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Gessn werd dahaam
Gessn werd dahaam: Frankens Nationalgericht und die Zucchini-Invasion
Christoph Scholz erzählt in Folge 10 von „Gessn werd dahaam“ vom langweiligsten Gemüse der Welt, Buchtipps und dem fränkischen Nationalgericht.
Heute möchte ich Ihnen „Das Küchentagebuch“ des englischen Fernsehkochs Nigel Slater empfehlen. Ein Buch, das mir, seit ich es in meiner Lieblingsbuchhandlung Breuer & Sohn in Bayreuth erwarb, schon oft aus der Patsche geholfen hat, wenn Kühlschrank und Speisekammer leer waren. Hier eine Kostprobe: „3. Januar: Ein knackiger Salat für Wintertage. Im Kühlschrank sind noch ein paar Birnen und etwas Käse, einige noch gute, knackig feste Salatblätter und ein Plastikbehälter mit verschiedenen Sprossen von Weihnachten übrig. Ich stelle sie fast verzweifelt zusammen, und dennoch kommt ein ebenso erfrischender wie aufmunternder Salat heraus, strahlend und rein im Geschmack.“
Dieses kurze Zitat, liebe Leserin und lieber Leser, ist bereits ein vollständiges Rezept! Es steht beispielhaft für Slaters besonderes Markenzeichen, nämlich im Plauderton zu erzählen, was er so in Küche und Garten findet und dann daraus zaubert.
Das langweiligste Gemüse der Welt
Fans der TV-Serie „The Walking Dead“ gruseln sich vor der Zombie-Invasion, ich grusele mich jedes Jahr im Sommer vor der Zucchini-Invasion, wenn eine liebe Bekannte uns in rauen Mengen mit diesem langweiligsten Gemüse der Welt aus ihrem Garten versorgt. Mein Vater wird bald 80 und ist passionierter Hobbygärtner. Neulich ächzte er unter Hitze und klagte, dass er so viel gießen müsse. Kaum etwas gedeihe in diesem Jahr. Aber die Zucchini! Wie gut es ihnen doch auf dem Komposthaufen ginge. Sie seien so anspruchslos. Und so schmecken sie auch.
Am Montagabend, zwei Tage vor Erscheinen dieser Kolumne, komme ich heim und freue mich auf die zweite Folge der aktuellen Staffel von „Stranger Things“ auf Netflix. Eine Teenager-Clique erlebt dort fantastische Abenteuer in einer amerikanischen Kleinstadt namens Hawkings, die von Monstern und Geheimdiensten terrorisiert wird. Es liegen wieder Zucchini aus dem Garten unserer lieben Bekannten in meiner Küche. Horror, nicht nur in Hawkings. Nigel Slater ist der Mann für solche Fälle. Ich greife gern zum „Küchentagebuch“, wenn es gilt, Reste oder missliebige Zutaten zu irgendetwas Essbarem verarbeiten, so auch heute Abend.
Das Beste draus machen
Mit einer Reibe rasple ich die Zucchini in ein Sieb, salze sie großzügig und stelle sie zum Abtropfen zur Seite. Ich hacke drei Handvoll Minze aus dem Garten und zwei Schalotten (nicht aus der Genussregion Oberfranken, sondern von Lidl), reibe Parmesan, friere schnell ein paar Butterflocken ein und koche einen Liter Gemüsebrühe, die von Maggi aus dem Glas. Während die Schalotten in ein wenig Olivenöl anschwitzen, finde ich eine angebrochene Tüte Risottoreis in der Speisekammer. Milchreis ginge auch, ebenso Rundkornreis, dieser braucht aber über eine halbe Stunde, solange will ich heute nicht am Herd stehen. Den Reis gebe ich zu den schwitzenden Schalotten. Sobald die Reiskörner ein wenig Öl abbekommen und ganz leicht zu knistern begonnen haben, lösche ich mit einem großzügigen Schluck australischem Chardonnay von Rawson’s Retreat aus Jacques‘ Weindepot, Bayreuths nettestem Weinladen, ab.
Schäuferle statt Bohnen
Slater möchte dieser Mischung schließlich noch dicke Bohnen beifügen. Ich habe keine Bohnen, aber im Kühlschrank wartet noch ein gutes Stück vom Schäuferle, übriggeblieben vom gestrigen Sonntagsmittagessen im Landgasthof Freiberger in Schnabelwaid. Eigentlich wollte ich diesen köstlichen Brocken des Fränkischen Nationalgerichts später am Abend, nach „Stranger Things“, mit einer Gurke aus Kolbs Bauernladen (stelle ich Ihnen in der nächsten Folge am 7. August vor) und einem Klecks Siebenstern-Senf (den Sie schon aus Folge 2 kennen) naschen, stattdessen zupfe ich diesen nun klein. Währenddessen habe ich den Reis fest im Blick, fast ohne Pause rühre ich ihn gut 15 Minuten, dabei schöpfe ich immer wieder kleine Mengen Brühe zu.
Wenn der Reis fast gar ist, Biss muss er noch haben, nehme ich ihn von der Flamme, ziehe die Zucchini, die gefrorenen Butterflöckchen und den Parmesan behutsam unter, ebenso den Saft einer Zitrone und – als Krönung – das „Pulled Schäuferle“. Salz braucht es nicht mehr, die schrecklichen Zucchini, die ich vorher etwas ausquetsche, sind ja reichlich gesalzen worden. Mit viel Minze und einem kleinen Schuss des fantastischen Olivenöls von Jefira (www.jefira.com), dass die Familie von Tobias Kunz, einem Berliner Ausstellungsarchitekten, mit ich beruflich oft zu tun habe, aus Griechenland bezieht und in kleinen Mengen vertreibt, serviere ich dieses von Nigel Slater inspirierte „Gericht aus Naturreis, Zucchini und Minze“. Sie finden es auf Seite 303 im „Küchentagebuch“.
Vom Herd zum Buch
Mein Tipp für diese wieder mal heißesten Tage des Jahres: Packen Sie eine Decke ins Auto. Fahren Sie zur Buchhandlung Breuer & Sohn oder den Buchhändler Ihres Vertrauens (Rupprecht am Marktplatz ist auch sehr gut!) und kaufen Sie sich das wirklich sehr amüsante „Küchentagebuch“ (erschienen bei Dumont) oder, wenn’s wirklich Literatur sein soll, die bei Schöffling & Co. erschienene Neuauflage von Gabriele Tergits großem Roman „Effingers“: „Das Herz hüpft mit, liest man dieses Buch“, schwärmte die Literaturkritikerin der Wochenzeitung „Die Zeit“. Dann fahren Sie raus zum Freiberger nach Schnabelwaid. Dort essen Sie was Gescheit‘s. Zur Siesta verkrümeln Sie sich auf der mitgebrachten Decke auf eine der Wiesen am Gasthof und schmökern im Buch Ihrer Wahl. Irgendwann am frühen Abend, wenn Sie wieder hungrig sind, gehen Sie ins urgemütliche Bierstüberl oder den lauschigen Garten der Freibergers … und gönnen sich dort noch eine Brotzeit.
Schäuferle im Urlaub
Ich wünsche Ihnen einen schönen Start in die Sommerferien! Sie können das Bayreuther Tagblatt ja online überall lesen, am Strand an der Ostsee oder in Ägypten am Roten Meer, an den Ufern des Gardasees oder denen der Müritz. So verpassen Sie nichts aus unserer geliebten frängischen Heimat. Nur Schäuferle, auf die müssen Sie im Urlaub wohl verzichten. Vor Jahren einmal kamen wir am letzten Sommerferiensonntag abends zum Freiberger. Die Schäuferle waren leider schon aus. Unsere Buben, damals noch klein, schauten sehr traurig. Die nette Bedienung sagte: „Wir haben heute keine mehr, weil unsere Gäste sich im Urlaub so sehr nach unserer fränkischen Küche gesehnt haben“.
Folge 11 erscheint am 7. August. Dann besuche ich Kolbs Bauernladen.
Christoph Scholz
Christoph Scholz ist 45 Jahre alt und Familienvater. Sein Geld verdient er als Projektleiter bei Semmel Concerts. Privat beschäftigt er sich gerne mit den Themen Essen, Trinken, Kochen, Gastronomie und Hotellerie.