum die Bayreuther fast nackt durch die Gassen liefen

Hobby-Historiker Stephan Müller erklärt, was es mit den Badehäusern und Badestuben in Bayreuth auf sich hatte – und wo es diese gab.

Die Geschichte der Bayreuther Markgrafentochter – mit Briefen fing es an

August der Starke ist der wohl bekannteste sächsische Herrscher. Er wurde 1670, als zweiter Sohn des Kurfürsten Johann Georg III. geboren und 1694, nachdem sein älterer Bruder Johann Georg IV. an den Blattern verstorben war, Kurfürst von Sachsen. Weniger bekannt ist, dass seine Ehefrau Christiane Eberhardine, Tochter des Markgrafen Christian Ernst, eine Bayreutherin war. Zum ersten Mal sahen sich Friedrich August und Eberhardine, als Markgraf Christian Ernst dem sächsischen Hof in Dresden im Jahr 1687 einen Besuch abstattete. Die damals 15-jährige Prinzessin war ein ausnehmend anmutiges und hübsches Mädchen, war groß gewachsen, hatte eine “vornehme” blasser Haut und langes blondes Haar. Sie war bescheiden, sittsam und intelligent und machte somit mächtig Eindruck auf August. So wanderten immer häufiger Briefe und Geschenke zwischen Bayreuth und Dresden hin und her, bis schließlich Johann Georg III. für seinen Sohn beim Markgrafenpaar um Christiane Eberhardines Hand anhielt.

Doch in Bayreuth war August wahrlich nicht die erste Wahl. Mutter Sophie Louise hielt den lebenslustigen Wettiner für keinen soliden Ehemann. Nachdem mit Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg und einem dänischen Prinzen noch weitere Bewerber zur Auswahl standen, spielten die Bayreuther erst einmal auf Zeit. Schließlich hatte der Verehrer aus Dresden auch einen älteren Bruder und würde wohl kaum Regent werden.

“Ihr gedreister Knecht”

Nach langem Hin und Herr willigte der Markgraf aber doch ein und Friedrich August griff freudig zur Feder: Am 27. August 1692, schrieb er Eberhardine einen überschwänglichen Brief an die “scheenste Prinzessin von der ganzen Welt“, einen Brief, den der Bayreuther Historiker Karl Müssel als „verliebte(s) Gestammel eines jungen Mannes“ bezeichnete, das “von der sächsischen Mundart bestimmt wurde.“

Der Brautwerber erklärt seiner „Durchleichtigste princessin“ sein Entzücken über das „glickliche Jawohrt“ und verspricht: „Sie haben in ihren henden einen gehorstamsten schlafen (Sklaven) glicklich und unglicklich zu machen.“ Die Unterschrift: „Ihr gedreister Knecht Friedrich August Herzog von Sachsen.“

“Allhier hochfürstliches Beilager gehalten”

Die Trauung ging am Dienstag, den 10. Januar 1693 in Bayreuth über die Bühne. Im Kirchenbuch steht unter diesem Datum, dass die “Ehe geschlossen” und “allhier hochfürstliches Beilager gehalten” wurde. Es war das wohl festlichsten Ereignis des Bayreuther Hofes im 17. Jahrhundert. Anzumerken ist, dass es im Jahr 1700 eine Kalenderreform gab, so dass der Hochzeitstag sieben Jahre später nach dem neuen System auf den 20. Januar 1693 geändert wurde.

Die Festlichkeiten mit Banketten und Opernaufführungen dauerten vier Wochen. Einer der Höhepunkte war das Hochzeitsgeschenk von Markgraf Christian Ernst an seine Tochter. Es ist überliefert, dass Christiane Eberhardine eine riesige Torte gebracht wurde aus der der kleine Johann Tramm sprang. Der Hofzwerg war der “Liebling” von Christian Ernst. Er war etwa “zwei Schuh”, also nur etwas über 60 Zentimeter, groß. Der kleine Mann war sehr beliebt, er genoss am Bayreuther Hof “Narrenfreiheit” und vergnügte die Hofgesellschaft mit seinen Späßen.

Einzug in Dresden

Am 17. Februar 1693 kam die Hochzeitsgesellschaft in Dresden an. Als die Kutschen durch das Stadttor fuhren, begannen alle Kirchenglocken zu läuten. Das Brautpaar wurde von den prächtigen Hoftrompetern und der jubelnden Einwohnerschaft empfangen. Es folgte ein Bankett im Jägerhof und wie schon in Bayreuth Feste und Vergnügungen. Kurz nachdem die Prinzessin nach Dresden übergesiedelt war, zog August zunächst nach Norddeutschland in den Krieg, um Dänemark im Kampf um das Herzogtum Lauenburg beizustehen. Danach unternahm er, wie zuvor schon einmal als Junggeselle, eine sicherlich wenig langweilige Kavalierstour zum Karneval nach Venedig, nach Rom und Neapel.

Eberhardine blieb einsam zurück. Am 11. Februar 1694, also nur etwas über ein Jahr nach der Hochzeit, schrieb sie, immer noch in ihren Gemahl verliebt, ihrer Mutter:

„Der Hertzog würd stüntlich erwartet und verlanget mich gar ser, ihm wider hir zu wißen. Er ist alle zeit gesunt geweßen. Die lustparkeiten aber zu Venisse sollen gar Schlegt geweßen seyn, als glaube, es würd ihm wohl gereuen diese reise gethan zu haben, welche ich wünsche, so verbleibt er ein anter mahl bey mir.”

Die Markgrafentochter Christiane Eberhardine von Brandenburg. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung.

Friedrich August wird Kurfürst

Am 27. April 1694 kam August dann überraschend an die Macht. Sein älterer Bruder, Kurfürst Johann Georg IV., war mit 27 Jahren an den Blattern gestorben. Plötzlich war August Herrscher von Sachsen. Auf ein Kondolenzschreiben ihrer Mutter zum Tod des kurfürstlichen Schwagers und ihrem plötzlichen Aufstieg zur Kurfürstin von Sachsen antwortete Christiane Eberhardine am 4. Mai 1994:

Welcher geschwinter Todt, wie Euer Gnaden leicht glauben können, eine ser große affligtion bey unß allerseitz verursagt hatt. … Viel mehr aber sage ich unterthenigsten Danck vor die freude, so Euer Gnaden mir temoingiren, daß es dem großen Gott gefahlen, die Chur nuemehro dem Hertzog als nun Churfürst mit zu theilen und ich auch dadurch zu einer größeren wührte gelanget.

Der Thronfolger kommt auf die Welt

Es dauerte noch bis in das vierte Ehejahr, ehe am 7. Oktober 1696 mit dem Kurprinzen Friedrich August (II.) der einzige Sohn des Paares geboren wurde. Anlässlich der Geburt schenkte August seiner Frau das Schloss Pretzsch, die an der Elbe – und war sie los … Aus der Hoffnung eines glücklichen Ehelebens wurde nichts. Sie hatte ihre dynastische Pflicht erfüllt und er kränkte sie maßlos damit, dass er als “unwiderstehlicher Liebhaber” wahrgenommen werden wollte und seine Zeit mit seinen zahlreichen Mätressen verbrachte. Mehrere Jahrzehnte später beurteilte die Bayreuther Markgräfin Wilhelmine, die in jungen Jahren selbst einmal in das Visier von August den Starken geriet, in ihren (geschwätzigen) Memoiren die Sachlage so:

„Er unterhielt eine Art Harem der schönsten Frauen seines Landes. Als er starb, berechnete man, dass er von seinen Maitressen 354 Kindern gehabt habe.“

Das scheint natürlich maßlos übertrieben. Belegt sind acht uneheliche Kinder von August dem Starken, die er mit sechs verschiedenen Mätressen gezeugt hat. Aber auch sonst ließ sie in ihren Memoiren kein gutes Haar an ihm:

(…) Sie kamen auf den Einfall, mich mit dem König August von Polen verheiraten zu wollen. Dieser zählte damals neunundvierzig Jahre. Seine Liebeshändel waren weltberühmt; er besaß große Eigenschaften, doch wurden sie von seinen zahlreichen Fehlern verdunkelt. Eine zu große Vergnügungssucht ließ ihn das Wohl seines Staates und seiner Untertanen vernachlässigen, und seine Trinksucht verleitete ihn zu Unwürdigkeiten, deren er sich im trunkenen Zustand schuldig machte und die auf immer seinen Namen schädigen werden.

Die Betsäule Sachsens

Zu einem handfesten Krach des jungen Ehepaars kam es ab dem Frühjahr 1697 aber aus einem anderen Grund: August wollte König von Polen werden. Um dafür überhaupt in Frage zu kommen, konvertierte er am 2. Juni 1697 in Baden bei Wien heimlich zum Katholizismus und verlanget dies auch von Christiane Eberhardine. Die strenggläubige Protestantin, die dreimal am Tag zur Kirche ging und sich auch beim Aussuchen von Liedern für das evangelische Gesangbuch beteiligte, lehnte es kategorisch ab, ihr lutherisches Bekenntnis aufzugeben. Damit gewann die die Sympathie des sächsischen Volkes, die für Augusts Handlungsweise nicht das geringste Verständnis aufbrachten. Mit ihrem Verhalten, dass ihr bis heute die (lobende) Bezeichnung “Die Betsäule Sachsens” einbrachte, wurde sie ungewollt zu einem Faktor der europäischen Politik. Letztlich musste Christiane Eberhardines Haltung auch Friedrich August akzeptieren. Eberhardine war auch nicht dabei, als August am 15. September 1697 gekrönt wurde, und sie hat Polen nie betreten.

Sie lebte zurückgezogen in Pretzsch, unterhielt dort einen großen Hofstaat, den August widerspruchslos finanzierte. Sie unternahm viele Reisen und kümmerte sich um die Erziehung verschiedener Prinzessinnen, darunter die Tochter ihres Bruders Markgraf Georg Wilhelm. Sie starb am 5. September 1727. An ihrer Beisetzung in der Stadtkirche Pretzsch nahmen wieder ihr Gatte noch ihr Sohn teil. Sie gilt bis heute als die tugendhafte unter allen Fürstinnen und aufgrund ihrer Charakterstärke gehört sie zu den großen Frauengestalten der Geschichte.


Text: Stephan Müller.