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Bayreuths erster Pizzabäcker: Dieser Italiener ist Kult

Italiener und Pizzerien sind aus der Bayreuther Gastronomie nicht mehr wegzudenken. Doch wer war eigentlich der erste Pizzabäcker in Bayreuth?

Rabenstein und Henkersau – Früher Galgen, heute Sportgelände

In Teil drei der Stadtteil-Serie blickt bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller auf die Bayreuther Ortsteile Rabenstein und Henkersau.

Bayreuths Stadtteil Birken wurde nur indirekt nach einem Baum benannt

In Teil zwei der Stadtteil-Serie blickt bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller auf die Birken, dessen Gelände vor langer Zeit zum Moritzhof gehört hat. 

Wie die Saas zu ihrem Namen kam

Wo kommen die siedlungsgeschichtlichen Namen unserer Ortsteile her? bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück. 

Der letzte Uhraufzieher Bayreuths

bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück auf den letzten Uhraufzieher Bayreuths und die Gründer der Turmuhrenfirma. 

Martyrium und Folter: Nationalsozialisten richten Bayreuther Widerstandskämpfer hin

Der Bayreuther Widerstandskämpfer Wilhem Leuschner bietet den Nationalsozialisten ein Leben lang Paroli. Vor rund 75 Jahren wurde er deswegen hingerichtet.

Jugendherberge und Reservistenheim: Wo das Festspielhaus ursprünglich hin sollte

Im März 1870 braute sich etwas zusammen, was die Geschichte der Stadt Bayreuth grundlegend verändern sollte.

Der nackte Ritt auf einem Schwein: Marquis Salou und seine Kultkneipe

Schlapphut, Bart und wallender schwarzer Mantel – Marquis Salou war ein Provokateur, der den Bayreuthern bis heute im Gedächtnis bleibt. bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück.


„Jeder Fortschritt und jeder Wandel in der Geschichte kommt von Nonkonformisten. Wenn wir keine Dissidenten hätten, lebten wir noch in Höhlen.“ – ob das Zitat des britischen Historikers Alan J. P. Taylor auch auf den Bayreuther Provokateur Marquis Salou zutrifft, sei dahingestellt.

Der nackte Ritt auf einem Schwein

In den Fokus der damals so biederen Beamtenstadt rückte der Marquis im Jahr 1971 mit der Einweihung des „Life 2000″, einem großen Einkaufszentrum im Industriegebiet. Dort wurden gleichzeitig die moderne Diskothek „Jet Set” und die „Eve-Bar“ eröffnet. Endgültige Berühmtheit erlangte der Marquis Salou, als er nackt auf einem Schwein in seine Bar einritt und sich deshalb Ärger mit dem Bayreuther Tierschutzverein einhandelte. Und, da waren sich alle einig, er muss auch der unbekannte Nackte gewesen sein, der über den Luitpoldplatz und die Bahnhofstraße gelaufen war.

Wer war dieser Mann, der quasi aus dem Nichts auftauchte? Dass er Curt Auls hieß, wussten nur die Mitarbeiter des Einwohnermeldeamtes. Dass er in Berlin aufgewachsen ist, dort eine humanistische Bildung genossen hat und später als Schauspieler in Paris, London oder München auftrat und die ganze Welt bereiste, berichtete er selbst.

Marquis Salou. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Der Marquis war stolz darauf, dass er als Bayreuths schillerndste Persönlichkeit den Gästen nach dem Besuch der Eremitage und des Festspielhauses noch selbst als touristische Attraktion gezeigt wurde.

Irgendwann war er nach Bayreuth gekommen, blieb aber zunächst nicht lange. Zwei Jahre nach der Eröffnung besagter Diskothek, die später „Happy Night”, „VIP” und „Broadway” hieß, gab es einen Eigentümerwechsel.

Und irgendwann verschwand dann auch der Marquis, kehrte Ende der 70er Jahre aber wieder nach Bayreuth zurück, um in der Carl-Schüller-Straße das Nachtlokal „Japanische Teestube“, das in den 50er Jahren einen eher zweifelhaftem Ruf hatte, zu übernehmen.

Alle Promis waren beim „Marquis”

Er eröffnete seine Nachtbar „Marquis Galerie” und war fortan aus der Bayreuther Szene nicht mehr wegzudenken. Seine Bar war gesellschaftsfähig, wurde eine Institution. Bei ihm trafen sich die Bayreuther Geschäftsleute und die Stadtoberen. Am berühmten Stehtisch im Eck diskutierte Brauereichef Hans Schinner mit Großbäcker Kurt Schatz, Großschlachter und SpVgg-Chef Hans Wölfel mit Stadtrat Bernd Mayer, dem CSU-Fraktionsvorsitzenden Manfred Jahn oder Oberbürgermeister Hans-Walter Wild. Es durfte nicht jeder in seine „Galerie“. Ein Monitor über besagtem Stehtisch zeigte an, wer vor der Tür Einlass begehrte. Übrigens: Ein kleiner Kreis dieser Stammgäste hatte einen eigenen Schlüssel für das Etablissement.

Im der Galerie spielten sich immer wieder Aufsehen erregende Szenen wie diese ab: An der Theke spielten zwei Männer – einer nur mit einem Bademantel bekleidet – Back Gammon.

Die 100 Mark, die der Verlierer zahlen wollte, nahm der Sieger nicht an. Nach kurzer Diskussion verbrannte der Hundertmarkschein über einer Kerze. Die Szene ist verbrieft, denn der junge 18-jährige Bayreuther, der mit großen Augen beobachtet und nicht fassen kann, ist der Autor dieser Zeilen.

Marquis spendet Samen

Auch andere besondere Aktionen sorgten für Aufsehen. Schlüpfrige Ankündigungen wie „Marquis spendet Samen“ entpuppten sich dann freilich als harmloses Verschenken von Sonnenblumensamen. Spannend waren sie trotzdem, denn zuzutrauen war ihm eigentlich alles. Dieses Sprichwort war es dann auch, was ihm Freunde in seine Todesanzeige setzten: „Honi soit qui mal y pense!”

Der Marquis Salou starb am Dienstag, den 13. Februar 1990. Am gleichen Tag war 107 Jahre zuvor auch Richard Wagner gestorben – ein Schelm, der Böses dabei denkt.

In der Mitte der mit Menschen überfüllten Aussegnungshalle des Krematoriums am Südfriedhof stand zwischen einem Blumenmeer ein schwarzer Sarg mit dem schwarzen Schlapphut. Statt einem Pfarrer war es der bayerische Bluesbarde Willy Michl, der durch das „letzte Programm“ führte.

Traueranzeige Marquis Salou. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Für seinen Freund sang er sein Lied vom „Blütental”. Nach den Abschiedsreden von Hans Ebersberger, DFB-Schiedsrichter-Lehrwart und Direktor des städtischen Gymnasiums, dem befreundetem Arzt Edwin Kroha und Michelle, Salous Witwe, intoniert der Isar-Indianer „The House of the Rising Sun”, ehe er nach einer ergreifenden Pause mit lauter Moderatoren-Stimme eine für Kirchen eher seltene Aufforderung erklingen ließ: „Ladies and Gentlemen, das Geilste für Salou im Leben war der Applaus. Geben Sie ihm also einen letzten Applaus.”

Unter den Standing Ovations der Trauergemeinde versank schließlich der Sarg in den Tiefen des Krematoriums.


Text: Stephan Müller


Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es hier beim bt. Darunter Geschichten wie diese die bisher in keinem Buch veröffentlicht wurden.


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Darum waren Bayreuther Klöße früher grün

Wer sich in Bayreuth verliebt und womöglich sogar beschließt, sich hier niederzulassen, um zwischen Rotem Main und Festspielhügel einen geruhsamen Lebensabend zu verbringen, muss auch lernen, sich für das Bayreuther Sonn- und Festtagsessen zu begeistern: die rohen Kartoffelklöße. Hobby-Historiker Stephan Müller hat herausgefunden, seit wann es die “Bareitha Kleeß” gibt.

“Bareither Klöß”. Kein Kochbuch, sondern ein herrlicher Buchtitel für Dichtungen in oberfränkischer Mundart von Samuel Bach aus dem Jahr 1906. Foto: Stephan Müller


Sie sind das Alpha und das Omega aller Festlichkeit in Oberfranken. Kindstaufen, Hochzeiten, Leichenschmäuse, Richtfeste sind nicht denkbar ohne sie. Und bis zu 40 Kilometer fahren Alteingesessene an den Sonntagen, um in Wirtshäusern abzusteigen, wo die Klöße besonders gut, das heißt groß, handgerieben und vor allem billig sind. Gaststätten, in denen die Klöße mit Schweine-, Enten-, Gans- oder Sauerbraten noch weitere zehn oder 15 Pfennige unter dem preislichen Durchschnittsminimum liegen, werden dabei vor allem von den Bayreuther Millionären bevorzugt.

(Erich Rappl, 1970, ehemaliger Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts)

Diese Einschätzung stammt aus dem Jahr 1970 von dem ehemaligen Chefredakteur des Bayreuther Tagblatts Erich Rappl, den die Bayreuther nur unter “Wafner” kennen. Sie hat bis auf die Umstellung von Pfennig auf Cent noch immer Bestand.

Seit 300 Jahren zum Sonntagsbraten unverzichtbar

Und dies vielleicht schon seit 300 Jahren: Es war ein Zufall, durch den Dr. Sylvia Habermann herausgefunden hat, dass der „Fränkische Kloß“ schon vor drei Jahrhunderten bekannt war. Bei der Suche nach einem Bildhauer, der für die Kirche in Neustädtlein am Forst Figuren geschnitzt hatte, stieß die damalige Leiterin des Historischen Museums in Bayreuth in den Rechnungsbänden auf ein Richtfest, bei dem imposant mit Klößen aufgekocht wurde. Die unverhältnismäßig hohe Rechnung vom 22. August 1707 lässt ohne Zweifel darauf schließen, dass es sich dabei tatsächlich um Kartoffelklöße und nicht etwa um die althergebrachten „billigen“ Mehlklößlein handelte. Die „erste urkundliche Erwähnung“ des Kartoffelkloßes stand fest.

Warum “grüne” Klöße?

Diese rohen Kartoffelklöße werden als „grüne Klöße“ bezeichnet. Das Wort grün ergab sich in früheren Zeiten tatsächlich aus der Farbe. Wenn der Kloßteig, der früher geschwefelt wurde, erkaltete, bekam er oft eine dunkelgrüne Farbe. So hat sich der Begriff „grüne Klöße“ als Bezeichnung für Klöße aus rohem Kartoffelteig erhalten.

Das Büchlein “Kiechla, Kleeß und Krautsalot” von Traudl Wolfrum ist in der ewigen Rangliste der am meist verkauften Bücher in Bayreuth wohl nie mehr zu schlagen. Foto: Stephan Müller

Der erste Kartoffelanbau in Rehau

Zu diesem Zeitpunkt wurde die Kartoffel in der Markgrafschaft bereits einige Jahrzehnte feldmäßig angebaut. Die ersten Kartoffeln vom Feld gab es 1647 in Pilgramsreuth bei Rehau. Dabei handelte es sich um den frühesten bisher bekannten „Erdäpfelanbau“ in Deutschland.

Der Bauer Hans Rogler erhielt während des 30-jährigen Krieges die ersten Saatkartoffeln von einem holländischen Soldaten. Der Ernteerfolg musste nicht lange auf sich warten: Schon bald wurden mehr als 500 Zentner Kartoffeln in dem 400 Seelendorf geerntet. Eine Bronzeplastik im Kirchhof – das so genannte „Kartoffeldenkmal“ – zeigt einen Bauern mit einem Grabegerät und eine kniende Bäuerin mit Kartoffelkorb, beide im üblichen bäuerlichen Gewand des 17. Jahrhunderts.

Streit um die ersten Kartoffeln endete vor Gericht

Dies lässt sich alles urkundlich belegen, weil es um diesen ersten Kartoffelanbau einen mächtigen Streit und sogar eine Gerichtsverhandlung in Hof an der Saale gab. Als Hans Rogler aus Pilgramsreuth und andere Bauern aus Roßbach bei Asch in Böhmen die Kartoffeln erhielten und mit dem Anbau begannen, weigerten sie sich “den Zehnt” abzugeben, weil dieser nach ihrer Ansicht nur für Getreide festgelegt war. Die Bauern behielten die Kartoffeln für sich. Das Gerichtsprotokoll aus Hof ist die erste “urkundliche Erwähnung des Kartoffelanbaus”.

Der Bayreuther Bürgermeister Erhard Christian Hagen von Hagenfels schrieb dazu im Jahr 1862 im „Archiv für Geschichte und Althertumskunde von Ober­franken“, dass ein in Böhmen einquartierter niederländischer Offizier von der Nützlichkeit “des Baues der Kartoffel” erzählt habe. Nachdem die Bauern misstrauisch waren, ließ er sich „aus seinem Vaterlande eine Partie Kar­tof­feln” kommen, die im Hausgarten gesteckt wurden. Die Anbauversuche gelangen, sodass die Pilgramsreuther schnell systematische Anpflanzungen auf den Feldern vornahmen. Dies war der Kirche ein Dorn im Auge. Die Kartoffel stand nicht in den Zehnt-Verzeichnissen. Bereits im Jahr 1694 wurde ein Jahresertrag von 1.300 Zentnern erzielt.

Bayreuther Saatkartoffeln für den Preußenkönig

Der Kartoffelanbau breitete sich in der Markgrafschaft Bayreuth bis zu den Regierungszeiten der Markgräfin Wilhelmine immer weiter aus. Im Gegensatz zum Getreide war und ist die Kartoffel weder bei der Aussaat noch vor der Ernte abhängig vom Wetter und der Witterung. Erst mit dem Kartoffelanbau konnten in Europa die Hungersnöte eingedämmt werden. Dazu ließ sich Friedrich der Große Saatkartoffeln aus Bayreuth kommen, um die Pflanzaktionen zu fördern.

Durch seine Schwester Wilhelmine soll Friedrich der Große auf die nützliche Frucht aus der Bayreuther Markgrafschaft aufmerksam geworden sein. Am 24. März 1756 erließ der Preußenkönig sein berühmtes Kartoffeldekret, wonach “der 15. Teil des Bodens” mit Kartoffeln anzupflanzen sei. Landwirte, die keine Kartoffeln anbauten, konnten künftig nicht mehr mit Steuererleichterungen rechnen.


Text: Stephan Müller

Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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Weihnachtsüberraschungen mit Familie Wagner

Weihnachten ist das Familienfest Nummer 1. Doch jede Familie gestaltet die Feiertage anders. Wie Richard Wagner und seine Lieben das Fest feierten, verrät bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller.


Keine Worte für solche Freuden

Das Weihnachtsfest wurde von der Familie Wagner stets besonders hingebungsvoll gefeiert. Aus doppeltem Anlass: Denn auch Frau Cosima hatte am Heiligen Abend Geburtstag. Begangen wurde ihr Wiegenfest allerdings immer einen Tag später, also jeweils am ersten Weihnachtsfeiertag. Richard Wagner war immer darauf bedacht, seiner Cosima eine besondere Weihnachtsüberraschung zu bieten. Zwei Mal gelang ihm dies mit gerade erst komponierten Uraufführungen seiner Werke.

Am Sonntag, dem 25. Dezember 1870, kamen Orchestermitglieder der Züricher Tonhalle in das Haus Tribschen und weckten die 33-jährige Cosima in aller Frühe mit dem etwa zwanzigminütigen “Tribschener Idyll”, das später zum “Siegfried-Idyll” wurde.

Das Foto entstand 1873: Cosimas Kinder Isolde, Eva, Siegfried, Blandine und Daniela. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Aus Platzgründen spielte nur eine kleine Streicher-Besetzung. Weil die Musiker deshalb im Treppenhaus Aufstellung nahmen, wurde das “Siegfried-Idyll” von Wagners Kindern auch später nur “Treppenmusik” genannt. Nach dieser Uraufführung im kleinsten Kreise schritt Richard Wagner mit den Kindern und dem anwesenden Friedrich Nietzsche an Cosimas Bett und überreichte ihr das Manuskript des “Siegfried-Idyll”.

Der Titel des Geburtstagsgeschenks: “Tribschener Idylle mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang, als symphonischer Geburtstagsgruß seiner Cosima dargebracht von Richard Wagner”.

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Überraschung am Weihnachtstag

Genau acht Jahre später, die Familie Wagner lebte seit vier Jahren im Haus Wahnfried in Bayreuth, überraschte Richard Wagner seine Cosima am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1878 ein zweites Mal: Er bat den Herzog von Meiningen um eine zweitägige Beurlaubung seiner Hofkapelle. Die Musiker trafen einen Tag vor Heiligabend in Bayreuth ein – sozusagen als polyphones Weihnachtsgeschenk.

Kurz zuvor hatte Richard Wagner die Partitur zum “Parsifal”-Vorspiel abgeschlossen. Und dieses weihevolle vorab instrumentierte Werk wurde am ersten Feiertag morgens um sieben Uhr in der Halle des Hauses Wahnfried uraufgeführt – erneut ganz privat. Am Abend gab es zudem ein Konzert mit dem “Siegfried-Idyll” und Beethoven-Sätzen. Frau Cosima war außer sich vor Entzücken. In ihr Tagebuch schrieb sie wonnetrunken: “O dass man nur Worte hätte für solche Freuden”.

Zu Richards Weihnachtsüberraschungen gehörte auch der so genannte “Kinderkatechismus”, der am 25. Dezember 1873 und ein Jahr später in einer neuen instrumentierten Fassung beim ersten Weihnachtsfest in Wahnfried von den Kindern aufgeführt wurde. Eine Huldigung mit Gesang und Klavierbegleitung für Cosima. Allerdings kann man zumindest hier über den Gehalt von Richard Wagners Dichtkunst streiten:

Wisst ihr Kinder, was blüht am Maitag? Die Rose, die Rose, die Ros im Mai.

Kinder, wisst ihr auch, was blüht in der Weihnacht?

Die Kose, die Kose, die kosende Mama, die Cosimama.

Als die Meininger Hofkapelle morgens um sieben Uhr im Saal von Wahnfried das “Parsifal”-Vorspiel spielte, war Frau Cosima außer sich vor Entzücken. In ihr Tagebuch schrieb sie wonnetrunken: “O dass man nur Worte hätte für solche Freuden”. Der Bayreuther Karikaturist Matthias Ose hat das weihnachtliche Geburtstagsgeschenk in einer Zeichnung interpretiert. Repro: Stephan Müller.

Die “Heilige Familie Wagner”

Aber auch Frau Cosima wusste, wie sie ihrem Richard eine unvergessliche Bescherung bereiten konnte. Für den Heiligen Abend des Jahres 1880 dachte sie sich ein lebendes Bild aus: die “Heilige Familie Wagner”. Cosima, Töchter Eva, Isolde und Blandine mimten die musizierenden Engel, Tochter Daniela saß als Madonna neben dem Jesus-Knaben, der von Wagners einzigen Sohn Siegfried verkörpert wurde.

In ihrem Tagebuch berichtet die Ehefrau über Richards Reaktion: “Das lebende Bild, herrlich gestellt und gehalten von den Kindern, erfreut und ergreift ihn.”

Der beglückte Meister bat sogleich den anwesenden Maler und Freund Paul von Joukovsky, die Szene mit dem Pinsel festzuhalten. Ein bisschen kitschig fiel das Gemälde schon aus, aber – was soll`s”? Der Bayreuther Lokalhistoriker und ehemalige Bürgermeister Bernd Mayer stellte dazu einmal augenzwinkernd fest: “Es war immerhin das erste und einzige Mal, dass sich die Wagners als heilige Familie aufgeführt haben…”

Die “Heilige Familie Wagner”. Der Maler Paul von Joukovsky hielt das “lebende Bild” vom Heiligen Abend des Jahres 1880 mit dem Pinsel fest. Im Vordergrund Wagnersohn Siegfried (Fidi) als Jesusknabe, neben ihm Daniela von Bülow als Madonna. Eva, Isolde und Blandine mimten die musizierenden Engel. Im Hintergrund erkennt der Betrachter die Bayreuther Stadtkirchentürme. Repro: Stephan Müller.

Hier noch einmal ein Überblick über Richard Wagners schönste Weihnachtserlebnisse:

Am 26. Dezember 1862 fand Wagners erstes Konzert im “Theater an der Wien” statt. Im Beisein der Kaiserin Elisabeth standen das Vorspiel und zwei Szenen aus den “Meistersingern” sowie “fertige” Teile des “Rings” auf dem Programm. Vor allem nach dem “Walkürenritt” brandete großer Jubel auf.

  1. Dezember 1866: Wagner schreibt Stolzings Preislied im dritten Akt der “Meistersinger” nieder.
  2. Dezember 1870: Richard Wagner führt am Weihnachtsmorgen zu Cosimas Geburtstag das “Siegfried-Idyll” im Treppenhaus im Haus Tribschen bei Luzern auf. Auch Nietzsche ist anwesend.
  3. Dezember 1873: Familienaufführung des “Kinderkatechismus” in der Halle von Wahnfried
  1. Dezember 1874: Aufführung einer neuen, instrumentierten Fassung des “Kinderkatechismus” in der Halle von Wahnfried 
  1. Dezember 1878: Morgens um 7 Uhr spielt das von Wagner engagierte Meininger Hoforchester (unter Wagners Leitung) im Saal von Wahnfried das “Parsifal”-Vorspiel mit Konzertschluss, dessen Partitur vermutlich schon im Oktober, spätestens Anfang Dezember entstanden ist. Abends Konzert mit dem “Siegfried-Idyll” und Beethoven-Sätzen.

Am Heiligen Abend 1882 führt Wagner mit einem Schülerorchester im Teatro la Fenice seine 1833 im Gewandhaus aufgeführte Jugend-Symphonie in C-Dur auf. Liszt spielt zu Ehren seiner Tochter Klavier. Bei einer Hauptprobe am Vormittag hat Wagner Herzkrämpfe.


Text: Stephan Müller



Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.


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